16.04.2021
Themenreihe klimafreundlich
Autor*in
Jacob Sylvester Bilabel
ist Leiter des Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit in Kultur und Medien. Seit 2016 ist er Geschäftsführer des gemeinnützigen Projektträgers Delta1 in Berlin. Er ist Mitglied des Ausschusses für die Kreativwirtschaft der IHK Berlin, berufener Experte des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes und hielt Lehraufträge an der Popakademie Baden-Württemberg, der Steinbeis Hochschule Berlin und der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde.
Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb umsetzen
Die Brücke vom Wissen zum Handeln bauen
Will der Kulturbetrieb auch in Zukunft bestehen, müssen er und seine Akteur*innen dazu beitragen, Klimaziele einzuhalten und zu erreichen. Warum das überhaupt wichtig ist, wie es gelingen kann und wieso die spartenübergreifende Vernetzung dabei unabdingbar ist, erklärt Jacob Sylvester Bilabel, Leiter des Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit in Kultur und Medien.
Themenreihe klimafreundlich
KMN: Lieber Herr Bilabel, seit September 2020 gibt es das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit für Kultur und Medien, das sie seitdem leiten. Worum geht es dabei?
Jacob Sylvester Bilabel: Das Aktionsnetzwerk ist eine spartenübergreifende Anlaufstelle für das Thema Betriebsökologie im Bereich Kultur und Medien. Gefördert werden wir von der Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien, weshalb wir "Kultur und Medien" länderübergreifend als einen gemeinsamen Sektor betrachten, denn das Querschnitts-Thema Nachhaltigkeit geht hier alle etwas an. Dabei wird vor allem deutlich, dass die Fragen der Betriebsökologie1, um die es uns geht, für alle Kultureinrichtungen gleich sind: Eine Theaterbühne ist genauso wie eine Opernbühne und ein Museum braucht genauso Lüftungen und Kühlsysteme wie eine Bibliothek. Entsprechend breit aufgestellt sind dabei unsere ersten zwölf Partner*innen: Dazu zählen beispielsweise der Bundesverband Freie Darstellenden Künste, die IHK Köln, der Deutsche Bühnenverein, die documenta sowie die EnergieAgentur.NRW. Wir hoffen, dass in diesem Jahr noch weitere dazukommen und wir auf 25 bis 30 wachsen. Sie alle eint dabei die Aktion: Sie bringen jeweils ein Pilotprojekt ein, in dem sie sich mit dem Thema Nachhaltigkeit in ihrer Institution, ihrem Unternehmen oder ihrer Initiative mehr auseinandersetzen. Unser Ziel ist, gemeinsam in den nächsten Jahren die Brücke vom Wissen zum Handeln bauen.
KMN: Was bedeutet das in der konkreten Umsetzung?
JSB: Wir alle haben ein großes Problembewusstsein um die Herausforderungen der Nachhaltigkeit - wir wissen also, was wir nicht mehr sollen, und vermuten, was wir in Zukunft machen müssen, um diese weiterhin lebenswert zu gestalten. Dazu kommt das große Gefühl, dass das alles zu einem Wettlauf gegen die Zeit werden könnte. Und jetzt geht es darum, ins Handeln kommen: Auszuprobieren, was funktioniert und was nicht, was es kostet, wer einem dabei helfen kann und welche Rahmenbedingungen wir brauchen, damit wir die europäischen und die nationalen Ziele des Green Deals erreichen können. Dabei haben sich die europäischen Mitgliedstaaten darauf geeinigt, ihre CO2-Emissionen bis ins Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu reduzieren. Davon sind wir noch weit entfernt.
KMN: Warum ist das für die Kultur spannend?
JSB: Der Green Deal beschreibt zum ersten Mal dezidiert, dass der Kulturbetrieb, seine Institutionen sowie die handelnden Akteur*innen einen maßgeblichen Anteil am Erreichen dieser Ziele haben. Damit geht zum einen eine gewisse Verantwortung einher, sich in den nächsten zehn Jahren an diesen Zielen messen zu lassen, die eigenen Emissionen zu reduzieren. Zu gleichen Teilen entstehen dazu Förderprogramme, die die handelnden Akteur*innen dabei unterstützen.
KMN: Welche Formen der Unterstützung gibt es bereits, insbesondere mit Blick auf die Kulturpolitik und die jeweiligen Verbände, für den deutschsprachigen Kulturbetrieb?
