15.01.2024

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Autor*in

Miriam Seixas
ist Kulturwissenschaftlerin und hat langjährige Erfahrung im Management von digitalen Projekten. Für das Projekt "artwork" war sie für die häuserübergreifende Koordination zuständig und an der Konzeption des Tools beteiligt. 
Benjamin Willems
lebt in Hamburg und arbeitet als Leiter der IT auf Kampnagel. Seit 2021 ist er als Projektmanager für die Entwicklung der artwork-Software verantwortlich.
Johannes Hemminger
studierte Philosophie sowie Neuere und Neueste Geschichte in Tübingen und arbeitete danach im Marketing, Community Management und Projektmanagement in der Videospielbranche. Von 2021 bis 2023 war er Redakteur bei Kultur Management Network.
Softwareentwicklung in Kulturbetrieben

Veranstaltungsmanagement als Kunstwerk

Mit der Open-Source-Veranstaltungsplanungssoftware artwork wollen die Deichtorhallen Hamburg, Kampnagel und das HAU Hebbel am Ufer eine Alternative zu kommerziellen Lösungen schaffen. Wir sprachen mit Benjamin Willems und Miriam Seixas darüber, wie Softwareentwicklung und Kulturhäuser hier zusammenkamen und welche Chancen sich daraus ergeben.

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Würden Sie uns zum Einstieg kurz erklären, was artwork ist und welche Positionen Sie im Projekt innehatten?
 
Benjamin Willems: artwork ist eine Software, die wir seit 2021 gemeinsam entwickeln - die Hamburger Kulturorganisationen Kampnagel und Deichtorhallen sowie das Hebbel am Ufer in Berlin - und die uns intern unterstützen soll bei der Planung unserer Veranstaltungen und Projekte. Es ist eine webbasierte Open-Source-Software, die aus verschiedenen Teilen besteht, die wir Stück für Stück implementieren. Ich bin auf Kampnagel verortet als Projektmanager für dieses Projekt, gemeinsam mit Miriam Seixas, Projektmanagerin für die Deichtorhallen, und Romain Comandi, der für das HAU zuständig ist. Wir steuern den ganzen Prozess. 
 
Wie kam es dazu, dass Sie eine Management-Software für Veranstaltungen entwickeln? 
 
BW: Wir haben für unsere Häuser den Bedarf gesehen, dass wir softwareseitig Unterstützung brauchen bei der Planung unserer Veranstaltungen. Das ist ein relativ komplexer Prozess, der unterschiedlichste Abteilungen involviert. Es ist ein hoher kommunikativer und organisatorischer Aufwand, die Planungsdaten, Informationen, Zeiten, Räume etc. unter einen Hut zu bringen. Deswegen haben wir uns nach Software umgesehen, aber relativ schnell gemerkt, dass die angebotenen Lösungen nicht das sind, was wir brauchen, da diese Systeme sehr starr, teilweise sehr überfrachtet und mit sehr hohen Lizenzkosten verbunden sind. Daraus entstand der Wunsch, selbst etwas zu entwickeln. Die Gelegenheit ergab sich, als der Fonds Digital von der Kulturstiftung des Bundes ausgerufen wurde. Da haben sich Kampnagel und die Deichtorhallen Hamburg zusammengesetzt und beworben. Unser Projekt heißt "Diversify the Code" und besteht aus zwei Teilen, ein Bereich ist die Software artwork, der andere ist künstlerisch. Unser Startpunkt war: Wir haben die Expertise an den Häusern, wir wissen genau, wie wir arbeiten und was wir brauchen. Lasst uns doch selbst eine Software entwickeln, die Open Source angelegt ist - das ist ein zentraler Ansatz des Fonds Digital. Es hat uns angesprochen, dass damit etwas entsteht, bei dem weitere Häuser mit dem einsteigen können, was im Laufe des Projektes schon passiert ist. 
 
Welche Anforderungen wurden durch kommerzielle Lösungen nicht abgedeckt und wie haben Sie sichergesellt, dass artwork diese Fähigkeiten hat?
 
