27.08.2018

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Autor*in

Christoph Deeg
ist studierter Jazz-Musiker und international tätiger Berater im Bereich Digitale Transformation und Gamification. Ein Fokus seiner Arbeit liegt dabei auf den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Kultursektor.
Automatisierung im Kulturmarketing

Am Ende bleibt die Beziehungspflege

Marketing ist heute weit mehr als Verkauf oder Vertrieb. Dabei können Kultureinrichtungen viele der bisherigen Aktivitäten automatisieren. Dies verändert nicht nur die Arbeitsprozesse im Kulturmarketing, sondern das gesamte Kulturmanagement der Zukunft.

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Wenn wir uns Gedanken zur Automatisierung des Marketings im Kulturbereich machen, möchte man zuerst aufzählen, welche Aspekte überhaupt davon betroffen sind. Aber ehrlicherweise sollte man eher überlegen, welche es nicht sind, denn diese Aufzählung ist vermeintlich kürzer. Schon diese Einsicht zeigt, dass wir noch Lichtjahre entfernt sind von einem wirklichen digitalen Umbau des Kultursektors als Arbeitswelt, die kompatibel ist mit der Veränderung der Lebensrealität in unserer Gesellschaft.
 
Was bedeutet eigentlich (Kultur-)Marketing?
 
Im Bereich Marketing geht es heute nicht mehr um Werbung, PR oder den Verkauf von Produkten. Vielmehr gehe ich von einer umfassenden Definition als Querschnittsfunktion des Managements aus mit dem Ziel, Kompatibilität mit der Lebensrealität der Kunden zu erreichen. Im Zeitalter der Digitalisierung bedeutet dies einen Managementprozess, der die Organisation als Teilelement einer oder mehrerer Communitys bzw. Netzwerke versteht. Konkret bedeutet das: Es geht darum, dass das Museum oder das Theater eine offene Plattform als Teil eines sich stetig verändernden Netzwerkes ist, und um das Management der damit verbundenen Schnittstellen und Rückkopplungseffekte. Unter dieser Zielsetzung ergeben sich dann operative Prozesse, z.B. im Bereich der Online-Kommunikation etc.
 
Was bedeutet eigentlich Automatisierung?
 
Der Begriff Automatisierung ist eng verbunden mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung, speziell mit Algorithmen und Künstlichen Intelligenzen. Dabei geht es um komplexe Computerprogramme, die vorab definierte Gedankenprozesse und Workflows eigenständig umsetzen und in Teilen weiterentwickeln können. Die Chancen, die sich daraus ergeben, sind riesig und beängstigend zugleich: Ein großes Ziel des Marketings war es immer, jedem Kunden ein individuelles Produkterlebnis zu ermöglichen. Dies ist mit den heutigen Technologien endlich möglich. Zudem lassen sich Preise, Produkte, Kommunikation etc. in kürzester Zeit anpassen.
 
In diesem Zusammenhang wird gern darauf verwiesen, dass die Menschen die Kommunikation mit einem realen Menschen bevorzugen würden. Aber dieser Einwand ist gleich aus drei Gründen falsch:
 
  1. In vielen Fällen merken Menschen gar nicht, dass sie mit einer Maschine kommunizieren. Selbst die Sicherheit, einen analogen Menschen vor sich zu sehen, ist in Zukunft nicht mehr ganz gegeben, denn es ist durchaus möglich, dass dieser ein vorab definiertes Kommunikationsmodell befolgt oder aber direkt z.B. mittels Monitor oder Kopfhörer mit einer Maschine verbunden ist, die ihm die Entscheidungen etc. abnimmt.
  2. Menschen sind träge. In vielen Fällen haben wir längst völlig vergessen, dass der jeweilige Service vor nicht allzu langer Zeit von einem Menschen umgesetzt wurde. Stimmt der Service, vergessen Menschen schnell ihre Vorgaben. Und diejenigen, die ein spezielles Interesse an 100% organic-human-communication haben, werden eine kleine feine Minderheit sein.
  3. Es geht gar nicht darum, ob ich mit einem realen Menschen kommuniziere. Ob ein Teilelement der Kommunikation aus strategischen Gründen analog umgesetzt wird, steht nicht zur Diskussion.
Brauchen wir im Kultursektor also einfach nur mehr neue Programmierer anstatt realer Kulturkommunikatoren? Was spannend klingt, hat eine negative Kehrseite, und diese liegt nicht im Datenschutz. Dieser wird geklärt sein, sobald die damit verbundenen Geschäftsmodelle auf das temporäre Verarbeiten freigegebener Daten geändert worden sind. Nein, es geht dabei um die Frage, ob in einem automatisierten Marketingsystem die individuelle Kreativität sowohl der Zielgruppen als auch der Kommunikatoren im Sinne einer Konfrontation mit etwas Neuem noch möglich ist. Denn ein solches System wird versuchen, aus Effizienzgründen möglichst gleiche Produkte und Kundengruppen zu generieren. Anders ausgedrückt: Der Algorithmus reagiert im Unterschied zu einer Künstlichen Intelligenz nur auf mein Verhalten, er entwickelt keine kreative Eigendynamik. Wenn also eine Maschine aufgrund meiner Daten einen Erfahrungsraum erstellt, der zu mir passt, werde ich für das System letztlich immer in meiner Filterblase bleiben und mich nicht mehr weiterentwickeln.
 
