Kommentar
Kultur nach dem Zeitalter der Reproduktion
2012 wird das Jahr der Kultur! Viele bislang im Kulturbetrieb tätige Menschen werden am 21. Dezember dieses Jahres von all diesen quälenden Debatten erlöst sein, die sich seit Jahren über die ohnedies nie richtige Anerkennung ihres kulturellen Schaffens und der damit einhergehenden unzureichenden Finanzierung manifestiert.
Vorausgesetzt, die Statistiker der Maya haben sich bei ihren Planrechnungen, die am 11. August 3114 vor Christus beginnen und kurz vor Weihnachten im heurigen Jahr ihren Höhepunkt finden, nicht verrechnet. Wer wirklich Veränderung möchte, der sollte diesem Weltuntergang entspannt entgegensehen. Nicht nur für den Kulturbetrieb, sondern auch für andere gesellschaftliche Bereiche gilt, dass Dank der Maya das Zeitalter der Reproduktion beendet wird. Diese unsagbare Fortschreibung eines Prinzips der gegenseitigen Blockade, des intellektuellen Downsizing gepaart mit mangelndem Entscheidungswillen wird beendet und unwiederbringlich ausgelöscht. Unsere Nachfolger werden gezwungen sein, die Trümmer unserer Geschichte zu entsorgen, um Platz für Neues entstehen zu lassen.
Wenn es stimmt, dass die Kultur für die Pflege der geistigen Güter zuständig ist, dann wird der Kulturbetrieb 0.0 seine Aufgaben anders organisieren als wir es gekannt haben. Er wird sich nicht mehr an politische Systeme verkaufen, weil er endlich jenen Stellenwert bekommen hat, der ihm zusteht. Kultur wird sich wieder den Rang als Transformator der Gesellschaft zurückerobern. Die Politik wird abkehren von einer sinnlosen Subventionspolitik, die in der Vergangenheit meist nur nach dem Prinzip der Bittstellerei ausgelegt war. Mutige Menschen werden die öffentliche Finanzierung der Kultur auf neue Beine stellen. Ein Kulturvorbehalt wird legistisch verankert. Es werden nur mehr Gesetze verabschiedet, die Vielfalt fördern, die Grenzen verschwinden lassen und das Zusammenleben fördern. Das wird der Dreh- und Angelpunkt einer zukunftsgerichteten Kulturpolitik.
Dass mit all dem ökologische und ressourcenschonende Aspekte einhergehen, gehört zum Selbstverständnis des neuen Handelns. Die Sensibilisierung der Menschen für Kultur wird zum Megathema werden. Es wird erkannt, dass die Komponente "Kultur" die eigentliche Triebfeder für uns Menschen ist, neues zu denken und alte Grenzen zu sprengen. Kultur, verstanden im Sinne von Ästhetik, von der Fähigkeit, Dinge wahr zu nehmen und zu spüren. Wie viele neue Chancen und Zukunftsvisionen könnten sich ergeben, wenn es uns gelingt, nicht nur zu analysieren, zu rechnen und zu planen, sondern in unser Handeln auch Kreativität und Phantasie einfließen zu lassen?
Ob am 21. Dezember vorerst der letzte Vorhang fällt oder nicht, wage ich nicht zu prognostizieren. Vielleicht werde ich am Tag nach dem Weltuntergang mit der intellektuellen Elite des Planeten in einer Raumstation über die Zukunft der Zivilisation schwadronieren. Vielleicht werde ich aber auch demnächst in der Wiener Herrengasse von einer Dachlawine skalpiert. Who knows?
Gerhard Scheucher lebt als Strategieberater in Wien und ist Autor mehrerer Sachbücher.
Mehr Informationen: www.gerhardscheucher.com
Der Beitrag erschien im KM Magazin Nr. 63 vom Januar 2012 in einer Reihe von Expertenkommentaren zum sog. Kulturbetrieb o.o. Wir veröffentlichen sie hier aktuell im Zusammenhang mit der Debatte um das Buch "Der Kulturinfarkt".
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