Miriam Seixas: Zum Beispiel die Möglichkeit, die einzelnen Workflows aus unseren Abteilungen wirklich abzubilden. Genau so sind wir in der Konzeption dann auch vorgegangen: Wir haben nicht von außen versucht festzulegen, was es braucht, um Projektmanagement zu digitalisieren. Sondern wir sind in die Abteilungen gegangen, um Design-Workshops zu machen. So haben wir zum Beispiel geklärt: Wer ist wofür eigentlich zuständig? Wo ist die Schnittstelle? Wann muss zum Beispiel ein Dienstplan festgeschrieben werden, weil der Betriebsrat darauf schaut? Wann ist der nicht mehr veränderbar, weil er genehmigt wurde? Wann kann er notfalls wieder freigegeben werden, weil vielleicht jemand ausfällt oder etwas verschoben werden muss? Das sind sehr spezifische Prozesse im Kulturbereich, die in den Softwares am Markt in diesem Detailgrad nicht berücksichtigt werden. Auch beispielsweise bei Budgets. Da viel über Fördermittel läuft, gibt es oft Vorgaben, Planungsstände müssen festgeschrieben werden und das ganze muss an Behörden und Geldgeber*innen berichtet werden. Diesen Workflow genau in der Software abbilden zu können, mit allen Berechtigungen, Zugriffen und Bearbeitungsrechten, das ist schon besonders. Das haben wir in den anderen Softwares nicht gefunden. 
 
Wie lief der Design- und Entwicklungsprozess ab?
 
BW: Der Designprozess ging über ein halbes Jahr, bevor wir überhaupt die erste Zeile Code programmiert haben. Wir mussten erstmal verstehen, wie gearbeitet wird. So haben wir gesehen, dass viele Abteilungen sich ihre eigenen Strukturen geschaffen haben, die zwar innerhalb von Abteilungen funktionieren, aber meistens nicht abteilungsübergreifend. Wir haben auch gesehen, dass es ein sehr hohes Aufkommen an Emails gibt, die hin und hergeschickt werden. Das führt dazu, dass oft Leute vergessen werden, dass Informationen nicht auf dem aktuellen Stand sind, dass kein zentraler Planungsstand für alle existiert, auf den man sich berufen kann. Daraus entstanden die Kernpunkte, die wir mit artwork adressieren wollten, was dann die Grundlage für die Ausschreibung für unser Entwicklungsteam war, die wir im Herbst 2021 durchgeführt haben. Dann ging es richtig los, unsere Designerin hat nochmals Workshops in kleinen Kerngruppen veranstaltet, um eine Reihe von Fragen zu klären: Wie sind die Prozesse, was brauchen wir an Infos? Wo laufen die zusammen? Welche Tools werden im Moment bedient? Könnte das in der Software aufgehen? Wo macht es Sinn, bestimmte Systeme zu erhalten, die nicht unbedingt in unserer Software stattfinden sollen? Und natürlich ist der Kern des Projekts die Kunst, darum dreht sich alles. artwork baut sich modular um die Projekte herum auf. Außerdem haben wir gemerkt, dass die Deichtorhallen und Kampnagel zwar ganz eigene Anforderungen haben, aber dass es am Ende doch viele Schnittmengen bei den gewünschten Funktionen gibt, von denen alle profitieren. 
 
 
MS: Genau, so unterschiedlich die Veranstaltungen und Genres der Häuser sind, die Prozesse dahinter sind an vielen Stellen vergleichbar und tatsächlich auch die Probleme, die sich daraus immer wieder ergeben. Einen wichtigen Punkt hatte Ben schon angesprochen: die interne Kommunikation. Also, wie wird Information eigentlich geteilt? Da es kein Tool gab, in dem zentralisiert alles Wissen gesammelt wurde, waberte das Wissen fragmentiert durch die Häuser. Die eine Abteilung hat vielleicht eine Excel-Liste, die andere schickt Information grundsätzlich per Email rum, das ist irgendwann total unübersichtlich. Und wer pflegt das eigentlich? Da haben wir schnell festgestellt, dass so ein Tool schon helfen könnte, weil es Wissen bündelt und man nur an einer Stelle aktualisieren muss.
 
