31.07.2023
Themenreihe Zukunft der Arbeit
Autor*in
Dominik Bönisch
studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim und in Budapest. Derzeit hinterfragt er als Projektleiter des Forschungsprojektes Training the Archive die Zusammenhänge von KI und dem Kuratieren. Sein Forschungsinteresse liegt in den Auswirkungen neuer Technologie auf die Kunst sowie auf den musealen Sammlungs- und Ausstellungsbetrieb.
Sofia Unger
absolvierte ein Studium der europäischen Kunstgeschichte und studiert aktuell in Düsseldorf den Master Kunstvermittlung und Kulturmanagement, in welchem sie auch wissenschaftliche Hilfskraft war. Bis 2023 unterstützte sie den Landschaftsverband Rheinland in der Öffentlichkeitsarbeit für Kultur und sammelte praktische Erfahrungen in unterschiedlichen Kulturinstitutionen.
Zukunft des Kuratierens
Die Kurator*innen-Maschine
Kunstsammlungen können Hunderttausende von Werken umfassen. Wie sollen da Kurator*innen jedes einzelne Werk aus ihrer Sammlung kennen? Das fragt sich Dominik Bönisch, wissenschaftlicher Leiter des Forschungsprojekts "Training the Archive" am Ludwig Forum Aachen. Ziel ist die Entwicklung einer Software, der sogenannten "Curator‘s Machine", die Kurator*innen in ihrer alltäglichen Arbeit mit der eigenen Sammlung unterstützen soll.
Themenreihe Zukunft der Arbeit
Sofia Unger: Lieber Herr Bönisch, wie kam das Forschungsprojekt "Training the Archive" zustande und was erforschen Sie in Bezug auf Künstliche Intelligenz (KI) am Museum?
Dominik Bönisch: "Training the Archive" ist ein vierjähriges Forschungsprojekt im Verbund mit dem HMKV Hartware MedienKunstVerein, Dortmund und dem Visual Computing Institute der RWTH Aachen University. Wir werden vom Fonds Digital der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Unser Projekt untersucht, wie man Modelle der Künstlichen Intelligenz verwenden kann, um die kuratorische Praxis zu unterstützen und die Arbeit im Museum zu erleichtern. Unser Ziel ist es, eine Software zu entwickeln, die Kurator*innen befähigen soll, ihre eigene Sammlung komfortabler zu durchsuchen und zu explorieren, um Neues in ihr zu entdecken.
Zu dem Projekt kam es am Ende meines Volontariats in Aachen. Mir fiel auf, dass ich im Gespräch mit Kurator*innen häufig über eine ähnliche Auswahl an Werken sprach, also über die Highlights, was eine gewisse Anzahl umfasste, an die ich mich erinnerte. Unsere Idee entwickelte sich aus der Frage heraus, was passieren würde, wenn wir unsere Sammlung beispielsweise mit der anderer Häuser kumulieren würden? Auf einmal sprechen wir dann nicht mehr von knapp 4.000 Werken, sondern von mehreren 10.000. Wie soll ein*e Kurator*in diese Menge an Kunst bei einer Sammlungsausstellung mitdenken? Mit so einer großen Datenmenge kann KI-Software hingegen sehr gut umgehen.
Neben der Entwicklung des Softwareprototypen war es uns auch ein großes Anliegen, mit vielen Expert*innen ins Gespräch zu kommen. Wir wollten mit dem Forschungsprojekt zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen, mit Mythen aufräumen, Begriffe richtig einordnen und bei deren Verstehen helfen. Wir möchten also am Museum unseren Teil zur Sensibilisierung für das komplexe Thema KI beitragen. Auf unserem Blog findet man daher viel Material aus den vergangenen Jahren der Forschung wie Expert*inneninterviews, Working Papers oder Vorträge unserer Konferenz vom letzten Herbst.
SU: Wie genau unterstützt Ihre Software die kuratorische Praxis und die künstlerische Produktion konkret?
DB: Sie kann uns unterstützen, indem sie sehr viele Bilddateien in einer digitalen Sammlung strukturiert. In diesem Kontext sprechen wir von Computer Vision, also der Erkennung von Mustern oder Ähnlichkeiten auf Bildern mithilfe von Algorithmen. Die Maschine kann optisch Zusammenhänge erkennen, die eine Einzelperson aufgrund der Datenmenge möglicherweise nicht erkannt hätte. Wir hatten anfangs damit begonnen, Clustering-Algorithmen zu verwenden, die sortieren, was vermeintlich zusammengehört. Bei klaren Objekten wie Blumen funktioniert das gut, aber bei abstrakter Kunst oder Konzepten gibt es semantische Lücken. Eine neue Entwicklung - multimodale Modelle, die Bild und Text miteinander verknüpfen - ermöglichen es, Bilder mit Texten in natürlicher Sprache wie Bildunterschriften zu kombinieren. Dadurch wird es uns heute möglich, Bilder auch auf textlicher Ebene zu prozessieren.
