15.02.2024

Themenreihe Personal

Autor*in

Thomas Schmidt
ist Professor für Theater- und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. 
Personalentwicklung im Theater

Mit der Logik von gestern

Zukunftsfähige Theater brauchen ein modernes Personalmanagement, damit alle Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten können. Und: gerne für das Haus arbeiten. Wie das funktionieren kann und welche Rolle Kulturmanager:innen bei spielen, erklärt Thomas Schmidt.

Themenreihe Personal

56 Prozent aller künstlerischen Mitarbeiter:innen an den Theatern leben und arbeiten unter prekären Bedingungen. Die meisten unter ihnen müssen deshalb einer Nebenbeschäftigung nachgehen, um zusätzliche Einkommen für sich und ihre Familien zu generieren. Dabei arbeiten 54 Prozent aller Mitarbeiter:innen täglich über zehn Stunden. ¾ aller Theatermitarbeiter:innen haben nicht die Möglichkeit, die im Theater aufgehäufte Mehrarbeit abzubauen und schenken dem Theater so Tausende von Überstunden und viel Geld. Damit machen Theater Kapazitätsmessungen unmöglich, verwischen reale Arbeitsbelastungen und verzichten unnötigerweise auf substanzielle Begründungen gegenüber der Politik, endlich die fehlenden Stellen zu schaffen, die noch gebraucht werden und die Subventionen endlich auf ein realistisches Maß zu erhöhen. 
 
Das Theater krankt unter dem hohen Eigendarstellungsdruck der Theaterleiter, der am jeweiligen künstlerischen Output und der überregionalen Aufmerksamkeit für Inszenierungen gemessen wird. Soziale Projekte und politische Interventionen werden nicht mit gleichem Gewicht berücksichtigt, auch an Gerechtigkeit, an das Wohlergehen und die Entwicklung der Mitarbeiter:innen wird erst nachranging gedacht.[1] Den meisten Theatern geht es mehrheitlich darum, mit künstlerischen Mitteln auf der Bühne Diversität, Partizipation, Gerechtigkeit, Ethik und Moral für die Gesellschaft vorzuleben, indem sie in ihren Inszenierungen mit dem Finger auf die Gefahr des ethischen Verfalls der Menschen und der Gesellschaft zeigen. Gleichzeitig finden diese Themen hinter und neben der Bühne noch immer keine ausreichende Berücksichtigung, werden übersehen und überhört.
 
Die aktuellen Diskurse und die damit eng zusammenhängen Debatten haben sich in den letzten Jahren stark geändert und eine neue Richtung eingeschlagen, verbunden mit ersten, noch sehr vorsichtigen Reformmaßnahmen, die auf Druck von Ensembles und moderner Netzwerke eingeleitet werden. Inzwischen gibt es endlich auch ein Verständnis für die Forderung nach mehr Reformen, nach Gerechtigkeit und Partizipation, wenn auch erst noch bei eher progressiven Akteur:innen in der Politik und unter den amtierenden Intendanten. Im Gegensatz dazu werden viele der reformorientierten Begrifflichkeiten und Ideen inzwischen von der Mehrheit der Intendanten bereits eingemeindet, zum Beispiel in Programmheften, Redebeiträgen oder Interviews, selbst von jenen, von denen man diese Reformbezüge bislang nie gehört, noch wahrgenommen hatte. Hinzu kommen die unwirklichen Corona-Monate und die Unsicherheit, in welchem Umfang die Solvenz der Städte und Gemeinden nach Steuerausfällen zukünftig noch gegeben sein wird.
 
Unter diesen Rahmenbedingungen stecken wir heute Theaterarbeit und Personalmanagement neu ab. Diese Themen müssen wir auch im Hinblick auf eine sich in den kommenden 15 bis 20 Jahren wandelnde Theaterlandschaft neu definieren, in der durchregierende Intendanten ebenso der Vergangenheit angehören werden, wie Machtübergriffe, toxische Leiter, schlechte Arbeitsbedingungen und Überproduktion. Nicht nur das sollte ein Anlass sein, Gerechtigkeit und Fairness zu zentralen Prämissen des Managements und der Personalarbeit am Theater zu machen, wie es der Philosoph John Rawls 1971 in seinem wegweisenden Buch Theory of Justice für die gesamte Gesellschaft vorstellt: "Justice is the first virtue of social institutions, as truth is of systems of thought."
 
