15.11.2006

Autor*in

Birgit Lengers
Rückblick 8. Tagung des Arbeitskreises Kunst und Kultur 2006

Der Wert der Kultur

Stiftungen als "3. Ort" der Kulturförderung Zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung unter der Fragestellung "Kultur aus der Mitte der Gesellschaft Was ist uns Kultur wert?" hat der Bundesverband Deutscher Stiftungen am 19. und 20. Oktober in die Villa von Heyd nach Berlin eingeladen.
Vor dem Hintergrund sozialer Desintegrationserscheinungen und zunehmender Kürzungen öffentlicher Mittel geht der Arbeitskreis Kunst und Kultur in seiner 8. Tagung mit Vorträgen und Präsentationen guter Stiftungspraxis
gezielt der Frage nach dem (Stellen-)Wert von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft nach. Auch stellt sich die Frage nach der besonderen Verantwortung und der konkreten Rolle, die den Stiftungen durch die gesellschaftlichen Herausforderungen zukommen.
 

Stiftungsboom, Stiftungsdichte und Stiftungsrecht

Vom Vorsitzenden des Bundesverbandes, Dr.-Ing. E.h. Fritz Brickwedde, gibt es zur Begrüßung zunächst Positives zu vermelden: Mit 880 Neugründungen (3% mehr als 2004) war 2005 ein Rekordjahr. Ein Viertel der neu gegründeten Stiftungen hat sich satzungsgemäß der Förderung von Kunst und Kultur verschrieben. Damit gibt es derzeit 13.490 bürgerlich-rechtliche Stiftungen in Deutschland. Als direkte Folge einer Reform des Stiftung- und Steuerrechts 2000 kam es in den folgenden 5 Jahren zu einem regelrechten Gründungsboom,
in dem mehr als ein Drittel der heute bestehenden Stiftungen gegründet wurden.
 
Weniger erfreulich ist, dass aufgrund der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen, das Stiftungsvolumen von 300.000 zumeist nicht überschritten wird. Zudem sind in der Stiftungsdichte regional erhebliche Unterschiede zu
bemerken.
 
Im Städteranking liegen Hamburg mit 54 Stiftungen pro 100.000 Einwohner und Frankfurt mit 52 vorn. Eine regional niedrige Stiftungsdichte weisen neben den neuen Ländern auch das Ruhrgebiet auf: 14 der letzten 22 Plätzen werden von Städten aus dieser Region belegt. Die Schlusslichter bilden Hagen, Chemnitz, Herne und Gera.
 
Es gilt nun, so der Bundesverband, von politischer Seite die Rahmenbedingungen für Stiftungen durch weiterreichende Reformierung des Steuer- und Gemeinnutzigkeitsrechts zu verbessern. Da diesbezüglich auf politischer Ebene alsbald maßgebliche Entscheidungen getroffen werden, hatte man den Präsidenten des Bundestages, Dr. Norbert Lammert, der an der Reform 2000 entscheidend beteiligt war, nicht nur als Redner, sondern auch als Hörer und potentiell Verbündeten der politischen Lobbyarbeit eingeladen.
 

Kultur: wertvoll und relativ günstig

Wie schon sein Vorredner, der Leiter des Arbeitskreises Dr. Dominik König, spricht sich Lammert gegen Instrumentalisierung und Beauftragung von Kultur aus. Gesellschaftliche und damit instrumentelle Ziele kann nur die Kulturvermittlung verfolgen. Zur Aufgabe und Aufstellung der Stiftungen in der föderalen Konstellation der Kulturförderung betonen beide, dass Stiftungsgelder nicht Kompensator öffentlicher Förderung sein sollen, sondern dass diese vielmehr die Vorraussetzung für Stiftungsarbeit ist. Aber: Es kann nur vermittelt werden, was vorhanden ist. (König).
 
Zur Legitimierung von öffentlicher Kulturförderung und zur zentralen Frage nach dem Stellenwert der Kultur, wird Lammert grund(ge)setzlich: Laut Artikel 20. Absatz 1 des Grundgesetzes ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, von Kulturstaat sei dort nicht die Rede. De facto ist die Förderung der Kultur dem deutschen Staat jährlich ca. 11 Mrd. Euro wert. Damit werden 90% der Ausgaben für Kultur aus öffentlichen Mitteln bestritten - in den USA sei das genau umgekehrt.
 
Die ca. 8 Mrd. Euro von Gemeinden, Bund und Ländern plus 1,5 Mrd. Euro Steuervergünstigungen und 1 Mrd. Kulturförderung im Ausland machen jedoch lediglich 0,4% des Bruttoinlandsprodukts und 1,75% des Gesamtvolumen der öffentlichen Aufwendungen aus. Außerdem rechne sich Kultur über die Umwegrentabilität volkswirtschaftlich, d.h. die Kulturwirtschaft fristet auch ökonomisch kein Nischendasein. Ein Trugschluss sei jedoch Kulturförderung als besondere Form der Wirtschaftsförderung zu begreifen. Mit diesen Zahlen und Argumenten macht Lammert unmissverständlich deutlich, dass Sparmaßnahmen an Kulturetats wenig Sinn machen, da die Bedeutung zu groß und die Etats zu klein sind: Kultur ist nicht nur lieb, sondern auch teuer, aber sie ist alle mal mehr wert, als sie kostet. (Lammert).
 

