20.01.2021
Autor*in
Armin Klein
war bis 2017 Professor für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der PH Ludwigsburg. Er ist Autor zahlreicher Standardwerke zum Kulturmanagement und Mitherausgeber des International Journal of Arts Management. Seit seiner Emeritierung 2017 ist er Berater für Kulturbetriebe und gibt Seminare und Workshops im Fortbildungsbereich.
Veronika Schuster
ist ausgebildete Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Sie hat mehr als 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Kuratorin für verschiedene Ausstellungsprojekte und Kultureinrichtungen gearbeitet. Sie verantwortet bei Kultur Management Network die Leitfäden und Arbeitshilfen und arbeitet als Lektorin und Projektleiterin für unterschiedliche Publikationsformate.
Erneuerung im Kulturmanagement
Wann gehen die Diskussionen endlich los?
Armin Klein, einer der besten Kenner des deutschen Kulturbetriebs zieht nach 40 Jahren im Kulturbetrieb und knapp einem Jahr Corona eine ernüchternde Bilanz - und hofft auf den Nachwuchs.
Lieber Herr Klein, was sind für Sie die Meilensteine auf dem Weg zu den heutigen Strukturen des Kulturbetriebs in Deutschland?
Armin Klein: Mit dem gesellschaftlichen Wandel der 60er- und 70er-Jahre entwickelte die "Neue Kulturpolitik" das große, weittragende Paradigma einer "Kultur für alle". So entwickelten sich sehr viele neue Kulturangebote, freie Kunst in jeder Form und die Soziokultur gingen mit völlig neuen Ansätzen an den Start. Vieles davon war - nett formuliert - ziemlich "handgestrickt", man arbeitete vielerorts nach dem Prinzip "Learning by loosing". Das ging alles nur eine Zeit lang gut, dann erkannten verantwortungsvolle Kulturpolitiker*innen, dass man den Professionalisierungsgrad erhöhen und verbindliche Rahmenbedingungen und neue Strukturen schaffen musste. Es gab zwar immer mehr Ressourcen, aber man erkannte allmählich, dass diese unbedingt effizienter genutzt werden mussten. Und dann können wir in den 90er-Jahre mit dem Konzept "Kulturmanagement" eine Neuorientierung beobachten. Trotzdem gibt es immer noch "Von allem zu viel", wie es polemisch im Untertitel des "Kulturinfarkt" heißt.
Und jetzt stehen wir im Grunde genommen vor der Frage, die uns schon seit zehn Jahren umtreibt: Warum das Ganze? Ist ein stetiges Mehr wirklich immer besser? Und vor allem: Wer soll das alles noch nachfragen? Wächst das Publikum im gleichen Maße wie das Angebot? Quantitativ ist im Kulturbetrieb viel gewachsen, aber qualitativ muss man die Frage stellen, ob man alles, was man irgendwann in den letzten 75 Jahren einmal eingerichtet hat, unbedingt am Leben halten muss. Wer diese Frage stellt, ist keineswegs gegen "die Kultur" oder "die Kunst", sondern fragt nur nach dem Sinn und Zweck des Ganzen. Aber allein diese Fragen zu stellen, sorgt schon für gewaltigen Gegenwind im ansonsten doch so kritischen Kulturbetrieb!
Es kam also immer noch mehr obendrauf. Und nun hat man sich in ein Korsett manövriert, bei dem man nicht mehr in Lage oder auch Willens ist, es zu verlassen?
AK: Es ist beides. Erschreckend kann man das in der aktuellen Corona-Situation beobachten. Wirklich alle streben danach, zu der vorherigen, scheinbaren "Normalität" zurück zu kehren. Auch wenn wahrscheinlich den meisten klar ist, diese Normalität - wie immer diese definiert wird - wird es nicht mehr geben. Und kaum einer hat dieses erzwungene freie Jahr genutzt, um die eigentlich drängenden Fragen zu stellen. Bei den Kultureinrichtungen hofft man naiv, wenn wir ganz schnell wieder öffnen, werden die Menschen wieder in Strömen kommen, ganz sicher! Abgesehen davon, dass diese "Ströme" oft bereits vor Corona nur Rinnsale waren: Ich denke nicht, dass das passieren wird. Denn das "klassische" Kulturpublikum besteht schon vom Alter her zu großen Teilen aus Mitgliedern der Hochrisikogruppe und viele werden das Risiko meiden - Impfhoffnungen hin oder her.