JSB: Es gibt zum Beispiel sehr viele Energieeffizienzprogramme des Bundeswirtschaftsministeriums, wobei kleine bis mittlere Unternehmen unterstützt werden, energieeffiziente Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Fakt ist aber, dass diese Programme aus dem kulturellen Sektor zu wenig abgerufen werden. Das Hauptproblem ist in meinen Augen, dass Kulturschaffende ein anderes Kerngeschäft haben. Einen Antrag beim BMWi für eine Energieeffizienzmaßnahme zu stellen, liegt nicht in diesem Kern und entsprechend fehlt dafür das Wissen. Solche energetischen Sanierungen von Gebäuden werden in der Regel nicht von den klassischen Kulturförderinstitutionen abgebildet, dafür sind andere Ministerien und Institutionen zuständig. Aus dem Grund bieten wir im Aktionsnetzwerk Fort- und Weiterbildungen an, die sich genau damit beschäftigen: Wie komme ich als handelnde*r Akteur*in an diese Finanzierungsquellen?
KMN: Wie sieht das denn auf europäischer Ebene aus? Wo gibt es da Entwicklungen im Kulturbereich, bei denen wir uns etwas abschauen können?
JSB: Ein Beispiel, das ich immer gerne nenne, ist Großbritannien. Dort ist die Kulturlandschaft ein bisschen anders organisiert. Da gibt es den Arts Council als zentrale Förderinstitution von Kultur und Medien. Wer sich dort um eine Förderung bewirbt, wird aufgefordert, für die jeweilige Produktion auch eine Klimabilanz zu erstellen und sich mit dieser umfassend auseinanderzusetzen: Sie zu verstehen, dazu Maßnahmen zu planen und umzusetzen, um den Fußabdruck perspektivisch zu reduzieren. Dabei werden die Institutionen aber maßgeblich unterstützt. Das ist also nicht nur eine Pflicht, sondern der Arts Council bietet mit verschiedenen Partnerinstitutionen etwa Workshopreihen an. Zudem gibt es einen zentralen CO2-Rechner, der den Einrichtungen kostenfrei zur Verfügung steht.
KMN: Wie sieht es mit einem solchen Rechner in Deutschland aus?
JSB: Einen solchen Rechner brauchen wir hier natürlich dringend. Denn aktuell wissen wir gar nicht, was der kulturelle Sektor derzeit verbraucht - ganz zu schweigen von der prozentualen Verteilung auf die einzelnen Sparten. Dieses Wissen brauchen wir aber unbedingt, um klar zu machen, wo wir aktuell stehen. Aus diesem Grund entwickeln wir gerade mit verschiedenen Partner*innen ein solches Rechnerangebot, um das dem kulturellen Sektor umsonst zur Verfügung zu stellen.
KMN: Wie kann man da ein besseres Bewusstsein schaffen? Reicht es, wenn die jeweiligen Verbände einfach noch mehr auf die Notwendigkeit hinweisen?
JSB: Das ist eine schwierige Frage. Ich würde immer sagen, dass Verbände viele Aufgaben haben - und eine davon könnte diese sein. In der Vergangenheit hat man aber gemerkt, dass einzelne Akteur*innen als Pionier*innen das auch selbständig hinbekommen. Das ist keine Raketenwissenschaft und es wäre umso effizienter, das in einer größeren Gruppe anzugehen. Wobei die Pionier*innen hier auch als Expert*innen zu Rate gezogen werden sollten, damit das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muss.
KMN: Außerhalb der öffentlich geförderten Kulturlandschaft gibt es schon länger Kulturakteur*innen, die mit verschiedenen Aktionen versuchen, die Emissionen ihres kulturellen Angebots zu reduzieren - sei es im Catering, der Energieversorgung oder der Mobilität. Wo können sich öffentliche Kultureinrichtungen hierbei etwas abschauen? Und warum fällt es ihnen bisher so schwer, das selbst umzusetzen?
JSB: Da kann man sich eine ganze Menge abschauen, denn auch hier ist die Betriebsökologie ähnlich: Wenn man es beispielsweise schafft, bei einem populären Festival 85.000 Menschen möglichst emissionsarm auf die Festivalwiese und wieder zurückzubekommen, kann man davon für ein Opernfestival sehr viel ableiten. Diese Brücken zu bauen und eine entsprechende Übersetzungsarbeit zu leisten, ist eine große Herausforderung, der wir uns im Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit annehmen.
