07.10.2022

Themenreihe Berufsbild

Autor*in

Eva Maria Ostendorf
hat einen Masterabschluss in BWL. Sie ist Partnerin und Direktorin der Kristin Hjellegjerde Gallery in Berlin und Mutter von drei Kindern. Zuvor hatte sie diverse leitende Positionen im strategischen Vertrieb bei Unternehmen in Deutschland, Neuseeland und Indien inne (u.a. PAYBACK, Amex, Beiersdorf). Sie ist Mitglied des Aufsichtsrats von Oxfam Deutschland und Mitgründerin des Vereins WAM - Women in Arts & Media e. V.
Berufsbilder im Kulturbereich

Galerist*in

Neben Aufgaben, die der Museumswelt sehr nahe sind, spielt in Galerien die Wirtschaftlichkeit eine zentrale Rolle für das Überleben des eigenen Unternehmens - und damit Tätigkeiten aus dem klassischen Kulturmanagement. Wie die wirtschaftlichen und die kulturellen Aufgaben dabei Hand in Hand gehen, beschreibt die Galeristin Eva Maria Ostendorf.

Themenreihe Berufsbild

Dieses Berufsbild ist entstanden in Kooperation mit dem WAM - Women in Arts and Media e. V., den Eva Maria Ostendorf mitgegründet hat. 
 
Würden Sie uns Ihre wichtigsten beruflichen Stationen beschreiben? Welche haben Sie auf besondere Weise geprägt?
 
Eva Maria Ostendorf: Seit 2018 arbeite ich als geschäftsführende Direktorin und Partnerin einer Galerie für zeitgenössische Kunst in Berlin - ursprünglich jedoch habe ich BWL studiert und mein erstes Berufsjahrzehnt für große Unternehmen in Deutschland und im Ausland gearbeitet. Eines habe ich in beiden Berufsfeldern immer wieder gemerkt: es gibt nichts Besseres als die "real life" Experience beim Arbeiten. Das Studium fand ich recht trocken und zäh, aber die ersten Erfahrungen, dass man mit der richtigen Portion Leidenschaft viel erreichen kann, habe ich in dieser Zeit in meinen 1,5 Jahren beim OFW gemacht - einer studentischen Initiative, die alle 2 Jahre einen großen Wirtschaftskongress zu einem spezifischen Thema organisiert mit Top-Speakern aus aller Welt (u.a. Bill Gates). Solche Menschen für die Teilnahme begeistern können, auch als junge Studentin im 1. Uni-Jahr, das war eine tolle und wichtige Erfahrung. Prägend waren für mich auch meine beiden beruflichen Zeiten in Neuseeland und Indien - die Welt entdecken, andere Kulturen, andere Arten des Lebens und des Arbeitens teilen… sowohl spannend und inspirierend als auch hilfreich für die eigene Orientierung und Selbstfindung. 
 
Vor knapp fünf Jahren habe ich mich dann entschlossen, die Berliner Dependance der Londoner Galerie meiner norwegischen Halbschwester zu eröffnen, da ich große Lust auf Neues hatte. Eine zu dem Zeitpunkt durchaus wahnwitzige Idee, da ich soeben mein drittes Kind bekommen hatte. Aber die zeitknappe Verrücktheit, die eine "Großfamilie" so mit sich bringt, hat auch ihr Gutes: man fokussiert noch mehr und wenn die intrinsische Motivation groß ist, ist das Energie- und Konzentrationslevel riesig!
 
Welche Aufgaben fallen in Ihren derzeitigen Tätigkeitsbereich? Welche erfüllen Sie dabei mit besonderer Freude?
 
