11.01.2018

Themenreihe Personal

Autor*in

Oliver Scheytt

ist Inhaber der Personal- und Strategieberatung Kulturexperten sowie Geschäftsführer der Kulturpersonal GmbH. Er war Kulturdezernent der Stadt Essen Geschäftsführer der RUHR.2010. Oliver Scheytt ist seit 1997 Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und seit 2007 Professor für Kulturpolitik an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. 
Besetzungsverfahren im Kulturbereich

Eierlegende Wollmilchsäue

Stellenausschreibungen zeigen immer wieder, dass Kulturbetriebe nach dem real gewordenen Mythos suchen. Was wird nicht alles von den BewerberInnen erwartet, um alle Vorzüge vereint in einer Person zu finden. Aber Mythen nachzujagen ist mit vielen Risiken verbunden und führt letztlich sehenden Auges zum Scheitern.

Themenreihe Personal

Sie geistern immer wieder durch Stellenbesetzungsprozesse bei Kulturinstitutionen: die eierlegenden Wollmilchsäue. Sie sollen es sein, sie sollen es richten, die hätten wir dann gerne. Eine eierlegende Wollmilchsau ist eine Persönlichkeit, die alles bietet, alles kann, alles macht, weil sie bestens geeignet ist und alle Kriterien des (vielleicht gar nur vermeintlichen) Anforderungsprofils erfüllt. Sie kann sämtliche Programme innovativ konzipieren, Produktionen effektvoll arrangieren, Kommunikation publikumsadäquat gestalten und Administration effizient abwickeln. Doch wir alle wissen: Trotz der immer größer werdenden Zahl an AbsolventInnen im Kulturmanagement gibt es die gesuchte Spezies nur in der Fantasie, nicht im echten Leben.

So bleibt das Risiko. Kulturorganisationen kommen nicht umhin, riskante und zugleich richtige Auswahlentscheidungen zu treffen. Welche Person passt auf diese Stelle? Das Wort passt kann dabei trügerisch sein: Es kann nicht darum gehen, alles und jede(n) passend zu machen. Denn Spannung und Reibung sind entscheidende Momente für Innovation, für Fortentwicklung einer Organisation, ja einen exzellenten Kulturbetrieb (A. Klein).

Die mit der Auswahlentscheidung in Besetzungsverfahren verbundenen und damit bewusst einzukalkulierenden Risiken werden im Folgenden anhand der unterschiedlichen Elemente der eierlegenden Wollmilchsau kurz charakterisiert.

Überraschungseier

Den Inhalt von Überraschungseiern kennt man vorher nicht. Umso schöner ist es, wenn sich dieser zu einem kleinen Wunderwerk zusammensetzen lässt. Aber bei Stellenbesetzungen geht es nicht um kurzweilige Spielzeuge, sondern (meist) um die Anbahnung langfristiger Bindungen. Daher sollten Überraschungen in Form nicht erkannter Risiken vermieden werden.

So ist es sehr verwunderlich, dass oft entscheidende Punkte, die zur Nichtbesetzung führen können, von beiden Seiten nicht frühzeitig geklärt werden. Zu nennen sind etwa: mit der Position verbundene Verantwortlichkeiten, Höhe des Gehaltes, Vertragsbedingungen, familiäre Situation etc. Solche Fragen sollten bereits vor den Vorstellungsgesprächen geklärt werden. Angesichts des erheblichen Zeit- und Energieaufwandes stellen sich so dem Auswahlgremium nur jene KandidatInnen vor, bei denen dies der Fall ist. Anderenfalls realisiert sich das Risiko eines Neins zu einem Zeitpunkt, der so spät ist, dass die Beteiligten sich erheblichen Aufwand und Enttäuschungen hätten sparen können.

Den Inhalt von Überraschungseiern kann man nicht einmal durch Schütteln erraten. Und selbst wenn das möglich wäre, man wird nie sicher sein, ob man die Geräusche richtig interpretiert. Ich rate nicht dazu, die Verfahren oder KandidatInnen durchzuschütteln. Doch gibt es zahlreiche in der Praxis erprobte Verfahren, um das Risiko von Fehlentscheidungen zu minimieren. Nach Erkenntnissen aus der Psychologie ist das strukturierte Interview, an dem mehrere Personen beteiligt sind, eine der validesten Methoden. Gut geeignete Fragen zu formulieren, gepaart mit Aufgabenstellungen, die dem künftigen Betätigungsfeld entsprechen, ist zwar eine zeitaufwändige Angelegenheit. Aber um ein tragfähiges Ergebnis zu erzielen, ist die Erarbeitung eines qualifizierten Fragenkatalogs aller Mühen Wert.