Stiftungsarbeit: Suche nach dem 3. Ort

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde der Kulturbegriff und das Thema Partizipation u.a. von Adrienne Goehler, Dr. Susanne Keuchel und Christian Petry noch einmal grundsätzlich diskutiert. Ist Kultur Matrix mit Integrationsaufforderung oder Identifikationsangebot einer pluralistischen Gesellschaft? Findet derzeit eher eine Politisierung (Stichwort: Kampf der Kulturen) oder eine Ökonomisierung (Stichwort: Verwertbarkeitsdruck)
des Begriffs statt? Goehler spricht von einer fatalen ideellen Überfrachtung. Von der Kultur und Kulturschaffenden wird erwartet diverse Sinnlücken zu schließen, ohne sie mittels entsprechenden Instrumentariums und Infrastruktur faktisch dazu zu ermächtigen.
 
Für Jugendliche die, wie Keuchel anhand der Ergebnisse des Jugendkulturbarometers herausstellt, einen anderen Kulturbegriff haben als Erwachsene, der sich weniger auf Kulturinstitutionen wie Theater und Museum bezieht, als auf kulturelle Identität geht es primär darum Zugangsmöglichkeiten zu schaffen. In Bezug auf die im Augenblick viel diskutierten Modellprojekte im Rahmen von Kultur macht Schule und Künstler in die Schule wurde die Chance für Kinder und Jugendliche betont, sich jenseits von Eltern und Lehrern und dem rigiden Zeitrhythmus der Schule künstlerisch (d.h. auch nonverbal) zu artikulieren. Kuünstler könnten dabei als Kommunikationsprofis unterschiedlicher kreativer Sprachen entsprechende Räume schaffen und Situationen sprachfähig (Goehler) machen.
 
Für die Initiatoren der Tagung, die Stiftungen, wird die Herausforderung und Chance gesehen, interdisziplinär und vor allem intersektorial (zwischen Kultur- und Kultusministerium) zu arbeiten, d.h. über die Zuständigkeiten einzelner Verwaltungen Verantwortung zu übernehmen und anders als Sponsoren, die eine zeitlich nahe Gegenleistung erwarten mit längerem Atem auf Nachhaltigkeit zu achten.
 
Stiftungen können als 3 Ort, als nomadischer Ort neben und zwischen den Institutionen und auch zwischen den Generationen wirksam werden. An diesem 3. Ort, der nicht als Schleifchenabteilung (Goehler) schon Anerkanntes erneut prämiert, kann Stiftungsarbeit mit Ideen, Zeit (Ehrenamt) und Geld Innovationslücken staatlichen Handelns schließen, wie Christian Petry, Geschäftsfuhrer der Freudenberg Stiftung formulierte.
 

Präsentationen guter Stiftungspraxis

Nach den grundsätzlichen Vorträgen und Diskussionen am Vortag konzentriert sich der zweite Tag der Konferenz auf die konkrete Darstellung erfolgreicher Arbeit, die zeigt, wie auch mit knappen Mitteln nachhaltig kulturelle Förderung geleistet werden kann. Das Motto des Tages Präsentationen guter Stiftungspraxis wird dabei von allen fünf Vorträgen erfüllt und es zeigte sich, dass es bereits 3. Orte gibt, die beispielhaft in der Einbeziehung von Jugendlichen und Kinder erschaffen werden.
 
Jbach Denk-Mal-Stiftung aus Bamberg
Zunächst beschreibt Frau Heide Jbach von der Jbach Denk-Mal-Stiftung, wie mit Begeisterung und Durchhaltevermögen selbst mit kleinen Ideen große Wirkung erzielt werden kann. Für die Restaurierung u.a. des Kreuzwegs in Bamberg gewann Frau Jbach die Unterstützung von Schülern des Kaiser-Heinrich- Gymnasium. Kultur praktisch erfahrbar zu machen war die zweite Zielsetzung neben der vordringlich notwendigen Restaurierung von Denkmälern. Durch die Zusammenarbeit wurden die Schüler vielfältig in den Prozess der Denkmalpflege eingebunden. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung konnten sie finanzielle Aspekte der Arbeit kennen lernen und selbst aktiv beim Spenden sammeln (Fundraising) mithelfen.
 
Nach der anfänglichen Skepsis verschiedener Lehrer nahmen am Schluss fast alle Fachlehrer des Gymnasiums an dem Projekt teil. Wichtigster Lernerfolg war aber für die Schüler, dass sich auch ehrenamtliches Engagement (Volunteering) auszahlt!. Inzwischen ist aus dem Projekt eine unabhängige Bewegung in Bamberg geworden, die man im Internet anschauen kann. Die Jbach-Denk-mal-Stiftung arbeitet bereits mit einer Schule in Pirna zusammen und plant eine Kooperation mit einer Görlitzer Grundschule.
 
