16.07.2011

Autor*in

Michael Wimmer
ist Gründer von EDUCULT und war bis zu seinem Ruhestand Direktor und Vorstandsvorsitzender dieses Forschungsinstituts, Aus diesen Tätigkeiten sowie als langjähriger Geschäftsführer des Österreichischen Kulturservice (ÖKS), als Musikerzieher und Politikwissenschaftler bringt er umfassende Erfahrungen in die Zusammenarbeit von Kunst, Kultur und Bildung ein. 
Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik #3:

Abschminken ist angesagt! Der Boulevard als neuer kultureller Hegemon

Teil 3 der Artikelserie "Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik": Kulturpolitik versus Boulevardisierung der Regierungspolitik
Warum der Politik die Kommunikation mit dem Boulevard wichtiger ist, als mit den freien Szenen und warum es möglicherweise keinen Sinn macht, weiter auf staatliche Vorgaben zur Entwicklung von zukunftsorientierten Fördermodellen und den Erhalt und den Ausbau neuer kultureller Infrastrukturen zu warten.

Zuletzt hat Elisabeth Mayerhofer an dieser Stelle die Politik aufgefordert, keine Angst vor den freien Szenen zu haben. Was aber, wenn die Politik gar keine Angst hat, mit Kulturschaffenden abseits der glamourösen Institutionen in Kontakt zu treten, sondern schlicht keine Lust bzw. kein Interesse und daher meint, auf diese Kommunikation verzichten zu können? Immerhin suggeriert die Aufforderung an die Politik, endlich in Dialog mit den freien Szenen zu treten, so etwas wie ein gemeinsames Anliegen beider DialogpartnerInnen. Meine Vermutung: Sollte es so etwas wie zumindest partiell gemeinsame Ziele jemals gegeben haben, so haben sich diese in den letzten Jahren beträchtlich auseinander entwickelt.

Aus historischer Sicht hat Österreichs Kulturpolitik immer wieder dazu tendiert, einem kleinen hermetischen Zirkel von PolitikerInnen, BeamtInnen und VertreterInnen ausgewählter Kultureinrichtungen die Entscheidung zu überlassen, was kulturell der Fall ist. Als solcher verstand sich diese selbst ernannte Elite als Repräsentant einer konservativen Hegemonie im Lande. Es blieb dem kurzen kulturpolitischen Frühling der 1970er bzw. 1980er Jahre vorbehalten, diesen Anspruch zumindest teilweise in Frage zu stellen.

Das war die Phase, in der Politik die gerade erst im Entstehen begriffenen freien Szenen wirklich gebraucht hat. Ihre AktivistInnen sollten mithelfen, mit ihren Ideen einer kulturellen Demokratisierung die politische Reformagenda zu unterstützen. Ja, das war wohl eine kurze Hochzeit, in der zumindest Teile der Politik bereit waren, über ihren traditionelle kunstfeindlichen Schatten zu springen und in symbolischer Allianz mit freien und autonomen KünstlerInnen und Kulturschaffenden neue gesellschaftliche Experimente zu wagen und damit bei einer gegenüber neuen kulturellen Ausdrucksformen mehrheitlich skeptischen Bevölkerung Überzeugungsarbeit zu leisten. Und so wurden nach und nach neue Förderinstumente geschaffen, AnsprechpartnerInnen in der Verwaltung bestellt und politisch solange das Versprechen wiederholt, einen Schwerpunkt insbesondere auf das zeitgenössische Kunst- und Kulturschaffen legen zu wollen, bis alle Beteiligten es als gegeben annahmen.

Dass eine restaurative Kulturpolitik der frühen 2000er Jahre wieder darauf bestehen würde, die Reihen dicht zu schließen und das kulturpolitische Geschäft aus vorrangig parteipolitischer Sicht aufzuziehen, wurde nicht zuletzt von der IG Kultur immer wieder einer eingehenden Kritik unterzogen. Dass aber der Wiedereintritt der Sozialdemokratie in die Bundesregierung ab 2007 keine nachhaltige Verbesserung des Dialogs und des öffentlichen Diskurses nach sich ziehen würde, bleibt für viele bis heute eine Überraschung.

