Storytelling als Kommunikationsinstrument
Telling Lies. Or the Truth?
Kommunikationskultur-Seminar - wie erzähle ich eine gute Geschichte?
Die Fabrikanten meinen, dass Marketer und Kommunikationsverantwortliche das Handwerk des Geschichtenerzählens beherrschen müssen, wenn sie erfolgreich kommunizieren wollen. Und dass man hierfür viel von Storytelling-Experten lernen kann. Colin Tucker gilt als ein solcher Experte, er ist legendär und wird von Filmschaffenden überaus geschätzt. Getreu dem Fabrikantencredo "Kultur wächst durch Begegnung" laden wir Sie ein, Colin Tucker und seine Sichtweise des Geschichtenerzählens kennen zu lernen. Fürs Erste in diesem Inteview. Und in weiterer Folge am 11. September 2008 persönlich im Seminar in Linz.
Die Fabrikanten meinen, dass Marketer und Kommunikationsverantwortliche das Handwerk des Geschichtenerzählens beherrschen müssen, wenn sie erfolgreich kommunizieren wollen. Und dass man hierfür viel von Storytelling-Experten lernen kann. Colin Tucker gilt als ein solcher Experte, er ist legendär und wird von Filmschaffenden überaus geschätzt. Getreu dem Fabrikantencredo "Kultur wächst durch Begegnung" laden wir Sie ein, Colin Tucker und seine Sichtweise des Geschichtenerzählens kennen zu lernen. Fürs Erste in diesem Inteview. Und in weiterer Folge am 11. September 2008 persönlich im Seminar in Linz.
Wolfgang Preisinger: Mr. Tucker, wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Vorträge und Workshops?
Colin Tucker: Naja, ich wehre mich eigentlich dagegen, als Lehrer, der alles weiß gesehen zu werden. Ich sehe mich vielmehr als Vermittler oder als Ermöglicher bei den Entdeckungsreisen, die andere Menschen unternehmen. Das Einzige, das wirklich wert ist, kommuniziert zu werden, ist das, was für die Erzähler zählt. Ich mag in diesem Zusammenhang Begriffe wie Erforschen, Erwandern, Herumstreifen Ich empfehle nicht immer gleich mit der Struktur zu starten. Die Struktur kann ja zu Beginn im Verborgenen bleiben. Sie ergibt sich im Laufe der Arbeit und ist dann auch zu hinterfragen. Also, wandere in Deiner Geschichte herum, bestehe nicht auf Regelwerk, lass es einfach entstehen. Und anstatt "Seminar" verwende ich lieber nicht-didaktische Bezeichnungen. Workshop finde ich gut, das beinhaltet auch, dass alle Teilnehmer gleichwertig sind, was ja auch tatsächlich so ist. Denn ich möchte die Leute ja nicht instruieren, ich möchte sie ermutigen, ihre eigenen Antworten zu finden. Natürlich ist es essentiell, Fragen zu stellen, Anregungen zu geben und reflektive Annäherungen zu fördern. Das Spiel ist wichtig. Spielen ist vital und erzeugt Wirkung. Ich bin zutiefst fasziniert von Geschichten und Erzählungen und bin überzeugt, dass unser Leben erst durch Geschichten Sinn erhält; Geschichten, von denen wir uns bewegen lassen. Die Erzählung ist ein äußerst effektvolles Werkzeug, ein verbindendes Element. Der Kinderpsychologe Charles Fernyhough sagt: "Wir erzählen Geschichten über uns und so entsteht überhaupt erst unser Selbstgefühl."
WP: Aber wie entstehen diese Geschichten? Wodurch wird etwas zu einer Erzählung? Und bis zu welchem Ausmaß sind Erzählungen überhaupt wichtig für unsere Kommunikation?
CT: Lassen Sie uns einfach einmal die Welt mit unseren Augen betrachten. Wir sehen Dinge, denken über diese nach, machen Erfahrungen und möchten dann die Gedanken und Gefühle zu diesen Dingen Anderen mitteilen. Das perfekte Werkzeug dafür ist die Erzählung. Erzählen bedeutet, unsere Erfahrungen zu Anderen zu transportieren: Kommunikation. Also, vielleicht sollten wir mehr Zeit mit dem Erzählen von Geschichten verbringen, Geschichten, zu denen uns unsere Augen inspirieren. Wenn wir uns ansehen, können wir beispielsweise eine Geschichte darüber erzählen, wer die andere Person sein könnte. Ich könnte jetzt eine fiktive Geschichte über Sie erzählen.