Daran anknüpfend müssen wir uns natürlich auch überlegen, wie wir dieses Wissen an die neue Generation von Kulturmanager*innen vermittelt bekommen. Wer jetzt gerade in diesem oder angrenzenden Bereich ausgebildet wird oder aktuell in den Beruf startet, müsste diese Themen eigentlich draufhaben. Schaut man in die Curricula der Studiengänge, findet man dazu bisher nichts. Das ist absolut erschreckend! Ich werde zwar immer wieder für Vorträge zu dem Thema eingeladen und die Rückmeldungen dazu sind durchweg positiv - aber mit einem Vortrag allein bildet man niemanden umfassend aus. Das halte ich für sehr fahrlässig, das muss sich ändern. Zumal diese junge Generation schon ein großes Bewusstsein und Interesse an dem Thema hat und den Wunsch, es entsprechend zu adressieren - ohne die Angst zu haben, dass eine klimaneutralere Kultureinrichtung Verzicht auf ganzer Linie bedeutet. Sie wissen bereits, dass dafür nicht der komplette Tourbetrieb eingestellt werden muss oder es keine schönen Bühnenbilder mehr geben kann. Das sind Sorgen, mit denen viele der aktuell tätigen Kulturschaffenden an uns herantreten.
KMN: Wie entgegnen Sie solchen Aussagen?
JSB: Dass es darum nicht geht. Sondern darum, so schnell wie möglich schlaue und effiziente wie phantasievolle Innovationen auszuprobieren und umzusetzen. Und das ist einer der großen Vorteile unserer heutigen Zeit - denn wir befinden uns bei diesem Thema aktuell in der Phase der Pre-Compliance. Es gibt noch keine Gesetzeslage dazu, woraus sich für Kulturschaffende die Chance ergibt, dieses Gesetz mitzugestalten - auf Basis ihrer Erfahrungswerte und dem, was damit verbunden möglich ist. Jetzt ist es noch freiwillig.
Aber dieses Thema kommt näher. Um es ganz hart zu sagen: Wenn ich heute in ein Museum 20 Millionen Steuergelder investieren würde, würde ich verlangen, dass dieses Investment in einer Art und Weise verwendet wird, die dem Klima möglichst wenig schadet. Es sind Steuergelder - und ich habe den Auftrag, diese im Sinne der Allgemeinheit zu verwenden. Entsprechend kann ich nicht verstehen, wie Leiter*innen solcher Institutionen noch immer nicht alles probieren, um zu verstehen, wie sie damit in Zukunft umgehen müssen. Wir können nicht noch länger warten - es sind nur noch zehn Jahre bis wir 2030 mindestens 55% unserer Emissionen reduziert haben müssen. Weitere fünf Jahre nichts zu machen und erst dann nach den Emissionen zu fragen, geht nicht. Wer sich bis dahin noch keine Gedanken gemacht hat, wird ein verdammt großes Problem bekommen. Ohne Umweltstrategie wird beispielsweise niemand mehr ein Festival genehmigt bekommen. Man wird Probleme bekommen, wenn man mit Steuergeldern Austellungseröffnungen, Theater- oder Opernproduktionen umsetzen will, ohne sich dabei mit seiner Klimabilanz zu befassen.
KMN: Inwieweit wird sich die Beschäftigung damit auch auf den Imagefaktor der Kulturanbieter auswirken?
JSB: Auch für die Besucher*innenattraktivität der nächsten Generation wird das eine immense Rolle spielen. Aber ich glaube, in den Einrichtungen der Hochkultur - oder nennen wir es E-Kultur, um das Wertende etwas rauszunehmen - hat man teilweise über Jahrzehnte eine Insel der Seligkeiten geschaffen. Dabei hat man gesellschaftliche Entwicklungen zwar auch als für sich relevant wahrgenommen, aber nur, um sich damit künstlerisch auseinanderzusetzen. Und eben nicht operativ. Dabei sind erstarrte und innovationsfeindliche Strukturen entstanden.
