15.07.2024

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Autor*in

Paul Spies
studierte Kunstgeschichte und Archäologie. Er führte in den Niederlanden das Unternehmen D'ARTS für die Produktion von Ausstellungen, Publikationen, Fernsehprogrammen und Kommunikationskampagnen und leitete das Amsterdam Museum. Seit 2016 ist er Vorstand und Direktor des Stadtmuseums Berlin sowie Chefkurator des Landes Berlin im Humboldt Forum.
Agiles Arbeiten in Kulturbetrieben

Reality Check beim Stadtmuseum Berlin

Agiler, flexibler, digitaler sollen Kultureinrichtungen arbeiten. Dabei stoßen sie häufig auf Hindernisse, die ebenso mit Verwaltungsstrukturen wie mit Gewohnheiten und Vorlieben der Mitarbeitenden zu tun haben. Wie sich das auf Change-Arbeit auswirken kann, zeigen die Erfahrungen des Stadtmuseums Berlin.

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Das Stadtmuseum Berlin ist mit rund 200 Mitarbeitenden an acht Standorten und etwa 4,5 Millionen Objekten keine kleine Organisation. Zu den täglichen Aufgaben kommen immer wieder Projekte hinzu, Sanierungen, neue Gebäude, Sammlungsdigitalisierung, neue Ausrichtungen auf Partizipation, Diversität und Diskriminierungssensibilität, die Ansprache neuer Zielgruppen, Nachhaltigkeit usw. Für alle diese Themen muss gelernt werden, wie man damit gemeinsam umgeht. Dafür braucht es Strategien, Formate und vor allem passende Strukturen - und die einzuführen, benötigt Zeit, Begleitung, Kommunikation und das Lernen der Umsetzung.
 
Bevor ich nach Berlin kam, hatte ich beim Amsterdam Museum einen Changeprozess hin zu einer agilen Organisation geleitet, und dachte, dass ich auch beim Stadtmuseum Berlin gut und schnell die Umwandlung zu einer Matrixorganisation umsetzen kann. Ich bin davon ausgegangen, dass viel Inspiration von den vielen Startups, IT-Unternehmen und Kreativen in Berlin kommt. Doch dem war nicht so. Ich musste also selbst agil werden und mich darauf einstellen. So haben wir in den letzten acht Jahren viel ausprobiert in Richtung einer agileren, digitaleren Arbeitsweise, aber dafür mussten und müssen wir gemeinsam viele Hürden meistern. Dafür gibt es zwei Hauptgründe: die Größe und Verwaltungsvorgaben des Museums einerseits und die Mitarbeitenden andererseits. 
 
Reality-Check: Verwaltung
 
Die Vorgaben der öffentlichen Verwaltungen schränken agile Organisationsformen stark ein. Man träumt davon, ein Speedboot zu sein, ist aber ein Tanker. Man möchte zwar agil arbeiten, muss aber schon zu Beginn eines Projektes präzise alle anfallenden Kosten kennen und darf die Mittel nur für das ausgeben, wofür man sie eingeplant hat. Man darf nicht selbst über Stellen entscheiden und findet keine Fachkräfte bspw. aus der IT oder dem Gebäudemanagement, weil man nicht über das Gehalt verhandeln darf, auch wenn diese außerhalb der Kultur deutlich besser bezahlt werden würden usw. Und es schränkt natürlich die Agilität erheblich ein, wenn nicht mal die Leitung flexibel agieren kann.
 
Reality-Check: Mitarbeiter*innen
 
All meine Mitarbeiter*innen, die ich sehr schätze und die tolle Arbeit leisten, haben ständig das Gefühl, dass sie überfordert sind. Das ändert sich auch nicht, wenn man bspw. Aufgaben weglässt. Der Grund dafür ist einerseits die große Fülle an neuen und sich ständig verändernden Themen und Formaten. Das ist natürlich verständlich. Andererseits geht es aber auch um innerhäusliche Kulturen, um die Angst, dass die eigene Aufgabe, die Sammlungen im Haus an Bedeutung verlieren, wenn alle nur noch über Digitalität, Partizipation, Diversität usw. sprechen. 
 
Dass wir seit nunmehr acht Jahren an agilen, digitalen Strukturen arbeiten, bedeutet deshalb nicht, dass alle Mitarbeitenden in unserem Museum hier auf dem gleichen Stand sind. Vielmehr gibt es unterschiedliche Niveaus in Hinblick auf die Transformationswilligkeit. Viele wollen kein agiles Arbeiten, sondern das genaue Gegenteil: klare Hierarchien und Strukturen. Meine Annahme, dass die Mitarbeitenden Verantwortung übernehmen möchten, war falsch. Viele wollen konkrete Vorgaben und Pläne. In den letzten Jahren haben wir da gefühlt gesamtgesellschaftlich einen Rückschritt erlebt, es geht wieder mehr um Sicherheiten und Klarheiten, um feste Arbeitszeiten und Löhne usw. Das hängt sicher auch mit den vielen Veränderungen und Krisen zusammen. Die Leute wollen sich zumindest über ihre Arbeit keine Sorgen machen. Für mich war zudem überraschend, dass das nicht nur für ältere, sondern auch für jüngere Mitarbeitende gilt. Auch sie sind oft nur wenig mit digitalen Tools und Arbeitsweisen vertraut, weil ihnen im Studium kein kompetenter Umgang damit vermittelt wurde.
 
