19.01.2023
Themenreihe klimafreundlich
Autor*in
Thomas Sakschewski
ist Professor für Veranstaltungsmanagement und -technik an der Hochschule für Technik Berlin und Autor zahlreicher Publikationen zu diesem Themenfeld. Er studierte Psychologie und Betriebswirtschaft (MA) und war als Ausstellungsmacher und Projektmanager mit unterschiedlichen Aufgabenfeldern wie Veranstaltungsleitung, Projektleitung oder Technische Leitung tätig.
Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement in der Lehre
Plant a Seeed
Um Nachhaltigkeit im Kulturmanagement zu verankern, muss sie auch ein fester Teil des Studiums sein. Deshalb lernen angehende Technische Leitungen an der Berliner Hochschule für Technik in praxisnahen Lehrforschungsprojekten, wie Ressourcenachtsamkeit und Veranstaltungsmanagement zusammenpassen können.
Themenreihe klimafreundlich
Viele Kulturbetriebe suchen derzeit nach fachlicher Unterstützung bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie. Klimabilanzen müssen erstellt, Handlungsfelder identifiziert, Wertstoffkreisläufe analysiert werden. Und nun soll auch noch der Energieverbrauch gesenkt werden. Viele Häuser suchen hier Unterstützung bei externen Berater*innen, zumal diese Beratungskosten gefördert werden. Doch gelebte Nachhaltigkeit, die nicht nur Aktionismus sein soll, verlangt mehr als nur eine Beratung auf Tagesbasis. Wenn diese dann auch noch branchenfremd erfolgt und bspw. Produktionsprozesse der Industrie auf die Einzelfertigung einer Veranstaltung übertragen werden, bleiben die Besonderheiten kulturellen Schaffens unbeachtet. Dessen Handlungsfelder und Maßnahmen müssen jedoch individuell berücksichtigt werden. Zudem werden interne Fähigkeiten und Kenntnisse auch und gerade des technischen Personals häufig übersehen.
Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement verlangt fachliche, methodische und inhaltliche Kenntnisse von Kulturorganisationen und Veranstaltungsbetrieben sowie Erfahrung im Umgang mit den spezifischen Prozessen vor Ort, denn Nachhaltigkeitsmanagement ist Change Management. Das umfasst den Willen zur Transformation ebenso wie das Engagement und die Befähigung der eigenen Ressourcen. Daher macht es Sinn, Nachhaltigkeitsaspekte schon in Ausbildung und Lehre zu verankern.
Fragen der Nachhaltigkeit fließen schon seit einigen Jahren in die Lehrinhalte des Studiengangs Theater- und Veranstaltungstechnik und -management an der Berliner Hochschule für Technik ein. Das ist auch notwendig. Schließlich ist der Bachelorstudiengang einzigartig in Deutschland. Das grundständige Ingenieursstudium befähigt nach Nachweis einer einjährigen Berufspraxis zur Technischen Leitung von temporären Großveranstaltungen wie Volksfesten, Wettkämpfen oder Festivals sowie von Versammlungsstätten wie Konzerthallen, Opernhäusern oder Theatern. Der siebensemestrige Studiengang verzahnt daher ingenieurstechnisches Fachwissen mit sozialen Kompetenzen und den Methoden des Veranstaltungsmanagements. In allen drei inhaltlichen Bereichen des Studiums sind nachhaltige Lösungen gefragt, wie die Verringerung des Materialverbrauchs in der Konstruktionsplanung, eine umsichtige Veranstaltungslogistik oder der Umgang mit Re- und Upcycling von Bühnenbildelementen. Mit dem Seminar Nachhaltigkeit und Logistik ist das Thema seit dem Sommersemester 2022 nun fest im Lehrplan verankert und ermöglicht den Studierenden, in praxisnahen Lehrforschungsprojekten Methoden zu entwickeln und anhand von realen Großveranstaltungen zu validieren. Das forschende Lernen an einer angewandten Hochschule verpflichtet dabei die Studierenden, durch Erstellung von Forschungsarbeiten in Kooperation mit Praxispartner*innen die Methoden der empirischen Sozialforschung anzuwenden und feldspezifisch neue Methodenansätze zu entwickeln.
Integration von Nachhaltigkeit in der Lehre
Im Seminar Theater- und Veranstaltungsmanagement I im dritten Semester werden die Grundlagen eines nachhaltigen Veranstaltungsmanagements vermittelt, indem die wichtigsten Handlungsfelder erläutert werden. Im darauf aufbauenden Seminar Theater- und Veranstaltungsmanagement II im vierten Semester stehen die unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten einer Nachhaltigkeitsstrategie an Fallbeispielen aus der Kulturlandschaft wie Theatern oder Opernhäuser und der Creative Industry wie bei Festivals oder Sportveranstaltungen im Fokus. Der Wahlpflichtkurs Veranstaltungslogistik und -nachhaltigkeit vertieft das Thema Nachhaltigkeit und verzahnt es unmittelbar mit dem bedeutsamsten Handlungsfeld des Nachhaltigkeitsmanagements von Veranstaltungen: der Mobilität. Bei Klimabilanzierungen von Veranstaltungen und Versammlungsstätten ist regelmäßig festzustellen, dass die Bewegung von Material und Besuchenden mehr als zwei Drittel des CO2eq-Ausstoßes der Klimabilanz ausmachen. In diesem Seminar sind daher auch die Lehrforschungsprojekte angesiedelt, die auf Kooperations- und Forschungsprojekten mit Unternehmen und Organisationen beruhen.