Im gleichen Moment - und deswegen bin ich da dennoch weiterhin optimistisch - kommen junge Menschen in verantwortliche Positionen, die das ganz anders sehen: Wir bekommen jede Woche mehrere Anrufe von Kulturschaffenden, die auf eine neue Position kommen, bestenfalls ein junges Team hinter sich haben, mit dem sie dieses Thema angehen wollen, und uns fragen, wie sie das am besten machen können. Das ist bisher nur ein Bruchteil, aber auch das wird sich in Zukunft ändern. Das, was wir jetzt sehen, ist ein altes System, und ich mache da niemandem einen Vorwurf, dass sich des Themas nicht schon vor zehn Jahren angenommen wurde. Der gesellschaftliche Konsens hat sich erst in den letzten Jahren dahingehend geändert. Aktuell ist es ein Differenzierungsmerkmal, weil sie es noch nicht müssen. Aber ich rate allen, sich strategisch schon jetzt mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, denn in wenigen Jahren werden sie es müssen.
Ich persönlich finde es unfair, dass die, die sich heute damit beschäftigen - und das auf eigene Kosten, eigenem Aufwand, mit eigenen Ressourcen - schlechter gestellt sind als jene, die sich gar nicht darum kümmern. Da stimmt irgendwas nicht. Es kann nicht sein, dass ein Theater, das sich keine Gedanken darüber macht, wie es mit der Energie umgeht, wie es touren will und welche Stücke es zeigt, bessergestellt ist.
KMN: Zumal die Beschäftigung mit Themen der Nachhaltigkeit für Kultureinrichtungen und ihre Akteur*innen auch Chancen eröffnet, oder?
JSB: Ja! Der kulturelle Sektor hat gerade die große Chance, sich mit all seiner Fantasie und Kreationskraft, all seinem Wahnsinn und Feingefühl an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu beteiligen. Und das kann eine schöne Aufgabe sein, die man gemeinsam angeht. Diese Idee, dass "Nachhaltigkeit" immer nur "Verzicht" oder "eine Welt voller Verbote" bedeutet, ist Quatsch. Um damit endlich aufzuräumen, hat die Kultur die große Chance, als Gegenentwurf eine Utopiewelt zu bauen. Dafür müssen Kunst- und Kulturschaffende die Frage stellen: In welcher Welt wollen wir leben? Aus meiner Sicht ist das die vorherrschende Aufgabe von Kultur und Medien, diese Frage zu stellen und mögliche Antworten zu liefern. Dabei müssen natürlich auch Dystopien beleuchtet werden, um zu sagen, wie wir es nicht wollen. Aber eben auch Utopien. Stellen Sie sich vor, wir würden dieses wunderbare Kulturerlebnis, also das gemeinschaftliche Erleben einer Vision, klimaverträglich, nachhaltig, zukunftsfähig machen, sodass wir sagen können: "Wow, etwas so Schönes, etwas so Wunderbares schaffen wir mit weniger Energie, mit weniger Müll, mit weniger Zerstörung!" Damit würde man einen so tollen gemeinschaftlichen Moment schaffen, der nur durch die Kultur möglich ist - insbesondere in seiner Ästhetik. Solaranlagen oder Batteriespeicher werden die Betrachtenden wahrscheinlich nicht annähernd so bewegen. Entsprechend beneiden alle anderen Branchen die Kultur genau darum. Das ist ein tolles Signal. Darum würde ich immer werben: Um diese lustvolle Sehnsucht nach einer Welt, die für alle funktioniert, zu identifizieren und zu realisieren.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Ökologischer Fußabdruck".
JSB: Einen solchen Rechner brauchen wir hier natürlich dringend. Denn aktuell wissen wir gar nicht, was der kulturelle Sektor derzeit verbraucht - ganz zu schweigen von der prozentualen Verteilung auf die einzelnen Sparten. Dieses Wissen brauchen wir aber unbedingt, um klar zu machen, wo wir aktuell stehen. Aus diesem Grund entwickeln wir gerade mit verschiedenen Partner*innen ein solches Rechnerangebot, um das dem kulturellen Sektor umsonst zur Verfügung zu stellen.
KMN: Wie kann man da ein besseres Bewusstsein schaffen? Reicht es, wenn die jeweiligen Verbände einfach noch mehr auf die Notwendigkeit hinweisen?
JSB: Das ist eine schwierige Frage. Ich würde immer sagen, dass Verbände viele Aufgaben haben - und eine davon könnte diese sein. In der Vergangenheit hat man aber gemerkt, dass einzelne Akteur*innen als Pionier*innen das auch selbständig hinbekommen. Das ist keine Raketenwissenschaft und es wäre umso effizienter, das in einer größeren Gruppe anzugehen. Wobei die Pionier*innen hier auch als Expert*innen zu Rate gezogen werden sollten, damit das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muss.
