12.02.2009
Autor*in
Jonathan Imme
Jonathan Imme ist aufgewachsen als "Digital Native" und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung der Kultur und den daraus entstehenden Konsequenzen für die Wirtschaft. Ob bei Universal Music, als Bandmanager von MBWTEYP, als Kulturarbeiter bei der GTZ in El Salvador oder der Gründung von freedu, einer Plattform für Mobiles Lernen - stets versucht er, den Tellerrand zu überblicken und den Konsumenten, Fan und User in den Mittelpunkt zu rücken. Jonathan Imme hat in Mannheim Musikbusiness studiert (Bachelor of Arts) und lebt und arbeitet in Berlin.
Digitalisierung in der Musikindustrie
Crowdsourcing - die neue Macht einer Community
Mit der Etablierung sozialer Netzwerke im Internet erfährt die Musikbranche erneut einen Veränderungsschub. Ein Interview mit Jonathan Imme, Spezialist für Digitalisierung im Kulturbereich.
Das Gespräch führte Veronika Schuster.
KM Magazin: Herr Imme, was bedeutet Crowdsourcing, und wie wurde es für die Musikindustrie nutzbar gemacht?
Jonathan Imme: Der Begriff Crowdsourcing setzt sich zusammen aus Crowd (Gemeinschaft) und Sourcing (Beschaffung). Es handelt sich dabei um ein Wortspiel. Bekannter ist der Begriff Outsourcing, was bedeutet, Tätigkeiten und Prozesse an Firmen bzw. an professionelle Partner auszulagern. Hierzu im Gegensatz steht Crowdsourcing, das die Community einbezieht, indem sie Entscheidungs- und kreative Aufgabenprozesse an viele Personen gleichzeitig abgibt. Erst mit der Verbreitung des Internets und der Etablierung von Social Networks hat Crowdsourcing im größeren Stil in der Musikindustrie eingesetzt. Als breites Basistool wird es seit ca. 3 Jahren verwendet.
KM: Wenn in der Musikindustrie resp. bei Musiklabels dieses Tool verwendet wird, wer treibt das voran?
JI: Die eigentlichen Betreiber und Vorantreiber sind nicht die Musiklabels, sondern unabhängige Plattformen, auf denen das ganze stattfinden kann oder auch die Künstler selbst. Crowdsourcing kann dabei an den verschiedensten Punkten der Verwertungskette ansetzen. Es kann ganz zu Beginn stehen, beim künstlerischen Prozess, z. B. wird zu einem Musikstück ein Text gesucht: Man stellt dieses Musikstück online und somit seiner Community zur Verfügung, diese liefert im Idealfall den passenden Text oder Textteile. Das ganze kann natürlich weiter gesponnen werden. Crowdsourcing kann ebenso für die Bereiche Promotion und Marketing verwendet werden, indem ich Kampagnen von den Fans entwickeln lasse. Letztlich kann der Vertrieb in Aktionsfeld sein. Der Vertrieb liegt dann nicht mehr bei Saturn oder Amazon, sondern bei den Kunden und deren Netzwerken. Sie agieren quasi als Distributoren für das künstlerische Werk.
KM: Crowdsourcing ist also ein Tool, das völlig unabhängig von den eigentlichen Mechanismen der Musikindustrie, im klassischen Sinn, funktioniert?
JI: Plattformen wie SellABand.com oder SliceThePie.com, eine deutsche Version davon ist ForMyBand.com, agieren völlig losgelöst von irgendwelchen Musiklabels und bieten Künstlern eine Plattform, um z. B. für eine Albumproduktion das notwendige Geld zu akquirieren. D.h. sie stellen an die Community die Aufforderung, wer die Musik interessant findet, den Künstler mit einem bestimmten Geldbetrag zu unterstützen. Wenn die Fans investieren und eine gewisse Summe zusammengekommen ist, partizipieren alle von dem eventuellen Erfolg. Auf Sellaband.com haben es bisher 25 Künstler geschafft, 50.000 $ für eine Albumproduktion von ihren Fans zu akquirieren. Aber auch im Alleingang zeigen sich Künstler beim Crowdfunding erfolgreich: Die Sängerin Jill Sobule hat über ihre Website und die Promotion in zahlreichen Communities über 80.000 $ für die Produktion ihres neuen Albums einsammeln können.
KM: Der Künstler wird also zu einer kleinen Aktiengesellschaft?
JI: Genau, das ist das Prinzip. Es stellt für ihn eine Alternative für die Finanzierung seiner Produktion dar. Man spricht bei der Finanzierung von Produkten über Communities auch von Crowdfunding, also eine spezielle Art des Crowdsourcings.
KM: Crowdsourcing ist also ein multiples Instrument, das von verschiedenen Gruppen, Abteilungen von Unternehmen mit verschiedenen Bedürfnissen, Zielen etc. eingesetzt werden kann?
JI: Es kann eingesetzt werden von Künstlern, von externen Plattformen, von Musiklabels, von z.B. Musikmagazinen, etc. Crowdsourcing ist im Prinzip kein neues Phänomen, sondern erfreut sich durch das Internet einfach einer größeren Beliebtheit, da man in digitalen Netzwerken leichter und schneller kommunizieren kann. Der Unterschied ist, früher funktionierte vieles über die persönliche Ebene. Nun ergibt sich durch das Internet die Möglichkeit eine große Gruppe, viele davon völlig anonym, anzusprechen und an diese Prozesse "zu delegieren".
