Zwischen Praktika und Studium
Mein Auslandsjahr in Taiwan
Nachdem ich drei Jahre lang Sinologie und Kulturwissenschaften in Leipzig studiert hatte, wurde es nun endlich Zeit, das Ganze praktisch anzugehen. Mein Ziel für zehn Monate war Taiwan - die kleine eigenwillige Insel mit atemberaubender Natur südöstlich von China gerade mal so groß wie Baden-Württemberg, doch eine ganz andere Welt.
Zahlreiche Motorroller rasen durch die Straßen, an Tempeln und Hochhäusern vorbei. Sie spiegeln Dynamik und Fortschritt der Insel wider. Moderne und Tradition fließen ineinander. Auf den Rollern sitzen lachende Menschen, die Münder rot von zerkauter Betelnuss - einer Art Aufputschmittel - die nackten Füße in Flip Flops, die mittlerweile aufgrund niedrigerer Lohnkosten auf dem chinesischen Festland produziert werden.
Die große Bedrohung, die von China ausgeht, hängt wie ein Damoklesschwert über allem. Doch wenn man an den Fisch- und Gemüsemärkten vorbei, durch die kleinen Gassen schlendert und an einem der zahlreichen Tempel halt macht, in denen sich Jung und Alt mit einer Hand voll Räucherstäbchen vor einem Dutzend Götter verneigen und für Glück, Reichtum und Kindersegen beten, so hat man den Eindruck, dass die Angst vor Geistern, die an jeder Ecke zu lauern scheinen, das Leben der 23 Millionen Taiwanesen wohl mehr zu beeinflussen vermag, als die 800 Kurzstreckenraketen, die ständig auf Taiwan gerichtet sind.
Ich wohnte und studierte in Tainan, einer 700.000 Einwohner-Stadt im Südwesten Taiwans. Tainan gilt als kulturell reichste und interessanteste Stadt auf Taiwan. Sie verfügt, wenn auch über keine öffentlichen Verkehrsmittel, wohl über die höchste Tempeldichte, eine große Anzahl historischer Sehenswürdigkeiten, das alte Viertel Anping, von dem aus die Holländer im 17. Jh. ihre Herrschaft über Taiwan übernahmen und beherbergt das Taiwanesische Literaturmuseum. Doch die Stadt entwickelt sich ebenso dynamisch weiter, die amerikanische Kultur Starbucks, McDonalds und Co. sind schon lange vertreten und im kreativsten aller Stadtteile sind aus Gebäuden der japanischen Kolonialzeit bunte moderne architektonische Kunstwerke entstanden. Die neue Generation selbstbewusster Taiwanesen, die den Westen anhimmelt und im Herzen noch chinesische Werte verinnerlicht hat, philosophiert in einem der Straßencafés bei einer Grüntee- Yakult-Mischung mit viel Eis mit dem amerikanischen Freund, der hier in einer der unzähligen Volkhochschulen Englisch unterrichtet und mehr Geld verdient als sein taiwanesischer Kollege, über Kapitalismus, Konfuzianismus und Kunst.
Im Süden Taiwans spricht man hauptsächlich Taiwanesisch oder Japanisch ein Überbleibsel aus der 50-jährigen japanischen Besatzungszeit so dass ich es manchmal schwer hatte, mich mit der älteren Bevölkerung auf Chinesisch zu verständigen. Mit der jüngeren Generation ist dies jedoch problemlos möglich. Ich war dankbar, dass kaum jemand Englisch sprach, und so gelang es mir, mein Chinesisch in den zehn Monaten erheblich zu verbessern. Dazu trug natürlich auch der Sprachunterricht an der Uni bei. Zwar fallen in Taiwan pro Jahr 1000-2000 Studiengebühren an, doch die Unterrichtsqualität ist mit Deutschland nicht zu vergleichen. Statt in überfüllten Seminarräumen noch einen Platz auf dem Boden zu ergattern, sitzt man hier, abgetrennt vom Rest,mit seinem eigenen Lehrer an einem eigenen Tisch und bestimmt auch selbst mit, was Inhalte und Schwerpunkte des Einzelunterrichts angeht. Da ich durch das sprachliche Umfeld, ob am Straßenimbiss, beim Preisverhandeln auf dem Nachtmarkt oder bei Unterhaltungen mit meinen taiwanesischen Mitbewohern, meine neu gelernten
Vokabeln sofort anwenden konnte, machte ich große Fortschritte und sprach bald wie selbstverständlich Chinesisch.