Tja, und die jungen Menschen? Die konnte man schon vor Corona immer weniger überzeugen, und die aktuelle Situation hat ihnen mehr denn je gezeigt, dass ihre Kultur nicht unbedingt in den klassischen Institutionen stattfindet, sondern in Clubs und vor allem im Netz. "Die Jugend" (die es so ja gar nicht gibt, man muss sich nur die entsprechenden SINUS-Milieustudien anschauen) entwickelt - wie jede Jugend vor ihr - ein neues und eigenes Kulturverständnis und wird andere "Kanäle" dafür nutzen. Ich, als Kulturopa, sitze noch brav vor arte oder ARD/ZDF, meine Kinder haben noch nicht einmal mehr einen Fernseher! Anstatt sich nun endlich diesen mehr als überfälligen Diskussionen zu stellen, sitzt man es aus und hofft auf das Öffnen der Tore.
Aber wer soll denn die Frage stellen, wer in 10 und 20 Jahren Kultur noch besuchen wird? Direktor*innen und Intendant*innen wollen sich ja nun nicht selbst abschaffen.
AK: Eigentlich ist das die Aufgabe der Kulturpolitik. Aber können Sie mir spontan auch nur drei derzeitige Kulturpolitiker*innen nennen, mit denen Sie sofort eine Agenda, oder sogar eine Vision, verbinden? Das war mit einem Blick in die 70er-Jahre ganz anders, so viele mehr, die in der Öffentlichkeit präsent waren, die gefordert haben, die sich mit Schriften in die Debatte eingebracht haben usw. Wie heißen die Kulturdezernent*innen in den Großstädten? Wer sind die Kulturminister*innen in den Ländern? Es gibt da eine fatale Lücke in der Kulturpolitik und in diese stößt nun der Bund mit Frau Grütters. Und die Kulturszene freut sich, dass von dort das Geld kommt, das in den Ländern und Gemeinden fehlt. Das ist doch fatal, denn Kunst- und Kulturförderung sind nach der Verfassung immer noch Länder- bzw. kommunale Angelegenheit. Das sind Verschiebungen, die kaum kompetent diskutiert werden. Und trotzdem wollen alle lieber so weitermachen wie bisher und keiner will sich unbeliebt machen und diese unbequemen Fragen stellen.
Und nun? Muss der Kulturbetrieb selbst zu seinem Kulturpolitiker werden?
AK: Natürlich muss sich der Kulturbetrieb aktiv in eine Debatte einbringen, nur so funktioniert Kulturpolitik, denn es geht um dessen Belange. Ein ganz aktuelles Beispiel: Nach einem monatelangen Streit um die unsägliche Personalführung des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe hat man nun beschlossen, sich von dessen Generalintendanten zu trennen, obwohl dieser noch einen gültigen Vertrag bis 2026 hat. Die Mitarbeiter*innen des Hauses, die diese Diskussion öffentlich angestoßen haben, wollen jetzt gemeinsam mit dem Verwaltungsrat (in dem die Träger von Stadt und Land vertreten sind) und externer Beratung gemeinsam ein neues Führungsmodell entwickeln, in dem ihre Mitsprache gesichert ist. Vielleicht entwickeln sich kulturpolitische Veränderungen in Zukunft auch anderswo nach diesem Muster?
Warum tut es aber der Kulturbetrieb nicht mit derartiger Vehemenz?
