18.01.2009
Autor*in
Martin Oetting
Martin Oetting ist Gesellschafter und Leiter Forschung bei trnd - the real network dialogue, einer Spezialagentur für Mundpropaganda und Marketing. Er gilt als Autorität für Web 2.0 und Word-of-Mouth Marketing und promovierte zum Thema Marketing und Mundpropaganda. Zuvor war er für die Grey Global Group in unterschiedlichen Positionen tätig, u.a. für Kunden wie Procter & Gamble, Intershop, interluebke oder Vattenfall Europe.
Kommunikationsinstrument
Von Web 2.0 zum Web
Ein Interview mit Martin Oetting, Gesellschafter und Leiter Forschung bei trnd über die Entwicklungen des Web 2.0, dessen Anwendungen und die interaktiven Möglichkeiten für einen neuen Umgang mit Öffentlichkeiten.
Das Gespräch führte Veronika Schuster.
KM Magazin: Herr Oetting, Web 2.0 ist in der Welt des Kulturbetriebs eher noch als ein Schlagwort zu bezeichnen. Könnten Sie mit einem kurzen Einblick schildern, was Web 2.0 bedeutet? Welche Möglichkeiten entstehen dadurch?
Martin Oetting: Das Schlagwort Web 2.0 ist bereits einige Jahre alt. Letztlich ist es der Versuch, einer Entwicklung im Internet einen Namen zu geben. Das sogenannte Web 2.0 führt das Internet an seine Wurzeln zurück: Als das World Wide Web erfunden wurde, war die erste Idee, das jeder, der etwas mitzuteilen hat, sich auch äußern kann. Jeder sollte sowohl veröffentlichen als auch rezipieren können. Diesen Ansatz hat die kommerzialisierte Form des WWW stark zurückgedrängt. Es gab eine massive Dominanz von Mediendiensten und anderen Anbietern im Netz die immer von Firmen gesteuert waren. Der einzelne Nutzer an sich war dabei nicht wirklich von Bedeutung. Das hat sich nun aufgrund von verschiedenen Instrumenten in den letzten drei bis vier Jahren verändert. Die Tendenz hat sich hin zum "Einzelnen" verschoben. Es ist plötzlich möglich, dass Individuen recht schnell erstaunliche Leser- und Zuschauerzahlen erreichen können. Die Aktivitäten von Einzelpersonen sind deutlich prägnanter und sichtbarer und damit verschiebt sich das Gewicht von klassischen Gatekeepern den großen Firmen, Konzernen und Medienhäusern hin zum Einzelnen. Vernetzte Personen oder kleinere Kreise, die entsprechend ausgestattete Internetplattformen betreiben und eigenen Content beisteuern, erlangen eine relativ gewichtige Stimme. Dabei sind sie immer häufig innovativer als die großen Konzerne, da diese durch die internen Entscheidungsinstanzen behindert bzw. verlangsamt sind. Es ist eine Begeisterung und Dynamik entstanden, die daher rührt, dass "Normalsterbliche" ein unglaubliches Instrument zur Selbstverwirklichung und -Selbstdarstellung, zum Networking, erhalten haben. In den Anfängen des Webs war das nicht so klar wie heute.
KM: Sie sprachen von den Instrumenten, die mit dieser Entwicklung für jeden verfügbar wurden. Welche sind das?
