13.01.2022
Autor*in
Thomas Schmidt
ist Professor für Theater- und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main.
Vorschläge für eine neue kulturpolitische Förderarchitektur
Das Fasziensystem der deutschen Kulturpolitik Teil II
Der folgende Artikel bezieht sich auf eine Untersuchung der kulturpolitischen Förderarchitektur für die Darstellenden Künste in der Bundesrepublik und unterbreitet eine kritische Analyse. Auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse sollen in diesem zweiten Teil der Untersuchung Vorschläge für eine ganzheitliche Förderarchitektur gemacht werden.
Im ersten Artikel "Das Fasziensystem der deutschen Kulturpolitik" habe ich die bestehende Förderarchitektur für die Darstellenden Künste in der Bundesrepublik auf der Grundlage von Textanalysen und 30 leitfadengestützten Interviews mit Künstler:innen und Funktionsträgern aller Ebenen kritisch untersucht. Es wurde deutlich, dass die deutsche Kulturpolitik aus einem für seine Nutzer:innen und Stakeholder nahezu undurchschaubaren Dickicht an Gewalten, Funktionsebenen, Instrumenten und Fördermechanismen besteht - vergleichbar mit einem in sich verflochtenen Fasziensystem. Dieses entsteht nicht zuletzt durch die Kopplung und Dopplung von Funktionär:innen in Lobbyverbänden, Gewerkschaften und Netzwerken, die sich neben Legislative und Exekutive aktiv in die Gestaltung der Kulturpolitik einschalten und eine regelrechte außerparlamentarische Einflusszone generieren. Verursacht durch verschiedene kulturpolitische Triebkräfte, durch die asymmetrische Verteilung von Mitteln zwischen öffentlichen und freien Darstellenden Künsten und ihre künstliche Trennung, konnte bislang kein zukunftsgewandtes Fördersystem entstehen.
Neujustierung des Förderfokus
Im bisherigen Fördersystem fehlen vor allem maßgeschneiderte Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Künstler:innen. Insbesondere für jene, die kurz- oder längerfristiger aus den Systemen fallen, wegen Krankheit, Schwanger- und Elternschaft oder Alter, wie auch für jene, die erst später in ihrer Vita zu den Künsten stoßen und besser integriert werden müssen. Damit sollte auch eine Neujustierung des bisher gültigen Förderfokus einhergehen. Dieser beruht in den Freien Darstellenden Künsten bislang fast ausschließlich auf künstlerischen Projekten, und viel zu wenig auf Begleitung und Unterstützung sowie auf struktureller Entwicklung und Institution Building. Auch Nachhaltigkeit als ein wesentliches Qualitätskriterium in den Darstellenden Künsten ist bislang vernachlässigt worden.
Ein neues Förderinstrumentarium könnte, die bisherigen Schwachstellen und Kritiken aufnehmend, auf vier Prämissen beruhen:
- Nicht nur auf die singuläre Förderung künstlerischer Arbeit ausgerichtet, sondern zugleich auch eine lebenslange, auf sozialen Standards beruhende Unterstützung für alle Künstler:innen gewährleisten, unabhängig vom künstlerischen Renommee.
- Die Teilhabe der Künstler:innen, Companies und Organisationen dient in den entscheidenden Gestaltungsphasen der neuen Förderarchitektur.
- Die Durchlässigkeit zwischen den Freien Darstellenden Künsten und den öffentlichen Theatern sollte gefördert und gestärkt werden.
- Das Theater soll wieder als ein wichtiges Ritual der Demokratie und der Stadt- und Land-Gesellschaft dienen.
Um die auf dieser Analyse beruhenden Ziele und Maßnahmen darzulegen, habe ich einen ersten Vorschlag entworfen:
Die Kulturpolitik wie auch die Freien Darstellenden Künste und die Organisationen der öffentlichen Theater verstehen sich als ein nachhaltiger, zukunftsgerichteter und lernender Komplex verschiedener Organisationen. Dieser dient der Sicherung und Entwicklung der Landschaft der Darstellenden Künste.
