29.09.2022
Themenreihe Berufsbild
Autor*in
Theresa von Halle
ist studierte Oboistin, Regisseurin für Musiktheater und leitet das Junge Ensemble Musiktheater Hamburg. Ihre Inszenierungen führten sie u.a. an die Deutschen Oper Berlin, das ITZ Tübingen, Theater Lüneburg, die Neuköllner Oper Berlin und zum STEGREIF.orchester. Sie ist Finalistin und Preisträgerin mehrerer Opernpreise. Seit 2019 ist sie Mentee im Mentoringprogramm des Deutschen Kulturrats für Frauen in Leitungsfunktionen.
Berufsbilder im Kulturbereich
Künstlerische Leitung im Bereich Musiktheater
In künstlerischen Berufen spielen kulturmanageriale Fähigkeiten eine wichtige Rolle. So gehören Personalfragen, Kooperationen, Finanzierung oder auch Administration zum Verantwortungsbereich der Künstlerischen Leitung. Wie das den beruflichen Alltag prägt und wie man als Künstler*in die notwendigen Fähigkeiten erwirbt, erklärt die Regisseurin Theresa von Halle.
Themenreihe Berufsbild
Dieses Berufsbild ist entstanden in Kooperation mit dem WAM - Women in Arts and Media e. V., in dem Theresa von Halle Mitglied ist.
Würden Sie uns Ihre wichtigsten beruflichen Stationen beschreiben? Welche haben Sie auf besondere Weise geprägt?
Theresa von Halle: Die wichtigsten beruflichen Stationen waren für mich immer Wendepunkte.
Ein maßgeblicher Wendepunkt für mich waren meine ersten bewussten Schritte, die mich von der Oboe zur Regie geführt haben. Als Oboistin habe ich beim Spielen Geschichten, Dialoge, Situationen erlebt und hatte den Drang, diese für das Publikum zu vergrößern, spielerisch damit umzugehen. Ich begann Konzerte zu inszenieren, in denen Instrumentalist*innen zu Figuren eines Theaters wurden, ich nenne es Acting Instruments. Weil es neu war und mit keiner Erwartung zusammenhing, konnte ich die Arbeitsweise selbst erproben. Es lag darin eine große Freiheit und Unerschrockenheit.
Ein zweite Station, die mich geprägt hat, waren Regieassistenzen bei Christoph Marthaler. Ich hatte "Tessa Blomstedt gibt nicht auf" an der Volksbühne von ihm gesehen und war sehr berührt, wie er kleine blitzartige Momente im Leben, in denen die ganze Welt steckt, die jeder kennt und keiner beschreiben kann, in humorvoller, absurder und poetischer Form auf die Bühne bringt, maßgeblich auch durch Musik. Ich wollte seine Arbeit erleben und schrieb ihn an. Ich habe dann in kurzer Zeit wahnsinnig viel erfahren und lernen dürfen.
Ein weiterer Wendepunkt und prägend für mich war die Künstlerische Leitung in der partizipativen Stadtteiloper mit der Kammerakademie Potsdam und über 400 Beteiligten aus dem Stadtteil Drewitz. Das Orchester und der damalige Education-Leiter hatten schon Erfahrung mit Massen und Partizipation und ein großes Vertrauen in den Prozess, davon habe ich sehr profitiert. Es war ein Wahnsinnsjahr: Kommunikation mit den unterschiedlichsten Menschen, Proben mit insgesamt 380 Schüler*innen, professionellen Sänger*innen und enge Zusammenarbeit mit dem Orchester. Es bedurfte einer ständigen Offenheit, Organisation, Logistik und Ruhe.
Als ich begann, eigene Projekte umzusetzen, beinhaltete das auch, alle organisatorischen und administrativen Aufgaben einer Projektleitung selbst zu machen. In jedem Schritt und mit jeder neuen Aufführung habe ich entdeckt, was man alles zu bedenken, abzuklären, zu kommunizieren und abzuwickeln hat, von der Suche des Veranstaltungsraumes über die Finanzierung, technische Bühnenanweisungen, Organisation von Fahrten und Unterkünften bis zur Bestuhlung und den Leuchten. Ich habe diese Aufgaben also im Prozess kennen und umzusetzen gelernt. So war ich der Aufgabe der Künstlerischen Leitung zum Zeitpunkt der Stadtteiloper zwar gewachsen, habe dort aber gelernt, wie wichtig es ist, im Vorhinein die Verantwortungsbereiche der Projektleitung und der Künstlerischen Leitung abzuklären. Für beide Bereiche ist es wichtig, sich vor einigen Aufgaben zu schützen. Als Künstlerische Leitung und Regie habe ich die Verantwortung, beim Künstlerischen Team zu sein, ihnen einen Schutzraum zu bieten, und brauche dafür volle Konzentration und viel Kommunikation.
