13.02.2019

Autor*in

Tamara Badr
ist am Institut für Kulturkonzepte als Leiterin des Lehrgangsmanagements und stellvertretende Lehrgangsleitung für Kulturvermittlung tätig. Ihre ersten Erfahrungen im Kulturbereich sammelte sie durch diverse Praktika, freie Kulturvermittlungsprojekte und als Kulturvermittlerin im Volkskundemuseum Wien.
Rückblick Internationales Symposium Kulturvermittlung 2019

Kulturvermittlung ohne Grenzen denken

Stellen Sie sich vor, Ihrem Denken und Ihren Ideen wären keine Grenzen gesetzt. Sie könnten Ihren Arbeitsbereich losgelöst vom Alltäglichen über- beziehungsweise neu denken. Dieser so wichtigen Aufgabe stellten sich alle jene, die der Einladung zum 4. Internationalen Symposium Kulturvermittlung folgten. Unter dem Motto "What if?" wurde Raum geboten, um Luftschlösser zu bauen, aktuelle Herausforderungen zu beleuchten und den Begriff Kulturvermittlung gemeinsam zu reflektieren.
Kulturvermittlung neu denken
 
Am 25. und 26. Januar 2019 lud die NÖKU-Kulturvermittlung gemeinsam mit dem Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim nach St. Pölten ein, um über das Verständnis von Kultur, den Umgang mit diesem Begriff und mögliche Umdenkprozesse in der Vermittlungsarbeit nachzudenken. Die Frage nach möglichen Perspektivenwechseln öffnete während der Tagung sowohl durch Vorträge als auch in partizipativen Workshops den Raum für Gedankenaustausch und neue Ideen.
 
Birgit Mandel (Universität Hildesheim) bildete mit ihrem Vortrag zum Thema "Kanon, Codes und Re-Kodierung" den Auftakt. Sie zeigte, dass sich im Laufe der letzten Jahre die Arbeit der VermittlerInnen von einer reinen Service-Einheit zu einem zentralen Faktor für Veränderungsprozesse in Institutionen entwickelt hat. Das Berufsbild für Kulturvermittlung, wie es der Österreichische Verband der KulturvermittlerInnen definiert, erklärt beispielsweise, dass VermittlerInnen unter anderem inkludierende Bildungs- und Kommunikationsprozesse initiieren und Räume zur kritischen Auseinandersetzung musealer und gesellschaftspolitischer Fragestellungen schaffen.
 
Diese Weiterentwicklung verlangt nach einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun. Fragen wie "Wer bestimmt über wen?", "Wer spricht für wen?" und "Welcher Kanonen, welche Codes werden vermittelt?" müssen gemeinsam - das heißt VermittlerInnen zusammen mit den Einrichtungen - reflektiert werden. Denkprozesse dieser Art sind wichtig, um intern wie extern Gemeinschaft zu stiften, Exklusionsprozesse zu verhindern sowie mit neuen PartnerInnen zu arbeiten, um außerhalb der eigenen Blase zu denken. Für Kulturinstitutionen ist es notwendig, ihr Leitbild zu prüfen und gegebenenfalls ein neues zu schaffen. Mandel empfiehlt dafür unter anderem den Denkansatz von Ray Oldenburg, Kultureinrichtungen als Orte mit besonderer Symbolik zu sehen, die nicht kommerziell aufgeladen und zeitgleich niederschwellig sind. Sie dienen BesucherInnen als Orte zum Verweilen, als ein "home away from home".
 
Um jedoch eine solche Veränderung von Denkprozessen in Bezug auf Kanon und Codes angehen zu können, muss zuerst die Haltung des Publikums gegenüber Kunst und Kultur verstanden werden. Diese setzt sich laut Patrick Glogner-Pilz (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) aus Faktoren wie Ausbildungssozialisation, Berufspraxis, Alter sowie Generation zusammen. In seiner theoretisch-empirischen Forschung fokussiert er sich auf die beiden letztgenannten Faktoren und unterteilt seine Studie in "bis 1981 Geborene" und "ab 1981 Geborene". Demnach sind bei der jüngeren Gruppe Subjektivität und Selbstverwirklichung mit größerer Bedeutung besetzt als bei der Vorgängergruppe, jedoch spielt der "kulturelle Bestand" - also Kanons oder etwa Einrichtungen der Hochkultur - für sie eine vergleichsweise geringere Rolle. Sie sehen den Begriff der Kultur offener und empfinden weniger Grenzen für Kulturvermittlung im Sinne der neuen Kulturpolitik. Trotzdem kann die Veränderung nicht eindeutig als Generationswechsel identifiziert werden, dieser Aspekt sollte aber bei der Vermittlung im Hinterkopf behalten werden. Eindeutig zeigt sich: Je jünger das Publikum, umso größer der Wunsch nach Partizipation.
 
Change Management als neues Feld für Kulturvermittlung
 
Bei dem Prozess "Kulturvermittlung neu denken" gaben Anna Zosik (Kulturstiftung des Bundes) und Sebastian Linz (ARGE Kultur Salzburg) einen hilfreichen Anstoß, um den Begriff der Vermittlung größer zu sehen. Sie erlaubten den Symposiumsgästen einen Einblick in ihren Arbeitsalltag inklusive der Herausforderungen, mit denen sie täglich konfrontiert sind. Dabei ist das Personal eine besonders große Aufgabe, denn Change Management ist für Kulturinstitutionen ein zunehmend wichtiger Faktor, um neue Wege zu beschreiten, und dafür braucht es Menschen, die sich gut mit Vermittlungsprozessen auskennen.
 