WP: Und was macht Sie so sicher, dass die Menschen an dieser oder jener Erzählung interessiert sind und ihr folgen?
CT: Die Geschichte muss in Beziehung zu den Menschen stehen. Sie muss die Menschen einbinden. Eine Erzählung ist keine objektive Information, sie ist eine sehr subjektive. Sie ist ein Konstrukt. Und wenn mich dieses Konstrukt zufrieden stellen soll, muss es mich einbinden. Mich. Sie. Andere. Menschliches und Leben ein guter Film braucht nicht viel mehr als diese Basis. Einmal etabliert, kann die Betrachtung der Struktur einen hohen Stellenwert erhalten. Der Prozess der Drehbuchentstehung ist einer der Erforschung und Entdeckung keine Auferlegung. Während dieses Prozesses kann natürlich eine Hilfestellung, eine Stimme von Außen manchmal von großem Nutzen sein.
WP: Alles, was bisher angesprochen wurde, betrifft vorerst KünstlerInnen oder FilmemacherInnen. Wie sieht es im Bereich der Kommunikation aus? Glauben Sie, dass langfristig nur erfolgreich ist, wer authentisch ist? Ist es hilfreich, Parallelen zwischen dem künstlerischen Drama und der Kommunikationsbranche zu ziehen?
CT: Genau, in der Kunst wie im Kommunikationsbusiness dreht sich alles um Identifikation, um das Entdecken der innersten Gefühle. Wir können Geschichten in zwei Typen unterteilen:
1) Die Geschichte, die uns in eine Welt entführt, die wir nie kennen gelernt haben und wahrscheinlich nie kennen lernen werden. Wir sagen: Oh, ich möchte wie Superman sein!
2) Die Geschichte, die direkt mit unserem Leben korrespondiert, mit unseren Emotionen. Wir sagen: Oh, das ist ja genau mein Leben! In beiden Geschichten dreht sich alles um Kommunikation von Gefühlen.
Jedes Drehbuch, jedes Skript sollte einzigartig sein und worin diese Einzigartigkeit liegt, gilt es auszumachen bzw. weiterzuentwickeln. Die Arbeit am Manuskript kehrt Inneres nach außen, an die Oberfläche. Die ZuseherInnen eines Films, die LeserInnen eines Buches, die RezipientInnen einer Werbebotschaft erkennen die Oberfläche, bewegt aber sind sie unbewusst von dem, was sich dahinter verbirgt. Struktur ist dann lediglich die Form, in die wir das Einzigartige unserer Geschichte verpacken, um unser Publikum zu erreichen und zu bewegen. Alles Erzählte hat seine eigene, besondere Struktur. Manche Strukturen folgen starren Regeln. Manche entstehen wie beiläufig. Manche haben von beiden Seiten etwas. Es gibt kein vorbestimmtes Regelwerk, in das eine Erzählung hineinpassen muss. Also, wie weiß man, was passend ist? In dem man die menschlichen Dimensionen erkennt und genau benennt.
WP: In einem unserer früheren Gespräche erwähnten Sie den aus dem 19. Jahrhundert stammenden französischen Kritiker Ferdinand Brunetiere, der ein Essay mit dem Titel "The Law of the Theatre" verfasst hat. Worum geht es in diesem "Gesetz"?
CT: Das Gesetz, so Brunetiere, ist ein sehr einfaches: Ob Theater, ob Drama: Es dreht sich stets ums Wollen. Alles beginnt mit der Idee des Wollens. Deshalb ist es auch so nützlich, eine HeldIn zu haben, die einen starken Wunsch verspürt, eben etwas erreichen will. Daduch entsteht Aufmerksamkeit, Spannung und wir identifizieren uns mit dem Geschehen. Und eine HeldIn muss nicht unbedingt ein einzelnes menschliches Wesen sein. Es kann, sagen wir, bis zu drei Hindernisse geben, die die HeldIn überwinden muss. Das kann natürlich auch eine AntagonistIn sein. Ich bin sehr glücklich mit der Aufforderung, dass die TeilnehmerInnen dieses Workshops ihre eigenen Ideen, ihre eigenen HeldInnen mitbringen. Ich kann mir vorstellen, dass es in diesen Geschichten mehrere Wendepunkte gibt, Momente, in denen sich der Fortgang signifikant ändert. Accessoires sind wichtig, Objekte mit Aussagekraft, die metaphorisch Bedeutung mittransportieren. Was, wenn sich die TeilnehmerInnen einen bewegenden Zwischenfall überlegen? Oft enthält schon der Beginn eines Films, eines Theaterstücks die Essenz dieser dramatischen Konstruktion. In Workshops schlage ich gerne vor, den Anfang eines Films gemeinsam anzuschauen sei es ein künstlerischer Film oder auch ein populärer Streifen denn auch einfachste Unterhaltung soll nicht verboten sein.