Wir brauchen keine Social Media-Manager mehr!
 
Was wird nun in Zukunft passieren? Die meisten Online-Aktivitäten von Kulturinstitutionen können automatisiert werden. Für die meisten Kampagnen brauchen wir keine Social Media- oder Kulturmanager mehr. Hier kann die Maschine sogar von inhaltlichem Vorteil sein, denn ihr wird es leichter fallen, breitere Zielgruppen - weit über das aktuelle Bildungsbürgertum hinaus - anzusprechen. Auch für das Beantworten von An- und Rückfragen, für Ticketbuchungen und viele weitere Aktivitäten werden keine Menschen gebraucht. Dies wird in Zukunft von Chatbots etc. erledigt werden. Letztlich kann jede Online-Aktivität, die nicht einen aktiven Dialog auf verschiedensten Plattformen bedeutet, durch Maschinen umgesetzt werden.
 
Dieser Impact ist aber nicht nur im digitalen Raum zu beobachten. Auch im analogen Raum werden wir solche Veränderungsprozesse erleben. Bis auf den Bereich der eigentlichen künstlerischen Leistung, also das Erstellen eines Werkes, kann theoretisch alles mittels Maschinen verändert werden. Die Aufgabe realer Kulturmanager wäre es dann, als Schnittstellen- und Dialogmanager zu agieren. Das bedeutet vor allem, die Institution zu einer Plattform umzubauen, die sich selbst als Teil einer größeren Community versteht, mit der sie das gleiche Interesse bzw. Thema teilt. Broadcasting ist tot. Die Deutungshoheit hat nie existiert.
 
Quo Vadis Kulturmanagement?
 
In diesem Zusammenhang müssen wir uns fragen, ob wir die richtigen Antworten auf diese Entwicklung bereits gefunden haben. Ist das Kulturmanagement - und nicht nur das Marketing - auf diese Herausforderungen vorbereitet? Brauchen wir es überhaupt noch? Natürlich gibt es viele Gründe, warum wir Kulturmanagement noch brauchen. Für mich ist das wichtigste Argument sicherlich die wichtige Arbeit in den vielen Institutionen, bei denen in der Regel ein kleines Team völlig analog einen Betrieb aufrechterhält. Trotzdem müssen wir im Kontext der Digitalisierung das Selbstverständnis des Kulturmanagements hinterfragen. Es muss in Zukunft den Wandel des gesamten Kultursektors gestalten. Dies bezieht sich nicht nur auf neue Formate im Bereich Social Media. Es geht um einen Umbau der Strukturen und Prozesse bis hin zum Kern der Institution, um das Rütteln am Fundament. Anders ausgedrückt: Alles, was in den letzten zehn Jahren im Kultursektor im Kontext der Digitalisierung passierte, wurde in einem prä-digitalen Umfeld erreicht. Hier kommen wir nicht mehr weiter.
 
Für die Zukunft der Kulturarbeit heißt das: Solange Mitarbeiter keinen freien Internetzugang haben, solange sie das Internet während der Arbeitszeit nicht privat nutzen dürfen, solange die digitale Arbeit nicht als Kernaufgabe der Kulturinstitutionen verstanden wird, solange Kultureinrichtungen nicht mit der bestmöglichen digitalen Infrastruktur ausgestattet werden, solange es nicht zum guten Ton gehört, als Führungsperson einer Kultureinrichtung Veranstaltungen wie die Gamescom zu besuchen, solange wir weiter sinnlose Grundsatzdiskussionen um den angeblichen Konflikt zwischen digitalem und analogem Lebensraum führen, solange auch nur ein Förderprogramm im Kultursektor Geld verteilt, ohne dass es eine diesbezügliche projektbezogene digitale Strategie gibt, solange Social Media die Aufgabe von Praktikanten und FSJlern ist - solange steuern wir auf eine Situation zu, in der es im Angesicht der Automatisierung keinen Grund mehr gibt, überhaupt Kulturmanager zu beschäftigen.
 
Es bleibt dabei: Die großen Fragen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, sind in Teilen noch nicht verstanden und im Großen und Ganzen noch nicht angegangen worden. Aus diesem Grund ist der Kultursektor in der Breite im digitalen Raum noch immer absolut bedeutungslos. Die Frage ist nämlich nicht, wer zuerst welche Technologie einsetzen, sondern ob man mit den damit verbundenen Denk- und Arbeitsweisen umgehen kann. Die Fähigkeit einer Kulturinstitution, viele neue digitale Technologien zu nutzen, zeigt nur, dass sie in der Lage ist, Geld zu besorgen und auszugeben. Aber es bedeutet nicht, dass hier eine digitale Transformation stattfindet.
 