Mobiles Atelier aus Hannover- Kinder an Kunst heranfuhren
Die kulturelle Zusammenarbeit mit Kindergärten ist Thema der nächsten Erfolgsgeschichte. Frau Römisch von der Stiftung KulturRegion Hannover stellt ihr Projekt Mobiles Atelier vor. Für jeweils eine Woche wurden 4 Kindergärten in der Region zu mobilen Ateliers umgebaut, in denen 4 Künstlerinnen Kinder an Kunst heranführten. Die viel beschworene Nachhaltigkeit wurde durch Einbeziehung der Erzieherinnen gewährleistet. Das Projekt begeisterte die Kinder und war insgesamt sehr erfolgreich, so dass eine Erzieherin schwärmt: Diese Form von Kunst ist wie angelernte Freiheit.
 
Allerdings sind 45.000 Euro Kosten für die Stiftung voraussichtlich nicht als Dauerprojekt finanzierbar. Der Effekt ist trotzdem weitreichend, da das Training der Erzieherinnen ein wichtiger Teilaspekt des Projekts war.
 
Literarisches Tandem der Stiftung Brandenburger Tor
Prof. Hans-Joachim Neubauer erläutert anschließend seine Arbeit mit dem Literarischen Tandem der Stiftung Brandenburger Tor , das seit 2002 in einer neuen Art und Weise den Deutsch-Osteuropäischen Austausch von (meist jungen) Schriftstellern fördert. Für jeweils zwei Monate werden die Schriftsteller nach Berlin eingeladen und dort von je einem deutschen Schriftsteller beglei-tet, der dann umgekehrt für 2 Monate in die jeweilige Heimatstadt des Gastes reist. Auf diese Art und Weise sind bereits unmittelbare Begegnungen mit Vilnius, Warschau, Bukarest, Sarajevo, Prag, etc. entstanden.
 
Einen ersten Einblick in die Arbeit kann der interessierte Leser in einem Sonderband der Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter mit dem Titel Offenbar Europa erhalten, oder live bei den Lesungen der Tandems im Max-Liebermann- Haus neben dem Brandenburger Tor gewinnen. Für Prof. Neubauer ist dieses Projekt eine
 
Modell Keywork aus Düsseldorf: Einbindung von Senioren in die aktive Museumsarbeitdurch Kulturaustausch geförderte Integration.
Eine ganz andere Art von Förderung stellt Dr. Silke Neysters aus Düsseldorf vor. Die Leiterin der Abteilung Bildung & Pädagogik bei der Stiftung Museum Kunst Palast beschreibt das Projekt Modell Keywork, bei dem so genannte Erwachsene im nachberuflichen Leben (neu-deutsch für Senioren) in die aktive Museumsarbeit eingebunden werden sollen. Ganz gezielt wird dabei auf die Mitarbeit von Männern Wert gelegt. Durch eine Stellenausschreibung wurde eine Großzahl von Interessenten für dieses unbezahlte Ehrenamt gefunden, die seit 2005 als so genannte Netzwerker in monatlichen Arbeitstreffen Aktionen und Programme planen und durchfuhren und somit erfolgreich die aktive Darstellung von Kultur in der Mitte der Gesellschaft fördern. Vom Auslegen der Museumsbroschüren in Wartezimmern von Arzt-Praxen bis zum Besuch in Kindergärten und Heimen die Netzwerker sind inzwischen integrierter Bestandteil der Museumskommunikation.
 
Projekt FIES am Bremer Übersee-Museum
Zum Abschluss der Präsentationsreihe wird ein Projekt vorgestellt, das die Annäherung von Jugendlichen und Museen fördert. Anka Bolduan, Projektleiterin von FIES (Forschen in eigener Sache) des Übersee-Museums in Bremen legte gemeinsam mit beteiligten Schulern dar, wie Jugendliche zwischen 14 und 20 selbstständig ein Thema (z.B. Werte, verliebt sein in anderen Kulturen, Kochbuch der Welt) recherchieren, um es dann - begleitet von einem Künstler anschaulich zu präsentieren. Lernen durch Forschen hat erwiesenermaßen
den größten nachhaltigen Lerneffekt und so freute sich dann auch einer der anwesenden Schüler über seinen größten Erfolg, gelernt zu haben sich neuen Dingen zu öffnen.
 
Insgesamt wurde an diesem Tag deutlich, dass es für die Stiftungen wichtig ist, nicht nur anzustiften (Dr. König), sondern dass Kulturvermittlung durch die Einbeziehung von Bildungsinstitutionen größere Wirkung und Nachhaltigkeit erreichen kann.
 
BIRGIT LENGERS ist freie Theaterdramaturgin und -dozentin. Zur Zeit arbeitet sie für das German Theatre Abroad in Berlin und New York.
 
WIGBERT BÖL L ist Unternehmens- und Kulturberater in New York und Berlin.
 

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