AK: Das weiß ich nicht. Nehmen Sie ein anderes Beispiel: die Budgets. Um mehr Spielraum etwa für die längst überfällige Digitalisierung zu bekommen, wird man darüber sprechen müssen, an anderer Stelle etwas wegzunehmen. Man wird die Mittel nicht zusätzlich erhalten. Und damit muss sich der Kulturbetrieb auseinandersetzen - es wird kein anderer für ihn tun. Und nun kommen die Folgen von Corona, die der öffentlich-rechtliche Kulturbetrieb aktuell Dank der Milliarden aus Berlin noch gar nicht voll zu spüren bekommt. Und soll die dann fällige Diskussion wirklich den Finanzminister*innen oder Stadtkämmer*innen überlassen werden? Und will man, um allfällige Reformdiskussionen zu vermeiden, dann wieder im "Rasenmäherprinzip" alles gleichmäßig kürzen, anstatt endlich darüber zu diskutieren, was sein muss und was nicht?
Aber wie könnte es denn anders gehen?
AK: Warum nicht neue Ausgangsbedingungen schaffen und endlich alle so weit als sinnvoll und möglich gleichbehandeln? Warum müssen nur die Anbieter*innen aus der freien Szene jedes Jahr neue Projektanträge stellen, warum aber bekommen die Theater oder Museen in aller Regel automatisch ihre Zuwendungen, meist versehen mit einer Steigerung zur Kompensierung der steigenden Personalkosten? Warum nicht Ziele gemeinsam mit den geförderten Kulturbetrieben vereinbaren und alle fünf Jahre auf den Prüfstand stellen? Dafür kann man gemeinsam einen Kriterienkatalog entwickeln. Und wer das nicht erfüllt, erhält keine Förderung mehr. Ich glaube, der Kultur würde so ein solches Verfahren guttun. Warum müssen die Einrichtungen der Kultur nicht darlegen, dass sie etwas tun, das die Menschen da draußen interessiert? Heute Morgen las ich in der Zeitung, dass ein großes Staatstheater in neun Jahren insgesamt 55 Neuinszenierungen in der Oper herausbrachte - aber nur eine (und das war das Musical "My fair Lady"!) - wurde ins Repertoire übernommen, d.h. in mehreren Spielzeiten aufgeführt. Da läuft doch etwas gewaltig schief, was für eine Verschwendung von öffentlichen Mitteln!
Hat der Kulturbetrieb also das Fach Kulturmanagement und dessen "Bestrebungen" ausgesessen?
AK: Ja, in gewisser Weise hat er das. Das ist eben das Zwiespältige einer großzügigen öffentlichen Kulturförderung: Einerseits - und dafür bewundert uns nahezu die ganze Welt - gibt ein solches Fördermodell den Kunst- und Kulturschaffenden in den öffentlichen Betrieben eine große Sicherheit und künstlerische Freiheit. Andererseits lauern aber hier auch große Gefahren: Zum einen, dass Dinge produziert werden, die permanent am Publikum vorbei gehen. Und zum anderen liegt die Gefahr darin, dass Kulturbetriebe "nicht lernen müssen", weil ihre Existenz gesichert ist. Man muss sich das einmal vorstellen: Im Prinzip werden die Staats- und Stadttheater mit ihren Intendant*innen noch so gemanagt wie zu Goethes Zeiten, also feudal und vorindustriell! Mein Kollege Thomas Schmid hat mit seiner Studie zu "Macht und Struktur im Theater" die Folgen kürzlich eindrücklich dargelegt.
Ist das Fach also profillos geblieben und hat es nicht geschafft, einen anerkannten Beruf zu etablieren?