MO: Ein Aspekt sind die Weblogs. Diese Online-Tagebücher erlauben auf sehr schnelle und einfache Weise Texte, Bilder und Filme zu veröffentlichen, und sie haben als Interaktionselement das ist sehr wichtig eine Kommentarfunktion. Der Leser ist aufgefordert etwas beizutragen, anders als bei einer klassischen Medienseite. Der Dialog ist Teil des Konzepts. Des Weiteren sind die sozialen Netzwerke von Bedeutung, Plattformen wie Xing, Facebook, StudiVZ, also all jene Adressen, bei denen sich der Nutzer ein Profil anlegt und sich dann über verschiedene Möglichkeiten vernetzen kann. Bei diesen Seiten spielen weniger die produzierten Inhalte eine Rolle als der Kommunikations- und Vernetzungscharakter. Aber auch auf diesen Seiten können Neuigkeiten und Nachrichten sehr schnell verbreitet werden. Dann gibt es die Mischform zwischen diesen beiden, zum Beispiel sogenannte Microblogging- Dienste. Der bekannteste ist Twitter. Bei Twitter kann man nur 140 Zeichen veröffentlichen, also in etwa die Länge einer SMS, aber da jeder Schreiber den Veröffentlichungen anderer folgt neudeutsch auch "following" - entstehen sehr dicht vernetzte Zirkel, die Ideen, Texte und Nachrichten bisweilen rasant verbreiten häufig schneller als die weltweiten Massenmedien. Es geht dabei jedoch nicht darum, (womöglich falsche) Nachrichten in Umlauf zu bringen, sondern der Fokus liegt auf einer lebendigen Diskussionskultur. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Communities Netze des Austausches sind. Dann kommen noch zwei weitere Aspekte im Web 2.0 hinzu: Zum einen Plattformen wie YouTube, eine sehr kostengünstige Möglichkeit für Nutzer, Filme aller Art einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese haben einen völlig neuen Umgang mit medialen Inhalten zur Folge. Zum anderen gibt es alle jene Internetseiten, die sich auf Bilder konzentrieren, wie beispielsweise Flickr, wo man Bilder hoch laden kann und damit Millionen User erreicht. Der wichtigste Mittler im Web 2.0 zwischen und zu diesen Instrumenten ist natürlich Google. Eines der Ordnungssysteme von Google funktioniert über die Verlinkung, und diese kann man zum Beispiel auch durch Bloggen beeinflussen. Das heißt, Google ist ein System, das auf den vielen Content, der produziert wird, reagiert. Um diese Erläuterungen abzuschließen: Der Begriff Web 2.0 legt nahe, es gäbe das eine und das andere Web, doch da diese kaum noch voneinander zu trennen sind, würde ich nur noch von dem Web sprechen.
KM: Wen erreicht man mit den Instrumenten, die Sie eben beschrieben haben? Und ist wirklich eine neue Art der Diskussionskultur entstanden?
MO: Die Frage, wen man damit erreicht, kann man sehr schlecht beantworten. Denn letztlich kann jeder, der nach bestimmten Dingen im Netz sucht, solche Angebote finden. Prominentestes Beispiel ist Wikipedia. Die Idee der Mitwirkung und Partizipation ist hier enorm wichtig und daher würde ich behaupten, dass Web 2.0 Angebote, im weiteren und im engeren Sinne, jeden erreichen, der im Internet unterwegs ist, sucht und sich informiert. Was die Diskussionskultur betrifft, ist es so, dass viele dieser Angebote eine gewisse Kenntnis vom Internet erfordern und daher eher von jungen Leuten und von Menschen verwendet werden, die im Web aktiver und damit vertrauter sind. Aber: Aus diesen Generationen von Nutzern zwischen 15 und 39 Jahren wachsen neue Herausforderungen an das Diskussionsniveau im öffentlichen Raum. Wenn man gewohnt ist, dass Barack Obama Nachrichten über seine Wahlkampagne über Twitter verbreitet, folgt zwangsläufig die Frage, warum das nicht auch hier in Deutschland möglich ist. Und wenn ein Politiker Twitter verwendet, um von eine Veranstaltung zu berichten etc., und er hört danach aber gleich wieder auf, dann stößt er diese Nutzern vor den Kopf. Erwartungen in Bezug auf die Reaktionsschnelligkeit und die Bereitschaft von Unternehmen und Personen, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen, steigen.
KM: Wenn man also die ständigen Berichte über eine meinungslose Generation hört, dann sind eigentlich die Presse bzw. jene, die diese Meinung äußern, diejenigen, die nicht bereit sind, sich mit den neuen Medien auseinanderzusetzen, mittels denen der Diskurs von und mit jungen Menschen stattfindet?
MO: Ganz sicher. Und wer diese Meinung vertritt, nur weil beispielsweise keine Leserbriefe mehr auf Papier in den Redaktionen eintrudeln, der hat die wahren Entwicklungen verschlafen.