In Potsdam ist ein leidenschaftliches Gesamtkunstwerk entstanden, was den Stadtteil verändert hat. Ich habe da für mich verstanden, wie nah Oper am Leben sein kann und wie das Leben in den Prozess einer Opernentstehung gehört. Daraufhin habe ich das Junge Ensemble Musiktheater in Hamburg gegründet, ein Pool von Kindern und Jugendlichen, die ihre eigenen Musiktheater entwickeln und komponieren.
Welche Aufgaben fallen in Ihren derzeitigen Tätigkeitsbereich? Welche erfüllen Sie dabei mit besonderer Freude?
TvH: Zu meinen Aufgabenbereichen gehören das Initiieren und Konzipieren von Stücken, Recherche, Reisen, potenzielle Spielorte entdecken, Kommunikation mit dem Künstlerischen Team, mit den Gewerken, mit dem Publikum und die Akquise von Geldern. Schätzungsweise nehmen die organisatorischen, administrativen Aufgaben doppelt so viel Zeit in Anspruch wie die künstlerischen. Da aber immer die künstlerische Vision Ansporn für diese Arbeiten ist, verschwimmt es etwas.
In Projekten in der freien Szene kommt meistens mehr organisatorische Arbeit dazu. Hier kann es auch sein, dass ich mit Requisiten baue, Scheinwerfer schleppe, also überall mit anpacke. Außerdem gebe ich Workshops zum Thema "Phasen in Partizipative Prozessen" und Coachings für Musikstudierende bei der Entwicklung von Konzertkonzepten an der HfMT Hamburg.
Am meisten Freude in meinem Beruf habe ich im Probenprozess. Der Moment, mit den Spieler*innen zusammen zu kommen und in die Probenwelt, in eine Vision abzutauchen. Es ist immer ein Abenteuer und idealer Weise entsteht ein freier Raum, in dem Vertrauen herrscht. Da können eine wunderschöne Energie und Erfindungskraft und Sprache miteinander entstehen. Es ist so ein Zustand zwischen exakter Klarheit, totaler Reduktion und Freiheit.
Welche Aspekte Ihrer Ausbildung haben Ihnen bei Ihrer beruflichen Laufbahn am meisten geholfen?
TvH: Wenn ich mich einem Musiktheaterwerk nähere, dann höre ich zunächst erstmal ausschließlich die Musik, erst danach lese ich das Libretto und beschäftige mich mit dem Inhalt. Das hängt sicher mit meiner Ausbildung als Musikerin zusammen. Sie gibt mir auch die Möglichkeit, Verbindungen zwischen den Gesetzen im Kompositionsraum und im Bühnenraum herzustellen, wenn es um die Dramaturgie, Raumspannung, Timing, Farben, oder um Rhythmus geht. Die meisten Sinfonien und Konzerten könnte man sofort als Dramaturgie eines Theaterstücks nehmen und übersetzen.
Zudem kann ich von fast jeder*m Komponist*in der Weltgeschichte ein bisschen Theater lernen.
Welche Bereiche haben Ihnen in Ihrer Ausbildung gefehlt und wie haben Sie diese Kompetenzen stattdessen erworben?
TvH: Ich habe eigentlich alles in der Praxis als Regisseurin erworben.
Die erste Etappe meines Oboenstudiums habe ich als sehr einseitig empfunden. Es hat mir Spielfreude, Sinnhaftigkeit und Kreativität gefehlt, ein Dialog auf Augenhöhe, ein gesellschaftlicher Bezug der Musik und eine individuelle Herangehensweise an Musikstudierende. Auch Basic Tools fürs Selbstmanagement wurden nicht vermittelt. Später, im Studium an der HfMT Hamburg, war es anders, da gab es verschiedene Themen, Kurse und der Raum für interdisziplinären Austausch. Die letzten Jahre tut sich da viel in den Musikhochschulen und es ist auch sehr individuell, was jede*r Studierende braucht.
Wertvolle Kompetenzen habe ich erworben, indem ich Expert*innen, Personen, deren Arbeit mich interessiert, die an Erfahrung reicher sind, angesprochen und um Rat und Erfahrungen gefragt habe. Ich bin da immer auf offene, großzügige Menschen getroffen und habe auch sehr konkrete Fragen gestellt. Wichtige Kompetenzen für alle administrativen Aufgaben habe ich aber vor allem in der Praxis und als Stipendiatin der Sommerakademie Concerto21 der Alfred Toepfer Stiftung und der Förderung stART.up der Claussen-Simon-Stiftung Hamburg lernen können. Im Musikstudium gab es dafür keinen Raum, es ging nur um Karrieren in einem Orchester, nicht um andere Karrierewege und was man dafür braucht.
