20.01.2009

Autor*in

Marc Biedermann
Joey-David Ovey
Gesellschaft

Kultureinrichtungen und der demografische Wandel

Der demografische Wandel verursacht tiefgreifende Änderungen hinsichtlich Alter, Zusammensetzung und Menge der Bevölkerung: Wir werden "älter, bunter und weniger". Diese Prozesse beeinflussen nachhaltig unsere Gesellschaft, gleichzeitig laufen parallel dazu weitere soziale Entwicklungs- bzw. Modernisierungsprozesse ab, die gemeinhin unter den Schlagworten Pluralisierung und Individualisierung beschrieben werden. Demografischer und gesellschaftlicher Wandel beeinflussen sich gegenseitig, sie stehen gewissermaßen in einer sich verstärkenden Wechselwirkung zueinander. Diese Entwicklungen haben u. a. Auswirkungen auf das Freizeitverhalten und damit auch auf kulturelle Einrichtungen. Inwiefern sich der Zugang zu und die Ansprüche an Kulturangebote ändern und wie darauf reagiert werden kann, soll im Folgenden skizzenhaft analysiert werden.
Wir werden älter, bunter und weniger
 
Der demografische Wandel lässt sich im Wesentlichen auf zwei Phänomene reduzieren: während die Geburtenrate sinkt, steigt die Lebenserwartung. Dies hat zur Folge, dass die Bevölkerung in Deutschland schrumpft und der Anteil Älterer zunimmt. Außerdem wird die Bevölkerungsstruktur durch Migrationsbewegungen beeinflusst, die den Schrumpfungs- und Alterungsprozess teilweise ausgleichen. Generell sind diese Entwicklungen durch starke regionale Unterschiede gekennzeichnet.
 