Das beinhaltet zum einen die aktive Suche nach Modellen, um die Teilung zwischen den Subsystemen zu überwinden, die Durchlässigkeit für Künstler:innen beider Szenen auf einer sehr professionellen Ebene zu ermöglichen und zu befördern. Ebenso kann dadurch Chancengleichheit und ein Reichtum an Optionen entstehen. Zum anderen soll darunter ein starkes Institution Building auf mehreren Ebenen verstanden werden. Damit werden die fehlende Kommunikation und Koordination zwischen den Instrumenten überwunden, und die künstlerische und strukturelle Innovation und Qualität gestärkt. Zudem werden die Grundlagen einer neuen Förderarchitektur geschaffen. Hinzu kommen neue oder verbesserte Instrumente, die in der Förderarchitektur eingebettet werden und in Grafik 1 dargestellt sind.
Instrument 1: Leitbild und Kodex
Eine wesentliche Voraussetzung für eine klare kulturpolitische Neujustierung des gesamten Arbeitsfeldes der Darstellenden Künste ist ein neues Leitbild als gemeinsame Zukunftsvision für die Kulturpolitik auf allen Ebenen. Diese könnte in Workshops zwischen den Politiker:innen, den Verbänden, Stiftungen und den Künstler:innen und Publika so lange verhandelt werden, bis es Ergebnisse zeitigt. Die Kulturpolitische Gesellschaft könnte hier eine federführende Funktion übernehmen.
In einem ersten Kodex der Darstellenden Künste könnten die Regeln der Zusammenarbeit und der Förderung von den Stellen der Kulturpolitik und den Künstler:innen und Kulturorganisationen gemeinsam entwickelt und für die nächsten Jahre festgeschrieben werden. Sicherzustellen ist in diesem Kodex auch, dass Ämter-Patronage und Klientelismus abgeschafft werden. Die fehlende Distanz, zum Beispiel zwischen Jury-Mitgliedern und Einreichenden von Projektanträgen, wird vor allem im Rahmen von Entscheidungsvorgängen heute noch zu selten thematisiert. Das sollte zukünftig verstärkt nachgeholt werden, um Nachteile auszugleichen.
Instrument 2: Runde Tische zur Koordination und Kommunikation
Viele Künstler:innen der Freien Szene und viele Organisationen der Darstellenden Künste leiden unter einer starken Entkopplung ihrer Tätigkeit von der Kulturpolitik und ihren Verantwortlichen. Sie fühlen sich kaum bemerkt und gesehen und in ihren Ansprüchen nicht adäquat wahrgenommen. Resignation, Missverständnisse und Unklarheiten sind die Folge. Eine gute und ergebnisorientierte Kommunikation kann diese Fehlstellen ausgleichen. Ein geeignetes Instrument könnte etwa ein permanenter Runder Tisch in jedem Bundesland sein. Weil die Freien Szenen und die öffentlichen Theater oft einen regionalen Bezug haben, ließe sich so schnell eine Verbundenheit zwischen Geldgeber:innen und Künstler:innen herstellen.
Ergänzt werden diese Runden Tische in den Bundesländern durch einen zentralen Runden Tisch auf Bundesebene, sodass sich die föderale und die zentrale Ebene der Kulturpolitik und die Künstler:innen unmittelbar begegnen können. Hier würde ich vorschlagen, auf die Teilnahme der Verbände zu verzichten, denn letztlich geht es um einen Austausch mit eigens hierfür ausgelosten künstlerischen Akteur:innen.
Instrument 3: Think Tank zur Weiterentwicklung der Kulturpolitik und der Darstellenden Künste
Kulturpolitik darf kein starres und unbewegliches Feld der Politik sein. Es muss sich an der Entwicklungsgeschwindigkeit der kulturellen Felder, der Künste und der Themen der Kulturorganisationen messen lassen. Denn der Vorteil der Künste ist es, dass sie sich oft mit Themenfeldern befassen, die virulent sind oder noch in der Zukunft liegen, in einer verborgenen "Falte" wie Gilles Deleuze (1996) es beschreibt. Die Künste können dabei helfen, neue Denkräume an den Schnittstellen zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Kunst und Wissenschaft zu eröffnen. Neben einer verbesserten Kommunikation zwischen den finanzierenden und den durchführenden Teilen der Kultur und Künste braucht es eine Möglichkeit, Wissen und Kompetenzen beider Ebenen unter einer Kommunikationshaube sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Das Konzept eines Think Tank könnte von den Runden Tischen entwickelt werden, die später auch einen Vorstand und einen Beirat einsetzen.