Vokabeln sofort anwenden konnte, machte ich große Fortschritte und sprach bald wie selbstverständlich Chinesisch.
Nachdem ich mir schon öfter Veranstaltungen im Städtischen Kulturzentrum angesehen hatte und von deren Qualität und den häufigen Aufritten ausländischer Künstler und Gruppen beeindruckt war, weckte diese Institution mein Interesse. Von nun an half ich, wann immer ich neben meinem Studentenalltag die Zeit fand, am Kulturzentrum, vorwiegend bei Veranstaltungen am Wochenende. Während es größere Konzerthäuser oder Opern nur in der Hauptstadt Taipeh gibt, hat fast jede Kleinstadt ein Kulturzentrum. Diese Häuser wurden Anfang der 80er Jahre, wo sie noch hauptsächlich politische Zwecke hatten, errichtet und fungieren heute als Ort der Ausrichtung von Kulturveranstaltungen aller Sparten. Die Räume werden gegen Miete Künstlern und Künstlergruppen zur Verfügung gestellt, die allerdings mit eigenem Bühnenpersonal und Technikern für das Gelingen der Veranstaltung zu sorgen haben. Die Performing Arts Section, in der ich als Praktikantin/ Volunteer beschäftigt war, kümmert sich um die Planung und Durchführung von musikalischen Veranstaltungen sowie Tanz, Drama und Festival- Projekten und betreibt außerdem eine Bibliothek, die sich auf den Musikbereich konzentriert. Um interkulturellen Austausch und Professionalität bemüht, war das Städtische Kulturzentrum bisher schon Gastgeber für mehr als 2400 internationale Künstler, darunter beispielsweise die Wiener Sängerknaben, die jährlich in Tainan auftreten.
Da man sich in Asien offenbar schwer damit tut, Verantwortlichkeiten an andere abzutreten, wurde ich nicht mit wirklich wichtigen Aufgaben betraut und selbständiges Arbeiten war auch nur sehr begrenzt möglich was allerdings auch an sprachlichen Schranken gelegen haben mag. Mein Bereich war die Öffentlichkeitsarbeit, wo ich mich hauptsächlich mit der Zielgruppe Besucher auseinander setzte, sprich Umfragen austeilte, auswertete und Besucherdaten verwaltete. Besonders bei der Verteilung wurde meine Anwesenheit sehr geschätzt, da ich als Ausländer meinen Stapel meistens schon lange vor meinen taiwanesischen Kollegen losgeworden war. Westlichen Ausländern wird in Taiwan eine - in meinen Augen schon maßlos übertriebene - Bewunderung und Achtung zuteil, angefangen bei den blonden Haaren und der hellen Haut, bis hin über hoch geschätzte in meinem Fall deutsche Werte und Tugenden. Oft wurde ich, ob beim Reisen oder auch nur beim Einkaufen, minutenlang angestarrt. Unentwegt hatte ich das Gefühl, eine vom Aussterben bedrohte Rarität zu sein, was mich anfangs aufregte, schon bald amüsierte und am Ende schmeichelte. Ich genoss das Gefühl und mittlerweile fehlt mir diese lieb gemeinte Aufmerksamkeit sogar. Die offene, neugierige Art der Taiwanesen hat mir eine unvergessliche Zeit, wunderbare Freundschaften und Erlebnisse beschert, die ich nicht missen möchte.
Unterstützungsabos
Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website.
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.
Ähnliche Inhalte
Unterstützungsabos
Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website.
5€-Unterstützungsabo Redaktion
Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.
Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*
15€-Unterstützungsabo Redaktion
25€-Unterstützungsabo Redaktion
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren