21.05.2015
Autor*in
Patrick S. Föhl
ist Gründer und Leiter des "Netzwerks Kulturberatung" in Berlin sowie ein international agierender Kulturentwicklungsplaner, Kulturmanagement-Trainer und Hochschulreferent. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in den Bereichen Kulturpolitik sowie Kulturmanagement und ist Beirat im Bereich "Bildung und Diskurse" des Goethe-Instituts.
Audience Development
Equity in Zeiten zunehmender Transformationserfordernisse im Kulturbereich
Kaum hat sich Audience Development als integratives Konzept, das Ansätze der Publikumsansprache (Kulturmarketing) mit denen der Kulturvermittlung und mit partizipativen Formaten verbindet, vielerorts in der Praxis etabliert, wird es im angelsächsischen Raum wieder infrage gestellt. So proklamiert Doug Borwick in seinem Buch über die Zukunft von Kunst und Kultur in den USA, dass es zukünftig weniger um klassisches Audience Development gehen darf, sondern vielmehr darum, wie sich Kunst und Kultur wieder in gesteigertem Maße aus den Kommunen und Regionen heraus entwickeln können. Im Prinzip also die alte, aber immer noch virulente Diskussion über das Verhältnis von Angebots- und Nachfrageorientierung und die nüchterne Feststellung, dass gerade die etablierten öffentlichen Kultureinrichtungen mit ihren Angeboten häufig lediglich einen sehr begrenzten Ausschnitt der Gesellschaft erreichen.
Dabei wird allerdings Audience Development nicht aufgrund seines integrativen Ansatzes infrage gestellt, sondern vielmehr die hinter dem Begriff stehende Logik, alles Handeln um die Kunst- und Kulturproduktion herum auf Publikumsmehrung auszurichten. Die Frage jedoch, ob bestehende Strukturen und Formate sich verändern müssen, um Kunst- und Kultur- und damit auch Publikumsentwicklung und -partizipation zu ermöglichen, wird häufig nicht gestellt. Der mediale Sturm um die Berufung von Chris Dercon an die Berliner Volksbühne legt eindrücklich Zeugnis darüber ab, was geschieht, wenn Outside the Box und sparten- sowie sektorenübergreifend gedacht wird. Der dahinterstehende Gedanke, die Zukunft des Theaters durch kooperative Transformation zu sichern, wird dabei weitgehend negiert. Doch zurück zum Postulat von Doug Borwick, dass wir mehr über Building communities, not audiences nachdenken müssen. Er geht von der gängigen These aus, dass sich Kunst und Kultur wieder stärker aus der Gesellschaft heraus entwickeln müssen. Städte und Regionen existierten nicht, um Kunst und Kultur zu dienen, sondern dies müsse (wieder) anders herum geschehen. Die Zukunft bestehender kultureller Einrichtungen und auch vieler Kulturprojekte wird maßgeblich davon abhängen, wesentlich breitere Gesellschaftsschichten für sich zu gewinnen sei es als klassisches Publikum, als Mitgestalter, als Mitarbeiterin einer Kultureinrichtung oder als kulturpolitische Fürsprecherin. Und dafür ist weitaus mehr notwendig als es das klassische Audience Development häufig verspricht. Damit wird nicht nur auf eine inzwischen heterogene, individualisierte, plurale und bunte Gesellschaft reagiert, sondern es werden auch Möglichkeiten geschaffen, diese verschiedenen Erfahrungshorizonte kooperativ in Kunstproduktionen zu vereinen. Hierbei werden Kunst und Kultur wieder zu Räumen gesellschaftlicher Debatten, ohne diese dabei zu überfordern. Eingelöst wird vielmehr der Anspruch nach Dialog und Integration vielfältiger Sicht- und Lebensweisen.
