31.03.2020

Themenreihe Corona

Autor*in

Julia Heinrich
studierte Kulturmanagement in Weimar. Sie arbeitet hauptberuflich als Projektleiterin für den Weiterbildungsverbund KULTUR LAND BILDEN. Freiberuflich wirkte sie als Projektleiterin an der Kunstfest Eröffnung 2015 und 2016 sowie der im April 2019 stattfindenden Bauhaus-PARADE (100 Jahre Bauhaus) mit. Darüber hinaus arbeitet sie ehrenamtlich als Geschäftsführerin für den Verein weim|art.
Kathrin Schremb
ist seit 20 Jahren als Kultur- und Projektmanagerin in Thüringen tätig. Sie ist Gründerin des jungen Theaters stellwerk Weimar e.V., das seit 2002 über eine eigene Spielstätte im Weimarer Hauptbahnhof verfügt. Als Leiterin konzipierte und entwickelte sie kontinuierlich Inszenierungen, Projekte, Workshops und Festivals. 2020 wechselte sie zum Thüringer Theaterverband und ist dort für die Konzeptionierung eines freien Produktionshauses für Thüringen zuständig.
Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Die freie Theaterszene in Zeiten von Corona

Auf Solidarität kommt es jetzt an!

In der Theaterlandschaft trifft die Corona-Krise Kulturschaffende und Institutionen der freien Szene aktuell besonders hart. Unklar ist für die meisten dabei nicht nur ihre finanzielle Situation, sondern auch wie der Spielbetrieb anschließend fortgesetzt werden kann. Welche Unterstützung sie dabei brauchen und erwarten können, erklären Julia Heinrich und Kathrin Schremb vom Thüringer Theaterverband im Interview.

Themenreihe Corona

KMN: Liebe Julia, liebe Kathrin, als Träger für die freien Theater in Thüringen ist der Thüringer Theaterverband der Ansprechpartner für alle kulturmanagerialen Belange. Darüber hinaus fungiert ihr aber auch als kulturpolitische Interessensvertreter für eure 44 Mitgliedsbühnen. Wie seid ihr zunächst als Verband mit den abgesagten Veranstaltungen der Kulturinitiativen umgegangen? 

Julia Heinrich: Dadurch wir so eine Situation noch nie zu bewältigen hatten, war es im ersten Moment eine Art Ohnmacht. Zumal es nicht nur dieses Berufsfeld betrifft. Um diese zu bewältigen, hat vor allem der Austausch im Team geholfen, aus welchem dann auch sehr schnell Handlungsstrategien resultierten. Hinzu kommt speziell für Kathrin und mich, dass wir bereits auf unserem Arbeitsweg von Weimar nach Rudolstadt zum Thüringer Theaterverband eine Stunde gemeinsam darüber diskutieren und klären konnten: Wie ist die Situation? Welche Informationen dazu sind glaubwürdig und wie gehen wir damit um? Welche Dinge beschäftigen unsere Mitglieder dabei? Was haben wir dazu bereits aus unserem privaten Umfeld gehört? Denn wir haben beide auch viele Kulturschaffende in unseren Freundeskreisen, mit denen wir uns natürlich auch schon dazu ausgetauscht haben. Im Büro angekommen, konnten wir direkt mit unserer Arbeit beginnen und nach Lösungen recherchieren, um unseren Mitgliedern eine Stütze zu sein.

Kathrin Schremb: Ich persönlich habe - wie leider auch so viele andere - diese Entscheidungen zunächst nur hingenommen, ohne sie jedoch so ernst zu nehmen, wie sie eigentlich waren. Die Geschwindigkeit von Beschlüssen und Nachrichten hat mich dann aber schnell zur Einsicht gebracht, dass wir gerade wirklich ein Problem haben, an dessen Lösung wir uns beteiligen müssen. Um von dieser Schnelligkeit nicht weiter überfordert zu werden, habe ich mir angewöhnt, jeden Tag die Pressekonferenzen der Bundesregierung und des Robert Koch Instituts zum Thema "Corona" anzuhören. Zudem gibt es jetzt auch von der Landesregierung in Thüringen tägliche Pressemitteilungen aus den Behörden, sodass man die jeweiligen Maßnahmen gut nachvollziehen kann, um die nächsten Schritte tagesaktuell anzugehen.
KMN: Mit welchen Anliegen kommen eure Mitglieder nun zu euch?

KS: Sie wollen vor allem wissen, wo sie Hilfe bekommen können. Sie befürchten existenzielle Folgen, bei Einzelkünstler*innen aber auch bei Theaterbetrieben, denen Sofortkredite nicht helfen, da sie anders als Wirtschaftsunternehmen agieren.