Die Software soll die Sammlung durchsuchbar machen, basierend auf textlichen Eingaben, sogenannten Prompts. Das Besondere dabei ist, dass man nicht im Voraus wissen muss, wonach man sucht. Normalerweise sind Bilddatenbanken in Museen relational strukturiert, mit vordefinierten Feldern für spezifische Informationen. Es erfordert genaues Wissen darüber, wo die Informationen gespeichert sind und wo man nachsehen muss. Wenn man sich vertippt, findet man möglicherweise nichts. Durch multimodale Modelle kann man jedoch eingeben, was man möchte, und erhält eine statistische "Interpretation" von der Maschine zu dem Bestand der eingegebenen Sammlung. Man kann sich so explorativ dem gewünschten Ausstellungsergebnis annähern.
SU: Wie gestaltet sich die Arbeit mit der Prototypensoftware, der "Curator‘s Machine", für Nutzer*innen?
DB: Mit der "Curator‘s Machine" ist es möglich, neue Ideen zu generieren und sich dabei nicht durch eine komplette Datenbank hindurchklicken zu müssen. Mit der Software hat man eine Suchoption, mit der man freier suchen und sich Themen offen widmen kann. Die "Curator‘s Machine" gibt auf die Suchanfragen mathematische Annäherungen aus, die ein neuer Ansatz sein können. Die Maschine liefert mir also zu meiner eingetippten Suchphrase jene Bildvorschläge, die als besonders passend errechnet wurden. Zusätzlich hat man einen Arbeitsbereich, in dem man gefundene Bilder ablegen kann. Man kann also in der Software anfangen, seine Ausstellung zu organisieren. Das heißt, man kann inhaltliche Gruppen bilden, diese benennen, Bilder dazu sortieren, aussortieren oder zur Seite legen, um sie vielleicht später wieder hinzuzufügen. Also genau so, wie ein Teilbereich des Kuratierens funktioniert: Man kontextualisiert, bringt Bilder zueinander, benennt sie und hat vielleicht dabei schon den Raum im Hinterkopf. Das sind zugleich Impulse an die Maschine, die in Echtzeit lernt und die nächsten Abfragen aufgrund meiner Präferenzen verändert. Die Software stellt sich also ein Stück weit auf die Nutzer*innen ein. Wenn ich beispielsweise in meinen Arbeitsbereich viele Aquarelle lege, lernt das System daraus, dass das gerade gefragt ist. Bei der nächsten Suchanfrage in diesem Kontextbereich werden Aquarelle vermutlich stärker betont vorgeschlagen. Dieser Modus kann auch bei Bedarf abgestellt werden, um wieder alle Bilder zu einer Suchanfrage zu sehen und nicht in einer Filterbubble zu enden. Die Software stellt also eine Interaktionsmöglichkeit zwischen Kurator*in und Maschine dar.
SU: Was bedeutet ein Tool wie die "Curator‘s Machine" in Zukunft für die Arbeit in Kulturinstitutionen wie Museen?
DB: Was die Zukunft angeht, sehe ich neue Berufsprofile und eine neue Art, Programminhalte für Ausstellungen zu erarbeiten. Wir werden mit der Maschine interagieren und sie als Werkzeug begreifen, das sich auf uns einstellt. Die Arbeitstools werden wechseln, sei es ChatGPT oder ein anderes Tool. Ich erhoffe mir auch, dass wir die Datenmengen wie Bildsammlungen der verschiedenen Institutionen zusammenführen können, um gegebenenfalls Leerstellen in der einen mit Wissen von einer anderen aufzufüllen. Diese Art der Vernetzung ist eine große Aufgabe, aber da gehen schon erste Entwicklungen hin. Hier wäre zum Beispiel der "Cultural Knowledge Graph" des Projektes NFDI4Culture oder das Projekt "Datenraum Kultur" der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften zu erwähnen. Viele Museen können auch von der Open-Source-Bewegung profitieren, weil Informationen dadurch für alle zugänglich werden. Auch wir arbeiten gerade mit Hochdruck an der freien Veröffentlichung des Tools. Die Installation wird so gestaltet sein, dass man selbst keine tiefen Programmierkenntnisse haben muss, sondern Schritt für Schritt durch die Nutzung geführt wird. Die "Curator’s Machine" wird dann mit allen Digitalisaten einer Sammlung umgehen können, ist also generell für alle digitalisierten Museen interessant. Genauso können auch Medienkünstler*innen ihre Dateien einspeisen, um neue Inspirationen aus der eigens angelegten Bildsammlung zu erhalten.
DB: Welche Kompetenzen braucht das Museumspersonal, um in Zukunft mit solchen KI-Anwendungen arbeiten zu können?