Im Kontext der Agilität unserer Organisation treffen wir deshalb auf Gruppen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Auf der einen Seite stehen die "Spearheads", die treibenden Kräfte hinter Innovationen und Veränderungen. Sie setzen neue Ideen und Projekte um, treiben die Digitalisierung voran. Und sie gehen sie unkonventionelle Wege, um das Museumserlebnis zu bereichern. Solche Menschen gibt es aber bisher im Kulturbereich nicht oft und sie zu finden, ist nicht leicht.
 
Wenn man sie dann gefunden hat, kommen sie in eine Umgebung von "Content Personen", also Menschen, die vor allem mit Inhalten arbeiten, und die haben sehr unterschiedliche Level von Digitalisierungskenntnissen. Auf der anderen Seite stehen also die "Digibeeten" (niederländisch für Personen ohne EDV-Kenntnisse). Hinzu kommen "Arbeitstraditionen", Verwaltungsunmöglichkeiten und Vorgaben. Das ist frustrierend, weil die Spearheads gern vieles schnell umsetzen möchten. Das gilt übrigens auch für Externe und Agenturen, die sich eine Geschwindigkeit wünschen, die wir nicht leisten können. 
 
Agilitäts-Check: bye bye Agilität?!
 
Um mit diesen Herausforderungen umzugehen, entwickeln wir gemeinsam Formate und Strategien. Das kostet Zeit und Geld und erfordert eine begleitete Implementierung in die Organisation. Wir haben sieben Strategien entwickelt, von denen eine unsere Digitalvision beinhaltet. Derzeit sind wir dabei, eine semi-agile Organisationsstrategie aufzubauen, die den Wünschen unseres Teams nach detaillierten Abläufen und Planungen entgegenkommt, um die Überforderung zu reduzieren, es aber dennoch möglich macht, flexibel und abteilungsübergreifend zu arbeiten.
 
Dafür müssen wir im Management all diese Einstellungen berücksichtigen und Strategien entwickeln, um alle Beteiligten zu integrieren. Ein Weg ist, sie zu fragen, welche Vorteile die Digitalisierung für sie bringen kann, sich Wünsche ausformulieren zu lassen und dann Teams zusammenzustellen, die diese gemeinsam angehen. So können wir sicherstellen, dass alle an einem Strang ziehen und sich niemand ausgeschlossen fühlt. Schulungen und Weiterbildung scheinen hier eine Lösung zu sein, doch die hohe Arbeitsbelastung führt oft dazu, dass sich Mitarbeitende dadurch zusätzlich überfordert fühlen. Wir benötigen daher auch interne Botschafter*innen und müssen das Tempo der Veränderung reduzieren. Wir haben jetzt einen Resilienz-Dispatcher, der einen proaktiven Umgang mit Digitalität im Haus unterstützt, einen Leiter für digitale Transformation, eine Social-Media-Managerin und Fachteams für eCulture und Sammlungsdigitalisierung. Sie stehen ihren Kolleg*innen bei Fragen rund um das Thema Digitalität zur Seite, bieten Workshops an usw. Das sind essenzielle Ansprechpartner*innen, denn Sie müssen die erarbeiteten Inhalte in der Organisation implementieren.
 
Trotz aller Hürden haben wir schon viele Dinge geschafft. Wir haben eine Open-Access-Policy eingeführt, was ein großer Erfolg ist. Über unsere Website "Berlin jetzt!" sammeln wir gemeinsam mit der Gesellschaft in wechselnden Themenschwerpunkten Bilder und Geschichten. Außerdem haben wir AR- und VR-Produkte entwickelt. In der "Augmented-Berlin-App" können Besuchende die Ausstellung BERLIN GLOBAL virtuell erleben und im Museumsdorf Düppel werden die mittelalterlichen Häuser mit Virtual Reality und Game Technology in Form einer interaktiven 3D-Experience digitalisiert. 
 
Auf der Strukturebene konnten wir außerdem viel Vertrauen in die Leitungsebenen aufbauen und haben jetzt ein besseres Verständnis füreinander. Das ist wichtig, denn Veränderungsprozesse können nur erfolgreich sein, wenn die Mitarbeitenden Vertrauen in die Führungskräfte haben. Diese müssen sich selbst als Missionar*innen sehen, die neue Impulse von außen ins Haus bringen und vermitteln, warum Veränderungen notwendig sind. Wer neue Arbeitswelten in Museen schaffen möchte, muss manchmal hart dafür kämpfen und sich durchsetzen. Wenn Sie ab und an das Gefühl haben, dass Sie nicht weiterkommen, dann lassen Sie mich sagen: "You are not alone!" 
 
Dieser Beitrag basiert auf Paul Spies‘ Impuls während des Digital Culture Summit 2023 von Pausanio. Der vollständige Vortrag ist hier zu finden:
 
 

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