17.11.2023

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Nina Schallenberg
ist promovierte Kunsthistorikerin und leitet den Bereich Ausstellungen am Jüdischen Museum Berlin. Zuvor arbeitete sie in verschiedenen kuratorischen Positionen am Museum Ludwig in Köln, dem Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen und dem Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart in Berlin. Von 2021 bis 2023 war sie zudem Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Nachhaltiges Ausstellen

„Wir können nicht mehr alles überall und zu jedem Zeitpunkt zeigen“

Mehr, größer, aufwendiger. Der Museumsbereich folgte lange dem Paradigma des Wachstums, gerade in Hinblick auf Wechselausstellungen. Doch auch hier ist Nachhaltigkeit das Thema der Stunde. Was es für den Wandel hin zu "weniger, kleiner, ressourcenschonender" braucht, erklärt Nina Schallenberg, Ausstellungsleiterin am Jüdischen Museum Berlin.

Themenreihe klimafreundlich

Kristin Oswald: Liebe Frau Schallenberg, Sie beschäftigen sich schon lange mit Nachhaltigkeit im Ausstellungswesen. Welche großen Themenbereiche sehen Sie hier?
 
Nina Schallenberg: Die großen Themenfelder sind Mobilität, Materialität und Klimatechnik. Mobilität umfasst einerseits die Mobilität der Objekte, die in Ausstellungen gezeigt werden. Bei Ausstellungen, die aus Sammlungen heraus kuratiert werden, müssen die Objekte meist nicht so weit reisen. Und dann gibt es Wechselausstellungen, für die oft Objekte um die ganze Welt geflogen werden. Das ist eine Tendenz, die in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat und extrem viel CO2-Ausstoß produziert. Zudem hat man die Mobilität der Kurator*innen, die für Recherchereisen fliegen, und das erzeugt auch sehr viel CO2. Und andererseits gibt es die Mobilität der Besucher*innen. Natürlich möchte man, dass Leute kommen, auch aus der Ferne. Umgekehrt möchten wir andere Kulturen kennenlernen und andere Länder bereisen. Das dient dem Austausch, aber es hat auch Konsequenzen für die Umwelt. Dass das wieder mehr in die Waage gerät, ist eine Herausforderung. 
 
Das zweite große Thema ist die Materialität. Also, mit was machen wir eigentlich Ausstellungen, jenseits der Objekte? Es werden immer wieder ganze Ausstellungsarchitekturen weggeschmissen und das bedeutet sehr viel Materialverschwendung, aber hier ist schon ein Umdenken zu beobachten. Das dritte große Thema ist die Klimatechnik für die Ausstellungsräume. Hier sind die Vorgaben zur Luftfeuchte und zur Temperatur mitunter sehr energieintensiv.
 
Das sind die Handlungsfelder, die auf einer praktischen Ebene angesiedelt sind. Dann gibt es noch ein Handlungsfeld, das könnte man Mentalität nennen. Da geht es um die Erwartungen an Ausstellungen sowohl von Besucher*innen als auch von denjenigen, die die Ausstellungen machen. Seit den 1970er-Jahren gab es ein kontinuierliches Anwachsen der inhaltlichen und formalen Komplexität von Ausstellungen. Da sind wir auf einem Level angekommen, das sehr hoch ist, es gibt sehr viele sehr aufwendige Ausstellungen. Hier umzudenken, das Einfache zu denken, ist eine sehr große Herausforderung.
 
Es gibt bereits einige Museen, die erste kleinteilige Lösungen gefunden haben, etwa wiederverwendbare Ausstellungsmöbel. Sind solche Ansätze ausreichend? 
 
NS: Die schlechte Nachricht ist: Von den drei Aspekten, die ich genannt habe, produziert die Materialität am wenigsten CO2-Ausstoß. Die Mobilität ist hingegen ein sehr großer Faktor. Da muss man dran drehen, zum Beispiel indem man viel mit dem eigenen Bestand arbeitet und möglichst wenig leiht. Was das Reisen von Mitarbeiter*innen anbelangt, ist inzwischen viel online möglich. Beispielsweise gibt es bei Kurierreisen - Kunstwerke oder Objekte werden oft begleitet, wenn sie ausgeliehen werden - die Möglichkeit, dass man stattdessen den Aufbau des Objekts per Video begleitet, sodass die Kolleg*innen aus den Häusern nicht mit dem Objekt mitreisen, sondern vor dem Bildschirm Anweisungen geben können. Auch bei der Klimatechnik, dem anderen großen Posten, gibt es ein Umdenken und ein Ausprobieren neuer Möglichkeiten, indem etwa die Klimakorridore erweitert werden, sodass der Energieaufwand für das Einhalten der Temperatur- und Luftfeuchtigkeitskurven verringert werden kann.
 