Dadurch ergibt sich ein praxisorientiertes Forschungsdesign:
- Definition von Maßnahmen und Indikatoren in fünf vorgegebenen Handlungsfeldern (Mobilität, Ernährung, Energie- und Wasserverbrauch, Ressourcen und Beschaffung sowie Soziales) zur Nachhaltigkeit urbaner Großveranstaltungen im Seminar Veranstaltungslogistik und -nachhaltigkeit
- Anwendung auf die Praxisprojekte wie 2022: fünf Konzerte von Seeed in der Berliner Wuhlheide und Lollapalooza Berlin in Olympiapark und - stadion mit Entwicklung von spezifischen Interventionen
- Messungen, Beobachtungen und Umfragen vor Ort mit Studienassistenten*innen
Praxisprojekte Plant a Seeed und Lollapalooza Berlin
Frühere Vorbehalte gegenüber der Nachhaltigkeit von Großveranstaltungen (Getz & Anderson, 2008; Hall, 2012; Sakschewski et al., 2010) verlieren angesichts der vielen inzwischen realisierten Einzelprojekte an Bedeutung. So war die Nachhaltigkeit von urbanen Großveranstaltungen bereits mehrfach Forschungsgegenstand, zum Beispiel zum Katholikentag 2008 (Stauch, 2016). Einzelne Vorhaben wurden von den Veranstalter*innen selbst umgesetzt, wie z.B. beim Wacken Open Air (Hübner, 2016), und viele kleinere Festivals wie das Wilde Möhre Festival in Brandenburg haben zahlreiche Einzelmaßnahmen zu einer Nachhaltigkeitsstrategie zusammengefasst. Allein im Spätsommer 2022 waren zwei urbane Großveranstaltungen Forschungsgegenstand unserer Disziplin: zwei Großkonzerte mit jeweils etwa 20.000 Besuchenden, die von der Uni Bochum in Kooperation mit der Nachhaltigkeitsagentur "Edelweiss-Society" begleitet wurden (Wilmsmann, 2022), und das Labor Tempelhof 2022 mit Konzerten der Ärzte und der Toten Hosen, das von der Kreislaufwirtschaftsorganisation Cradle to Cradle mit Unterstützung der Agentur für nachhaltigen Wandel The Changency umgesetzt wurde.
Das Forschungsvorhaben der Berliner Hochschule für Technik zur Nachhaltigkeit urbaner Großveranstaltungen im Rahmen des Lehrforschungsprojekts hat im Sommer 2022 anhand zweier Veranstaltungen die Möglichkeiten und Potenziale eines nachhaltigen Veranstaltungsmanagements untersucht. Dabei wurde ein Mixed-Methods-Ansatz entwickelt, in dessen Rahmen auch die Wirksamkeit von Interventionen in fünf Handlungsfeldern überprüft wurden. Es sollte untersucht werden, inwieweit sich die Nachhaltigkeit urbaner Großveranstaltungen messen lässt und das Besucher*innenverhalten durch einzelne Maßnahmen und deren Kommunikation im Sinne der Nachhaltigkeit verändert werden kann.
Das erste Praxisprojekt fand vom 09. bis zum 14. August 2022 in der Berliner Parkbühne Wuhlheide bei fünf aufeinander folgenden Konzerten der Berliner Band Seeed statt. Gemeinsam mit der Agentur The Changency, die das Vorhaben initialisiert hat, haben Studierende ein Konzept dafür entwickelt, wie eine valide Datengrundlage für eine wissenschaftliche Studie geschaffen werden kann.
Die Parkbühne Wuhlheide ist eine Open-Air-Spielstätte im Südosten von Berlin mit einer maximalen Kapazität von 17.000 Besucher*innen. Die fünf aufeinander folgenden, jeweils ausverkauften Konzerte stellten hier eine exzellente Voraussetzung dar, um Feldforschung unter Laborbedingungen zu betreiben. Gleiche Besucher*innenstruktur, gleicher Ort, gleiche Band und sehr ähnliche Wetterbedingungen ermöglichten eine präzise Messung der Wirksamkeit von Kommunikationsmaßnahmen und Interventionen mit nur sehr geringen Störungen.
Das zweite Praxisprojekt, in Kooperation mit der mediapool Veranstaltungsgesellschaft und dem Lollapalooza Festival etwa einen Monat später im Olympiastadion und Olympiapark, wies eine vergleichbare Anzahl an Besucher*innen auf. An zwei Veranstaltungstagen (24. und 25. September 2022) haben etwa 70.000 Besucher*innen ein Line Up unterschiedlicher Bands und Solo-Künstler*innen verfolgt, darunter Kraftklub, Machine Gun Kelly, Die Fantastischen Vier und Seeed. Auch hier wurden unterschiedliche Methoden angewandt, um durch Abgleich methodeninhärente Verzerrungen zu minimieren.
