15.12.2021

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Lukas Fuchsgruber
ist Kunsthistoriker und arbeitet als Postdoc-Forscher im Projekt "Museums and Society, Mapping the Social"  in Berlin. Er forscht zu sozialen Aspekten der Digitalisierung in Museen.
Social Media Arbeit von Kulturinstitutionen

Digitale Vermittlung ohne Facebook und Co.

Im Zeitalter von Smartphones und Social Media sind digitale Netze ein allgegenwärtiger und zentraler gesellschaftlicher Raum geworden. Kulturvermittlung arbeitet oft in diesem neuen digitalen Kontext, trotz zahlreicher Enthüllungen über das skandalöse Geschäftsmodell der kostenlosen Social Media Plattformen. Darum müssen wir über Datenethik in der digitalen Kulturvermittlung reden.

Themenreihe Digitale Formate

Die Enthüllungen von Whistleblower*innen und umfangreiche Studien zu den unethischen Nutzungskonzepten und Finanzierungspraktiken der großen Social Media Plattformen (z.B. von Shoshana Zuboff, Geert Lovink, Cory Doctorov, Tiziana Terranova, The Ippolita Collective, Annie Le Brun, Jean Lassègue) haben vor Augen geführt, dass Kulturarbeit, die online auf diesen Diensten stattfindet, hinterfragt werden muss. Denn das Publikum wird hier gezwungenermaßen Teil von unethischen Überwachungs- und Werbepraktiken. Welche Handlungsspielräume ergeben sich fürs digitale Kulturmanagement im Lichte dieser gesellschaftlichen Debatten? Im Folgenden geht es besonders um Museen und ihre digitalen Formate. Das betrifft nicht nur große Häuser mit entsprechenden Vermittlungsabteilungen, denn Museen gibt es in unterschiedlichsten Größen und Ausrichtungen. Sie und all die verschiedenen anderen Kulturorte sind gefragt, sich der gesellschaftlichen Debatte um digitale Ethik zu stellen. Schließlich produzieren sie, vom Museum bis zum Club, hoch attraktive Kulturdaten auf diesen Netzwerken. Diese Orte sind wichtig wegen ihrer eigenen Datenpraktik, aber auch die gesellschaftliche Signalwirkung ist zu bedenken. Haltung zu zeigen und die digitalen Formate zu reflektieren, bedeutet deshalb nicht unbedingt eine Einschränkung der Reichweite, sondern kann selbst einen Werbeeffekt für die Kulturorte haben, da sie sich gesellschaftlich positionieren. 
 
Eine wichtige Ausgangsfrage ist, wie für die Kultureinrichtung der Bedarf an sozialer Interaktion im Netz aussieht. Welche Formate sollen mit wem und zu welchem Zweck realisiert werden? Und welche Technologie passt dazu? Die Veränderungen, die das Internet durch Social Media Netzwerke in Verbindung mit Smartphones in den letzten zehn Jahren durchgemacht hat, stoßen in weiten Teilen des Kulturmanagements auf Begeisterung, wie nicht zuletzt in den Beiträgen auf dieser Seite nachzulesen ist. Die Begeisterung mag verständlich sein, denn im Vergleich zu älteren Medien wie Zeitungen und Fernsehen sind die Möglichkeiten beeindruckend. Doch diese Faszination ist naiv, wenn man an die Ziele von Kulturvermittlung denkt. Zentral ist hier ein gutes Ziel, das leider längst nicht Realität ist: Kultur gehört allen. Für die, denen dieses Ziel besonders wichtig sein sollte, nämlich öffentliche Kultureinrichtungen, stellt sich die Frage: Wie teilen wir diese geteilte Kultur im digitalen Raum in einer Weise, die diesem Ziel dient? Teilen wir sie in einem digitalen Museum? Dann müssen wir genau überlegen, welche Form so ein digitales Äquivalent zum physikalischen Museum haben kann. Oder teilen wir es in einer digitalen Blackbox, deren Geschäftsmodell es ist, den Betrieb per lückenloser Überwachung und Analyse der Nutzenden zu finanzieren? Also auf Facebook, Instagram und Co.
 
Passen Social Media Plattformen zu Museen?
 
Museen sind wichtige Datenproduzenten, sie digitalisieren ihre Sammlungsgegenstände, veröffentlichen Metadaten zu diesen und produzieren Forschungsdaten. Die Daten, die sie erzeugen und betreuen, stehen in einem sehr widersprüchlichen Verhältnis zu dem, was auf den sozialen Medien passiert. Die offenen Internetstandards, auf denen die Funktionalität des Webs basiert, sind sehr gut geeignet, Netze von Objekten und Wissen zu erfassen und zu verknüpfen. Offene Standards, das bedeutet, dass Daten in nachvollziehbaren Schemata organisiert werden, die so konsistent sind, dass verschiedene Plattformen miteinander kompatibel bleiben. Aber gleichzeitig auch so offen, dass jede Plattform nach eigenen Bedürfnissen Anpassungen vornehmen kann.
 
