09.04.2010
Buchdetails
Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation von Kulturpolitik
von Bernd Wagner
Verlag: Klartext-Verlag
Seiten: 500
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Autor*in
Dieter Haselbach
ist habilitierter Soziologe und arbeitet seit über 20 Jahren als Kulturberater und -forscher. Er unterrichtet regelmäßig an deutschen und internationalen Hochschulen. Seit 2014 ist er Direktor des Zentrums für Kulturforschung. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von Planungsprozessen und Strategien für Institutionen, Change Management in der öffentlichen Verwaltung sowie Führungs- und Konfliktcoaching.
Buchrezension
Fürstenhof und Bürgergesellschaft: Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation moderner Kulturpolitik
Heutiges kulturpolitisches Handeln basiert auf den Strukturen, die in den vergangenen Jahrhunderten mit der Herausbildung der kulturellen Institutionen und einer kommunalstaatlichen Kulturpolitik entstanden sind. Davon ist unser Verständnis von Kulturpolitik, ihrer Motive und konzeptionellen Begründungen mitgeprägt.
Der Autor bietet einen Blick zurück auf die kulturelle Entwicklung von der Frühen Neuzeit bis zum Ende des Kaiserreichs und zeigt, wie sehr Entstehung, Entfaltung und Legitimation von Kulturpolitik vor allem durch die Motive "Unterhaltung" und "Repräsentation", "Bildung" und "Demokratisierung" bestimmt sind. Die höfische Kultur des absolutistischen "Fürstenhofes" und die "Bürgergesellschaft" mit der frühneuzeitlichen Stadtpolitik, der kulturellen Konstitution von Bürgertum und Arbeiterbewegung sowie den ersten Strukturen öffentlicher Kulturpolitik im 19. Jahrhundert bilden die Traditionslinien heutiger Kulturpolitik.
Bernd Wagner hat ein Buch vorgelegt, das eine Argumentationshilfe in der kulturpolitischen Debatte werden kann. Wagner serviert keine leichte Kost, der Leser braucht einen gesunden Appetit. Die Einleitung setzt das Thema, zeigt, welche Bissen zu bewältigen sind: Heutige Kulturpolitik, die aus einer Vielzahl historischer wie zeitgenössischer Praxisformen besteht, verfügt nicht mehr über eine theoretisch begründete, von vielen geteilte Zielvorstellung und eine konzeptionelle Begründung ihrer Praxis. (19) Und am Ende, nach dem Durchgang durch einige hundert dicht beschriebene Seiten, schließt Wagner mit demselben Motiv, nennt nun aber seinen Referenzrahmen: Gegenwärtige Kulturpolitik basiert .. in ihrem Handeln und in ihren theoretischen Grundla-gen auf den Reformkonzepten der Neuen Kulturpolitik der 1970er und frühen 1980er Jahre. Durch die Veränderungen der vergangenen zwei Jahrzehnte kulturpolitischer Praxis hat sich allerdings eine Kulturpolitik herausgebildet, die pragmatisch verschiedene Ansätze kulturpolitischer Praxis und differierende Ziele gleichzeitig verfolgt. Als solches Konglomerat verfügt Kulturpolitik gegenwärtig über keine einigermaßen konsistente Theorie ihres Handelns (450) Kulturpolitik handelt also ohne Durchblick? Schwere Kost!
Wagners Buch versucht keine neue theoretische Grundlegung der Kulturpolitik. Er geht den Weg über die Geschichte. Das Buch handelt von der Entwicklung künstlerischer und kultureller Praktiken und von ihrem Widerspiel mit Politik. Wagner fasst den Begriff Politik weit. Wie haben Gesellschaften sich, ihre Macht, ihre Diskurse und ihre Konflikte kulturell organisiert und begleitet? Dass Kunst und Politik, dass Kultur und Politik viel miteinander zu tun haben, das belegt Wagner eindrucksvoll. Fürstenhof und Bürgergesellschaft ist ein Kompendium der Kulturentwicklung, der Kulturphilosophie, der kulturellen Institutionen und schließlich der Kulturpolitik seit der frühen Neuzeit. Es geht um höfische Kultur, staatliche Kultur, oppositionelle Kultur. Es geht um die Formierung neuer und die Verteidigung alter Formen des Zusammenlebens von Menschen in kultureller Praxis. Wagner hat sich ein riesiges Feld vorgenommen. Die Geschichte der Musik reicht vom Minnesang über die Stadtmusik bis zu den großen Konzerthäusern des 19. und 20. Jahrhunderts. Theater und Theaterpolitik werden von den fahrenden Mimen und den Hoftheatern bis zu den großen bürgerlichen Theatergründungen verfolgt. Bibliotheken, Museen u.a.m. werden genauso ausführlich durch die Geschichte verfolgt. In der kulturpolitischen Diskussion sind seit der frühen Neuzeit viele Themen wieder und wieder umgegraben worden: Über Kulturwirtschaft und Kultur als Wirtschaftsfaktor wurde schon im 18. Jahrhundert diskutiert. Nicht alles, was heute brandneu erscheint, ist es auch.