Und war doch in dem Maß vorauszusehen, als die rot-schwarzen Koalitionen sich immer mehr in Geiselhaft des Boulevards begaben und diesem die Entscheidung überließen, was politisch angesagt ist und was nicht. Für viele Mitglieder nicht nur der freien Szenen mag das einer narzistischen Kränkung gleichkommen, aber immer mehr Indizien sprechen dafür, dass der gegenwärtigen Bundesregierung eine gute und friktionsfreie Kommunikation mit der Familie Dichand oder den Brüdern Fellner wichtiger ist, als mit einzelnen KünstlerInnen und ihren Interessenvertretungen, mögen sie sich auch noch so engagiert für eine kontinuierliche kulturelle Basisarbeit stark machen.

Zahlen gefällig?
Während das Kunstbudget des Bundes seit Jahren, in manchen Kunstsparten sogar eklatant real fallende Tendenz zeigt (laut Kunstbericht 2009: 91,24 Mio. Euro), nehmen die Regierungsinserate immer hypertrophere Größenordnungen an. Die Branche schätzt, dass für diese Zuwendungen zur politischen Werbung allein in Tageszeitungen mit rund 95 Mio. pro Jahr bereits mehr als für das gesamte zeitgenössische Kunstschaffen ausgegeben wird.

Der Verweigerung der Politik, sich von künstlerischen und intellektuellen Szenen programmatisch inspirieren zu lassen, wird noch deutlicher, wenn Statistiken zeigen, dass mit 28% das Gros der Mittel an die Gratiszeitung Heute geht, gefolgt von Österreich mit 19%. Die weitere Verteilung verhält sich indirekt proportional zum Qualitätsanspruch der Zeitungen. So erhält die Kronen Zeitung immerhin noch 13% des Kuchens, gefolgt von der Kleinen Zeitung, dem Kurier und der Presse mit jeweils 9%. Da ist es nur konsequent, wenn der Standard als einzige Zeitung, die sich kontinuierlich um einen öffentlichen kulturpolitischen Diskurs bemüht, mit 7% das Schlusslicht bildet (Quelle: APA, 28.2.2011). Diese monetäre Hinwendung an die boulevardesk vermittelte Stimme des Volkes kommt in seiner ganzen programmatischen Anspruchslosigkeit einem Hilfeschrei gleich, der da lautet: Wir wollen überleben, koste es was es wolle. Und bei diesem Bemühen ist die ganze Anstrengung der politischen Klasse gefordert. Da will sie nicht von irgendwelchen KünstlerInnen, die nicht unmittelbar zur Imagepflege beizutragen vermögen, gestört werden.

Und weil wir schon beim Aufwaschen sind: Ähnliches gilt ganz offensichtlich auch für die freien Wissenschaftsszenen, die erst vor kurzem mit einem Förderungskahlschlag konfrontiert worden ist. Und weil die Zerstörung deren Arbeitsgrundlagen so gut funktioniert hat, werden jetzt auch gleich die Druckkostenbeiträge für wissenschaftliche Veröffentlichungen gestrichen.

Die Botschaft ist klar: Wir haben keine gemeinsamen Interessen mehr mit allen, die nicht unmittelbar prestigeträchtigen Teilen des Kulturbetriebs zuzurechnen sind. Und wir wollen uns nicht bei der Erfüllung des von den Herren Pandi und Co. übermittelten Willens des Volkes als oberster Instanz in der Mediokratie von irgendwelchen marginalisierten freien KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen behindern lassen.

Mein Befund: Es macht keinen Sinn, eine vermutete Allianz zwischen Politik und freien Szenen weiter zu strapazieren. Eine solche wurde längst einseitig aufgekündigt. Politik, sofern das, was zur Zeit an täglichen Marketingsprüchen über uns hereinbricht, noch als solche zu bezeichnen ist, hat sich in Österreich auf die Haltung zurückgezogen, die sie traditionell am besten beherrscht: kunstavers und antiintellektuell. Das wird die Verteidiger der räsonierenden Klassen freuen. Und der präsumtive nächste Kanzler der Republik wird diese Vorleistungen zu schätzen wissen.



Michael Wimmer
ist Gründungsmitglied und Geschäftsführer von Educult - ein unabhängiges Institut für Forschung, Beratung und Management in Kultur und Bildung.
 

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