In den Feeds und Posts der sozialen Netzwerke herrscht dagegen eine ganz andere Logik. Dort sprechen wir von Datensilos, die abgetrennt vom Rest des Internets ihre eigenen digitalen Objekte beherbergen - ohne eine Möglichkeit präziser Beschreibung und Verknüpfung. Wir können zwar einen Facebook-Post teilen, aber er kann keine Informationen enthalten, die über die vorgegebenen Eingabefelder von Facebook hinaus gehen. Diese Vorgaben passen aber nicht zu kulturellen Daten, da sie insbesondere für die Erfassung von Personen, nämlich ihrem Standort, ihren Emotionen, ihren biometrischen Merkmalen, etc., konzipiert wurden. Eine direkte Zirkulation der digitalen Sammlungen wird außerdem dadurch eingeschränkt, dass die Social Media Plattformen einen starken Fokus auf Videos legen. Diese Faktoren bedingen eine gewisse Ohnmacht der Museen in diesem Terrain: Sammlungsdatenbanken und Objektpräsentation sind Teil des Fachdiskurses, die Infrastruktur richtet sich nach den Zwecken des Faches und wird fortwährend weiterentwickelt. In den sozialen Medien dagegen versuchen Museen, sich in einem Bereich zurecht zu finden, der von ihren sonstigen Ansprüchen weit entfernt ist.
 
Wenn es also darum geht, die eigenen Kulturdaten zugänglich zu machen, zu verbreiten und zu vermitteln, passen die großen Social Media Plattformen nur sehr bedingt zu diesem Ziel. Dies führt zu einem Bruch zwischen der digitalen Zielsetzung des Museums, also digitalem Sammeln und Vermitteln, und seiner Vermittlungspraxis, wenn diese in den sozialen Medien stattfindet. Kultureinrichtungen und ihre Daten stehen dabei wie oben ausgeführt für das immense Potential von offenen digitalen Formaten. Auch deshalb ist digitales Kulturmanagement so wichtig, dieses Potential sollte in der Debatte um digitale Ethik von Internetkommunikation genutzt werden.
 
Die Alternative: Digitale Praxis mit offenen Standards
 
Museen nutzen heute ganz selbstverständlich die etablierten Plattformen wie Facebook und Instagram. Besonders während der pandemiebedingten Schließungen wurden Vermittlungsformate wie Führungen oder Projektwerkstätten als Livestreams und Social Media Aktionen konzipiert. Es konkurrieren inzwischen zwei Ideen des digitalen Vermittelns: Einerseits Social Media Projekte wie Hashtag-Aktionen und Videos, und andererseits sonstige digitale Projekte, wie sie auf den Museumswebseiten stattfinden. Das sind etwa Beteiligungsformate des gemeinsamen Forschens (Crowdsourcing etc.) oder das Kuratieren personalisierter Online-Sammlungen (zum Beispiel "Rijksstudio" des Rijksmuseums in Amsterdam). Es ist kein Zufall, dass letzteres, also eigene Formate, oft mehr mit den eigenen Kulturdaten zu tun haben. Denn bei Verwendung eigener Plattformen kann besser sichergestellt werden, dass die digitalen Projekte der Museen ihren eigenen wissenschaftlichen und sozialen Ansprüchen, des Bewahrens, Erforschens und Diskutierens folgen. 
 
Das heißt nun nicht, dass nur auf eigene Webseiten gesetzt werden muss, es gibt eine weite Welt der Open Source- und Open Data-orientierten sozialen Interaktion im Internet zu entdecken. Interessante Alternativen zu den großen Social Media Plattformen gibt es im dezentralen Fediverse. Mastodon, Pixelfed, Peertube, Mobilizon und andere bieten einen ähnlichen Funktionsumfang wie Twitter, YouTube und Co. Auch wenn auf den ersten Blick die Reichweite kleiner scheint als bei den Monopolisten, so ist auf diesen dezentral aufgestellten Plattformen ein engagiertes und interessiertes Publikum anzutreffen. Dieses tummelt sich auf thematischen Servern, zwischen denen die Kommunikation aber über offene Standards sichergestellt ist. Es sollte für Kultureinrichtungen selbstverständlicher werden, die bestehende Social Media Aktivität auch auf diese Plattformen zu richten, statt sie wie bisher zu ignorieren. 
 