Daher möchte ich mich in diesem Essay darauf konzentrieren, die Voraussetzungen und Inhalte eines modernen Personalmanagements im Theater neu zu skizzieren. Ich gehe von der Prämisse aus, dass ein gutes Personalmanagement in einer Kulturorganisation nur dann erfolgreich und nachhaltig sein wird, wenn dieses als Fachgebiet und Querschnittsaufgabe mit einer Direktor:in in der Leitung vertreten ist (Grafik 1). Es muss also von einer verantwortungsvollen und entscheidungsfähigen Ebene aus und mit institutionellem Nachdruck gesteuert, geleitet und moderiert werden. Andernfalls, so meine These, wird Personalmanagement immer nur halbherzig bleiben und wenig erfolgreich sein. Eine Leiter:in auf der Zwischenebene hat nicht die Durchschlagskraft, um sich mit ihren Anliegen und Interessen gegen andere Bereiche nachhaltig durchzusetzen. 
 
 
Voraussetzungen und Inhalte eines modernen Personalmanagements im Theater
 
Ein modernes und zukunftsfähiges Personalmanagement benötigt gefestigte Rahmenbedingungen, damit die Potentiale des Personals entfaltet werden können. Hierzu gehört die Entwicklung eines Leitmotivs, in dem sich künstlerische und soziale Aspekte miteinander verknüpfen. Codes of Conduct, wiederum, dienen dazu, für eine Organisation die wesentlichen Verhaltensnormen und Regeln festzuschreiben, um ein gutes, teamorientiertes Arbeitsklima herzustellen, und um ethische Verstöße, Angst und Machtmissbrauch auszuschließen. Also jene Bereiche, in denen an den meisten Theatern die größten Schwachstellen liegen, wie einschlägige Forschungsergebnisse zeigen.[2]
 
Personalmanagement in Kulturorganisationen umfasst mehrere Felder, die mit unterschiedlicher Energie von verschiedenen Personen und Funktionsträger:innen in einer Organisation umgesetzt und weiterentwickelt werden (Grafik 2). Dabei muss darauf geachtet werden, dass die verschiedenen Instrumente koordiniert miteinander eingesetzt am erfolgreichsten wirken, und dass diejenigen, die in der Verantwortung für dieses wichtige Arbeitsfeld sind, vernetzt und abgestimmt miteinander handeln.
 
 
Im Theater selbst hat Personalmanagement noch nicht die notwendige Beachtung gefunden, um alle Potenziale, die im Personal liegen, freisetzen zu können. Dabei wird als Argument oft vergessen, dass gutes Personalmanagement immer positiv auf die Organisation selbst reflektiert, deren Effektivität und Wirksamkeit entsprechend steigen. Damit verbunden sind auch einige der sieben großen Themenbereiche, in die sich Personalmanagement am Theater grob gliedern lässt und von denen nicht alle ausreichend beschrieben bzw. erforscht sind. Nicht zuletzt, weil ihr unmittelbarer Zusammenhang mit dem Querschnittsgebiet Personal bislang nicht ausreichend beleuchtet wurde. Aus Platzgründen möchte ich mich auf die derzeit wichtigsten konzentrieren.
 
1) Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance, Arbeitsklima
Personalarbeit liegt meist in den Händen von Fachleuten, die sich mit klassischen Verwaltungsfragen des Personals befassen. Oft sind diese Kolleg:innen in zunehmendem Maße mit Fragen der Arbeitsbedingungen in einer Organisation betraut, obwohl diese eigentlich Chefsache sind und von der Personalleitung oder den Leiter:innen der Organisation selbst übernommen werden müssten. Dies ist ein bestechendes Argument dafür, dass jede der personalintensiven Kulturorganisation auch eine Personalmanager:in in der ersten Leitungsebene benötigt, die sich auch um Fragen des allgemeinen Arbeitsklimas und um Regelungen der Work-Life-Balance kümmert. In diesen Zukunftsbereich gehören Freizeit-Ausgleichsysteme, aber auch der Schutz für junge und werdende Mütter und eigene oder gute Verträge mit Kindergärten, in denen theaterfreundliche Zeiten gewährleistet werden. Andernfalls sollte das Theater einen Ausgleichsfonds vorhalten, aus dem zum Beispiel Babysitter:innen bezahlt werden, die für Abendproben und Vorstellungen eingesetzt werden. Früher gab es Kindergärten für viele Theaterkinder, vor allem im Osten Deutschlands, die aus strukturellen Gründen eingeebnet wurden. In den letzten 30 Jahren wurden genau diese fehlenden Kindergartenplätze händeringend gesucht und waren nicht selten auch Anlass dafür, dass junge begabte Künstlerfamilien dorthin gingen, wo diese Bedingungen stimmten. Als Modell sind sie nach wie vor erhalten, sodass Theaterleitungen sie nur reaktivieren und hierfür die richtigen Fonds abrufen müssen. Die Entlastung ist immens, vor allem für neue Angestellte in einer Organisation, die sofort Kindergartenplätze in Anspruch nehmen dürfen. Auch ein Service, der bei der Schul- und Wohnungssuche hilft, sollte mit der Stadtverwaltung in Kooperation genutzt werden. All diese Aspekte tragen dann dazu bei, dass der Klima-Index, mit dem die Arbeitszufriedenheit regelmäßig gemessen und auf dem schwarzen Brett publiziert werden sollte, einige Punkte steigt - oder eben fällt.
 
2) Gesprächs-/Beurteilungs- und Entlohnungssysteme
Chefsache sind auch Bezahlung und Entlohnungssysteme. Inzwischen ist in der Kulturszene durchaus bekannt, wie verzwickt die Situation in den Theatern ist, in denen noch immer ohne Not mit drei verschiedenen Vertragstypen gearbeitet wird. Dass Künstler:innen, die das Gesicht des Theaters sind und die größte Arbeitsbelastung haben, ausgerechnet die geringsten Gagen bekommen, ist ein unverzeihliches Resultat eines fehlenden Bewusstseins für ihre Lage. Es ist ein messbares Versagen des Deutschen Bühnenvereins, der hiergegen nicht früh genug koordiniert gewirkt und den NV-Bühne als einen unfertigen, fehlerhaften Leihkraft-Vertrag für Künstler:innen am Theater entwickelt und implementiert hat. Theaterleiter und der Bühnenverein gehen fälschlicherweise noch immer davon aus, dass allein ein Engagement - für heute 2000 Euro Einstiegsgage - eine Belohnung sei, weil man nun künstlerisch arbeiten dürfe. Aber diese jahrzehntelange zynische Argumentation hat zu Kettenreaktionen der Unzufriedenheit geführt, die von progressiven Politiker:innen auf allen Ebenen des föderalen Systems gespiegelt werden. 
 
Theater haben deshalb damit begonnen, die Mindestgage zu erhöhen und die künstlerischen Gagen strukturell anzuheben, damit der Abstand zu den Löhnen und Gehältern der Technik und der Verwaltung nicht mehr 40 Prozent, sondern nur noch 20 - 30 Prozent beträgt. Am weitesten ist bislang das Staatstheater in Bremen gegangen, das aus öffentlichen Reserven eine Anhebung der Mindestgagen für das Ensemble auf 3000 Euro durchsetzen konnte und als Pilotprojekt auf die gesamte Theaterlandschaft ausstrahlt. Dies war nur möglich durch das Engagement des ensemble-netzwerks. In der Studie Macht und Struktur im Theater liegt sogar ein Modell vor, mit dem im Rahmen von wenigen Schritten und vor allem über Umverteilung von Tariferhöhungen ein angeglichenes Niveau zwischen den drei Tarifverträgen innerhalb von 10 Jahren erreicht werden kann. Das schließt im Zweifelsfall eben auch die Orchestermusiker:innen ein, deren Gewerkschaft DOV (Deutsche Orchestervereinigung) es gelungen ist, einen mehr als 40 prozentigen Abstand zu den Gagen der Bühnenkünstler:innen zu verhandeln. Dieser sollte dringend revidiert werden, um den Betriebsfrieden nicht chronisch zu gefährden. Niemand darf von gleichermaßen professionell ausgebildeten Mitarbeiter:innen einer Organisation erwarten, Gehaltseinbußen von bis zu 40 Prozent zu tolerieren. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Gender Pay Gap im Theater von noch immer zwischen 15 und 20 Prozent hingewiesen, die auf eine weitere strukturelle Benachteiligung von Frauen in künstlerischen Berufen hinweist.[3] 
 