AK: Das kann man so nicht sagen. Wenn Sie Stellenausschreibungen anschauen, dann wird gerade bei Führungspositionen immer mehr gewünscht, dass zu den spezifischen Fachkenntnissen auch ein Studium des Kulturmanagements dazukommt - und wenn es über Fort- und Weiterbildung absolviert wurde. Eine ganz andere Sache ist dagegen, inwieweit die Kultureinrichtungen, aber auch die Kulturpolitik, die ganze Sache ernst nehmen. D.h. wenn die Anstellung einer*eines Kulturmanager*in mehr oder weniger eine Alibiveranstaltung und man nicht bereit ist, sich auf das Denken des Kulturmanagements tatsächlich einzustellen (also den eigenen Betrieb strategisch und langfristig zu entwickeln, eigene Stärken und Schwächen erkennen, neue Ressourcen zu erschließen, die Eigenständigkeit auszubauen usw.), wird sich nicht viel verändern. Nicht selten ergeben Gespräche mit Ehemaligen, dass sie in den Betrieben mit großem Enthusiasmus beginnen und dann nach vier, fünf Jahren feststellen, dass die Strukturen sehr viel stärker sind als der Veränderungswillen.
Und was ist mit der im Kulturbetrieb referierten Relevanz für die wichtigen Fragen in der Gesellschaft, Dreh- und Angelpunkt der Integration zu sein, als Dritte Orte Treiber für Partizipation aller…
AK: Fatale Grundlage für eine solche Selbstüberhöhung ist der Begriff der "Kulturnation". Wenn ich darüber beispielsweise mit französischen Kolleg*innen spreche, wissen sie gar nicht, was ich meine. Das gibt es so wohl nur in Deutschland, dieses Verständnis, dass Kultur der wahrhafte Träger für gesellschaftliche Entwicklungen sei. Und das war und ist, man muss es ehrlich eingestehen, auch das Movens der "Neuen Kulturpolitik": Kultur als Gesellschaftspolitik soll die Städte wirtlicher machen, den Frieden sichern, die Migrant*innen integrieren, die Wirtschaft modernisieren und den ökologischen Umbau forcieren. Weniger und kleiner ist es offensichtlich nicht zu haben!
Leider meidet der Kulturbetrieb Pragmatismus wie die Pest. Denn sonst wäre man ehrlich und könnte zugeben, wo etwa Integration wirklich stattfindet: in den Vereinen und den Betrieben. Nur weil die Theater Menschen mit Migrationserfahrung auf die Bühne stellen, wird man das Thema Integration nicht wirklich lösen. Aber man lebt halt so gerne in dieser Selbsttäuschungs-Blase und wenn man versucht, das anzusprechen, gibt es was auf die Hörner, siehe "Kulturinfarkt".
Bisher haben wir einen deutlichen Abgesang angestimmt. Was also nun, wo ist das kleine Licht am Horizont?
AK: Einen "Abgesang" möchte ich das nicht nennen, eher eine kritische Bestandsaufnahme, die versucht, die Dinge ehrlich zu betrachten und nicht mit dieser - im Kulturbetrieb nicht selten zu beobachtenden - Selbstüberschätzung. Vielleicht ist es ja auch ein Plädoyer für einen neuen Realismus in der Kulturpolitik und die Hoffnung auf längst überfällige Diskussionen. Insofern hoffe ich auf die 40- und 30-Jährigen, die diese Fragen stellen. Es wird ein neues Verständnis vom Kulturleben geben - ob es der institutionalisierte Kulturbetrieb will oder nicht. Und darauf können wir uns doch freuen.
Die ausführliche Version dieses Interviews erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Gestern, Heute, Morgen"
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von Bernd Holtwick, 28.01.2021 16:34»Das frage ich mich etwas verzweifelt schon seit Jahren. Die (Kultur-) Politik liefert keine kritische Bestandsaufnahme. Die Feuilletons finden es offenbar auch leichter, immer neue segensreiche Wirkungen der Kultur zu entdecken (\"Das Museum ist ein Kraftort\", https://www.sueddeutsche.de/kultur/museen-gruetters-kultur-kunst-corona-lockdown-museum-ludwig-bayerische-staatsgemaeldesammlungen-staedel-kunstsammlung-nrw-1.5180390), um die \"Systemrelevanz\" zu proklamieren.
Anscheinend fürchtet auch hier niemand die Strafe der Lächerlichkeit. Wie kann es eine fundierte Kulturkritik geben, die Hochstapelei benennt und ausspricht, wenn der Kaiser nackt ist - ohne deshalb dumpf und populistisch zu werden?«