WP: Wie können wir uns Ihre Arbeit vorstellen, wenn sie nicht auf formalen Regeln aufbaut?
CT: Ich komme nochmals auf die Idee des Herumstreifens zurück. Ich glaube, dass man derartige Erzählungen nicht als Literatur begreifen soll, sondern es vielversprechender ist, einen Bezug zu mündlich überlieferten Ereignissen herzustellen, eine sehr alte Form des Erzählens. Also lasse ich StudentInnen oft zu Beginn meines Workshops ihre Geschichte von ihrem Film, ihrem Buch, ihrem Erlebnis erzählen. Und glaube mir, das ist eine durchaus schwierige Aufgabe. Manchmal verlieren sich StudentInnen in ihrer Geschichte, fangen nochmal von vorne an. Später während des Workshops gibt es manchmal folgende Anweisung: Ich gebe irgendein Manuskript an eine StudentIn und sage: "Jetzt ist es Dein Manuskript. Was wirst Du daraus machen?" Und die StudentIn muss sich nun überlegen, wie sie die Geschichte erzählt, wie sie die Geschichte aufgefasst hat. Und meist hebt sie dabei Dinge hervor, die ihr selbst wichtig erscheinen und die eigentliche AutorIn sieht dabei, wie ihre ursprüngliche Geschichte auf Andere wirkt.
WP: Wie sehen die klassischen Fehler beim Erzählen von Geschichten aus? Oder anders formuliert, gibt es klassische Regeln, an die man sich lieber halten sollte?
CT: Das ist schwer zu sagen. Manche brechen scheinbar sämtliche Regeln und sind darin erfolgreich. Ja, es gibt Regeln. Ich mag Regeln zutiefst. Aber diese Regeln dürfen uns nicht kontrollieren, denn jede Geschichte benötigt ihre eigenen Regeln. Man soll sich nicht gleich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn das Manuskript nicht alle Regeln erfüllt. Es gibt seitenweise Drehbuch-Handbücher, Anleitungen wie man eine Geschichte gut erzählt. Ich denke, das diese Handbücher auch ganz lustig und interessant sein können. Aber ich nehme sie nicht zu ernst. Bitte nie mit einem Handbuch beginnen! Auch nicht mit einer Idee. Beginne mit einem Moment, mit einem Charakter. Dann wird alles daraus entstehen. Deine Interessen werden die Geschichte formen, die Idee wird aufkommen.
WP: Haben Sie bereits Erfahrung mit Menschen aus der Kommunikationsbranche, aus dem Marketing?
CT: Ja, aus meiner Zeit, als ich als Produzent fürs Fernsehen tätig war. Ich habe mit Leuten zusammengearbeitet, die für die Promotion zuständig waren und ständig darum bemüht waren, den USP zu (er)finden. In anderen Worten: den ZuschauerInnen Orientierung im TV-Dschungel zu geben, sie zu begeistern und so Marketing zu betreiben.
WP: Welche Geschichten mögen Sie? Und warum mögen Sie diese Geschichten?
CT: Ich glaube, mein Geschmack ist ein sehr einfacher. Naja, vielleicht ist er doch kompliziert. Sagen wir, er ist sowohl einfach als auch kompliziert. Ich kann es selber nicht so genau beschreiben. Ich liebe Geschichten. Ich liebe Filme. Meine Vorlieben reichen vom albernen, lustigen Filmen wie "Men in Black" bis zu einfach konstruierten Filmen wie "The Death of Mr. Lazarescu". Manchmal ist ein Film auch beides zugleich, Jafar Panahi´s "The Circle" oder Aki Kaurismäki´s "Drifting Clouds". Ich liebe die Komödie, Alexander Payne´s "About Schmidt" oder "Sideways". Ich verehre Tarantino´s "Jackie Brown". Und die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen Aber was alle diese Geschichten gemeinsam haben? Lässt sich schwer sagen.
WP: Machen Erzählungen aus dieser Welt eine bessere Welt?
CT: Nein. Sie machen die Welt lediglich fassbarer, verständlicher, nachvollziehbarer. Darin besteht das Herzstück meiner Auffassung von Erzählung.
WP: Danke für das Gespräch.
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