Instrument 4: Eine Förder- und Entwicklungsbank für Kultur
Eine wesentliche Erkenntnis dieser Studie ist, dass nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stehen und diese zu ungleichgewichtig an Öffentliche und Freie Darstellende Künste vergeben werden. Hinzu kommt, dass die Mittel für die Darstellenden Künste in mehreren "Ligen" vergeben werden. Diejenigen Gruppen und Künstler:innen erzielen demnach die höchsten Finanzierungstranchen, denen aufgrund ihres Prestiges und Kulturellen Kapitals am meisten zugetraut wird. Hier sollten Mittel gleichgewichtig auch nach Zuverdienst-Möglichkeiten der Gruppen und Künstler:innen vergeben werden. Zudem sollten Anreizsysteme entwickelt werden, die zu einer stärkeren Durchmischung des Prestiges dieser Gruppen führen: Entwicklungsprämien fördern Marketing und Reputation auch neuer Gruppen, so dass diese sichtbarer werden und internationale Gastier-Möglichkeiten und Produktionsslots in den großen Produktionshäusern erzielen können.
Hinzu kommen die klassischen Solo-Selbständigen, also hybride Einzelkünstler:innen, die oft auch zwischen den beiden Systemen Freies und Öffentliches Theater wechseln oder parallel in beiden arbeiten. Um überhaupt künstlerisch arbeiten zu können, werden sie aufgrund der hohen Belastungen durch das Schreiben von Anträgen für den Lebensunterhalt in ihrem Engagement unnötig abgebremst. Dadurch werden sie daran gehindert, ausreichend Zeit in die Vorbereitung der künstlerischen Arbeit, den eigenen Lebensunterhalt, den Wissenserwerb und die Qualifikation zu investieren. Mit neuen Lebens-Arbeitszeit-Modellen in den Künstlerischen Bereichen müssen endlich auch Wanderer zwischen den verschiedenen Systemen wie auch alle freien Künstler:innen belohnt werden für ihr Engagement für die Gesellschaft und die Zeit, die sie für künstlerische Arbeiten aufwenden. Anstatt junge begabte Künstler:innen in öffentlichen Theatern frühzeitig "zu verschleissen", sollten gleichgewichtige Anreizsysteme für jene Künstler:innen entwickelt werden, die lieber unabhängig und frei von Hierarchien und Denk-Einschränkungen arbeiten und nur gelegentlich in öffentlichen Theatern interessante Angebote annehmen möchten.
In solchen Anreizsystemen sollte die gesamte Lebenszeit als Künstler:in gewürdigt und unterstützt werden, unabhängig vom Arbeitskontext. Hierzu gehört selbstverständlich auch, dass eine Künstler:in, die dieses Modell wählt, finanzielle Unterstützung für Aus- und Fortbildungen sowie Coachings bekommt. Das gilt auch für die Finanzierung der bislang von der Kulturpolitik unbeachteten Zwischenräume ohne Projekte und Engagements und für die Zeiträume nach der aktiven Zeit als Künstler:in, zum Beispiel mit Eintritt in das Rentenalter. Insgesamt ist das bestehende System der Förderung der Darstellenden Künste noch zu wenig divers und inklusiv: Es ist Alters-, Krankheits- und Familien-avers und dient viel eher der Förderung junger, vielarbeitender Künstler:innen, die sich noch komplett ihrer künstlerischen Arbeit verschreiben können und so schnell in die Selbstausbeutung getrieben werden.
Beinahe alle Interviewpartner:innen erwähnen, dass Strukturfragen in Förderprogrammen schlicht ausgelassen bzw. nicht berührt werden. Gerade letzter Aspekt wird zum Beispiel auch von ehemaligen Teilnehmer:innen des Doppelpass-Programmes der Kulturstiftung des Bundes auf beiden Seiten eingefordert, wie eine publizierte Evaluation aufzeigt (Perrot, Anne-Catherine 2016: Evaluation. Doppelpass - Fonds für Kooperationen im Theater. Zürich). Ich schlage deshalb vor, eine Strukturförderung zukünftig auf die komplette neue Förderarchitektur anzuwenden und für jedes Projekt zu prüfen. Das bedeutet, dass ohne Strukturprüfung keines der beiden - Projekt oder Organisation - allein gefördert werden darf.
