25.10.2012

Autor*in

Dirk Heinze
Kommentar

Ein Kulturkonzept für Thüringen

Thüringen hat seit dieser Woche ein Kulturkonzept. Minister Christoph Matschie sieht darin vor allem ein politisches Bekenntnis. Was aber lässt sich konkret aus dem Konzept für die künftige Kulturentwicklung ableiten?
Vorangegangen waren zwei Jahre des fachlichen Austauschs in einer Diskussionskultur, die man bis dahin in Thüringens Kultursektor nicht kannte. An zwei Veranstaltungen im Residenzschloss Sondershausen 2010 und 2011 beteiligten sich Kulturschaffende und Experten, vor allem aber Vertreter der Verbände. Insofern trägt das 185 Seiten starke Papier deutlich die Handschrift dieser Interessensvertreter, die teilweise doch recht strukturkonversativ sind und außer finanziellen Wünschen doch eine nur vage Vorstellung darüber haben, wohin sich die Kulturlandschaft eigentlich entwickeln sollte. Es entstand bei vielen der Eindruck, dass die Verbände eher die Getriebenen bei diesem Prozess waren.

Signifikante Steigerung des Kulturetats

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht: seit Amtsantritt des SPD-Ministers steigen die Kulturausgaben deutlich - waren es 2009 noch 122,6 Millionen, werden es 2014 154,9 Millionen Euro sein - ein Aufwuchs von 26%. Dabei sind die Investitionen in die Kreativwirtschaft, die das Wirtschaftsministerium verantwortet, noch nicht eingerechnet. Einen Großteil dieser Etatsteigerungen machen zweifellos die gestiegenden Bau- und Unterhaltskosten sowie die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst aus. Dennoch darf sich Matschie zugute halten, dass er seine starke Position als stellvetretender Ministerpräsident zum Vorteil genutzt hat. Das Land werde seine Kulturausgaben in den kommenden Jahren durchaus verstetigen, betont er. Ihm ist dabei aber bewusst, dass das Geld für die vielen Bedürfnisse trotzdem nicht reichen wird. Ergo: die Kulturförderung muss künftig gezielter gestaltet werden.


Überblick zur Gegenwart - Herausforderungen zur Zukunft

Umso mehr kommt es darauf an, die Potenziale zu erkennen, die Thüringens Kulturlandschaft hat. Kaum eine andere Region hat eine solche Dichte zu bieten: Die Wartburg in Eisenach, das "barocke Universum" in Gotha, das mittelalterliche Erfurt oder die Klassiker-Stätten in Weimar. Nicht zu vergessen die vielen Theater und Orchester, die auch abseits der "Städtekette" in Meiningen und Rudolstadt achtbare Programme bieten. Allerdings möchte man stärker als bisher die Aufbrüche thematisieren, die von Thüringen ausgegangen sind: Reformation, Aufklärung, Moderne, Arbeiterbewegung. Das Konzept verschafft über diese kulturelle Vielfalt einen beeindruckende Überblick und benennt vor allem künftige Herausforderungen, wie sie auch anderenorts auf der Agenda stehen: demografischer Wandel, Vermittlung, Interkulturalität oder Digitalisierung. Wo setzt hier die Kulturpolitik Thüringens nun Akzente?

Lastenausgleich geplant

Was die Finanzierung betrifft, so führt man einen Kulturlastenausgleich in Höhe von 9 Millionen Euro ein, der jenen Kommunen zugute kommen soll, die besonders reich an Kultur, aber arm an den Mitteln zu ihrer Erhaltung sind. Mit diesem Instrument setzt sich Thüringen vom Modell Sachsens ab, das über das Kulturraumgesetz die umliegenden Gemeinden viel stärker an der Finanzierung der städtischen Angebote beteiligt. Man wird sehen, ob dies ein tragfähiges Modell ist, das über die Legislatur Bestand hat.


Effekt durch Kulturentwicklungspläne fraglich

Die kulturpolitischen Vorgaben jenseits der Kulturstädte halten sich hingegen in engen Grenzen. Im Gegenteil: in gewisser Weise schiebt das Land die Verantwortung an die Kommunen ab. Die kulturelle Grundversorgung soll mittels Kulturentwicklungspläne gesichert werden, deren Erstellung das Land zwar fördern, aber inhaltlich nicht beeinflussen und schon gar nicht Vorgaben machen will. An sich eine gute Idee, da solche Konzeptionen auch in der Region verankert werden müssen. Es bleibt allerdings zu befürchten, dass im gefährlichen Mix aus divergierenden kommunalpolitischen Interessen und mangelnden Sachverstand diese Kulturentwicklungspläne nicht den gewünschten Effekt bringen werden - wenn sie überhaupt zustande kommen. Der Wunsch des Ministeriums, das sich "überregionale Verbünde und kooperative Partnerschaften" bilden, ist zwar aller Ehren wert, aber könnte an der Realität scheitern. Denn es kommt noch ein Problem hinzu: die Kulturverwaltungen gerade in den kleineren Städten sind chronisch unterbesetzt (wenn sie überhaupt noch existieren) und werden solche Entwicklungsprozesse kaum allein bewältigen können. Zudem braucht es einen Blick über den eigenen Tellerrand, um sich nicht thematisch auf die Zukunft eines einzelnen Museums oder Musikensembles zu beschränken.