Wohlige Wolle Das Risiko der Emotionen

Wie fühlt sich Wolle an? Sie kratzt hoffentlich nicht, sondern wärmt und schützt, gibt ein behagliches Gefühl. Sollten sich Bewerberpersönlichkeiten und Auswahlgremien bei der Besetzung auf ihr Bauchgefühl verlassen? Sich vom ersten Eindruck leiten zu lassen, ist riskant. Dieser kann durch vieles beeinflusst sein, das uns im Moment der Begegnung nicht bewusst ist. Allerdings: Wenn die Chemie nicht stimmt, ist das Risiko späterer Explosionen relativ hoch. Die Anbahnung und die Dauerhaftigkeit menschlicher Beziehungen sind und bleiben ein von emotionalen Elementen geprägtes Phänomen. Und Emotionen sind beileibe nicht immer kalkulierbar und risikofrei. Wir entscheiden uns in Besetzungsverfahren nicht für ein technisches Gerät mit entsprechenden Herstellergarantien, sondern gehen menschliche Bindungen ein. Und da spielt das Moment des Wohlfühlens eine ganz entscheidende Rolle.

Milch macht müde Männer munter

Ein merkwürdiger Werbespruch aus den 50er Jahren ist zu einem geflügelten Wort geworden. Es wurde eine Behauptung aufgestellt, die letztlich keinen Wahrheitsgehalt hat. In Bewerbungsverfahren geht es für beide Seiten immer auch darum, für sich zu werben. Fehleinschätzungen sollten vermieden werden. Umso wichtiger ist es, das jeweilige Anforderungsprofil der Stelle und das Kompetenzprofil der Person möglichst aus vielfachen Perspektiven miteinander abzugleichen, ohne sich dabei in die eigene Tasche zu lügen. Das ist viel leichter gesagt als getan. Vor allem, weil in den Unterlagen und Gesprächen oft einzelne Punkte für das Ganze genommen werden. Milch mag vielleicht nicht munter machen, doch lässt sie sich wiederum zu so vielen unterschiedlichen Produkten verarbeiten, die uns mehr Potenziale eröffnen, als uns der Werbespruch zu vermitteln vermag. Die vielfachen Facetten und Optionen der BewerberInnen mit zu bedenken und ihre Potenziale zu erkennen, ist bei Besetzungsentscheidungen eine der wichtigsten Aufgaben.

Coole Säue

Wollmilchsäue gibt es nicht, doch hier und da gibt es eine coole Sau. Wir verwenden diesen Begriff, wenn jemand bereit ist, etwas zu riskieren. Trotz Gefahren, Widerständen und Anfeindungen beschreitet jemand seinen Weg, entscheidet sich so, wie es andere vielleicht nicht gewagt hätten. Solche Entscheidungen sind von Wagemut geprägt, von der Bereitschaft ein (durchaus vorher kalkuliertes) Risiko einzugehen. Ich bin davon überzeugt, dass Kulturorganisationen wagemutig sein sollten. Dies gehört geradezu zu ihrem Auftrag. Doch dieser Möglichkeitssinn ist nur einzulösen, wenn etwas riskiert wird (junges Alter, ungewöhnliche Karriere, Quereinsteiger, unkonventionelles Auftreten etc.). Personalbesetzungen sollten nicht nur vom Wirklichkeitssinn geprägt sein, denn dieser ist ohnehin von Risiken durchzogen. Vielmehr sollte der Möglichkeitssinn mit Blick auf die Personalauswahl geschärft werden.
Für alle Beteiligten lohnt es sich also, Risiken einzugehen, vor allem dann, wenn sie sich und die Kulturinstitution voranbringen wollen. All das gilt in besonders hohem Maße für die der Kunst gewidmeten Organisationen und Positionen. Denn Kunst sollte uns Fragen stellen und nicht schon die Antworten liefern. Im Fragen und Befragen unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeigt sich: Das Leben ist ein einziges Risiko. Und damit haben alle zu tun, die in Kunst- und Kultureinrichtungen arbeiten. Wer Wollmilchsäue sucht, wird garantiert scheitern. Wer coole Säue sucht, kann gewinnen, doch das ist (zum Glück) nicht garantiert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe "Risiko" des Kultur Management Network Magazins.

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