KM: Können diese beschrieben Anwendungen im Web 2.0 für Kultureinrichtungen eine Möglichkeit darstellen, junges Publikum zu binden? Wenn ja, wie kann man sich das praktisch vorstellen?
MO: Das Web ist ein Instrument, um die Interaktionskosten deutlich zu senken. Ein Ladengeschäft erzielt gerade soviel Interaktion, wie mit einem Kunden vor dem Tresen eben möglich ist. Eventuell ist noch etwas über Brief und in Telefongesprächen zu erreichen, doch nur in sehr begrenzter Zahl. Diese Begrenzung der Interaktionsmöglichkeiten hat bei der Entwicklung des Massenmarketings dann dazu geführt, dass Massenmedien genutzt wurden. Massenmedien haben den Nachteil, dass eine Sender-Empfänger-Logik mit eingebaut ist, d.h. einer redet, viele hören Input-Feedback war nicht wirklich gefordert. Das hatte die Folge, dass die enge Bindung, die noch beim Tante-Emma-Laden dank Dialog und Interaktion existierte, verloren gegangen ist. Das Internet kann hier unglaubliche Dienste leisten, denn dort kann man mit hunderten bzw. tausenden Menschen dauerhaft im Austausch stehen. Eine intensive Interaktion zwischen Menschen hat zur Folge, dass ein nachhaltigeres Vertrauen aufgebaut werden kann. Die Bereitschaft wird erhöht, dass sich andere mit meinen Themen auseinandersetzen. Genau auf diesen Aspekt sollte man bei seiner Ausgestaltung der Kommunikation setzen. Wenn es Kultureinrichtungen schaffen, in diese Interaktion zu treten und nicht nur Faltblätter oder Jahresprogramme zu versenden, sondern über diese Kanäle auch lernen, zuzuhören, dann haben Personen in dieser Interaktion eine engere Bindung an das Haus als jene, die einmal im Monat einen Newsletter ins Haus geliefert bekommen. Es ist letztlich über Multiplikatoren im Web und offline möglich, dass fünf Mitarbeiter in einer Kultureinrichtung mit hunderttausend Menschen kommunizieren. Und das ist aus meiner Sicht eine Möglichkeit, das "Web 2.0" zu verwenden, um das, was früher unmöglich schien, nämlich eine persönliche, Dialog orientierte Kommunikation mit Tausenden Menschen, tatsächlich zu organisieren. Das muss das Ziel sein, und es funktioniert mit den Instrumenten heutzutage auch.
KM: Worauf sollte man achten, wenn man diese Instrumente verwendet?
MO: Die Gefahr liegt auf jeden Fall darin, sich damit nicht zu beschäftigen. Man kann Fehler machen, indem man unbeholfen ist und ungeschickt kommuniziert. Aber das sagen einem die anderen Teilnehmer dann auch. Wenn man aber mit der Einstellung vorgeht, dass einem ohnehin niemand etwas sagen kann und die Meinung des Gegenübers eigentlich gar nicht von Interesse ist, dann macht man einen Fehler. Wenn man sich auf dieses Terrain begibt, muss man den Austausch auch annehmen.
KM: Wie kann man aber bewerkstelligen, dass meine Plattform oder mein Vorgehen von Erfolg getragen wird?
MO: Das kann man, in dem man Teil der Diskussion wird. Das Wichtige bei Blogs ist, dass ein Blogger auch andere Blogs liest. Wenn es somit verschiedene Blogs im Kulturbetrieb gibt, die sich mit verwandten Themen beschäftigen, darüber reden und diskutieren, dann verlinken diese sich gegenseitig, hinterlassen Kommentare sowie Links und werden so von anderen Lesern gefunden. Der beste Weg in dieses Metier zu finden ist, zu Beginn andere große Blogs zu lesen, die sind in den deutschen Blog-Charts aufgelistet, und von diesen zu lernen. Es dreht sich um einen langsamen und sorgfältigen Aufbau von Beziehungen.
KM: Herr Oetting, vielen Dank für dieses Gespräch!
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