Voraussetzung für gerechte und transparente Entlohnung sind Gesprächs- und Beurteilungsformate. Dazu gehören die relativ schnell und unkompliziert möglichen Personalgespräche. Diese sollten einmal im Jahr stattfinden, die Beurteilung und die Entwicklungswege der Mitarbeiter:innen beinhalten und die damit verbundenen Aus- und Fortbildungen verbindlich vereinbaren. Zudem sollten diese Gespräche zukünftig mit Beurteilungen auf einer 360°-Ebene verbunden werden, in denen jede Mitarbeiter:in das Recht und die Pflicht hat, auch ihre Leiter:in und ihre Kolleg:innen zu beurteilen. Damit werden die Hierarchien flacher, die Kommunikationsflüsse wirksamer und es entsteht dort Augenhöhe - kein kollektives Duzen - wo früher eine Theater-typisch viel zu große Fallhöhe einen transparenten und fairen Austausch unmöglich gemacht hat. Vor allem aber werden die Informationen systematisch gesammelt, die später in aufbereiteter Form in ein objektives Entlohnungssystem einfließen können, wenn entsprechende Indikatoren in den Gesprächen miterhoben werden. So wäre es dann möglich, ein Gagenraster mit Leistungszuschlägen zu kombinieren, die ansonsten, wie so oft üblich in künstlerischen Organisationen, von subjektiven Einschätzungen abhängig wären.
 
3) Personalplanung
Personalplanung ist eine Spezialdisziplin der Theater, die in den Lehrbüchern des Personalmanagements nur am Rande gestreift wird. Im Theater verschränken sich drei verschiedene Personalplanungssysteme miteinander - die die Nervenstränge des Theaters bilden, damit Abend für Abend Vorstellungen stattfinden können, an denen 80 bis über 100 Personen im Tanz und im Schauspiel, und 100 bis weit über 200 Personen in den großen Produktionen des Musiktheaters beteiligt sind. Aber die Planung muss bereits für die Tagschicht der Techniker:innen und der Werkstätten sowie für die Proben passgenau stimmen, damit die Anforderungen an Proben und Vorstellungen erfüllt werden können. In der Technik erledigt das in der Regel das Technische Büro, dass die Einsätze von Bühnentechniker:innen, Beleuchtung, Ton, Video, Maske und Requisite perfekt plant und aufeinander abstimmt. 
 
Die Planung beginnt Monate und - im Musiktheater - Jahre im Voraus. Im Bereich des Künstlerischen Personals ist das Betriebsbüro für diesen Einsatz erforderlich. Die Chefdisponent:in und ihre Mitarbeiter:innen im Künstlerischen Betriebsbüro (KBB) feilen an den Tages-, Wochen- und Monatsplänen, die ebenso wie die Jahres- und Spielzeitpläne Kunstwerke sind. Insofern üben Disponent:innen eine der wichtigsten Funktionen am Theater aus. 
 
Auch das Orchester hat mit dem Orchesterbüro eine zentrale Planungsstelle, in dem die Orchesterdirektor:in/ -manager:in für die Einsätze der Musiker:innen zuständig ist. Hier besteht der Schwierigkeitsgrad darin, dass die Musiker:innen ganz verschiedene Vertragstypen haben - je nachdem, ob sie in einer koordinierten Solist:innen-Funktion oder im sogenannten Tutti spielen. Spielen sie auf einer koordinierten Position, haben sie deutlich geringere Dienstzahlen und können nur begrenzt eingesetzt werden. Jede gute Orchesterdirektor:in hat deshalb ein Notizbuch mit Telefonnummern, damit das Orchester im Zweifelsfall und bei ganz besonders großen Besetzungen (Mahler, Schönberg, Schostakowitsch, Saint-Saëns, u.a.) mit Aushilfen auf die erforderliche Standardgröße besetzt werden kann.
 