Darüber hinaus bedeutet diese Situation sowohl für die Künstler*innen als auch für ganze Einrichtungen, dass sich ganze Spielzeiten verschieben. Welche Inszenierungen kommen dann überhaupt noch zustande? Inwieweit kann man dabei mit den dafür geplanten freischaffenden Künstler*innen rechnen? Eventuell haben diese für Nachholtermine keine Möglichkeiten mehr. Zum Verständnis: Ein Teil der freien Theater, die bei uns organisiert sind, arbeiten generationsübergreifend oder mit Kindern und Jugendlichen. Die Produktionen werden von freischaffenden Regisseur*innen, Choreograf*innen, Theaterpädagog*innen, Bühnenbild/Ausstattung etc., umgesetzt. Die Probenzeiten in diesem Bereich sind ca. 3-6 Monate. Die Schotte Erfurt zum Beispiel probt für eine Inszenierung ein ganzes Jahr. Die Institutionen müssen nun entscheiden, ob es Inszenierungen gibt, die verschoben werden können, bzw. welche ganz abgesagt werden müssen. Die Freischaffenden sind von den Institutionen und Projekten abhängig, welche aber die finanziellen Auswirkungen der aktuellen Situation noch gar nicht absehen können. Wichtig ist, dass Institutionen dabei ihre Künstler*innen und Freischaffenden im Blick behalten und solidarisch handeln. Sie müssen hinterfragen, was die Absagen auf gesamter Linie bedeuten, bzw. welche Folgen verschobene Termine haben.

Da geht es nun vor allem darum, die Projekte überjährig zu finanzieren. In Thüringen haben wir in den freien Spielstätten schon eine überjährige Förderung. Dieser brauchen wir nun auch für Projekte.

KMN: Wie unterstützt ihr eure Mitgliedsbühnen dabei? Könnt ihr ihnen Handlungsempfehlungen an die Hand geben?

KS: Mit der LAG Soziokultur und der LAG Spiel und Theater haben wir einen gemeinsamen Leitfaden mit Handlungsempfehlungen konzipiert. Dabei geht es zum einen um die einheitliche Dokumentation von Ausfällen. Denn wir müssen konkret wissen, welche Gelder wir für Kulturschaffende, Künstler*innen und die einzelnen Einrichtungen brauchen. Ebenso informieren wir in diesem Leitfaden auch über arbeitsrechtliche Zusammenhänge, wie etwa Kurzarbeitergeld. Denn einige unserer Mitgliedsbühnen haben ja auch Angestellte. Welche Möglichkeiten haben sie und welche Informationen können sie an welcher Stelle bekommen.
 
Prinzipiell versuchen wir, unsere Mitglieder zu beruhigen und so gut wie möglich gebündelt zu informieren.

KMN: Inwieweit tauscht ihr euch dazu mit den Verbänden anderer Bundesländer und dem Bundesverband Freier Darstellende Künste aus?

KS: Am 18. März gab es dazu über den Bundesverband Freier Darstellender Künste eine Telefonkonferenz mit allen Landesverbänden der 16 Bundesländer. Dabei ging es erster Linie darum, Informationen aus den Bundesländern zu sammeln: Was ist in jedem Bundesland los? Gibt es Entscheidungen zur Hilfe aus den jeweiligen Ministerien und Verwaltungen? Dabei haben einige Bundesländer beispielsweise davon berichtet, dass ihre Fördermittel gestoppt werden. In Thüringen läuft das zum Glück anders, wie unser Minister Benjamin Hoff und Thüringens Kulturstaatssekretätin Tina Beer in der Pressemitteilung angekündigt hat, bleiben alle Förderungen von Bestand. Aus einer Umfrage unter unseren Mitgliedern wissen wir, dass die meisten Anträge in der Haushaltsstelle der Freien Theater für 2020 bereits einen Bewilligungsbescheid erhalten haben - was sehr gut ist.

NRW und Bayern sind darüber hinaus gerade dabei, Notfallfonds einzurichten und dafür die richtigen Maßnahmen und Schlüssel zu finden. Dass man sich dabei für Kulturschaffende und die Solo Selbständigen stark macht, ist ein Selbstverständnis. Aber wie definieren wir eigentlich einen Ausfall? Und wie werden Verwaltungen das in den Abrechnungsphasen klären? Das sind noch offene Fragen. Was mich sehr erfreut, ist, dass ich ein Bemühen um schnelle Lösungen sehe und ein flexibler Umgang mit Förderungen in Aussicht gestellt wird. Aus meiner Sicht müssten zudem mehrere Zeitschienen von Ausfällen betrachtet werden: Ausfälle bis zum 19. April, bis zum Spielzeitende und Ausfälle bis zum Oktober ¬- da die konkreten Auswirkungen bisher noch sehr unklar sind. Dazu werden wir ein entsprechendes Formular entwickeln, um an konkrete Informationen zu kommen.