Das setzt allerdings auch voraus, dass die Vergabe von Mitteln jeder Form koordiniert werden muss. Um das zu erleichtern, sollte ein Elektronisches Kultur-Förder- und Projekt-Archiv (EKPA) geschaffen werden, in dem alle Förderdaten erfasst und vorgehalten werden, die auch jederzeit von unabhängigen Wissenschaftler:innen ausgewertet werden dürfen. Dieses Archiv veröffentlicht regelmäßig Jahresberichte, indem die kumulierten Fördersummen je Akteur:in aufgezeigt werden. Damit entsteht nicht nur eine Indikatoren-System für eine gerechtere Vergabe, sondern auch ein transparenter Seismograph für neue Strömungen in den Projekten und in der Förderpolitik.
Eine koordinierte Mittelvergabe setzt die Entwicklung eines Instrumentes voraus, das mehrere Funktionen auf sich vereint: das Sammeln, Vergeben von Mitteln, Beraten, Koordinieren und Kontrollieren von Qualität. Die fördernden Institutionen vertrauen ihr Geld zukünftigt einer neuen, auf der Metaebene eingerichteten Organisation an. Diese bewirtschaftet die Fördermittel fortan und selbstständig. Damit werden die Institutionen davon entlastet, etwa die weitere Mittelvergabe, das Aufstellen von Förderkriterien, die Begutachtung von Anträgen selbst vorzunehmen und können sich der Konzeptentwicklung und Kulturplanung widmen.
Hier liegt aus mehreren Gründen die Entwicklung und Gründung einer Organisation nahe, die alle von staatlicher und privater Seite bislang ausgeführten Mittelvergaben an die Freien neu und unabhängig organisiert. Damit werden nicht nur die Kommunikations- und Abstimmungsmöglichkeiten zwischen den bislang zersplittert agierenden Trägern und Finanziers verbessert. Das gilt auch für die Möglichkeiten, auf diese Weise ein einheitliches Angebot für eine bislang uneinheitliche Landschaft der Darstellenden Künste zu schaffen, das jedoch individuell angepasst werden kann. Eine starke Organisation in diesem Bereich kann die Freien Darstellenden Künste mit einer größeren politischen Wirksamkeit sukzessive an das finanzielle und institutionelle Niveau der öffentlichen Theaterlandschaft heranführen, wenn der kulturpolitische Wille zu einer Angleichung besteht und auch ausgeführt wird.
Im Zentrum der weiteren Überlegungen könnte die Gründung einer Förder- und Entwicklungsbank für Kultur (FEBK) nach dem Modell der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stehen. Diese macht seit Langem hervorragende Erfahrungen mit der Förderung hochsubventionierter Projekte, Programme und Strukturförderungen in der Entwicklungshilfe.
Eine Kulturbank könnte nach diesem Vorbild in diesen Sektoren agieren:
- Allgemeine und Individuelle Projektförderung,
- Thematische Programmförderung,
- Strukturförderung,
- Institutionelle Förderung,
- Beratung und Förder-Begleitung.
Der Vorteil eines Bankmodelles ist es, dass es als Kapitalsammelstelle für die gesamte Kulturlandschaft dienen und für temporär nicht genutzte Mittel auch sichere Anlagemöglichkeiten generieren kann. Das heißt, Fördermittel kommen prinzipiell von öffentlichen und privaten Stellen, wobei private und öffentliche Fonds in ihren Bereichen die Mittelaufnahme bündeln sollten. So könnte die Deutsche Wirtschaft einen Kulturfonds auflegen, in dem z.B. 25 Prozent ihrer für die Kultur vorgesehenen Mittel in einem unabhängigen Fonds eingesetzt werden. Dieser gibt sich thematische Schwerpunkte, die von Jahr zu Jahr auf Empfehlungen einer unabhängigen Jury variieren. Ein weiteres Viertel sollte in den Bereichen eingesetzt werden, die gemeinsam als Schwerpunktbereiche der Kultur identifiziert werden. Hierfür bedarf es dringend eines Bundes-Kultur-Entwicklungsplanes, der eine konzeptionelle und inhaltliche Vorlage für den Wirtschaftsplan des BKM im Haushaltsplan 04 der Bundesregierung ist. Die anderen Mittel können vorerst frei eingesetzt werden.