4) Personalentwicklung
Personalentwicklung ist eine Königsdisziplin in nahezu jeder Organisation und sollte dies eigentlich auch in Theaterbetrieben sein, gebündelt und konzentriert in einer höhergestellten Funktion. Sie findet dort bislang jedoch nur sehr vereinzelt statt. Will man sie künftig wirklich aufs Tapet bringen, braucht man hierfür die entsprechenden strukturellen Voraussetzungen sowie besonders gut ausgebildete Mitarbeiter:innen. Diese sind in den Stellenplänen und Profilen der Theaterbetriebe bislang nicht vorgesehen, was verschiedene Gründe hat: 
 
  • Die Theater waren nie auf interne Karriere-Pfade ausgerichtet, sondern grundsätzlich immer auf die Fluktuation und Rotation des künstlerischen Personals zwischen Theatern. 
  • Fachliche Veränderungen und/ oder Aufstiege sind strukturell kaum vorgesehen und werden - falls überhaupt - freihändig von der Leitung entschieden, anstatt diese Aufgaben einer unabhängigen Fachabteilung zu übergeben.
Allmählich beginnen die ersten Theater damit, Personalentwicklung ernst zu nehmen. Erste Anstöße kommen dabei aus den - gerade von den vormodern organisierten Theatern gerne als verkrustet belächelten - Stadtverwaltungen. Hier gibt es immer öfter rege Personalchef:innen, die dieses Thema in allen Betrieben der Stadt verankert und vertieft wissen wollen. Sie knüpfen aktive Verbindungen zum Personal und zu den Personalgremien, aber auch zu den Leitungskräften, für die sie Coachings und Mediationen anbieten. Das betrifft v.a. Theater, die noch in der Rechtsform eines Eigen- oder Regiebetriebes der Stadt geführt und damit wie ein städtischer Versorgungsbetrieb behandelt werden. GmbH, Stiftungen oder Vereine sind als privatrechtlich organisierte Betriebe hierfür selbst verantwortlich. 
 
Personalentwicklung findet innerhalb der Theater bislang oft nur auf fachlicher Ebene statt, vor allem in technischen und Verwaltungsbereichen, und hat riesigen Nachholbedarf in den künstlerischen Bereichen. Im öffentlichen Dienst - zu dem alle Theater gehören - steht den Mitarbeiter:innen jedes Jahr jedoch ein anerkannter Bildungsurlaub[4] zu. Das wird in den Theatern nur äußerst selten genutzt, denn die dichten Produktionspläne und die hohen Arbeitsbelastungen lassen kaum zu, dass man jenseits der Spielzeitpause eine Woche für eine Fortbildung nutzt. Das ist zu kurz gedacht: Die Organisation würde davon mindestens ebenso profitieren wie die Fortgebildeten. Hinzu kommt, dass nur die wenigsten künstlerischen Mitarbeiter:innen in den Theatern wissen, dass es etwa Fortbildungen zu Resilienzbildung, Persönlichkeitsentwicklung, Kommunikation und Work-Life-Balance, aber auch Coaching-Möglichkeiten in Krisen gibt.
 
Recruiting und Entlassungen - letztere euphemistisch Nichtverlängerungen genannt - stellen ein eigenständiges Feld im Bereich der Personalentwicklung dar. Es ist kein Geheimnis, dass der Turn Around von Personal im Bereich der Theater so hoch wie kaum in einem anderen Typ von Organisation ist. Wie soll gute Personalentwicklung in einer Organisation betrieben werden, in der jedes Jahr 10 Prozent des Personals ausgetauscht werden und alle fünf Jahre sogar bis zu 30 Prozent davon betroffen sind, wenn ein Intendanzwechsel stattfindet? Eine Obergrenze ist mehr als nötig, die bei Intendanzwechseln keinesfalls mehr als 10 Prozent des künstlerischen Personal betreffen und sich ansonsten bei max. 5 Prozent einpegeln sollte. Auch wird geht es zukünftig darum gehen, die Tarifverträge aneinander anzugleichen und darin die unverhältnismäßig hohen Freiheitsgrade zu reduzieren, die den Theaterleitungen gewährt werden.
 