Doch das zentrale Potential für Kulturdaten liegt nicht in diesen alternativen Plattformen. Sondern wie oben bereits angerissen in der Suche nach passenden digital-sozialen Technologien, in denen sich eine datenethische Haltung mit Interaktionspraktiken und Datenstandards verbinden, die besser zu Kulturdaten passen. Von den genannten alternativen Social Media Plattformen sollten wir aber die Verwendung von offenen Webstandards, wie ActivityPub des W3C (World Wide Web Consortium), im Hinterkopf behalten. ActivityPub ermöglicht, dass, egal welche Zwecke im Vordergrund stehen, die Daten föderiert werden können, also in dezentralen sozialen Netzwerken funktionieren, es gibt keine Trennung nach Plattformen, wie sie zum Beispiel zwischen Facebook und Youtube existiert. Im Museumsbereich sind ein existierendes Äquivalent die offenen Schnittstellen, die das Zusammenführen von Sammlungen ermöglichen. Solche offenen Standards wären nun auch auf digitale Partizipation und Interaktion mit dem Publikum konsequent anzuwenden. 
 
Aber jenseits einer solchen Zukunftsvision lässt es sich auch über interessante, bereits existierende Beispiele sprechen. Verfolgt man das oben vorgebrachten Argument weiter, dass digitale Vermittlung mehr aus der eigenen digitalen Sammlung als aus den Vorgaben von Facebook und Co entwickelt werden sollte, so geht es um zielgerichtete Formate. Diese können digitale soziale Welten eröffnen, die nicht mehr nur die Form eines Feeds haben. Interessant ist zum Beispiel die Idee des Digital Gardenings, eine Publikationsphilosphie zwischen Wiki, Blog und vernetzten Notizen, umgesetzt mit Obsidian, Dendron oder anderen Knowledge Base Systemen. Dort geht es nicht wie in den Social Media Feeds um fortwährende Neuigkeit, sondern um eine Pflege von Wissen. Derzeit schließt das Projekt "Tiere als Objekte" am Museum für Naturkunde in Berlin die Arbeiten an einer digitalen Plattform ab, die mit einer solchen Technik arbeitet. Am Haus der Kulturen der Welt konnte man letztes Jahr eine ganze multimediale Landschaft erwandern, die von der gleichen Agentur (Trust) entwickelt wurde: die "Shape of a Practice" Plattform. Der Code dafür ist auf Github zu finden. 
 
Diese Beispiele verwenden keine Social Media Technologie für die Besucher*innen, funktionieren aber als kleine Publikationsgemeinschaften, zum Beispiel über Git und Markdown als Schreibtechnologien. Die Erweiterung der Publikationsgemeinschaften um ein Publikum wäre durch die Einbindung von interaktiven und partizipativen Funktionen möglich.
 
Andere digitale Räume passen zu einem weiteren Aspekt von Museen, nämlich Orte des Gesprächs zu sein. Durch die Jahresendveranstaltung des Chaos Computer Club 2020 ist hierzulande die Open Source Software WorkAdventure bekannter geworden. Damit können digitale Begegnungsräume unter Verwendung von frei lizenzierten Bildkacheln sehr einfach mit einer grafischen Repräsentation in Retro-Ästhetik gebaut werden. Das Naturkundemuseum Leipzig hat sich dieser Technik für eine "Retrowelt" bedient. Im Gegensatz zu den Zombiemuseen auf Google Arts and Culture, durch die man sich menschenleer durchklickt, steht hier das Gespräch im Vordergrund. Es sind andere Besucher*innen gleichzeitig da und es öffnen sich Kommunikationskanäle zu den Umstehenden.
 
Fazit
 
Mit ActivityPub, Dendron, Millieu und WorkAdventure stehen verschiedene Ansätze des digitalen Vermittelns im Raum, die gemeinschaftliche Räume und vernetztes Wissen jenseits der bisher bedienten Feeds bieten. Ermüdet von den Content-Feeds und banalen Interaktionsmodi auf Facebook und Co., fühlt sich die Nutzung alternativer Plattformen an wie ein Spaziergang an frischer Luft. Wenn plötzlich Menschen etwas machen und in einem Kontext teilen, der Teilhabe und Teilnahme vorsieht, ist das sehr erfrischend. Kultureinrichtungen sollten sich diese Alternativen genauer ansehen und Teil von ihnen werden. Die interessante Herausforderung ist, ethische Maßstäbe aus der eigenen Kulturpraxis heraus zu entwickeln, die helfen in der digitalen Praxis eine Haltung zu vertreten. Kulturorte sind Teil eines großen Konflikts um die Zukunft von digitaler sozialer Praxis, deshalb müssen sie eine gesellschaftliche Folgenabschätzung ihrer Vermittlungspraxis treffen.

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