Eine Bank ist eine veritable Option. Aufgrund der sehr langen reformlosen Zeit ohne eine tiefgreifende strukturelle Veränderung der Fördersysteme, ist ein Förderbank-Modell klar zu favorisieren. Denn langfristig können hier eine deutlich größere Fachexpertise und starke, nachhaltige Kompetenzen aufgebaut werden. Diese können in der Politik aufgrund des häufigen Personalwechsels auf allen Ebenen der Legislative und Exekutive nicht nachhaltig abgesichert werden. Die strengen Regularien einer Bank sind ein sehr wichtiger Vorteil bei der Abwägung der verschiedenen Modelle: So setzt etwa das Bundesamt für Finanzaufsicht (BAFIN) klare Regeln für das Wirken von Vorständen und die Aufsicht von Banken. Dadurch können die Güte der Mittelverwendung jederzeit genau geprüft und transparente Ratings für alle Projekte vergeben werden, auf deren Basis Lern-Effekte jederzeit wieder in das System zurückgespeist werden können.
In einem dritten Schritt müsste die zentrale Ebene durch dezentrale Filialen in den Großregionen des Landes ergänzt werden. So ließe sich die Antragsfähigkeit verbessern. Gleichzeitig könnte die Antragsgewährung aus den Verteilungs- und Kämpfen um Deutungshoheit zwischen den Kommunal- und Senats-Verwaltungen, den Landsverbänden der Freien und den Freien Akteur:innen herausgehalten werden. Die bislang vorherrschende, gefühlte Ungerechtigkeit bei der Vergabe von Mitteln, bei der Besetzung von Jurys und von Spitzenpositionen in den Verbänden könnte völlig eliminiert werden.
Die derzeit vorherrschende Aufteilung zwischen Projekt-, Institutioneller und Exzellenz-Förderung wird von den meisten Interviewpartner:innen und von den Akteur:innen der Freien Szene weder als zeitgemäß, noch als ausreichend oder zukunftsfähig betrachtet. Derzeit ist jeder Fördertyp in jedem Bundesland mit einer anderen Bedeutung und anderen Förderkonditionen verbunden. Daran schließt sich die Frage an: Wie müssten zukunftsfähige Fördermodelle aufgebaut sein?
Die bislang starre Kategorisierung ist demnach aufzubrechen und in ein überregional einheitliches, aber gleichzeitig fluides Vergabesystem umzugestalten. Mit diesem ließen sich angepasste und maßgeschneiderte Finanzierungs- und Beratungsangebote entwickeln. Dadurch wären aber auch Kombinationen verschiedener Fördertypen möglich, die auch Aspekte einer strukturellen Entwicklung unterstützen. Diese ist bislang in kaum einem Fördertyp mitbedacht worden, obwohl zukünftig eine ganzheitliche Lösung ohne strukturelle Förderung kaum mehr möglich sein wird. Hier wird es dann darauf ankommen, eine künstlerische, administrative und strukturelle Entwicklung zu kombinieren.
Instrument 5: Eine Qualitätsagentur für die Darstellenden Künste
Qualitätskontrolle und Evaluationen gehören wie der Einsatz von modernen Feedback-Techniken zu den wesentlichen Instrumenten einer ganzheitlichen Förderarchitektur in der Kulturpolitik. Hier könnte ein bundesweites Netz einer Qualitätsagentur für die Darstellenden Künste (QuADK) seine Arbeit aufnehmen, das in jeder der Großregionen einen Sitz und eine Stimme im Gesamtnetzwerk hat. (Grafik 5) Der Bund stattet diese Agentur mit ausreichenden Fördermitteln aus. Jede Region sitzt mit je einer Vertreter:in der Landes-Kulturpolitik und der Stakeholder aus den Reihen der Künstler:innen im Aufsichtsgremium der Agentur. Diese kann bei Bedarf auch mit beratenden Expert:innen besetzt werden.