5) Diversitätsmanagement und Empowerment
Personalmanagement hat heute aber noch weitere, neue Dimensionen: Diversitätsmanagement beinhaltet die umfassende Bereitstellung von Ressourcen für eine diverse Entwicklung der Theater, Orchester und anderer Kulturorganisationen. Ein anderes Feld beinhaltet das aktive Empowerment der Ensembles und Künstler:innen, die in Seminaren, Workshops und Gruppen-Coachings aktiv an ihrer persönlichen und Ensemble-Identität arbeiten sollen. Damit können sie Aufgaben übernehmen, die sich später aus einer stärkeren Beteiligung an Leitungsaufgaben zwangsläufig ergeben. Im Prinzip geht es darum, dass das Ensemble künftig wieder zurückkehrt in das Zentrum des Theaters und aus diesem Zentrum mehr Verantwortung übernimmt und an der Leitung mit einem Sitz beteiligt wird.[5]
 
Dass das Feld des Empowerments dringend gestärkt werden muss, zeigen die Erfahrungen aus einem Empowermentprojekt. Im Kern habe ich Teile des Ensembles und der Personalvertretung beraten, die sich mit Unterstützung der Aufsichtsgremien erfolgreich von ihrem Intendanten trennen konnten. Dabei sollten neue Lösungsmöglichkeiten gefunden werden, damit der Übergang von einer Phase der Krise und Zerrissenheit in eine Phase der Heilung und Transformation gelingen kann. Ein prinzipiell sehr lobenswertes Vorhaben, wären die von einem Kollegium unterbreiteten Vorschläge für die Reform, die Reorganisation und den Übergang von der Kulturpolitik nach einiger Zeit nicht schlichtweg ignoriert worden. Stattdessen wurde mit Hilfe des Bühnenvereins ein Intendant aus dem Ruhestand reaktiviert, um genau die Verhältnisse einer zentralistisch-bürokratischen Leitung wieder zu restaurieren, die man erfolgreich abgelöst zu haben glaubte.
 
6) Findung und Leadership
Mit der Intendanz setzt schließlich das womöglich wichtigste Feld des Personalmanagements ein: Leadership. Dafür muss zunächst einmal eine geeignete Intendant:in gefunden werden. Zur Findung gehören idealtypisch: 
 
  • Die Bestimmung der Auswahlkriterien, 
  • psychologische Assessments, 
  • objektive Auswahlkommissionen mit Mitarbeiter:innen, 
  • objektive Information der Mitarbeiter:innen und der Öffentlichkeit über jeden einzelnen Verfahrensschritt bis zu den verhandelten Details.
Auswahlkriterien beziehen sich vor allem auf die vier großen Kompetenzbereiche, die bei den Kandidat:innen gleichermaßen ausgeprägt sein sollten. Dazu gehören neben kommunikativen vor allem soziale Kompetenzen, wie Team- und Delegationsfähigkeit, Empathie, Sensibilität und Ethisches Verhalten. Hinzu kommen Belastbarkeit, Resilienz, aber auch Ganzheitliches und Strategisches Denken. Im Bereich der Handlungskompetenzen geht es um den Einsatz vorhandener Leadership-Qualitäten, wie soziales Engagement, positives Denken, Lern- und Innovationsfähigkeit. Mit den Fachkompetenzen werden schließlich Management-Fähigkeiten, Beurteilungsvermögen und Konzeptionsstärke ins Spiel gebracht. Sind diese Kompetenzen nicht exzellent ausgeprägt und ausgewogen vorhanden, wird eine Kandidat:in nicht in der Lage sein, ein Haus unter heutigen Anforderungen zu leiten, weil die Spannungen von außen und innen wachsen. Diese Punkte sind allerdings nur in einem, von einem professionellen Beraterteam geleiteten, psychologischen Assessment tiefgründig genug überprüfbar, um daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, ob eine Kandidat:in heute in der Lage ist, der Tätigkeit einer Theater- oder auch Orchesterleiter:in inhaltlich und Kompetenz-seitig gewachsen zu sein. Allein auf fachlicher Expertise und Beziehungen begründete Intendanzen, deren einseitig auf künstlerische Erfolge fokussiertes Denken und Handeln zu strukturellen Asymmetrien führt und die jede Form von nachhaltiger Konzeption und ganzheitlichem künstlerischen Unternehmen verhindern, wird es dann nicht mehr geben. Stattdessen werden künstlerisch, sozial wie ethisch handelnde Theatermanager:innen gebraucht und gesucht.
 