Ein interessantes Beispiel, wie das umgesetzt werden kann, ist Zosiks Projekt "360°". Gefördert von der deutschen Kulturstiftung des Bundes, werden dabei sogenannte "AgentInnen" ausgebildet, die für maximal vier Jahre in Kulturinstitutionen hineingehen und gemeinsam mit ihnen Vorschläge und Maßnahmen erarbeiten, um einen Beitrag zu einer selbstbewussten und offenen Gesellschaft zu stiften. Auch für Sebastian Linz als künstlerischer Leiter ist Change Management eine wichtige Aufgabe, die eng mit Vermittlung verknüpft ist. Da Kulturvermittlung die Aufgabe hat, neue Personengruppen in ihre Arbeit miteinzubeziehen und Raum für zwischenmenschliche Begegnungen zu schaffen, kennen die VermittlerInnen das Publikum oftoft besser als künstlerische oder wissenschaftliche LeiterInnen, obwohl diese über die Programme für das Publikum entscheiden. Den Vorteil der VermittlerInnen sollten Institutionen deshalb nutzen und sie in weitere Bereiche inkludieren.
 
Kulturvermittlung auf Augenhöhe
 
Immer mehr Institutionen stellen sich die Frage, wie man in einer pluralen Gesellschaft alle gleichermaßen inkludieren und ihnen auf Augenhöhe begegnen kann. Eric Sons (Northern Business School Hamburg) gab mit seiner Ideenskizze "Neuer Materialismus, Kunst und reflexive Kulturvermittlung" einen spannenden Reflexionsanstoß dazu. Er schlug den Anwesenden vor, Subjekte und Objekte nicht als etwas Vollendetes zu sehen, sondern als etwas, was ständig hergestellt werden muss. Daher sollten in der Vermittlungsarbeit Gegenstände und Menschen gleichermaßen offener gedacht und bewusst mit Symmetriesystemen gebrochen werden. Die Vermittlung kann sich dadurch alle Entitäten bewusst machen, sich folglich weniger auf einzelne Subjekte konzentrieren und neue Konstellationen bilden. Sons ermutigte zur bewussten Verwerfung von ausgeklügelten Vermittlungskonzepten, damit die einzelnen Menschen eigene Erfahrungen machen können. KulturvermittlerInnen sollten seiner Meinung nach als SchnittstellenmanagerInnen fungieren, die vielfache soziale und materiell-diskursive Vermittlungsarbeit leisten.
 
Dass ein solches Überdenken des wichtig ist, stellt auch Christiane Dätsch (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) anhand des Themas "Shared Heritage" fest. Heutzutage sind immer mehr Museen mit der Frage konfrontiert, wie sie mit Objekten aus der Kolonialzeit umgehen, über diese reden und sie beleuchten wollen. Das ist nicht einfach zu beantworten, benötigt Feingefühl und Diskussionsraum. Vor allem stellt sich die Frage, wessen Geschichte wie erzählt wird und warum für manche Geschichten kein Platz im musealen Rahmen ist. Für die Vermittlung bedeutet das, auf diese Unverhältnismäßigkeiten einzugehen, Diskussionen anzuregen und Raum für Menschen zu schaffen, die normalerweise keine Möglichkeit hätten, ihre Perspektive einzubringen.
 
Ausstellung, Programmplanung und Vermittlung sind also Aufgaben, die nicht voneinander getrennt werden sollten. Und obwohl das Symposium aufzeigte, dass VermittlerInnen heute weit mehr sind als nur "KulturerklärerInnen" und auch entsprechend in die Institutionen eingebunden werden sollten, wurde kaum auf ihre Arbeitsbedingungen eingegangen.
 
Mut zum Risiko
 
Mit den Worten "Mut zum Risiko" erinnerte Elisabeth Schäfer (Universität Wien) abschließend daran, dass es gut ist, manchmal einfach ins kalte Wasser zu springen. Vermittlungsarbeit ist nichts Determiniertes, sie entwickelt sich ständig weiter. Was sich im Rahmen des Symposiums klar gezeigt hat, ist, dass die Anforderungen an das Berufsbild KulturvermittlerIn immer komplexer werden. Daher ist eine ständige Auseinandersetzung mit und Repositionierung zu wissenschaftlichen, gesellschaftspolitischen und künstlerischen Fragestellungen notwendig. Die Grenzen des Kulturbegriffs werden immer weiter. VermittlerInnen sollten diesen Prozess nicht nur begleiten, sondern auch fördern, ja sogar mit ihrer Arbeit provozieren. Mut zum großen Denken ist wichtig, aber auch Mut, Institutionen aufzufordern, der Vermittlung einen größeren Stellenwert zu geben und die Grenzen dieser neu zu überdenken.
 
Insgesamt war das Symposium Kulturvermittlung auch 2019 eine gelungene Veranstaltung. Zwar hätten die Vorträge hier und da etwas praxisorientierter sein können, aber die Formatvielfalt gerade der Workshops hat es ermöglicht, viel notwendigen Raum für die Frage nach dem "What if" zu schaffen und dadurch neue Ideen entstehen zu lassen.
 
Der Artikel entstand in Kooperation mit dem Institut für Kulturkonzepte Wien.

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