Was macht Wagners Buch kulturpolitisch relevant? Die Geschichte zeigt, wie wandelbar die Institutionen, die Förderformen, die Kunstpraxis waren. Künstlerisch und institutionell gibt es ein Ein- und Ausatmen. Nichts, was geworden ist, bleibt. Was heute unverzichtbar erscheint, ist morgen verschwunden. Und kommt übermorgen anders wieder, oder eben nicht. Wer die heutige kulturpolitische Form festhalten möchte, handelt im Licht der Geschichte töricht. Kultur wurde nicht durch Beharren auf institutionellen Konstellationen weitergetrieben, sondern im ständen Formenwandel. Wagner zeigt, wo die Argumente hergekommen sind, die uns heute als so zwingend erscheinen. Mit Wagners Buch wird Kulturpolitik in radikalen Alternativen denkbar. Es ist gut, wenn die Teilnehmer am kulturpolitischen Diskurs um die Halbwertszeit ihrer Argumente wissen.
Ein Buch, das sich nicht leicht in der Badewanne liest. Ein Buch mit Lücken, sicherlich mit manchem schrägen Urteil im Detail. Jeder darf seinen Lieblingsautor vermissen. Mit fehlte Dirk Baecker in der theoretischen Auseinandersetzung. Und des fehlte der großartige Werner Sombart mit seinen Forschungen zu einer ökonomischen Geschichte der Kulturpolitik. Aber Wagners Buch ist eine großartige Zusammenschau. Und er konnte ja nicht alles lesen! Schmerzlich ist, dass ein Register fehlt. Und bei so viel traditioneller Gelehrsamkeit hätte ich mir gewünscht, dass es gleich drei gibt, so wie früher: Ein Sachregister, ein Ortsregister und ein Personenregister.
Wagner hat seine Arbeit getan. Jetzt sollten wir bitte bitte bald mit einer kulturpolitischen Diskussion anfangen, die einen zeitgemäßen Referenzrahmen erarbeitet. Nicht alles können wir Wagner überlassen!
Wagners Buch versucht keine neue theoretische Grundlegung der Kulturpolitik. Er geht den Weg über die Geschichte. Das Buch handelt von der Entwicklung künstlerischer und kultureller Praktiken und von ihrem Widerspiel mit Politik. Wagner fasst den Begriff Politik weit. Wie haben Gesellschaften sich, ihre Macht, ihre Diskurse und ihre Konflikte kulturell organisiert und begleitet? Dass Kunst und Politik, dass Kultur und Politik viel miteinander zu tun haben, das belegt Wagner eindrucksvoll. Fürstenhof und Bürgergesellschaft ist ein Kompendium der Kulturentwicklung, der Kulturphilosophie, der kulturellen Institutionen und schließlich der Kulturpolitik seit der frühen Neuzeit. Es geht um höfische Kultur, staatliche Kultur, oppositionelle Kultur. Es geht um die Formierung neuer und die Verteidigung alter Formen des Zusammenlebens von Menschen in kultureller Praxis. Wagner hat sich ein riesiges Feld vorgenommen. Die Geschichte der Musik reicht vom Minnesang über die Stadtmusik bis zu den großen Konzerthäusern des 19. und 20. Jahrhunderts. Theater und Theaterpolitik werden von den fahrenden Mimen und den Hoftheatern bis zu den großen bürgerlichen Theatergründungen verfolgt. Bibliotheken, Museen u.a.m. werden genauso ausführlich durch die Geschichte verfolgt. In der kulturpolitischen Diskussion sind seit der frühen Neuzeit viele Themen wieder und wieder umgegraben worden: Über Kulturwirtschaft und Kultur als Wirtschaftsfaktor wurde schon im 18. Jahrhundert diskutiert. Nicht alles, was heute brandneu erscheint, ist es auch.
Was macht Wagners Buch kulturpolitisch relevant? Die Geschichte zeigt, wie wandelbar die Institutionen, die Förderformen, die Kunstpraxis waren. Künstlerisch und institutionell gibt es ein Ein- und Ausatmen. Nichts, was geworden ist, bleibt. Was heute unverzichtbar erscheint, ist morgen verschwunden. Und kommt übermorgen anders wieder, oder eben nicht. Wer die heutige kulturpolitische Form festhalten möchte, handelt im Licht der Geschichte töricht. Kultur wurde nicht durch Beharren auf institutionellen Konstellationen weitergetrieben, sondern im ständen Formenwandel. Wagner zeigt, wo die Argumente hergekommen sind, die uns heute als so zwingend erscheinen. Mit Wagners Buch wird Kulturpolitik in radikalen Alternativen denkbar. Es ist gut, wenn die Teilnehmer am kulturpolitischen Diskurs um die Halbwertszeit ihrer Argumente wissen.
Ein Buch, das sich nicht leicht in der Badewanne liest. Ein Buch mit Lücken, sicherlich mit manchem schrägen Urteil im Detail. Jeder darf seinen Lieblingsautor vermissen. Mit fehlte Dirk Baecker in der theoretischen Auseinandersetzung. Und des fehlte der großartige Werner Sombart mit seinen Forschungen zu einer ökonomischen Geschichte der Kulturpolitik. Aber Wagners Buch ist eine großartige Zusammenschau. Und er konnte ja nicht alles lesen! Schmerzlich ist, dass ein Register fehlt. Und bei so viel traditioneller Gelehrsamkeit hätte ich mir gewünscht, dass es gleich drei gibt, so wie früher: Ein Sachregister, ein Ortsregister und ein Personenregister.
Wagner hat seine Arbeit getan. Jetzt sollten wir bitte bitte bald mit einer kulturpolitischen Diskussion anfangen, die einen zeitgemäßen Referenzrahmen erarbeitet. Nicht alles können wir Wagner überlassen!
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