Konkret heißt das, dass die Besucher*innen zu ihrem Essverhalten (vegan, vegetarisch oder omnivor) befragt wurden und zugleich vor Ort das Bestellverhalten an den Imbissständen beobachtet wurde, um zu überprüfen, ob sich Angaben und tatsächliche Bestellungen decken. Zudem haben wir die entsorgte Menge Müll mit dem Befüllungsgrad und der Zusammensetzung der Mülltonneninhalte gemäß Fotodokumentation abgeglichen. Im Vergleich der beiden Praxisprojekte werden im nächsten Schritt die Ergebnisse gegenübergestellt und verglichen, um Aussagen zur Nachhaltigkeit urbaner Großveranstaltungen zu treffen.
Lehren aus der Praxis
Lehrforschungsprojekte stellen aufgrund ihrer direkten praktischen Relevanz hohe Anforderungen an Datenvalidität und Forschungsdesign. Die Prozesse von Großveranstaltungen aber halten sich nicht an starre Stundenpläne. Sie sind nur schwer in das oft starre Lehrsystem einer angewandten Hochschule zu integrieren. Hier fehlt es für Konzept, Kommunikation, Planung und Verwaltung darüber hinaus an einem wissenschaftlichen Mittelbau. In der Folge sind derartig umfangreiche Projekte aufgrund des Planungsaufwands, der Menge der erfassten Daten sowie des Aufwands der Auswertung in der Regel nur durch Engagement des Lehrpersonals und auf Kosten der Studierenden umzusetzen. Volatile Ressourcen!
Wichtig war daher bei der Organisation der Lehrforschungsprojekte eine klare Trennung zwischen Lehre und Datenerhebung. Die in das Seminar integrierte Konzeptentwicklung, in der Maßnahmen, Indikatoren und Messmethoden von den Studierenden bestimmt wurden, wurde innerhalb des Lehrbetriebs bewertet. Die praktische Umsetzung, die Beobachtungen und Messungen während der Veranstaltungen, erfolgte hingegen durch Studienassistent*innen, deren Tätigkeit honoriert wurde. Diese werden auf Basis der Kooperationsverträge durch die Praxispartner*innen finanziert. Die Auswertung der Daten wiederum fließt in die Lehre im nachfolgenden Semester ein.
Fazit
Die Ergebnisse aus dem Lehrforschungsprojekt schaffen eine wichtige Grundlage, um Maßnahmen für ein nachhaltiges Veranstaltungsmanagement bei urbanen Großveranstaltungen auf Basis von validen Daten planen zu können. Sehr genau konnten einzelne Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden und eine Klimabilanz für urbane Großveranstaltungen erstellt werden. Die Medienwirkung aber auch das Miteinander mit Band und Veranstalter*innen haben gezeigt, wie empfänglich die Konzertbranche für eine nachhaltige Transformation ist.
Sowohl für die Studierenden, die im Seminar konzeptionell an dem Projekt beteiligt waren, als auch für die Studierenden, die vor Ort gemessen und gezählt haben, waren die Konzerte wichtige Erlebnisse, die viel Spaß gemacht haben. Als Lehrforschungsprojekte sind diese Formate zudem wichtige Labore für die Integration von Nachhaltigkeit in die Kulturmanagement-Lehre und Forschung und damit in die Ausbildung künftiger Technischer Leiter*innen und Forschenden in diesem Feld.
Der Kooperationspartner für das Sommersemester 2023 ist mit Hertha BSC ein Bundesligaverein. Damit wird der Ligafußball im Fokus von Veranstaltungslogistik und -nachhaltigkeit stehen. Gerade hier wird ein kritischer Umgang mit Bilanzierungsmethoden und Messungen durch die Studierenden notwendig sein.
Quellen
- Hall, M. (2012). Sustainable Mega-Events: Beyond the myth of balanced approaches to mega-event sustainability. Event Management 16, 119-131.
- Hübner, H. (2016). Nachhaltigkeit auf dem Wacken Open Air - Save the Holy Land. In: Große Ophoff, M. (Hrsg.) Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement. 195-204. München: oekom.
- Getz, D. & Andersson, T. (2008). Sustainable festivals: On becoming an institution. Event Management 12(1), 1-17.
- Sakschewski, T.; Horn, R.; Mathes, M. (2010). Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsbranche. Untersuchungen zu einem unmöglichen Begriffspaar. Bühnentechnische Rundschau 06/10. 46-50.
- Stauch, M. (2016). Der klimaneutrale Kirchentag. In: Große Ophoff, M. (Hrsg.) Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement. 229-240. München: oekom.
- Wilsmann, M. (2022). Edelweiß-Society und BR erfassen Nachhaltigkeit. Mothergrid, 1. September.
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