Ein quantitativer Effekt des Bevölkerungsrückgangs liegt offensichtlich darin, dass die Zahl der potenziellen Besucher von kulturellen Angeboten mittel- bis langfristig zurückgehen wird. Dies kann zu einer sinkenden Auslastung und damit einhergehend auch zu sinkenden Einnahmen führen. In finanzieller Hinsicht kann es neben dem Rückgang der direkten Einnahmen auch zu einer Kürzung der öffentlichen Mittel aufgrund sinkender Steuereinnahmen kommen. Erfahrungsgemäß werden Haushaltssanierungen häufig zu Lasten des Kulturetats durchgeführt. Und selbst wenn in einer Gemeinde die Kulturausgaben konstant bleiben, kommt dies faktisch einer Kürzung gleich, denn die kontinuierlich steigenden Kosten z.B. für Personal müssen von der jeweiligen Einrichtung aufgefangen werden.
Qualitativ bedeutet die Bevölkerungsalterung eine Verschiebung hin zu älteren Nutzern. Führt man sich vor Augen, dass bereits heute viele Kultureinrichtungen von älterem Publikum dominiert werden dann wird deutlich, dass die Ansprüche und Interessen der jüngeren Publikumsschicht weiter an Bedeutung verlieren könnten. Auch jüngere Menschen und solche mit Migrationshintergrund müssen ihre kulturellen Interessen durchsetzen können.
Neue Lebensformen und Lebensstile
Individualisierung und Pluralisierung, also die Auflösung traditioneller Bindungen und die gleichzeitige Pluralisierung von Lebensstilen sind kennzeichnende Prozesse der modernen Gesellschaft. Sie haben dazu geführt, dass sich im kulturellen Bereich die Bedürfnisse, In-teressen und Ansprüche aufgeteilt und breit gestreut haben. Als Ergebnis ist es für einen Anbieter im Kultur- und Freizeitbereich kaum möglich, ein Angebot für die "breite Masse" zu machen, bzw. wird diese Masse immer kleiner. Stattdessen wird es zunehmend wichtiger, durch eine flexible und vielschichtige Programmgestaltung möglichst verschiedene kulturelle Gruppen und Szenen anzusprechen (oder sich auf eine einzige zu spezialisieren).
Durch Migration verstärkt sich diese Vervielfältigung an Interessen zusätzlich. Gerade in Ballungszentren entwickeln sich Migranten von Minderheiten zu Mehrheiten und werden in Zukunft als bedeutende Anteilsgruppe der Steuerzahler ihre kulturellen Ansprüche artikulieren. Auch darauf müssen sich Kultureinrichtungen einstellen, um den Stichworte "multi- oder interkulturelle Gesellschaft" eine neue Dimension zu verleihen.
Besonders ältere Menschen leiden unter einer Erosion ihrer sozialen Beziehungen. Netzwerke wie Familie, Nachbarschaft, Vereine etc. werden zu einem knappen Gut. Diese Entwicklung kann für Ältere zu einem Beweggrund werden, Kultureinrichtungen zu besuchen. Sie erhoffen sich, dort gleichgesinnte Menschen zu treffen und ihr Bedürfnis nach Kommunikation und Teilhabe befriedigen zu können. Einrichtungen sollten sich diese Tatsache bewusst machen und Angebote entwickeln, um diese Zielgruppe zu erreichen.
Wer ist meine Zielgruppe?
Kultureinrichtungen sehen sich einem härter werdenden Wettbewerb um Besucher ausgesetzt. Es genügt nicht mehr, einfach nur präsent zu sein, denn die Konkurrenz ist groß. Die Auswahl an Freizeit- und Unterhaltungsangeboten hat sich massiv vergrößert, gleichzeitig haben sich die Bedürfnisse der Menschen ausdifferenziert. Das Stammpublikum, auf das man sich verlassen konnte, ist kleiner und anspruchsvoller geworden und die Interessen der nachwachsenden Generationen vielfältiger. Jeder Kulturbetrieb muss sich also darüber im Klaren werden, wie er den gesellschaftlichen Veränderungen begegnen will und mit welchen Strategien er auch in Zukunft sein Publikum finden wird. Dies erfordert zunächst eine Definition der Zielgruppen, die mit dem eigenen Angebot angesprochen werden sollen. Darauf aufbauend können dann im Rahmen einer strategischen Planung Aktivitäten zur Entwicklung und Pflege dieser Zielgruppen entworfen werden.
Eine Analyse des Einzugsgebiets einer Einrichtung liefert anhand sozio-demografischer und ökonomischer Merkmale ein Profil der regionalen Umgebung. Dies ist wichtig, weil je nach Ausrichtung ein erheblicher Teil der Besucher aus der näheren Umgebung kommt, nicht zuletzt das Stammpublikum. Indikatoren wie Bevölkerungsstruktur nach Altersklassen, Arbeitsplatzdichte, Wirtschaftsstruktur, Bildungsstruktur, Ausländeranteil etc. ergeben ein Bild der potenziellen Zielgruppe. Diese Sozialstruktur im Einzugsgebiet lässt wichtige Rückschlüsse zu über die Anforderungen an die jeweilige Kultureinrichtung: Inhalte bzw. Themen, Arten der Vermittlung und Marketinginstrumente um nur einige zu nennen müssen diesen Anforderungen angepasst werden, um möglichst erfolgreich zu sein. Mit Hilfe von Prognose-Instrumenten ist es außerdem möglich, Aussagen über die zukünftigen Veränderungen der Bevölkerung zu treffen und zu analysieren, inwieweit das Einzugsgebiet vom demografischen Wandel betroffen sein wird. Diese Erkenntnisse über die Veränderungen der Zielgruppe müssen dann in die langfristige Planung einfließen.
Besucheranalyse: Wie viele? Wann? Woher?
Wenn eine Kultureinrichtung ihr Zielpublikum definiert hat, kann im nächsten Schritt untersucht werden, inwieweit die gegenwärtigen Besucher mit dieser anvisierten Zielgruppe übereinstimmen und wie deren Bedürfnisse aussehen. Dazu ist die Erstellung einer aussagekräftigen Besucherstatistik notwendig, die Auskunft darüber gibt, wie viele Besucher zu welchen Zeiten die Einrichtung besuchen, woher sie kommen, wie sie angereist sind, welche anderen Angebote sie vor oder nach dem Besuch nutzen und vieles mehr. Je nach Stoßrichtung können eine Vielzahl von Daten erhoben werden. Die genaue methodische Ausgestaltung hängt dabei von den konkreten Zielen und den zur Verfügung stehenden Mitteln ab.
Die Ergebnisse von Besucher- und Bevölkerungsanalysen sollten berücksichtigt werden bei der Konzipierung und Planung von Programmen und Veranstaltungen, etwa von Sonderausstellungen in Museen. Dadurch kann der Wirkungsgrad von Veranstaltungen gesteigert und die sogenannten "Streuverluste" im Marketing gering gehalten werden. Und schließlich sollten die Ergebnisse aus der Besucheranalyse für die direkte Ansprache von Zielgruppen genutzt werden. Die Besucheranalyse kann auch aufzeigen, ob ein bestimmter Teil der anvisierten Zielgruppe noch nicht zu den Besuchern gehört, mit dem aktuellen Angebot also noch nicht erreicht wird. Die Gründe dafür können vielfältig sein und lassen sich durch eine Besucherbefragung kaum ermitteln. Ein Instrument zur Ansprache neuer Besucher bietet sich jedoch unabhängig davon in strategischen Kooperationen. In diesem Rahmen ist zu prüfen, ob das eigene Angebot mit anderen kulturellen, touristischen oder sonstigen Angeboten gekoppelt werden kann, um größere Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Strategien für den Kulturbetrieb der Zukunft
Demografische und soziale Entwicklungs- und Modernisierungsprozesse haben weitreichende Auswirkungen auf Zusammensetzung und Ansprüche der Besucher von Kultureinrichtungen. In den bisherigen Überlegungen wurden einige wichtige Aspekte genannt und erste Schlussfolgerungen gezogen. Abschließend werden drei zentrale Bausteine einer Zukunftsstrategie für Kultureinrichtungen angesprochen, mit denen kommende Herausforderungen angegangen werden können.
Inhaltliche Qualitätsorientierung: Inhaltliche bzw. künstlerische Qualität ist nach wie vor die Grundvoraussetzung für ein attraktives und publikumswirksames
Angebot. Sie sichert ein eigenständiges Profil und trägt zur Kundenbindung bei. Dabei ist wichtig, dass künstlerische Qualität nicht in Konkurrenz steht zu anderen Merkmalen, sondern die Basis bildet für ein in allen Belangen überzeugendes Konzept.
Besucherorientierung: Der Aspekt der Besucherorientierung hat eine inhaltliche und eine formale Komponente. Er bezieht sich also darauf was gezeigt und wie es gezeigt wird. Eine Kultureinrichtung muss alles unternehmen, um so viele Besucher wie möglich zu erreichen und ihnen den Aufenthalt in allen Belangen so angenehm wie möglich zu gestalten. Zum einen geht es also darum, durch inhaltliche Aspekte den Bedürfnissen des Publikums gerecht zu werden. Mit Besucherorientierung ist allerdings nicht gemeint, dass z.B. ein Museum seine Ausstellungen nur nach dem vermeintlichen "Massengeschmack" und damit nach der Besucherquote richtet. Vielmehr geht es zum anderen darum, den Service für die Besucher zu optimieren und neben dem qualitativ hochwertigen Kernangebot aufeinander abgestimmte Zusatzleistungen anzubieten. Der Trugschluss, Besucherorientierung und Qualität bzw. ökonomischer Erfolg und künstlerische Spitzenleistung schlössen sich aus, muss überwunden werden. Stattdessen muss eine Kultureinrichtung im Sinne der Besucherorientierung alle Anstrengungen unternehmen, ihr Angebot einem größtmöglichen Kreis von Interessenten nahe zu bringen.
Managementorientierung: Der erfolgreiche (öffentliche) Kulturbetrieb der Zukunft braucht Unternehmertum. Um vor dem Hintergrund der erläuterten Entwicklungen auf dem Kulturmarkt bestehen zu können, ist Kulturmanagement gefordert. Das soll nicht heißen, dass der kulturelle Bereich sich komplett ökonomischen Prinzipien unterwerfen muss, gleichwohl sind Management-Instrumente wie strategische Planung und Controlling unabdingbar. In der Tat ist schon heute jede (öffentliche) Kultureinrichtung ein Betrieb und muss auch unter wirtschaftlichen Gesichtpunkten betrachtet werden. Jedoch ist in der Praxis der Betriebscharakter oftmals nur ansatzweise entwickelt. Viele Leiter solcher Einrichtungen fühlen sich in erster Linie für die inhaltlichen Fragen verantwortlich und lassen wirtschaftliche Aspekte aus den Augen. Diese beiden Dimensionen sollten aber nicht länger voneinander getrennt betrachtet und bearbeitet, sondern als die zwei Seiten des Erfolges angesehen werden. Mit solch einem erweiterten Selbstverständnis ist ein Kulturbetrieb gut aufgestellt, um den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen.
MARC BIEDERMANN, JOEY-DAVID OVEY arbeiten im Bereich Public Management der Prognos AG, die seit 1959 Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berät. Im Rahmen von Untersuchungen für verschiedene Kultureinrichtungen beschäftigten sie sich vertiefend mit zukünftigen Herausforderungen im Kulturbereich.
 

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