DB: Prinzipiell muss einfach ein Grundlagenwissen an den Häusern vorhanden sein. Es muss nicht zwingend immer ein*e Informatiker*in im Team arbeiten, das ist auch nicht realistisch. Aber es sollte sich mindestens eine Person mit digitalen Tools und KI auskennen, um Ideen anzustoßen. In Zukunft wird der Dreh- und Angelpunkt darin liegen, dass es in Museen oder Museumsverbänden jemanden gibt, der*die auf dem Markt befindliche Insellösungen überblickt und zugleich Entwicklungen ergänzender Anwendungen koordiniert. Was ich sagen möchte, man muss nicht höhere Mathematik studiert haben, um in einem solchen Bereich am Museum zu arbeiten, aber man sollte sich durch Trainings oder Weiterbildungen z.B. über openHPI die Fähigkeit aneignen, den Kern solcher Entwicklungen zu verstehen, um sie dann für den Einsatz in Kulturinstitutionen zu übersetzen. Dafür muss es definitiv Personal geben, denn diese Entwicklungen gehen nicht einfach wieder weg. Ein spannendes Profil könnten hier digitale Kurator*innen sein. Diese versuchen, kuratorische Aufgaben mit digitalen Mitteln umzusetzen, Prozesse digital zu denken und digitalisiert Werke zu vermitteln. Das sind glaube ich Fähigkeiten, die man zukünftig sehr gut brauchen kann.
SU: Wo sehen Sie hier aktuell und in Zukunft Herausforderungen und Möglichkeiten für Museen?
DB: Eine Herausforderung besteht darin, eine einheitliche Infrastruktur für museale KI-Technologien aufzubauen, die für Deutschland oder den deutschen Sprachraum gilt. Hier könnte der ICOM-Museumsverband ansetzen, indem er eine Plattform mit Weiterbildungsmöglichkeiten im Selbststudium schafft. Denn die Qualifizierung des Personals wird, wie überall, zunehmend eine Herausforderung sein.
Meiner Meinung nach sollten Museen grundsätzlich die Institutionen sein, die kritisch auf den ganzen Diskurs schauen und diesen gesamtgesellschaftlich einordnen. Sie können dafür mit Künstler*innen in den Dialog kommen, die sich proaktiv mit KI beschäftigen. Das können auch Künstler*innen sein, die sich gegen Bilderkennung oder Gesichtserkennung aktivistisch auflehnen. Museen sollten für die betroffenen Themen wie Ethik sensibilisieren und die Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Schattenseiten der Technologie greifbar machen. Das ist, glaube ich, eine großes Potential für das Museum der Zukunft. Man kann nur eine fundierte Meinung haben und vertreten, wenn man die Entwicklungen und dessen Auswirkungen verstehen kann.
SU: Welche Ergebnisse aus vier Jahren Forschungsarbeit sind aus Ihrer Sicht hilfreich, wenn Museen oder andere Kulturbetriebe KI zur Unterstützung ihrer Praxis einsetzen möchten?
DB: Am besten eine Neugierde für das Machen entwickeln und sich von aufkommenden Hindernissen nicht einschränken lassen. Es war bereichernd und spannend, sich schrittweise der Software anzunähern und zunächst klassische Algorithmen zu nutzen, obwohl sie bereits technisch überholt waren. Es ist wichtig, die Grundlagen zu verstehen und sie anhand von freien Museumsdaten auszuprobieren, besonders wenn man selbst keine eigenen zur Verfügung hat. Es gibt viele Systeme von Universitäten oder Firmen, die genutzt werden können, da diese für die Forschung zur Verfügung gestellt werden - auch von Riesen wie Facebook, Google oder OpenAI. Dies wird als Transfer Learning bezeichnet und ermöglicht es, nicht komplett wieder von vorne anfangen zu müssen. Das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist die Kostenersparnis, aber ein Nachteil kann sein, dass die Lösungen irgendwann reglementiert werden. Da aber kein Museum der Welt derzeit das gesamte Internet als Trainingsset nutzen kann, müssen wir auf solche Entwicklungen von großen Unternehmen zurückgreifen. Daher ist es wichtig, Forschungsdaten und Ergebnisse in Deutschland zu vernetzen, um sich von monopolartig agierenden Konzernen schrittweise lösen zu können.
Es ist auch hilfreich, einen speziellen Use Case zu verfolgen und ein bestimmtes Problem lösen zu wollen. In unserem Fall war es ein erstes Aufzeigen von Möglichkeiten zukünftiger Technologien, die das Arbeitsleben am Museum erleichtern können. Das ist nur der Anfang gewesen und möglicherweise gibt es in einem Jahr einen Chatbot, der zusätzlich für mich den Leihverkehr regelt und Standardverträge schreibt. Dadurch könnten wir mehr Zeit für konzeptionelles Arbeiten haben, sogar Geld und Mühe sparen. Es ist wichtig, sich zu Beginn auf nur eine Idee zu konzentrieren, darüber dann zu sprechen und sich mit ähnlichen Projekten oder Institutionen auszutauschen. Es ist sinnvoll, die vorhandenen Kräfte für die Zukunft zu bündeln.
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