Besondere Schubkraft erlebt die Debatte um Integration und Öffnung aber gegenwärtig vor dem Hintergrund der stärker werdenden Flüchtlingsströme nach Mitteleuropa und die berechtigte Frage danach, wie Kulturpolitik gedenkt, auf diese Entwicklung zu reagieren. Sicherlich kann dies nur orchestriert im Schulterschluss mit anderen Politik- und Handlungsfeldern (insb. der Einwanderungs-, Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik) funktionieren, da Kunst und Kultur mit einer entsprechenden Aufgabe allein überfordert würden. Vielerorts gibt es inzwischen Erfahrungen in der Einbeziehung von Migranten als Publikum, Produzenten und Gestalter. Sicherlich sind diese aber noch ausbaubar und werden nicht allerorten praktiziert man denke nur an die ländlichen Räume in Deutschland, die aber zukünftig viele Flüchtlinge aufnehmen werden.
Was heißt das nun konkret? Wie können weitere Schritte aussehen und wie kann ein Konzept gestaltet werden, dass all die genannten Ansätze und Erfordernisse vereint oder zumindest eine Grundhaltung anbietet, die sich mit dem Innen und Außen von Kunst- und Kulturproduktion sowie -vermittlung beschäftigt und dabei die Gesamtgesellschaft im Auge hat? Hier lohnt abermals der Blick in den angelsächsischen Raum, in dem sich vor allem in den USA das sogenannte Equity-Konzept durchsetzt. Dieses stellt stets die Frage, ob tatsächlich alle gesellschaftlichen Gruppen Zugang zu den kulturellen Angeboten ihrer Region haben und diese mitgestalten können damit sind tatsächlich alle Ebenen gemeint, die physische, sprachliche und mentale, um nur einige zu nennen.
Im Prinzip liegt hier eine These zugrunde, wie man sie bereits aus den Konzeptionen der Barrierefreiheit kennt, dass eine möglichst große Zugänglichkeit allen potenziellen Zielgruppen entgegenkommt. Equity reicht allerdings über den Aspekt der Zugänglichkeit hinaus und impliziert zum Beispiel auch die Notwendigkeit, vermehrt Personen aus denjenigen Zielgruppen in Kultureinrichtungen einzustellen, die man wieder oder erstmalig für seine Kulturangebote gewinnen möchte. Erst dann ist Equity von innen und außen hergestellt und erst dann kann gegebenenfalls ein authentisches, aufrichtiges und integratives Audience Development gelingen.
Dieser Beitrag versteht sich als Plädoyer für eine frühzeitige Beschäftigung mit diesem Konzept, da es als Chance für eine gesellschaftsorientierte Kulturpolitik und -entwicklung verstanden sowie über die bisherigen Zugänglichkeitsdebatten hinausreichen kann. Zugleich stellt es Anforderungen an ein integratives struktur-, konzept-, vermittlungs-, akteurs- sowie gesellschaftsbezogenes Agieren, das insbesondere durch ein zeitgemäßes Kulturmanagement geleistet werden kann, wenn es stärker auf die Gestaltung entsprechender Schnittstellen und Zwischenräume ausgerichtet wird. Dafür scheint es höchste Zeit zu sein.
Dieser Beitrag versteht sich als Plädoyer für eine frühzeitige Beschäftigung mit diesem Konzept, da es als Chance für eine gesellschaftsorientierte Kulturpolitik und -entwicklung verstanden sowie über die bisherigen Zugänglichkeitsdebatten hinausreichen kann. Zugleich stellt es Anforderungen an ein integratives struktur-, konzept-, vermittlungs-, akteurs- sowie gesellschaftsbezogenes Agieren, das insbesondere durch ein zeitgemäßes Kulturmanagement geleistet werden kann, wenn es stärker auf die Gestaltung entsprechender Schnittstellen und Zwischenräume ausgerichtet wird. Dafür scheint es höchste Zeit zu sein.
Dr. Patrick S. Föhl ist Leiter des Netzwerk Kulturberatung und spezialisiert auf transformative Kulturentwicklungsverfahren. Er ist Dozent und Referent im In- und Ausland, Autor zahlreicher Publikationen zu Fragestellungen des Kulturmanagements und der Kulturpolitik sowie Vorstandsmitglied des Fachverband Kulturmanagement.
Dieser Beitrag erschien in ausführlicher Form zuerst im KM Magazin 5/2015.
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