Von Kultureinrichtungen und Softwareentwicklung denkt man nicht unbedingt, dass sie zusammengehören. Wie haben Sie das zusammengebracht? Welche Managementmethoden haben Sie eingesetzt?
 
BW: Das war auf jeden Fall eine neue Erfahrung für unsere Häuser, wir mussten erstmal in den Prozess hineinfinden. Die Erfahrungen der Agentur und der Designerin haben da sehr geholfen. Wir haben als beratenden Partner auch den Chaos Computer Club Hamburg. Sie haben uns dabei unterstützt, die agile Entwicklung aufzubauen und die ersten Weichen zu stellen. In diesem agilen Modus haben wir auch die Anforderungen an die Software relativ offen gestaltet. Dementsprechend haben wir kein Lastenheft erstellt, sondern ein Ziel gesetzt, wo wir hinwollen und welche Probleme wir lösen wollen. Außerdem war ein Ergebnis, dass man nicht immer alle Probleme und Schwierigkeiten über Technik lösen kann, sondern dass es an einer gewissen Stelle durchaus Sinn macht, dass man sich austauscht und das Ganze gut miteinander kombiniert. 
 
MS: Ansonsten haben wir uns an klassischem Sprint-Planning orientiert, wie das in der Softwareentwicklung üblich ist. Vereinfacht gesagt bedeutet das: Wir haben die Entwicklung in viele kurze Intervalle gegliedert und dabei schrittweise neue Funktionen implementiert und bestehende Elemente verbessert. Das Ganze wurde also immer modulweise geplant. Zusätzlich haben wir uns immer wieder rückversichert, bevor wir es an die Programmierung gegeben haben, also in den Häusern noch mal einen Realitätscheck gemacht, nachdem die Designerin ein Konzept erstellt hat. Und dann, im Zuge der Programmierung, gab es natürlich Testschleifen.
 
Inwiefern wurde die Arbeit dadurch beeinflusst, dass artwork als Open-Source-Projekt auch für andere Häuser gedacht ist? 
 
BW: Dass wir mit zwei Häusern begonnen haben, die sehr unterschiedlich aufgestellt sind, hat uns ohnehin vor die Aufgabe gestellt hat, die Software so zu gestalten, dass sie modular und individuell anpassbar ist, also dass es an möglichst allen Stellen die Möglichkeit gibt, die Variablen, die Datenfelder und die Kategorisierung an das eigene Haus anzupassen. Wenn beispielsweise ein Haus sagt, dass es für die Budgetplanung schon eine andere Lösung nutzt, kann die entsprechende Funktionalität einfach aus- oder eingeschaltet werden. Als das Hebbel am Ufer ungefähr ein Jahr, nachdem wir mit der Entwicklung gestartet haben, mit eingestiegen ist, war das ein erster Test für diese Flexibilität. Da konnten wir durchspielen, wie es funktioniert, wenn ein weiteres Haus Interesse an der Software hat. Das HAU ist inzwischen komplett in die Entwicklung mit eingestiegen, also nutzt die Software nicht nur, sondern gestaltet sie auch mit. Unser Ansatz hat da also funktioniert.
 
MS: Darüber hinaus ist es auch gewollt, dass weitere Häuser artwork nutzen und uns Feedback geben. Je mehr User*innen es gibt, umso mehr Anwendungsbeispiele gibt es. Und vielleicht fallen dann Sachen auf, die wir noch nicht berücksichtigt haben. Das ist die Philosophie von Open-Source-Software, deshalb ist es frei verfügbar im Netz. Es ist natürlich unser Wunsch, dass nicht nur Teil-Versionen der Software entstehen, sondern dass wir neue Funktionen anderer Häuser möglichst immer in die zentrale artwork-Version einspielen können und es bei einer großen Version für alle bleibt. Aber letztlich können es alle so verwenden, wie sie möchten. 
 
