16.01.2020

Buchdetails

Kultur in Interaktion: Co-Creation im Kultursektor
von Christian Holst
Verlag: Springer Gabler
Seiten: 180
 

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Autor*in

Anke von Heyl
ist Kunsthistorikerin, Museumspädagogin und Autorin. Sie ist Spezialistin für Besucherorientierung, partizipative Methoden und Social Media in der Kultur.
Buchrezension

Kultur in Interaktion. Co-Creation im Kultursektor

Wir stehen inmitten des vielbeschworenen gesellschaftlichen Wandels und fühlen uns oft einfach von ihm mitgerissen. Klar ist: Will man Veränderung, muss man etwas tun! Dafür brauchen Kultureinrichtungen Erfahrungen, auch das Scheitern. Ganz wichtig sind Denkmodelle und Diskussionen auf einer Meta-Ebene, vor allem, wenn es darum geht, Überzeugungsarbeit für das Aufbrechen alter Strukturen hin zu mehr Arbeit mit dem Publikum zu leisten. Das Buch "Kultur in Interaktion" trägt dazu bei.
 
Strategie hilft Praxis und umgekehrt
 
"Kultur in Interaktion. Co-Creation im Kultursektor", herausgegeben von Christian Holst und erschienen 2019 bei Springer, ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich strategische Überlegungen und gute Beispiele aus der Praxis gegenseitig befruchten können. Auf 166 Seiten werden wertvolle Impulse zur Einordnung des Themas Co-Creation - also der gemeinsamen Schaffung von kulturellen Inhalten von Kulturschaffenden und -interessierten - als Mindset vor allem im Digitalen geliefert. Dazu kommen Berichte aus der Praxis von Kultureinrichtungen, die wichtige Learnings beinhalten. Gespeist wurde die Publikation durch Vorträge und Sessions des stARTcamps Hamburg 2018. Diese Form der Nachnutzung ist ein gutes Konzept, um etwas Nachhaltiges zu schaffen und den Status quo der Diskussionen nicht nur zu dokumentieren, sondern auch um zusätzlichen Input zu erweitern. Dass das Thema des stARTcamps sich auf die spannende Frage der Interaktion fokussierte, ist ein weiterer Pluspunkt, den ich schon beim Mitlesen der Tweets sehr begrüßt hatte.
 
Als gewinnbringende Einführung in das Thema gehen Annette Jagla und Tobias J. Knoblich das Ganze aus der Perspektive der Organisationsentwicklung an. Sie besprechen "Kulturpolitik und Kulturbetriebe im Zeitalter der Digitalität" und werfen die Frage auf, wie die Mitgestaltung der Kultur von morgen strukturell möglich gemacht werden könnte. "Und wäre es eine gute Strategie - insbesondere im Bereich der Kommunen -, die Kulturpolitik zu verändern durch das stärkere Zusammendenken von sowohl Kultur als auch Bildung als auch Stadtentwicklung? Und der Beteiligung der Bevölkerung?" (S. 16) Solche und andere Gedankenspiele führen zur Idee einer grundlegenden Veränderung, die für die Zukunft der Kultur zentral ist, denn ohne Anpassung an die geänderten Bedürfnisse und Ansprüche der Besucher*innen werden kulturelle Angebote zunehmend aus dem Bewusstsein des Publikums schwinden. Jagla und Knoblich bringen hier ganz konkrete Vorstellungen ein (z. B. Veränderungsziele in Leistungsvereinbarungen oder Förderzielen zu verankern). Das ist mehr als begrüßenswert, denn der Bedarf an Handlungsempfehlungen an dieser Stelle ist groß. 
 
Der Begriff Co-Creation 
 
Christian Holst schaut in seinem Beitrag genauer auf den Begriff der Co-Creation, der in der Kulturlandschaft noch wenig gebräuchlich ist. Hier ist oft von der berühmten "Interaktion" die Rede, die jedoch meist nicht näher definiert wird. Mit dem Co-Creation-Ansatz aus dem klassischen Management wird meiner Ansicht nach die Bedeutung des sozialen Prozesses gestärkt, der im digitalen und gesellschaftlichen Wandel mehr als bestimmend ist und von Besucher*innen wie Förder*innen immer öfter gefordert wird. Dabei steht mit der Frage nach einer gelungenen Interaktion aktuell eine der größten Herausforderungen im (digitalen) Kulturraum. Holst ist daran gelegen, die Voraussetzungen dafür aufzuzeigen. Zunächst macht er deutlich, dass sich Kulturinstitutionen von einer angebotsorientierten Denkweise verabschieden müssen. Zudem benennt er die große Angst vor Kontrollverlust als eine der internen Hürden, die Kultureinrichtungen abbauen müssen, um Co-Creation umzusetzen. Darauf folgen Empfehlungen, wie man sich dazu verhalten kann und welche strategischen Schritte zielführend sind. Dazu gehört laut Holst unter anderem, die Schnittmengen zwischen dem eigenen Profil und den Bedürfnissen der "Anspruchsgruppen" aufzuspüren, Co-Creation nicht nur als einmaliges Projekt zu begreifen, sondern darin einen dauerhaften Arbeitsmodus zu sehen, und vor allem: das eigene Selbstverständnis zu hinterfragen.  
 
Die einleitenden Texte liefern damit einen guten Boden für die anschließenden Praxisbeispiele, die ebenfalls sehr erkenntnisreich sind, weil sie nicht flüchtige Projektbeschreibungen sind, sondern jeweils auch strategischen Überlegungen folgen. 
 
Zwischen Normdaten und Besucherorientierung
 
Antje Schmidt vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg widmet sich in ihrem Beitrag dem zentralen Punkt der Daten, mit denen Co-Creation überhaupt erst möglich wird. Sie hat als Leiterin der digitalen Inventarisierung der Sammlung des MKG wichtige Erfahrungen gesammelt, die vor allem in das klare Bekenntnis einer Open Access Policy mündeten. Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, dass der gesamte Prozess der Co-Creation getragen wird von der grundsätzlichen Idee der uneingeschränkten Teilhabe am kulturellen Erbe, das eine Kulturinstitution besitzt. Antje Schmidt wird nicht müde, aufzuzeigen, dass dafür erst einmal die entsprechenden Normdaten vorhanden sein müssen - ein wichtiger Hinweis, denn nicht selten wird das Pferd von hinten aufgezäumt und direkt in das Konzept einer Anwendung investiert. Neben dem Bericht über die Schritte, die man am MKG gegangen ist, schätze ich an ihrem Beitrag vor allem die üppige Literaturliste. Es geht um nichts weniger als den Wandel - und wer den bewerkstelligen will, der muss sich gut vorbereiten. 
 
Welchen Benefit planerische Instrumente wie eine "Steuerungsgruppe digital" haben können, beschreibt Tabea Schwarze von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Das interne Vernetzen ist ein wichtiger Punkt, der im Rahmen von Co-Creation bzw. neuen Strukturen unbedingt mitgedacht werden muss. Zumindest, wenn man das Versickern einzelner Leuchtturmprojekte vermeiden möchte. Zudem darf Co-Creation keinesfalls als Einbahnstraße gesehen werden, die primär zu neuen Inhalten für die eigene Einrichtung führt. Die Kunsthalle setzt hier auf eine gezielte Besucher*innenorientierung und Schwarze macht in ihrem Beitrag klar, dass zum Verständnis des Bildungsauftrags einer Einrichtung auch dazugehöre, digitale und mediale Kompetenzen zu vermitteln, bzw. dass dieser nicht an den eigenen Mauern ende. 
 
Erkenntnisse für Neubewertungen
 
Das Buch bringt mit seinen unterschiedlichen Ansätzen einen gewaltigen Input für alle, die sich intensiv mit den veränderten Bedürfnissen der Besucher*innen von Kultureinrichtungen auseinandersetzen möchten. Hilfreich ist, dass Beispiele aus ganz unterschiedlichen Sparten versammelt sind, die sich gegenseitig befruchten könnten. Ervina Kotolloski bringt beispielsweise ihre Erkenntnisse aus dem Forschungslabor für Theater und digitale Vermittlung ein. Die Bedingungen für Interaktion und Co-Creation sind im Theater völlig anders als im Museum. Der Gedanke, ob sich das Publikum in der digitalen Kultur etwa aufweichen kann in Richtung des Kulturschaffens, ist ein Impuls, den es lohnt, weiterzudenken. Das gleiche gilt für die Struktur und Dynamik des digitalen Raumes an sich. Sind wir überhaupt schon so weit, das Ganze zu überblicken? "Während die Interaktivität einerseits neue ästhetische Erfahrungen ermöglicht, besteht auch die Gefahr nicht vorhersehbarer und uninteressanter künstlerischer Resultate." (S. 63) Die Warnung, die Kotolloski hier ausspricht, bringt zudem die Frage auf, nach wessen Qualitätskriterien man Co-Creation bewerten kann und sollte - denen der Besucher*innen und/oder denen der Kultureinrichtungen.
 
Wichtige Impulse gibt auch der Beitrag von Iris Groschek, die über die Haltung zu Co-Creation im Bereich von Gedenkstätten geschrieben hat. Sie macht einerseits deutlich, wie fahrlässig es sein kann, wenn sich eine Einrichtung nicht aktiv in den sozialen Netzwerken einbringt. Andererseits schärft sie das Bewusstsein dafür, dass es eine Erinnerungskultur gemeinsam mit dem Publikum geben muss. 
 
Fazit
 
Das Buch ist eine dringend notwendige Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Digitalisierung im Hinblick auf das (zukünftige) Kultur-Publikum. Eine Stärke sind dabei die Literaturlisten zu den jeweiligen Themenschwerpunkt. Zudem werden neue Begriffe in die Diskussion eingebracht, die hilfreich sind, und die Autor*innen lassen an ihren Erfahrungen teilhaben. Der Überblick über die zahlreichen Projekte und Kanäle des Archäologischen Museums Hamburg (Klassische Social Media, Podcasts, Website-Erzählformate, Apps usw.) zeigt die Marschrichtung deutlich, die Kulturinstitutionen zukünftig gehen sollten: Es gilt, sich konstant fortzuentwickeln, nicht bei einer kräftezehrenden Aktion zu verharren, sondern sich möglichst vielfältig in unterschiedlichen Medien und Kanälen auszuprobieren. 
 
Die Publikation ist sicher kein Playbook, keine Anleitung, und man muss durchaus bereit sein, sich auf tiefere Gedankengänge einzulassen - etwas, das vielleicht dem fluiden Charakter des Internets nicht ganz entspricht. Aber für die Frage, wie wir Kulturschaffen in der digitalen Welt zukünftig gestalten wollen, ist es dringend geboten, diese Grundsätze ernsthaft und nachhaltig zu diskutieren. 

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