24.01.2009
Autor*in
Lutz Herrmann
Lutz Herrmann studierte in Dresden Physik, Mathematik und Erziehungswissenschaften. Er arbeitete von 1974 bis 1990 an verschiedenen Schulen in der Uckermark. Im Ergebnis der ersten Kommunalwahlen nach Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung wurde Lutz Herrmann 1990 zum Beigeordneten in der damals kreisfreien Stadt Schwedt/ Oder gewählt. Zu seinem Geschäftsbereich gehörte von Anfang an auch die Kultur in der Stadt. Er war in vielen Gremien der kommunalen Spitzenverbände auf Landes- und Bundesebene aktiv, so auch als Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Kultur und Sport des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg. Im Ehrenamt war er u.a. seit 1992 Vorsitzender des Landesverbandes Ost des Deutschen Bühnenvereins.
Kultureinrichtungen und demografischer Wandel
Dem demografischen Umbruch Rechnung tragen
Interview mit Lutz Herrmann, Beigeordneter der Stadt Schwedt/Oder
Das Gespräch führte Veronika Schuster.
KM Magazin: Herr Herrmann, der demografische Wandel ist ein die Medien bestimmendes Thema, die Entwicklungen bis 2020 werden als sehr drastisch prognostiziert. Wie stellt sich die Situation in Schwedt dar? Wie haben Sie sich mit dieser Realität auseinandergesetzt?
Lutz Herrmann: Darf ich zu Beginn den Begriff Ihres Schwerpunktthemas aufgreifen? Häufig wird das "Publikum von morgen" dahingehend interpretiert, dass man sich Instrumentarien und Handlungsmöglichkeiten bedient, um insbesondere junge Menschen zu erreichen. Der Situation, der wir uns aber in vielen Städten zur Zeit stellen müssen, ist die, dass unser "Publikum von morgen" ein Klientel der höheren Lebensklasse ist. In Schwedt ist das eine ganz besonders verstärkte Sachlage und wir müssen uns diesem Thema allein schon deshalb stellen, weil wir in dieser Phase des demografischen Umbruchs hauptsächlich mit diesem Publikum in unserer Stadt und der Region umzugehen haben. Die Stadt Schwedt/Oder, in der schönen, aber bevölkerungsarmen Uckermark gelegen, ist heute eine kleine Mittelstadt mit derzeit noch 35.000 Einwohnern, die insbesondere in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, planwirtschaftlich entwickelt wurde. Historisch gesehen war es eine kleine Ackerbürger-Stadt, die bis in die 1950er Jahre hinein immer um die 8.000 Einwohner hatte. Die Stadt ist dann binnen zweier Jahrzehnte in zwei Schüben um jeweils ca. 25.000 Einwohner vergrößert worden bis hin zu einer Zahl von 54.000 in den Anfängen der 80er Jahre. Aus diesen Schüben heraus ist eine vergleichsweise homogene Einwohnerstruktur entstanden. Denn die Masse an Menschen, die damals aus der ganzen Republik kamen, waren von nahezu gleichem Alter: junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren. In der Gegenwart sind diejenigen "Zuwanderer" heute also in der Altersklasse von um 60 bzw. um 70 Lebensjahren. Wir haben also die ausgeprägte demografische Situation einer zunehmenden Alterung mit der Tendenz zur Überalterung.
KM: Was ist mit der Generation danach, also deren Kinder und Kindeskinder?
LH: Der Nachwuchs ist in unserer Stadt zwar groß geworden, aber abgewandert als Folge dessen, dass wir im Rahmen der großen wirtschaftlichen Umbrüche nach der politischen Wende nicht mehr die Arbeitsmöglichkeiten bieten können, die sie zur Bestreitung ihres Unterhalts benötigen. Vor allem Menschen der Lebensaltersklassen zwischen 20 und 40 Jahren sind seither aus unserer Stadt weggezogen.
KM: Wann ist Ihnen die Problematik Ihrer Stadt augenscheinlich geworden?
LH: Bereits nach einer kurzen Stagnationsphase zwischen 1990 und 1992, dann setzte dieser Prozess mit Macht ein, so dass wir bis heute andauernd einen negativen Wanderungssaldo haben. Aus der städtischen Gesamtsicht haben wir daraufhin eine Strategie des sogenannten Stadtumbaus entwickelt. "Stadtumbau" wird hier nicht nur unter dem Begriff des tatsächlichen körperlichen Umbaus von Gebäuden oder Straßen verstanden, sondern dahingehend, dass in unserer ganzen Stadt in der gesamten Breite der Möglichkeiten dem Älterwerden unserer Bürger Rechnung getragen wird. Gebäude, die nicht mehr gebraucht wurden, wurden schlicht abgerissen. Wir haben parallel dazu versucht, die Stadt neu zu organisieren, sie stärker zu durchgrünen, ganze Stadtviertel nicht nur auszudünnen, sondern komplett wegzunehmen, um auf diese Art und Weise die Stadt zu konzentrieren und sie wieder erlebbar und lebenswert zu machen. Zudem sind natürlich Gebäude in beträchtlichem Maß instand gesetzt und ganze Straßenzüge durchgrünt worden, sodass unsere Stadt heute einen deutlich grüneren und freundlicheren Eindruck vermittelt, als das noch Anfang der 90er Jahre der Fall war. Aber wir haben heute nicht mehr über 50.000 Einwohner, sondern nur noch 35.000 bei weiter fallender Tendenz. Wir haben zudem feststellen müssen, dass während des demografischen Prozesses der letzten Jahre ein erheblicher Teil der Stadtbevölkerung quasi ausgetauscht wurde: Es haben uns sehr viele Menschen verlassen, aber gleichzeitig sind viele in unsere Stadt hinzugezogen.