Instrument 6: Stakeholder Monitor
Mit einer Stakeholder-Orientierung sollen alle Bezugsgruppen des Theaters eingebunden, genau analysiert und beurteilt werden, um später Kontakt eine koordinierte und informierte Anbindung absichern zu können. Ziele sind die Einbettung der Theater und der Freien Gruppen und Künstler:innen in die Polis, wie auch die Zusammenarbeit mit Informierten Publika.
Die Stakeholder sollten vollständig informiert werden, während Möglichkeiten geschaffen werden, sie an der Entwicklung der Instrumente teilhaben zu lassen. Ein von den Verbänden, vom Bund, den Ländern und Kommunen gemeinsam getragenes und finanziertes Institut, ein sogenannter Stakeholder Monitor, könnte alle hierfür nötigen Kapazitäten, Aufgaben und Maßnahmen bündeln und bei Anfrage der jeweiligen Gruppen und Künstler:innen abrufen.
Instrument 7: Institut für Lebenslanges Lernen (IFLL)
Für eine neue Förder- und Beratungsarchitektur müssen die hierfür zuständigen Akteur:innen auf allen kulturpolitischen Ebenen und in allen entsprechenden Institutionen ständig aus- und fortgebildet werden. Nur so können sie auf höchstem Niveau mit den Partner:innen in den Künsten und der Kultur arbeiten und kooperieren, sich miteinander austauschen und weiterentwickeln. Hierfür braucht es gezielte Anreizsysteme für ein Lebenslanges Lernen, indem jede aktiv lernende Akteur:in oder Organisation mit verbesserten Beratungsangeboten und Zugangsmöglichkeiten zu Ressourcen belohnt wird.
Das Institut überprüft regelmäßig, ob die Instrumente gleichmäßig genutzt werden, ob sie miteinander koordiniert in den Wirkungskreislauf der Förderpolitik eingreifen und erarbeitet Strategien und Maßnahmen, um im gegenteiligen Fall auch positiv intervenieren zu können.
Ausblick
Die Angleichung der Systeme des öffentlichen und des freien Theaters gehört zu den wesentlichen zukünftigen Aufgaben, bevor über weitere Reformschritte nachgedacht werden sollte. Sie sollte finanziell, institutionell und strukturell gestaltet werden. Der erste Aspekt ist fraglos und macht eine Erhöhung der Anteile für die Freien Darstellenden Künste in den Landes- und kommunalen Haushalten erforderlich. Während dessen bestehen vor allem in den anderen beiden Bereichen verschiedene Möglichkeiten. Diese habe ich versucht anhand eines starken Institution Building immer mit aufzuzeigen. Strukturelle Angleichungen sind weitaus diffiziler und bedürften eines größeren Rahmens, wie die Vorschläge aufzeigen.
Institution Building bezieht sich schließlich auf den Aufbau und die Weiterentwicklung von transparenten und verantwortlichen Institutionen, die nach den Prinzipien einer Good Governance organisiert und geleitet werden. Im Falle der Darstellenden Künste geht es um den Aufbau einer starken und nachhaltigen Förderarchitektur, ohne die der Bestand und die Weiterentwicklung der Theater, Produktionshäuser, Festivals, Gruppen und freien Künstler:innen zukünftig nicht mehr gesichert werden könnte.
Die Studie hat viele weitere wichtige und neue Ergebnisse und Erkenntnisse gezeitigt - an dieser Stelle ein großer Dank an die zum Teil namentlich genannten, zum Teil anonymisierten Interviewpartner:innen. Es hat sich erwiesen - und ist zu empfehlen, nicht klein zu denken, sondern etwas zu wagen, wenn die Zukunft der Darstellenden Künste nachhaltig und in neuen Strukturen abgesichert werden soll.
Dieser zweite Beitragsteil erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 163: "Identität und Kulturarbeit". Er basiert auf einer Studie, die 2021 im Auftrag des Fonds Darstellende Künste erfolgte.
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