Von den vier Kompetenzvoraussetzungen für eine objektive Wahl ist bislang noch keiner für Intendantenwahlen verbindlich gesetzt oder ansatzweise verankert. Der Begriff der Kompetenzen taucht nicht einmal annähernd auf. Wie Peter Drucker einmal anmerkte, besteht die größte Gefahr für ein modernes Management, wenn mit der "Logik von gestern" gehandelt wird. 
 
Fast überall hat stattdessen noch immer der Deutsche Bühnenverein als mächtiges, hybrides Institut aus Arbeitgeber- und Intendanten-Interessen seine Finger im Spiel. Dabei wird gerne ganz explizit über die Köpfe und Interessen von Mitarbeiter:innen hinweg entschieden, wie zuletzt im Fall der Besetzung eines Interims-Intendanten im Badischen Staatstheater Karlsruhe. Frustration in den Ensembles, Reformstau, ungelöste Probleme und Stillstand sind die immer wiederkehrenden Resultate. Die fehlende Distanz zwischen Arbeitgeber und angestelltem Intendanten zögert Entscheidungen zudem immer wieder weit hinaus, so dass Intendanten über die Schmerzgrenze hinaus bleiben dürfen. Während also ein Schauspieler mit 65 seine Nichtverlängerung bekommt, dürfen Intendanten oft noch zehn Jahre länger im Amt bleiben, zukunftsorientierten Teams die Aufstiegsmöglichkeiten versperren und damit die fehlenden Reformen verhindern. Bis der Bühnenverein sich nicht in seine zwei diversen Grundeinheiten - Theaterverband mit Intendanten und Geschäftsführer:innen und Arbeitgeberverband mit Politik - aufteilt und einzeln institutionalisiert, kann es keinen realen Progress in der Theaterlandschaft geben, so muss auch hier geschlussfolgert werden. Die sich wechselseitige Rückversicherung zwischen beiden Gruppen verhindert erfolgreich die fälligen Transformationsprozesse.
 
Eine moderne Personalmanagement-Abteilung könnte demnach so aussehen:
 
 
Hier schließt sich für jede Kulturmanager:in die Frage an, was für eine Leiter:in möchte ich sein? Welche Kompetenzen benötige ich, um Teil einer guten Leitung zu sein? Bin ich in der Lage im Team und 360° zu arbeiten, abzugeben und zu delegieren? Oder bin ich noch "der Logik von gestern" verpflichtet? 
 
Wie die Fragen schon andeuten, sind Fachwissen und Erfahrungen nur zwei Aspekte, die uns zu guten Leiter:innen machen. Es geht um Kompetenzen, die in speziellen Weiterbildungen erworben, weiterentwickelt und an die vorhandenen Rahmenbedingungen angepasst werden müssen. Zu diesen Kompetenzen gehört, dass eine gute Leiter:in immer Primus Inter Pares und niemals darauf aus ist, ihre Funktion bei jeder Gelegenheit auszustellen, um Mitarbeiter:innen "einzuschüchtern", ihre eigene künstlerische Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen oder um Außenstehende auf eine unangenehme Art und Weise zu beeindrucken. Drucker schreibt nicht umsonst, dass "Leader" Menschen sind, "die normalerweise nicht selbst über ihre Zeit verfügen, weil sie fortwährend andere dabei unterstützen, deren vordringliche Aufgaben zu lösen." Eine gute Leiter:in ist demnach eine "Minister:in" und damit - wie der Name sagt - erste Diener:in des Theaters und ihrer Menschen. Also muss die Frage gestellt werden, wer bereit ist, sich selbstlos in den Dienst des Theaters zu stellen. Ich gehe sogar davon aus, dass eine gute Theaterleiter:in Demut zeigen muss vor den Leistungen der Kolleg:innen, vor dem Theater und vor dem, was dort jeden Tag unter oft stressigen und anstrengenden Bedingungen geschaffen wird, um den Zuschauer:innen ein künstlerisch hochwertiges, zugleich unterhaltsames und bildendes Programm zu zeigen. 
 