EMO: Wir sind zwar bereits international mit bald vier Länder-Dependancen aufgestellt, aber trotz alledem ein noch sehr überschaubares Team. Daher ist meine Aufgabe der Leitung der Berliner Galerie extrem vielfältig: Neben der Vorbereitung und Steuerung der in ca. sechswöchigem Rhythmus wechselnden Ausstellungen geht es natürlich auch um den intensiven Austausch mit den internationalen Künstler*innen, die wir zeigen, und um die Pflege des Netzwerkes zu Sammler*innen, Institutionen und Museen, Journalist*innen. Letztendlich sind Galerist*innen durchaus so etwas wie Manager*innen ihrer Galeriekünstler*innen. Hilfreich hierzu sind natürlich internationale Kunstmessen, an denen wir teilnehmen und die in ihrer Vorbereitung teils recht zeitintensiv sind. Außerdem habe ich immer wieder mit dem Versand der Kunstwerke zu tun, da wir an viele ausländische Sammlungen verkaufen und uns daher häufig mit steuerlichen Fragen beschäftigen müssen. Wenn ich nicht unterwegs, sondern in der Galerie bin, biete ich unseren Besucher*innen auch gern selbst eine Tour durch die aktuelle Ausstellung an, da mir die Vermittlung unserer Kunst und der Austausch sehr am Herzen liegen. Zusätzlich bin ich als Geschäftsführerin - die Galerie ist juristisch eine GmbH - auch für alles Finanzielle zuständig, natürlich in Zusammenarbeit mit unserem Steuerberater. Die kuratorische Leitung und damit die Entscheidung, welche Künstler*innen wir wann und wo zeigen, liegt derweil hauptverantwortlich bei meiner Schwester. Ergänzend zu meinen Aufgaben in der Berliner Galerie organisieren wir seit 2021 eine jährliche Sommerausstellung in einem alten verfallenen Schloss in Brandenburg - 2022 haben wir 38 Künstler*innen aus 25 Ländern gezeigt und für das Eröffnungswochenende u.a. Konzerte, Bus Shuttles und Food Trucks organisiert. Solche weiteren Projekte sind wunderbar, benötigen aber natürlich viel Vorbereitung. Es wird also nie langweilig!
 
Besonders Spaß an meiner Arbeit macht mir - neben dem vielfältigen Potpourri an Aufgaben - der Austausch mit all den wunderbaren Menschen, mit denen wir Kontakt haben. Wir sind mittlerweile eine richtige internationale Galeriefamilie mit dem Team in den verschiedenen Ländern und unseren Galerie-Künstler*innen geworden und auch die Zusammenarbeit mit den weltweiten Sammler*innen basiert auf Vertrauen und Respekt und ist zumeist richtig freundschaftlich. Wir arbeiten mit langfristiger Perspektive und viel Leidenschaft für das, was wir tun, und bekommen dafür sehr viel positive Energie zurück.
 
Welche Aspekte Ihrer Ausbildung haben Ihnen bei Ihrer beruflichen Laufbahn am meisten geholfen? 
 
EMO: Mein BWL-Studium fand ich insofern hilfreich, dass ich ein Verständnis von Zahlen und Projektmanagement eingeschärft bekommen habe. Auch war die Lektion, sich in einer so riesigen Uni selbst zurecht zu finden zu können und absolut eigenverantwortlich zu sein, wichtig fürs Leben. 
 
Welche Bereiche haben Ihnen in Ihrer Ausbildung gefehlt und wie haben Sie diese Kompetenzen stattdessen erworben?
 
EMO: Mittlerweile sind die Studiengänge alle realitätsnaher und praxisnaher - das habe ich damals sehr vermisst. Ich glaube aber, dass auch heute berufsbezogene Praktika zum Kennenlernen des möglichen Jobumfelds sehr wichtig sind - hier habe ich am meisten gelernt. Mein Galerie-Start war ein wilder Sprung ins kalte Wasser: Natürlich war das Londoner Team als Sparringspartner für die Basics eine enorme Hilfe, aber besonders am Anfang wird man mit vielen landesspezifischen Themen und Eigenheiten konfrontiert, wie einer eigenen EORI-Nummer für den Zoll oder den KSK-Beiträgen für verkaufte Kunst. Hier haben mir Gespräche mit anderen Galerist*innen vor Ort geholfen. Aber grundsätzlich gilt bei wichtigen Themen: Versucht immer, alles selbst zu verstehen - zumindest in seinen Grundstrukturen - dann sollte nicht allzu viel schief gehen.
 