KM: Die Einwohnerstruktur hat sich also gänzlich verändert? In welcher Form?
LH: Bei der Lebensaltersklasse der jüngeren Menschen haben wir einen Austauschprozess dergestalt wahrgenommen, dass gegenüber der Situation von 1990 wesentliche Teile unserer städtischen Bevölkerung ausgewechselt wurden: bis zum Jahre 2005 haben unsere Stadt 39.500 Menschen verlassen, in der gleichen Zeit sind aber 22.400 zu uns gekommen und das bei einer aktuellen Einwohnerzahl von noch 35. 000. Das heißt, 2/3 der Bevölkerung ist "neu".
KM: Wie haben sie erreicht, dass trotz der hohen Abwanderungsrate neue Menschen in nicht geringer Zahl in Ihre Stadt gekommen sind?
LH: Das ist eine Folge, der noch immer starken Industrieprägung. Schwedt/ Oder ist einer der wirtschaftlichen Wachstumskerne in Brandenburg.
KM: Wie haben Sie bei diesen ganzen Prozessen die Kultureinrichtungen Ihrer Stadt mit einbezogen? Waren sie von Beginn an motiviert, diese mitzutragen?
LH: Da unsere Kultureinrichtungen sich selbst intensiv um Nutzer bemühen, war es relativ leicht, sie zu motivieren, geeignete Ansätze zu entwickeln um sich auf diese geänderte Bevölkerungsklientel einzustellen. Ich möchte das gerne an unserer Kunst- und Musikschule deutlich machen: Wir haben an dieser Schule heute ca. 1000 Schüler aller Lebensaltersklassen. Durch die Schule selbst sind Angebote entwickelt worden, dass Erwachsene bis hin zu Senioren in ihr ein umfangreiches Feld für musische Betätigung finden können. Sie ist keine Musik- und Kunstschule ausschließlich für Kinder und Jugendliche wie noch vor 15 Jahren.
KM: Gab es ein städtisches Konzept für die Kultureinrichtungen, an dem sich diese orientieren konnten und sollten?
LH: Ja, das gab und gibt es. Und wir bezeichnen es immer noch mit dem tradierten Begriff einer Kulturentwicklungsplanung. Wir sind mit unserer Stadt sehr frühzeitig in einen Planungsprozess eingestiegen, haben bereit 1993 eine solche vorgelegt und sie bisher zweimal umfangreich fortgeschrieben. Vor allem wurde dabei versucht, den demografischen Entwicklungen Rechnung zu tragen.
KM: Können Sie einige der wichtigsten Stichpunkte dieses Entwicklungsplanes nennen?
LH: Im Vordergrund stand die Profilierung der Einrichtungen für diese zukünftig absehbare Zielgruppe, um passgenaue Konzepte und Angebote anzubieten.
KM: Wie würden Sie den Erfolg der bisherigen Konzepte und Prozesse beschreiben?
LH: Als auf einem sehr guten Weg. Die Kultureinrichtungen werden vom gesamten Einwohnerspektrum als gute Adresse angesehen und wahrgenommen. Wir haben insbesondere auch auf den o.g. Austausch unserer Bevölkerung reagiert, beispielsweise mit einer Folge von Sonderausstellungen unserer Städtischen Museen. Diese bedienten Themen, die eine neue Identitätsfindung beförderten z. B. über die Historie der Stadt, ihre wirtschaftlichen Entwicklungen, die Verwobenheiten einer Grenzstadt etc.
KM: Man muss ja gerade bei Ihrer Stadt damit rechnen, dass sich Ihre Bevölkerungsstruktur in naher Zukunft wieder verändern wird, wenn diese ältere Generation wegbricht. Was machen Sie für die jungen Menschen?
LH: Das, worüber wir hier im Augenblick sprechen, ist ein Prozess, der seit seinem Beginn nach 1990 etwa gegen Ende der 2020er Jahre abgeschlossen sein wird. Dann werden wir zu einer Stadt geworden sein, die eine heterogene Zusammensetzung der städtischen Bevölkerung haben wird, allerdings mit einer noch geringeren Bevölkerungszahl. Insofern haben wir diese Entwicklungen auch langfristig im Blick und bereiten uns darauf vor. Das junge Klientel ist keinesfalls außer Acht. Die diesbezüglichen Angebote sind vielfältig und attraktiv, um auch junge Nutzer bzw. ein junges Publikum an die Kultureinrichtungen heranzuführen und an sie zu binden.
KM: Herr Herrmann, ich bedanke mich für dieses Gespräch.
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