Welche Rolle haben Unterstützungsstrukturen wie Mentoringprogramme oder Netzwerke für Ihren Karriereweg gespielt?
TvH: Vor allem der Austausch der Mentees des Mentoringprogramms des Deutschen Kulturrats "Frauen in Kultur und Medien" untereinander spielt für mich eine große Rolle. Es fühlt sich für mich fast familiär an, so viele großartige, qualifizierte und unterstützende Frauen zu kennen und hinter sich zu wissen. Man teilt und freut sich füreinander. In so einem Netzwerk kommt eine Reichhaltigkeit an Kompetenzen und Erfahrungen zusammen. Durch die Mentees dieses Programms ist auch das Netzwerk WAM - Woman in Arts and Media entstanden, das sich für die Stärkung von Frauen - in ihrer Diversität - in Führungspositionen in Kultur & Medien einsetzt: für Geschlechtergerechtigkeit, zeitgemäße Arbeits- und Führungsmodelle, die Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Das Netzwerk bietet Programme für Frauen aus allen Kultursparten, die am Anfang ihrer Karriere stehen.
Wie hat sich Ihr Berufsbild in den letzten Jahren verändert? Und wie wird es sich voraussichtlich in den nächsten Jahren entwickeln?
TvH: Ich bemerke, dass die Qualität, allumfassend zu denken, die Menschen und das Leben mit in den Prozess einer Stückentstehung einzubeziehen, immer wichtiger wird. Nicht nur hinter der Bühne und auf der Bühne zu arbeiten, sondern mehr partizipative Arbeit, stärker in den direkten Kontakt gehen. Das Live-Theater will ja gegen Netflix ankommen, es möchte Menschen begeistern, Zuschauer*innen zu gewinnen. Deshalb ist es wichtig, nah ans Leben zu kommen. Und dazu gehört auch, Menschen einzubeziehen. Zeitgenössische Stücke und Formate, die Spaß machen und nicht nur dystopisch sind. Ich sehe darin auch eine gesellschaftsrelevante Aufgabe der Oper. Für Regie und künstlerische Leitung bedeutet das neue Kompetenzen und neue Herangehensweisen an die eigene Arbeit, Moderationsfähigkeit, eine Sensibilität für Menschen außerhalb des Kulturbereichs und die Bereitschaft, sich auf diese Menschen einzulassen.
Ich bin auch optimistisch, dass notwendigerweise familienfreundliche Strukturen in den Häusern entstehen und sich moderne Leitungsmodelle entwickeln, die das möglich machen. Jedenfalls wird es thematisiert, es gibt Austausch, Netzwerke usw. Work-Life-Balance sollte es für künstlerische Leitungen geben und diese müssen solche Strukturen auch für ihre Mitarbeiter*innen, Künstler*innen und weitere Akteur*innen ermöglichen.
Gab es Situationen in Ihrer Karriere, in denen Sie das Gefühl hatten, das Ziel nicht mehr zu erreichen? Welchen Rat können Sie jungen Kulturmanager*innen in solchen Situationen mit auf den Weg geben?
TvH: Es gab eine Situation, in der ich mein Ziel, oder besser gesagt mein Anliegen, nicht so erreicht habe, wie ich es mir gewünscht hatte. In einer Produktion steckte ich fest, ich kam nicht in meine Kraft oder zu dem, was ich wirklich gut kann. Das war eine schmerzvolle Erfahrung. Wenn man etwas wagt, kann es auch passieren, dass es nicht gelingt, dass etwas schief gehen kann. Ich glaube, wichtig ist, einzuschätzen, ob man seine Verantwortung dabei tragen kann. Es war damals im Vorfeld schon klar, dass die Voraussetzungen nicht stimmen, jemand mit mehr Erfahrung wäre unter diesen Bedingungen nicht angetreten. Im Nachhinein habe ich daraus gelernt, auf meine Intuition zu hören und vorab mit der obersten Instanz offen über Fragen oder Zweifel zu reden.
Generell würde ich den Rat geben, nicht zu starr auf ein Ziel zu setzen, sich mal umzudrehen und zu schauen, was da vor einem liegt. Das Ziel oder den Wunsch einmal von überraschenden Winkeln und Perspektiven zu betrachten. Grundsätzlich würde ich jeden Menschen ermutigen sich zu trauen, große Ziele zu denken und zu wünschen, egal wie realistisch oder nicht sie einem erscheinen. Sich selbst zu vertrauen und dem, was einen antreibt. Und dann in klitzekleinen oder riesengroßen Schritten auf das Ziel loszuziehen. Zum Beispiel 20 Minuten am Tag investieren in dieses Ziel.
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