Was wäre Ihrer Meinung nach eine wichtige Herangehensweise in Hinblick auf die Mentalität?
 
NS: Dass wir nicht davon ausgehen können, dass wir alles überall und zu jedem Zeitpunkt zeigen können, sondern dass wir uns zum Beispiel überlegen: Was ist in einem bestimmten Raum zu welcher Jahreszeit möglich, wie kann ich beispielsweise die Sonneneinstrahlung beachten? Oder dass ich für eine Fotografieausstellung nicht den hellsten und wärmsten Raum im Haus wähle. Die Kommunikation ist für die Museen ein weiterer wichtiger Punkt. Es ist nicht nur unsere Aufgabe, unseren Verbrauch und unseren Ausstoß zu reduzieren, sondern auch, in die Öffentlichkeit zu tragen, warum wir etwas tun oder nicht tun.
 
Welche Rolle spielen die Sammlungen und die Dauerausstellungen für die Nachhaltigkeit der Museen? 
 
NS: Man muss nicht zwingend weniger Ausstellungen machen, aber weniger Ausstellungen mit Leihgaben aus der ganzen Welt. Man muss sich immer fragen: Welchen Zweck verfolgen wir eigentlich mit solchen Ausstellungen? Liegt zum Beispiel ein Forschungsgedanke dahinter oder soll nur das Coffee Table Book zur Ausstellung werden? Letzteres, würde ich sagen, hat nicht mehr wirklich eine Berechtigung. Vor diesem Hintergrund gewinnen Dauerausstellungen oder ständige Sammlungen einen neuen Wert. Was ich schwierig an diesem Begriff finde, ist das Wort Dauer. Der ist ein bisschen zwiespältig. Einerseits, aus Nachhaltigkeitsperspektive, ist er natürlich gut, weil es bedeutet, dass etwas länger bestehen bleibt und Ressourcen über einen längeren Zeitraum genutzt werden. Das ist immer nachhaltig. Andererseits wollen wir als Kulturinstitution an aktuellen Diskursen teilnehmen, unsere Bestände aktuell halten durch die Perspektiven, aus denen auf sie geschaut wird. Das ist mit dem Wort Dauer schwer zu verbinden. Also müssen wir Ansätze und Konzepte entwickeln, um die Präsentationen der Sammlungsbestände aktuell zu halten.
 
Für den Arbeitsalltag in Museen wäre also die Empfehlung, Dauerausstellungen häufiger zu aktualisieren? Was bedeutet das für die Publikumsattraktivität?
 
NS: Modularisierung oder Flexibilisierung der Dauerausstellung ist eine komplexe Herausforderung. In kulturhistorischen Museen sind die Dauerausstellungen häufig ein komplexes Gefüge von originalen Objekten, Medienstationen, Repros, Textinformationen und Audioguides. Wenn Sie eine von diesen Komponenten ändern wollen, hat das immer Konsequenzen für alle anderen. So etwas modular aufzubauen, muss also sehr geschickt gemacht sein, damit man ein Element herausnehmen kann, ohne dass das ganze System zusammenbricht. 
 
Wie man das an die Öffentlichkeit bringt, also vermarktet, ist ein entscheidender Punkt bei der Attraktivität. Wir haben am Wilhelm-Hack-Museum, an dem ich mehrere Jahre gearbeitet habe, einmal jährlich die Präsentation der Sammlung gewechselt und wie eine Wechselausstellung in der Öffentlichkeit beworben. Und tatsächlich sind nach einigen Jahren Besucher*innen zu der neuen Präsentation gekommen als wäre es eine neue Wechselausstellung. Das braucht aber eine sehr kontinuierliche Arbeit mit der Sammlung und die richtige Kommunikation.
 
Sehen Sie auf der Managementebene dann die Aufgabe, die Ressourcen mehr in diese Aufgabenbereiche zu verschieben? 
 
NS: Auf jeden Fall ist es sehr wichtig, dass man das Museum nicht von den Wechselausstellungen oder Leihgaben her denkt, sondern vom Bestand. Insofern würde eine Verschiebung in den Budgets hin zur Arbeit mit der Sammlung das Museum wieder mehr zu sich selbst führen.
 
Wechselausstellungen dienen auch dazu, Objekte aus anderen Regionen der Welt zugänglich zu machen. Würde uns da etwas verloren gehen? 
 