KMN: Neben euren Mitgliedsbühnen seid aber auch ihr in einem Teil eures Schaffens durch den Veranstaltungsshutdown betroffen. Denn ihr bietet ja gemeinsam mit der LAG Soziokultur und der LAG Spiel und Theater den Weiterbildungsverbund "Kultur.Land.Bilden" an, eine Seminarreihe für Kulturschaffende im ländlichen Raum. Wie geht ihr damit aktuell um?

JH: Wir müssen die geplanten Seminare verschieben - in der Hoffnung, dass es im Mai wieder weitergeht. Wir hatten auch überlegt, die aktuelle Situation als Chance für eine Weiterentwicklung zu nutzen, um die Seminare online stattfinden zu lassen, auch wenn das eigentlich nicht unser Auftrag war. Denn das Besondere an diesem Weiterbildungsverbund ist, dass wir mit den Referent*innen in die ländlichen Regionen Thüringens kommen und die Vereine vor Ort mit Weiterbildungsangeboten versorgen, man sich persönlich kennenlernt und untereinander austauscht. Dass dieses Miteinander durch Webinare vermutlich wegfällt, lässt sich in solchen Ausnahmesituationen eventuell noch verschmerzen. Die meisten Teilnehmer*innen haben aber noch ganz andere Probleme, wie sie mir auf meine Anfrage dazu mitteilten: mangelhafte Internetverbindungen, fehlende Rückzugsorte in der Wohnung oder im Haus, um sich auf die Inhalte des Seminars auch wirklich konzentrieren zu können oder unzureichende PC-Kenntnisse aufgrund eines höheren Alters. Das ist alles nachvollziehbar und wir müssen das dann einfach akzeptieren und die Termine verschieben, anstatt für uns neue Varianten zu erproben.

KMN: Während ihr in dieser Situation also nicht direkt neue Formate ausprobieren könnt, wie sieht es da bei euren Mitgliedsbühnen aus?

JH: Aktuell beobachten wir, dass einige Kulturinstitutionen schon auf digitale Varianten umsteigen. So bietet das Stellwerk Weimar beispielsweise Aufgaben via Facebook an. Damit können sich alle Mitwirkenden, die im Stellwerk beschäftigt sind und dort Inszenierung erarbeitet oder Kurse besucht hätten, in der "Selbstquarantäne" beschäftigen. Ebenso plant das Deutsche Institut für Kabarett und Kleinkunst, seine Formate, Lesungen und Auftritte gerade ins Digitale zu verlagern. Ähnlich macht es auch das Erfurter Club-Café Franz Mehlhose und bietet seine Veranstaltungen als Livestreams an.

KMN: Welche Maßnahmen müssen die Politik und andere Anlaufstellen ergreifen, um die freie Theaterszene in dieser Situation langfristig zu unterstützen?
 
KS: Zum einen müssen bewilligte Projekte anders abgerechnet werden können - in Verbindung mit ihren Eigenmitteln. Denn aktuell haben die freien Theater zwischen 10 und 35 % Eigenanteile in ihren Förderungen. Diesen Eigenanteil können sie über den Spielplan aber aktuell gar nicht einspielen. Hier spielt der Faktor Zeit eine große Rolle, da bis heute ja noch nicht abzusehen ist, wann überhaupt wieder stabile Einnahmen kommen. Also muss das Wichtigste sein, mit den entsprechenden Fördergeldgebern die Eigenanteilsfrage zu klären.

Weiterhin ist für die Freischaffenden wichtig, dass die Einkommenssteuervorauszahlungen gestundet werden können. Auch können sich Kulturschaffende, die in der KSK sind, sich nicht so einfach arbeitslos melden, um entsprechende Bezüge zu erhalten. Sie fallen sonst aus der KSK automatisch raus, und wir alle wissen, wie schlecht und wie schwer man wieder in die KSK reinkommt. Ein Hilfefond für Freischaffende Künster*innen ist unbedingt notwendig.

Ebenso erachte ich es in den Einrichtungen als eine sinnvolle Maßnahme, freien Mitarbeiter*innen und Honorarkräften, die schon für Projekte Verträge haben, bei Absagen ihre erbrachten Leistungen bzw. Vorleistungen zu bezahlen. Auch hier gilt es, weiterhin solidarisch zu sein

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