Welche Rolle haben Unterstützungsstrukturen wie Mentoringprogramme oder Netzwerke für Ihren Karriereweg gespielt?
 
EMO: Toll, was es mittlerweile gibt - ich hätte mir sehr in meinen früheren Berufsjahren ein Mentoring-Programm gewünscht! Vor zwei Jahren hatte ich nun das Glück, beim Deutschen Kulturrat für Frauen in Führungspositionen ausgewählt zu werden - neben dem Coaching durch den persönlichen Mentor war und ist auch der Kontakt mit den anderen Mentees absolut inspirierend. Und es gibt ja erfreulicherweise mittlerweile - nicht nur für Frauen! - in ganz Deutschland einige tolle Netzwerke und Mentoring-Projekte. Ich würde jedem raten, hier die Augen offen zu halten. Und warum nicht einfach selbst in der eigenen Stadt anfangen, solche Netzwerke aufbauen? Ich persönlich freue mich, jetzt mit unserem Verein WAM (Women in Arts and Media) für ein erstes Projekt selbst als Mentorin für junge Frauen ein wenig zurückgeben zu können von dem, was ich gelernt habe.
 
Wie hat sich Ihr Berufsbild in den letzten Jahren verändert? Und wie wird es sich voraussichtlich in den nächsten Jahren entwickeln?
 
EMO: Seit vielen Jahren wird immer und immer wieder kolportiert, dass klassische Galerien keine Zukunft mehr haben werden: U.a. gibt es durch das Internet immer mehr hochwertige Möglichkeiten, online Kunstwerke zu präsentieren; und jetzt geht die Kunst als NFT auch noch in die komplett virtuelle Welt. Ich sehe solche Entwicklungen grundsätzlich als Chancen, sich zukünftig noch breiter aufstellen zu können. Digitale Plattformen wie Artsy, aber auch Social-Media-Kanäle wie Instagram sind eine hervorragende Unterstützung, international sichtbarer zu werden. Mit arrondierenden Maßnahmen wie eigenen Online Viewing Rooms und Videoführungen durch die Ausstellung wächst die internationale Welt nur mehr zusammen - hier versuchen wir natürlich auch, gut aufgestellt zu sein. Das Abschaffen der Galerie vor Ort sehe ich aber nicht. Die einzigartige Magie, die Kunstwerke live und in Farbe auf sich wirken zu lassen und mit ihnen in die eigene persönliche Interaktion zu kommen, ist nicht so einfach ersetzbar - daher bin ich sicher, dass wir Galerien auch in Offline-Präsenz weiterhin unsere Existenzberechtigung haben werden. Und auch nach den vielen Lockdowns sehen wir, wie sehr die Menschen wieder nach dem persönlichen, direkten Austausch streben und diesen genießen. So wie wir selbst auch!
 
Gab es Situationen in Ihrer Karriere, in denen Sie das Gefühl hatten, das Ziel nicht mehr zu erreichen? Welchen Rat können Sie jungen Kulturmanager*innen in solchen Situationen mit auf den Weg geben?
 
EMO: Nach einigen Jahren in meiner alten Berufswelt im strategischen Vertrieb war ich in einer absoluten Sinnkrise, konnte mich aber nicht wirklich entscheiden, was ich eigentlich zukünftig tun wollte. Hier kann ich nur jedem raten, sich die Zeit für sich selbst zu nehmen, Bücher zu den Themen zu lesen, viele Gespräche mit Freunden zu führen und unbedingt die Gedanken, Fragestellungen und Ideen, die sich ergeben, aufzuschreiben. Mein Mann und ich haben auf Basis unseres Findungsprozesses, bei dem wir viele Aspekte unserer bisherigen Arbeit, aber auch unseres Lebens beleuchtet haben, alles einmal so ziemlich auf den Kopf gestellt; haben viel geändert, die Stadt und die Jobs gewechselt und auch andere Lebensumstände angepasst - und jetzt fühlt sich so viel mehr einfach richtig an!
 

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