Im Kulturbetrieb hört man häufig, dass ein Digitalprojekt zwar angestoßen wird, die Anschlussfinanzierung und Verstetigung aber ein Problem sind. Wie sieht das bei artwork aus?
 
BW: Das ist für uns ein Riesenthema, es war ja absehbar, dass die Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes Ende 2023 ausläuft, das ist ja ganz explizit eine Anschubförderung. Aber es ist unser Wunsch, dass wir das ganze Projekt auf breitere Beine stellen. So eine Software ist eigentlich nie abgeschlossen ist, weil sie auch weiterhin mit Sicherheitsupdates und neuen Funktionen gepflegt werden will. Seit wir im März 2023 den Code veröffentlicht haben, kamen viele Anfragen aus verschiedenen Richtungen. Wir sind jetzt in der glücklichen Situation, dass das Bündnis der internationalen Produktionshäuser sich dafür entschieden hat, die Software weiterzuentwickeln. 2024 erweitern wir das ganze Projekt von drei auf sieben Kultureinrichtungen. Aber generell ist die Frage, wie solche Projekte fortgeführt werden können, nicht geklärt. Da fehlen im Bereich der Förderungen Antworten und ein Verständnis dafür, was es personell bedeutet, eine Software zu managen und den Entwicklungsprozess fortzuführen.
 
Der Chaos Computer Club wurde schon erwähnt und passt natürlich sehr gut zu Open Source. Wie war da die Zusammenarbeit? Was konnten Sie mitnehmen?
 
BW: Der Chaos Computer Club war für uns vor allen Dingen beratend tätig, also in die Entwicklung der Software selbst nicht involviert. Aber er stand uns unterstützend zur Seite, als wir losgelegt haben. Vor allen Dingen, was agile Softwareentwicklung angeht. Dazu haben wir Workshops durchgeführt, um für uns einen Modus zu finden, in dem wir die Software in unseren Häusern entwickeln können. Weiterhin hat der CCC uns dabei beraten, welche Optionen zur Open-Source-Lizenzierung es für uns gibt. Ein nächstes Projekt, was wir jetzt anpeilen, wäre ein Code Review, also dass die Software noch mal in Richtung sicherheitstechnischer Fragen, Datenschutz etc. geprüft wird.
 
Würden Sie so ein kollaboratives Projekt auch anderen Häusern empfehlen?
 
MS: Auf jeden Fall. Klar fragt man am Anfang: Wie geht das zusammen, ein Ausstellungshaus und ein Produktionshaus? Aber genau das hat unserer Software am Ende gutgetan, weil dadurch sehr unterschiedlich strukturierte Häuser ihre jeweiligen Prozesse und Perspektiven in die Entwicklung einbringen konnten. So war es überhaupt nur möglich, die Software breit aufzustellen und trotzdem am Ende den gemeinsamen Nenner für alle Häuser zu finden. 
 
BW: Ich würde es jederzeit wieder machen. Aktuell entstehen weitere Softwareprojekte, gerade im künstlerischen Bereich. Wir haben beispielsweise auf Kampnagel eine Augmented-Reality-App entwickelt. Und auch wenn wir jetzt mehr im organisatorischen Bereich tätig waren, ist es trotzdem eine Erfahrung für die Häuser, die man auf weitere Projekte anwenden kann. Ich denke, dass das auch in Zukunft eine Rolle spielen wird. 
 
Wie verstehen Sie die Digitalisierung im Kulturbereich? 
 
MS: Ich finde, dass Digitalisierung gerade im Kulturbereich schnell einen negativen Touch bekommt. Fast so, als wäre es etwas, mit dem man umgehen muss, dem man sich nicht wirklich entziehen kann, aber dem man oft hilflos und machtlos gegenübersteht. Ich finde an unserem Projekt total schön zu sehen, wie sich ein Perspektivwechsel vollziehen kann, dahingehend, dass man von passiv Reagierenden, denen Digitalität irgendwie passiert, zu aktiv Handelnden werden kann. Wir haben gemeinsam diese Software entwickelt und damit konnten alle diesen Digitalisierungsprozess aktiv und selbstbestimmt mitgestalten. 
 

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