Vom Management in Thüringens Museen

Von den institutionell geförderten Museen verlangt das Konzept mehr fachliche Vernetzung und Beratung. Hier darf durchaus bezweifelt werden, ob die Aufgabe durch den Museumsverband allein geleistet werden kann. Das Management der zahlreichen, durchaus mit hervorragenden Sammlungen ausgestatteten Häuser in Thüringen, lässt schon seit Jahren zu wünschen übrig, werden nicht die besten Köpfe ins Land geholt, um die Museen überregional zu stärkerer Beachtung zu führen. Hier hätte der Blick in andere Bundesländer geholfen, wo Landesstellen als Kompetenzzentren wirken oder gezielt Beratungsleistungen von Experten eingeholt werden.


Theater- und Orchesterfragen

Ähnlich schwierig bleibt die Situation bei den Theatern und Orchestern. Nur 10 Seiten widmen sich explizit den 10 institutionell geförderten Orchestern und 9 öffentlichen Theatern. Die Politik weiß schlicht keine schlüssige Antwort auf das Problem, dass die statistisch 35,2 Plätze je 1000 Einwohner nicht eine entsprechende Nachfrage beim Publikum genießen. Die Kooperationsbereitschaft hält sich in sehr engen Grenzen, geschieht eher aus Notsituationen heraus und wird leider häufig mit dem Vorwand abgelehnt, die Eigenständigkeit zu verlieren. Dementsprechend zäh laufen die permanenten Verhandlungen um die Finanzierung der großen Häuser, und regelmäßig machen Theater wie in Altenburg oder Eisenach einzig dadurch Schlagzeilen, dass sie in ihrer Existenz bedroht sind. Aus dem Dilemma, dass 60% der gesamten Kulturausgaben in die Finanzierung dieser Theater und Orchester (es gibt ja noch andere Vertreter dieser Sparten) fließen, es aber dennoch hinten und vorn nicht reicht, kommt die gesamte Thüringer Politik seit Jahren nicht heraus und drückt sich vor sicherlich schmerzlichen, aber notwendigen Entscheidungen. Immerhin macht das Konzept deutlich, dass es Prämissen bei der Förderung setzt und von den Häusern und Ensembles mehr Engagement beispielsweise bei der Publikumsgewinnung oder die gewünschten Kooperationen fordert. Matschie spricht von "Erweiterung der Strahlkraft", schlägt ein gemeinsames Ticketportal und ein Forum der Thüringer Intendanten vor. Ob freilich ein zusätzliches Ticketportal - beschränkt auf ein Bundesland - überhaupt wünschenswert und zeitgemäß ist, darf bezweifelt werden. Fördern und Fordern ist zwar keine schlechte Strategie, doch bleibt offen, ob die Forderungen überhaupt erfüllbar sind. Erfüllbar ist zumindest die Forderung nach Verbesserung im Marketing und bei der Nutzung neuester Medien.

Fazit

Das von Christoph Matschie vorgelegte Konzept ist zweifellos das wichtigste kulturpolitische Zeichen dieser Legislatur. Es zeugt von Problembewusstsein und dem Willen, festgefahrene Strukturen und politische Grabenkämpfe endlich hinter sich zu lassen. Insbesondere der dialogische Prozess, dem das Kulturkonzept vorausgegangen ist, darf als Fortschritt angesehen werden. Er nimmt umso mehr die Kulturschaffenden selbst in die Pflicht, ihre Forderungen und Wünsche nun auch selbst mitzutragen. Die Kulturpolitik hat sich allerdings an manche Entscheidung nicht herangetraut, die eigentlich jetzt notwendig wäre, um sich Raum für Entwicklungen zu schaffen. Viele Künstler werden sich wahrscheinlich gar nicht von solchen Konzepten angesprochen fühlen, da sie nicht durch die Verbände vertreten werden (wollen). Insofern kommt es auch darauf an, dass sich diese künstlerisch-kreativen Milieus ihre eigenen Instrumente erfinden, um politisch wahrgenommen zu werden. Nicht alles sollte man auf den Wunsch nach Förderung reduzieren. Manchmal reicht schon eine Veränderung in der Wahrnehmung, wo in Thüringen tatsächlich spannende künstlerische Dinge passieren. Überraschungen dürften sich da durchaus einstellen.



Der Theater- und Orchesterstreit in Thüringen 2006:
www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/v__d/ni__110/cs__11/index.html

Welche Werte schafft eigentlich Thüringens Kultur?: www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/v__d/ni__937/cs__11/index.html

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