Als neue Leiter:in im Sinne dieses Modells muss mich der Gedanke bewegen, wie ich damit umgehe, dass das Theater derzeit ein Ort ist, der innerhalb unserer Gesellschaft nur noch einen untergeordneten Platz innehat, und wie ich dazu beitragen kann, diesen Ort konzeptionell, strategisch oder operativ wieder von Innen heraus zum Leuchten zu bringen. Hierin ist das künstlerische sicher nur ein Teil, denn zuletzt hat der Fokus auf diesen Part des Theaters eher dazu geführt, dass vor allem junge Menschen - Zuschauer:innen wie auch Mitarbeiter:innen - gelangweilt dem Theater den Rücken zukehren. Wir müssen uns eingestehen, dass das, was uns in der Theaterblase gefällt, bei weitem nicht allen gefallen muss. Hinzu kommen das oftmals nicht tiefgründig aufbereitete Soziale und das Politische, die dringend konzeptionelle Teile eines Theaters der Zukunft werden müssen.
 
Präsent sein, aber die Mitarbeiter:innen nicht mit der eigenen Präsenz überfordern, hat sich bei den erfolgreichen Leiter:innen als großes Erfolgsrezept bewiesen. In den dabei entstehenden Freiräumen muss eine gute Leiter:in Innovationen ermöglichen, kreative Vorstöße begünstigen und immer wieder Grenzen dehnen und erweitern, wenn es gut für die Mitarbeiter:innen und die Organisation ist. Präsenz heißt auch, sich nicht zu verstecken vor den Mitarbeiter:innen, in die Konflikte gehen, lösungsorientiert und mit moderierender Kraft, sich der Kritik der Mitarbeiter:innen aussetzen. Es heißt auch, sich nicht hinter anderen verstecken, denen die "Verantwortung" zugeschoben wird und die zur Ehrrettung nicht selten öffentlich "geopfert" werden. Präsent sein heißt aber vor allem, sich intensiv um ausnahmslos alle Mitarbeiter:innen, ihre Belange, Themen und Probleme zu kümmern, und nicht, diejenigen fallen zu lassen, die nicht mehr ins Konzept passen oder ihre Höchstleistungen gerade nicht abrufen können. Wenn ich mich wirklich an meiner Rolle als erste Diener:in des Theaters messen lassen möchte, dann geht es nicht darum, die Nichtverlängerungsklinge bei jeder unbequemen Person disziplinierend aufblitzen zu lassen. Ich muss mich selbst befragen, welche Verantwortung ich hier als Leader der Organisation übernehmen muss, und ob nicht ich meine "Lieblinge" zu sehr gefördert, und alle anderen aber unzulässig vernachlässigt habe. Und zwar so sehr, dass mein Vorstellungsvermögen und meine Kraft, mit ihnen zu arbeiten, nicht mehr ausreichen. Ungerechtigkeit und Unwahrheit können unmöglich das Emblem eines modernen Personalmanagements sein, noch das eines Theaters der Zukunft.  
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im August 2021 im Kultur Management Network Magazin Nr. 161: "Personalentwicklung".
 
Fußnoten
 
[1] Vgl. Schmidt, Thomas (2019): Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht. Wiesbaden Springer VS.
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. ebd.
[4] In Entsprechung zu den jeweils "geltenden Ländergesetzen haben alle Arbeitsnehmer/-innen einen Rechtsanspruch auf Bildungsurlaub unter Fortzahlung der Bezüge" (Bildungsportal 2021).
[5] Vgl. Schmidt, Thomas (2017): Theater, Krise und Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems. Wiesbaden Springer VS.

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