KM: Welchen Wert wird diese Art der "Fanarbeit" gerade für die Musikindustrie in Zukunft haben?
JI: Potenziell einen großen. Wichtig ist aber zu begreifen, dass Crowdsourcing ein Geben und Nehmen ist. Crowdsourcing kann auch als reines PR-Tool eingesetzt werden. Aber dann wirkt es nicht derart nachhaltig, als wenn man wirklich das in der Realität verwertet und umsetzt, was die "Crowd" an Inhalten produziert. Das ist die wichtige Unterscheidung, die ein Unternehmen treffen muss. Noch ist Crowdsourcing ein Buzzword, ebenso wie es Web 2.0 ist.
KM: Crowdsourcing ist an Emotionalität gebunden, insbesondere bei Musik. Ist es somit überhaupt ein stabilisierbarer Faktor und berechenbar?
JI: Es kommt darauf an. Vielleicht will man ja gerade diese Unberechenbarkeit ausnutzen. Wirft man einen Blick auf die Plattform Dell Ideastorm, auf der von der Firma Ideen für Produkte und das Unternehmen selbst gesucht werden, wird das anschaulich. Dort suchen sie Ideen, auf die sie intern eben nicht gekommen sind und nutzen hierfür die Unberechenbarkeit, die frischen Ideen. Genauso kann man im künstlerischen Bereich die "Menge" als Ideengenerator verwenden.
KM: Dennoch kann man nicht zu viel Sicherheit darauf setzen?
JI: Man muss ganz genau überlegen, wo und mit welchem Ziel Crowdsourcing eingesetzt werden soll. Es sind andere Ergebnisse von einer reinen Fancommunity zu erwarten, als z.B. von einer professionellen Kreativcommunity. Die Zielgruppe, die angesprochen wird, ist hier von Bedeutung. Sie ist ganz genau zu beobachten, ob sie auch in der Lage ist, die Inhalte zu finden und zu generieren, die gesucht werden.
KM: Was heißt es, dieses Tool in der täglichen Arbeit einzusetzen? Was muss man berücksichtigen?
JI: Man muss berücksichtigen, dass die Sichtung der Ergebnisse Zeit kostet. Wenn man z.B. einen Remix-Contest zu einem Musikstück macht, dann muss irgendjemand die eventuell 500 Einsendungen kuratieren. Dieser Prozess kann natürlich auch an die Community ausgelagert werden und sie entscheidet. In der Praxis hat sich gezeigt, dass irgendeine Art Endjury nötig ist, um die besten Ergebnisse und den besten Content herauszufiltern. Das heißt, Crowdsourcing ist mit einem zeitlichen und personellen Aufwand verbunden es bindet immer Ressourcen.
KM: Gibt es schon Erfahrungswerte dahingehend, wie Crowdsourcing in der Musikindustrie bisher eingesetzt wird? Wird es vornehmlich bei der jungen Zielgruppe und Unterhaltungsmusik eingesetzt oder auch schon im Bereich der ernsthaften Musik?
JI: Es wird auch im E-Musik-Bereich eingesetzt. Artistshare.com ist hier ein Beispiel. Aber bisher wird es hauptsächlich im klassischen Unterhaltungsbereich und hier bereits über die komplette Wertschöpfungskette eingesetzt: Es wird verwendet um kreativ zusammen zu arbeiten, z.B. können auf der Plattform jambassador.com Musiker gemeinsam online jammen. Crowdsourcing kann für das A&Ring genutzt werden, wobei die Community als Trendscouts fungieren. Und wie gesagt, besonders populär ist der Einsatz von Crowdsourcing im Bereich der Promotion und im Vertrieb.
KM: Können Sie sich vorstellen das Crowdsourcing auch in anderen Bereichen der Kultur eingesetzt werden kann, z.B. Museen?
JI: Ja, das kann ich ohne Weiteres, wenn der Ablauf mit einer gewissen künstlerischen Kuratierung einhergeht. Ich kann mir vorstellen, dass ein Museum mit einer Ausstellung z.B. mit einem stark regionalen Bezug, durchaus spannendes Wissen und seltene Exponate generieren und akquirieren kann. Die Bereiche Museum und Theater haben Zielgruppen, die gerade erst beginnen ins Internet zu gehen, die momentan noch Wikipedia und Google entdecken bevor sie vielleicht morgen interaktiv Theaterstücke oder Ausstellungen mit gestalten werden. Man muss sich beim Crowdsourcing in der Kultur fragen, in welcher Lebenswelt die Zielgruppe des Kulturangebotes lebt und wie stark sie überhaupt in kreative Prozesse miteingebunden werden möchten. Generell birgt aber das Crowdsourcing ein hohes Potenzial für fast alle Kultursektoren ich bin gespannt, wo in Zukunft hier die Grenzen liegen werden.
KM: Herr Imme, vielen Dank für dieses Gespräch!
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