KMN: Außerhalb der öffentlich geförderten Kulturlandschaft gibt es schon länger Kulturakteur*innen, die mit verschiedenen Aktionen versuchen, die Emissionen ihres kulturellen Angebots zu reduzieren - sei es im Catering, der Energieversorgung oder der Mobilität. Wo können sich öffentliche Kultureinrichtungen hierbei etwas abschauen? Und warum fällt es ihnen bisher so schwer, das selbst umzusetzen?
JSB: Da kann man sich eine ganze Menge abschauen, denn auch hier ist die Betriebsökologie ähnlich: Wenn man es beispielsweise schafft, bei einem populären Festival 85.000 Menschen möglichst emissionsarm auf die Festivalwiese und wieder zurückzubekommen, kann man davon für ein Opernfestival sehr viel ableiten. Diese Brücken zu bauen und eine entsprechende Übersetzungsarbeit zu leisten, ist eine große Herausforderung, der wir uns im Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit annehmen.
Daran anknüpfend müssen wir uns natürlich auch überlegen, wie wir dieses Wissen an die neue Generation von Kulturmanager*innen vermittelt bekommen. Wer jetzt gerade in diesem oder angrenzenden Bereich ausgebildet wird oder aktuell in den Beruf startet, müsste diese Themen eigentlich draufhaben. Schaut man in die Curricula der Studiengänge, findet man dazu bisher nichts. Das ist absolut erschreckend! Ich werde zwar immer wieder für Vorträge zu dem Thema eingeladen und die Rückmeldungen dazu sind durchweg positiv - aber mit einem Vortrag allein bildet man niemanden umfassend aus. Das halte ich für sehr fahrlässig, das muss sich ändern. Zumal diese junge Generation schon ein großes Bewusstsein und Interesse an dem Thema hat und den Wunsch, es entsprechend zu adressieren - ohne die Angst zu haben, dass eine klimaneutralere Kultureinrichtung Verzicht auf ganzer Linie bedeutet. Sie wissen bereits, dass dafür nicht der komplette Tourbetrieb eingestellt werden muss oder es keine schönen Bühnenbilder mehr geben kann. Das sind Sorgen, mit denen viele der aktuell tätigen Kulturschaffenden an uns herantreten.
KMN: Wie entgegnen Sie solchen Aussagen?
JSB: Dass es darum nicht geht. Sondern darum, so schnell wie möglich schlaue und effiziente wie phantasievolle Innovationen auszuprobieren und umzusetzen. Und das ist einer der großen Vorteile unserer heutigen Zeit - denn wir befinden uns bei diesem Thema aktuell in der Phase der Pre-Compliance. Es gibt noch keine Gesetzeslage dazu, woraus sich für Kulturschaffende die Chance ergibt, dieses Gesetz mitzugestalten - auf Basis ihrer Erfahrungswerte und dem, was damit verbunden möglich ist. Jetzt ist es noch freiwillig.
Aber dieses Thema kommt näher. Um es ganz hart zu sagen: Wenn ich heute in ein Museum 20 Millionen Steuergelder investieren würde, würde ich verlangen, dass dieses Investment in einer Art und Weise verwendet wird, die dem Klima möglichst wenig schadet. Es sind Steuergelder - und ich habe den Auftrag, diese im Sinne der Allgemeinheit zu verwenden. Entsprechend kann ich nicht verstehen, wie Leiter*innen solcher Institutionen noch immer nicht alles probieren, um zu verstehen, wie sie damit in Zukunft umgehen müssen. Wir können nicht noch länger warten - es sind nur noch zehn Jahre bis wir 2030 mindestens 55% unserer Emissionen reduziert haben müssen. Weitere fünf Jahre nichts zu machen und erst dann nach den Emissionen zu fragen, geht nicht. Wer sich bis dahin noch keine Gedanken gemacht hat, wird ein verdammt großes Problem bekommen. Ohne Umweltstrategie wird beispielsweise niemand mehr ein Festival genehmigt bekommen. Man wird Probleme bekommen, wenn man mit Steuergeldern Austellungseröffnungen, Theater- oder Opernproduktionen umsetzen will, ohne sich dabei mit seiner Klimabilanz zu befassen.