Das Kulturmanagement - so es denn nicht von Maschinen ersetzt werden will - muss also vor allem ein Management von Veränderungen sein, weg von der Entwicklung operativer Strategien hin zur Entwicklung komplexer Rahmenmodelle, um auf kommende Herausforderungen flexibel zu reagieren - ohne diese bereits zu kennen. Kulturmarketing in der Zukunft bedeutet also Veränderungsmanagement. Das Kulturmanagement der Zukunft muss nerven und in Frage stellen - aber es darf nicht bewahren und schon gar nicht einfach nur verwalten. Auf die damit verbundenen Aufgaben werden Kulturmanager nicht ausreichend vorbereitet. Das ist ein ernstes Problem.
 
Bauen wir den gesamten Kultursektor um
 
Gegebenenfalls gibt es eine Alternative: Vielleicht war der eingeschlagene Weg der letzten Jahre falsch. Im Kontext der Digitalisierung, aber auch weitergehender gesellschaftlicher Umwälzungen haben wir versucht, aus den Kulturinstitutionen eierlegende Wollmilchsäue zu entwickeln. Sie sollen Digitalisierung und Demographie, Diversität und Inklusion und vieles weitere mehr umsetzen. Was wir erleben ist viel Frust, nur wenige wirklich herausragende Ansätze und jede Menge Ressourcen, die wie Wasser in der Wüste verschwinden. Was aber würde geschehen, wenn wir diesen Prozess stoppen und einen anderen Ansatz wählen? Warum teilen wir die Kulturinstitutionen nicht in kleine flexible Einheiten auf und reduzieren sie auf ihre Kernfunktionen? Und dann entwickeln wir neue Strukturen, die z.B. für eine zielgerichtete Kulturvermittlung verantwortlich sind?
 
Stellen wir uns vor, wir haben ein Museum. Dieses kümmert sich um seine Sammlung im Sinne der Bewahrung und entwickelt klassische Ausstellungskonzepte. Daran angedockt finden wir viele kleine Einheiten - also weitere neue Institutionen - die sich um die Kulturvermittlung kümmern. Manche führen mittels automatisierter Software eine Vielzahl an Aktivitäten im digitalen Raum durch, z.B. völlig neue Ausstellungsformate. Andere entwickeln Spezialangebote für Schulen etc. Auf diese Art und Weise könnten wir die Chancen, die sich aus der Automatisierung ergeben, besser nutzen. Diese neuen Einheiten könnten nach völlig neuen Kriterien von einer neuen Generation von Kulturmanagern entwickelt und geleitet werden.
 
Was bedeutet das konkret für die Kulturmanager der Zukunft?
 
In einem ersten Schritt muss das Thema Digitalisierung zu einer Querschnittsfunktion der Arbeit und der Ausbildung von Kulturmanagern werden. Wir brauchen erheblich mehr Know-how in diesem Bereich. Dies betrifft nicht nur Technologien und ihre Innovationszyklen, sondern auch die damit verbundenen Funktionen und die daraus resultierende Kultur. Da sich der digitale Raum kontinuierlich ändert, benötigen wir kontinuierliche Weiterbildungsprogramme auf hohem Niveau mit möglichst internationalen Experten und vor allem Umsetzungs- und Ausprobierräume während der Arbeitszeit. Wir brauchen für jede Kulturinstitution eine Auflistung aller benötigten digitalen Grundkenntnisse. Diese muss mit dem Ist-Zustand abgeglichen und daraus individuelle Weiterbildungsportfolios abgeleitet werden. Wir müssen die Stellenbeschreibungen ändern. In der Zukunft darf es nicht primär darum gehen, was man studiert hat, sondern was man kann. Wir brauchen Masterstudiengänge, die digitale Transformation, Gamification oder digitale Geschäftsmodelle im Kultursektor als Standartthemen des Kulturmanagements begreifen.
 
Für Kulturmanager ergeben sich daraus konkrete nächste Schritte: Sie sollten sich massiv interdisziplinär und außerhalb des Kultursektors vernetzen. Sie sollten aktiv im digitalen Raum agieren können und sich eigenständig in diesem Bereich fortbilden. Aber am wichtigsten ist: Die Kulturmanager, die bereits im digitalen Raum aktiv sind, sollten ihre Kollegen, ihr Umfeld einladen, es ebenfalls zu tun und ihnen dabei helfen.
 
Steile These zum Schluss
 
In Kulturinstitutionen findet zu wenig Experiment statt. Diesen Konflikt könnte ein Kulturmanagement 4.0 inkl. einer weitreichenden Automatisierung ausgesuchter Prozesse auflösen. Denn egal für welchen Weg sich entschieden wird - Kulturmanagement muss Digitalisierung und Automatisierung wollen und diesen Prozess aktiv gestalten - sonst wird es sehr bald keine Bedeutung mehr haben.

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