NS: Bei "zugänglich machen" stellt sich mir die Frage: Zugänglich für wen? Im Prinzip sind die Objekte zugänglich, nur woanders. Und was ist mit den Objekten, die bei uns in den Depots lagern und nicht an die Öffentlichkeit gelangen, weil durch Wechselausstellungen mit aufwendigen Leihgaben die Ressourcen schon gebunden waren? Dann ist eine Sammlungspräsentation nicht mehr möglich. Deswegen hat das Argument für mich eigentlich keinen Boden, dass man der Öffentlichkeit Objekte vorenthält, wenn man Wechselausstellungen mit Leihgaben aus der ganzen Welt reduziert. Wichtiger finde ich die Frage, inwieweit bestimmte globale Themen nur noch erschwert oder anders zu vermitteln sind, wenn man die Objekte nicht mehr durch die Gegend schickt. Wie könnte zum Beispiel ein Objekt als Thema in eine Ausstellung geholt werden, ohne es im Original zu zeigen? Welche sinnvollen alternativen Präsentationsmöglichkeiten gibt es, etwa durch Reproduktionen, Digitalisate oder ganz andere Wege?
 
Sie sind seit dem Frühjahr 2023 Ausstellungsleiterin am Jüdischen Museum Berlin. Welche Schritte ist das JMB bereits in Richtungen Nachhaltigkeit gegangen?
 
NS: Bei der aktuellen Wechselausstellung "Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR" haben wir beispielsweise eine Ausstellungsarchitektur entwickelt, die wir für nachkommende Ausstellungen gut weiter nutzen können. Und es wurde mit bestehenden bzw. weiternutzbaren Vitrinen gearbeitet. Bei der Konstruktion von Ausstellungsmöbeln muss man bedenken, dass die nicht nur für die jetzigen, sondern auch für andere, ggf. anspruchsvollere Objekte gemacht sind. Dann werden wir für Räume für Wechselausstellungen modulare Elemente entwickeln - zum Beispiel Fensterverschattungen -, sodass wir sie flexibler nutzen können, ohne immer wieder neue Architektur zu bauen. An solchen Flexibilisierungen arbeiten wir in den nächsten Jahren verstärkt, sofern wir die finanziellen Mittel dafür haben.
 
Die Finanzierung ist ein großes Thema. Hat sich die Unterstützung für Museen, vielleicht auch von Sponsor*innen, bereits in Richtung Nachhaltigkeit verändert?
 
NS: Ja. Zum Beispiel verlangt die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen ihres Fonds Zero für klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte, dass die geförderten Institutionen Rechenschaft ablegen über ihren Verbrauch und ihre Emissionen. Daran ist die Förderung geknüpft. Auch bei anderen werden nachhaltige Prozesse und ein Nachhaltigkeitsdenken stärker als Förderkriterien angelegt. Und es gibt durchaus auch Sponsor*innen, die schon in so eine Richtung denken. 
 
Gibt es für die Herangehensweisen, die Sie erklärt haben, schon Beispiele? 
 
NS: International sicherlich, wobei ich nicht sagen kann, ob Häuser wie die Tate in London, die aktiv sind in Richtung Nachhaltigkeit, tatsächlich auf programmatischer Ebene bereits umdenken. Sie stärken alle ihre Sammlung, aber nichtsdestotrotz gibt es weiterhin Wechselausstellungen, die man durchaus als Blockbuster bezeichnen könnte. National gibt es aber zwei Beispiele von Häusern, die primär mit thematischen Sammlungspräsentationen anstatt mit Leihgabenausstellungen arbeiten bzw. gearbeitet haben: aktuell das Kolumba Köln und in seiner Anfangszeit das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main.
 
Verändern sich auch die Erwartungen und Rückmeldungen des Publikums hinsichtlich Nachhaltigkeit im Museum? 
 
NS: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube aber, dass diese Entwicklung noch Zeit braucht. Aber es fängt an und hängt auch davon ab, wie die Publikumsstruktur eines Hauses ist. Bei einem jüngeren Publikum gibt es ganz klar die Erwartungshaltung, dass diese Themen nicht nur punktuell in Ausstellungen mal angebracht werden, sondern auch den Betrieb bestimmen. Im Jüdischen Museum haben wir ein sehr touristisch geprägtes Publikum, bei dem das weniger im Vordergrund steht. Aber das wird zunehmen mit der Sensibilisierung der Öffentlichkeit und kann ein Haus vielleicht sogar für Gruppen attraktiver machen, die sich vorher nicht so sehr für ein Museum begeistern konnten.
 
Immer mehr Kulturschaffende wollen sich dem Thema Nachhaltigkeit verschreiben, aber begegnen Hürden, gerade auf der Ebene der Mentalität. Was würden Sie diesen mit auf den Weg geben?
 
NS: In kleinen Schritten vorangehen und den Menschen, also sowohl den Mitarbeiter*innen als auch dem Publikum, erste positive Erfahrungen ermöglichen.
 
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