KMN: Inwieweit wird sich die Beschäftigung damit auch auf den Imagefaktor der Kulturanbieter auswirken?
JSB: Auch für die Besucher*innenattraktivität der nächsten Generation wird das eine immense Rolle spielen. Aber ich glaube, in den Einrichtungen der Hochkultur - oder nennen wir es E-Kultur, um das Wertende etwas rauszunehmen - hat man teilweise über Jahrzehnte eine Insel der Seligkeiten geschaffen. Dabei hat man gesellschaftliche Entwicklungen zwar auch als für sich relevant wahrgenommen, aber nur, um sich damit künstlerisch auseinanderzusetzen. Und eben nicht operativ. Dabei sind erstarrte und innovationsfeindliche Strukturen entstanden.
Im gleichen Moment - und deswegen bin ich da dennoch weiterhin optimistisch - kommen junge Menschen in verantwortliche Positionen, die das ganz anders sehen: Wir bekommen jede Woche mehrere Anrufe von Kulturschaffenden, die auf eine neue Position kommen, bestenfalls ein junges Team hinter sich haben, mit dem sie dieses Thema angehen wollen, und uns fragen, wie sie das am besten machen können. Das ist bisher nur ein Bruchteil, aber auch das wird sich in Zukunft ändern. Das, was wir jetzt sehen, ist ein altes System, und ich mache da niemandem einen Vorwurf, dass sich des Themas nicht schon vor zehn Jahren angenommen wurde. Der gesellschaftliche Konsens hat sich erst in den letzten Jahren dahingehend geändert. Aktuell ist es ein Differenzierungsmerkmal, weil sie es noch nicht müssen. Aber ich rate allen, sich strategisch schon jetzt mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, denn in wenigen Jahren werden sie es müssen.
Ich persönlich finde es unfair, dass die, die sich heute damit beschäftigen - und das auf eigene Kosten, eigenem Aufwand, mit eigenen Ressourcen - schlechter gestellt sind als jene, die sich gar nicht darum kümmern. Da stimmt irgendwas nicht. Es kann nicht sein, dass ein Theater, das sich keine Gedanken darüber macht, wie es mit der Energie umgeht, wie es touren will und welche Stücke es zeigt, bessergestellt ist.
KMN: Zumal die Beschäftigung mit Themen der Nachhaltigkeit für Kultureinrichtungen und ihre Akteur*innen auch Chancen eröffnet, oder?
JSB: Ja! Der kulturelle Sektor hat gerade die große Chance, sich mit all seiner Fantasie und Kreationskraft, all seinem Wahnsinn und Feingefühl an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu beteiligen. Und das kann eine schöne Aufgabe sein, die man gemeinsam angeht. Diese Idee, dass "Nachhaltigkeit" immer nur "Verzicht" oder "eine Welt voller Verbote" bedeutet, ist Quatsch. Um damit endlich aufzuräumen, hat die Kultur die große Chance, als Gegenentwurf eine Utopiewelt zu bauen. Dafür müssen Kunst- und Kulturschaffende die Frage stellen: In welcher Welt wollen wir leben? Aus meiner Sicht ist das die vorherrschende Aufgabe von Kultur und Medien, diese Frage zu stellen und mögliche Antworten zu liefern. Dabei müssen natürlich auch Dystopien beleuchtet werden, um zu sagen, wie wir es nicht wollen. Aber eben auch Utopien. Stellen Sie sich vor, wir würden dieses wunderbare Kulturerlebnis, also das gemeinschaftliche Erleben einer Vision, klimaverträglich, nachhaltig, zukunftsfähig machen, sodass wir sagen können: "Wow, etwas so Schönes, etwas so Wunderbares schaffen wir mit weniger Energie, mit weniger Müll, mit weniger Zerstörung!" Damit würde man einen so tollen gemeinschaftlichen Moment schaffen, der nur durch die Kultur möglich ist - insbesondere in seiner Ästhetik. Solaranlagen oder Batteriespeicher werden die Betrachtenden wahrscheinlich nicht annähernd so bewegen. Entsprechend beneiden alle anderen Branchen die Kultur genau darum. Das ist ein tolles Signal. Darum würde ich immer werben: Um diese lustvolle Sehnsucht nach einer Welt, die für alle funktioniert, zu identifizieren und zu realisieren.
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