07.06.2022
Themenreihe Digitale Formate
Autor*in
Johannes Hemminger
studierte Philosophie sowie Neuere und Neueste Geschichte in Tübingen und arbeitete danach im Marketing, Community Management und Projektmanagement in der Videospielbranche. Von 2021 bis 2023 war er Redakteur bei Kultur Management Network.
NFTs im Kulturbetrieb
Kunst fürs digitale Casino
Sotheby’s verkauft ein Bild für 3,4 Mio. USD. So richtig überraschend klingt das erstmal nicht. Aber beim im Oktober 2021 verkauften Werk handelte es sich um ein rein digitales, als NFT zertifiziertes Comic-Bild. Es zeigt einen "Bored Ape" mit goldenem Fell, wobei auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, warum dieser so viel Geld wert sein soll. Trotzdem werden solche NFTs für Unmengen an Bitcoin, Ethereum oder andere Cryptowährungen gehandelt.
Themenreihe Digitale Formate
NFTs sind untrennbar mit Cryptowährungen verbunden und werden heiß diskutiert. Teils als neue Art der Kulturfinanzierung, teils als finanzielle Blase, teils als Technologie, die neue Freiheiten bietet, teils als Betrugsmasche. Grund genug, sich das Phänomen im Detail anzusehen.
NFT steht für Non Fungible Token. Ein "Token" ist in diesem Zusammenhang eine Wertmarke oder einfach Zeichen. "Non Fungible" ist da schwerer zu verstehen: Fungible ist ein Token dann, wenn es problemlos umgewandelt werden kann. Eine 1-Euro Münze ist fungibel, da ich sie ohne Wertverlust in zwei 50-Cent-Münzen umwandeln kann. Ähnlich ist es mit einem Jeton (Spielgeld) im Casino, das gegen normale Währung (relativ) frei austauschbar ist. Der Wert dieser beiden "Fungible Tokens" entsteht nicht aus dem Materialwert der tatsächlichen Gegenstände, sondern ist extern festgelegt und berechenbar. Zumindest, solange man genug Vertrauen in die ausgebende Institution hat (siehe Währungsspekulation und andere Auswüchse des internationalen Kapitalmarkts).
Cryptowährungen, die untrennbar mit NFTs verbunden sind, verhalten sich ähnlich wie Jetons. Sie sind in sich austausch- und teilbar. Um das Problem der digitalen Reproduzier- und Kopierbarkeit zu lösen, sind sie allerdings über Blockchain-Technologie validiert. Ohne in technische Details zu gehen: Eine Blockchain reiht Blöcke in einer Kette chronologisch aneinander. Jeder Block enthält Daten, zum Beispiel eine Transaktion, und kann nicht (trivial) rückwirkend verändert werden. Da die Blöcke einsehbar sind, kann so sichergestellt werden, dass das Gegenüber den entsprechenden Block auch wirklich besitzt und nicht schon anderweitig weitergegeben hat.
NFTs verwenden ebenfalls Blockchains, sind aber anders als Cryptowährungen eben "Non Fungible", das heißt, sie enthalten etwas, das nicht einfach getauscht oder geteilt werden kann wie zum Beispiel ein Bild. Abseits der theoretischen Vorüberlegungen heißt das: Ein NFT kann recht sicher garantieren, dass ein*e über die Blockchain validierte Besitzer*in auch tatsächlich der*die echte Besitzer*in ist. Zumindest theoretisch. Denn die meisten NFT-Blöcke sind nicht groß genug, um selbst ein einfaches Bild zu enthalten, sondern verweisen lediglich auf eine URL - eine Internetadresse. Was darauf liegt, kann selbstverständlich geändert oder gelöscht werden. Zwar gibt es Versuche, permanente Links und Datenspeicher zu etablieren, aber am Ende sind Daten eben doch nicht rein virtuell: Irgendwo muss eine (oder mehrere, wenn man die Daten verteilt) Festplatte stehen und mit Strom versorgt werden. Der, entschuldigen Sie bitte das grauenhafte Wort, Cyberspace ist vom Real Space eben doch noch nicht komplett unabhängig.
Von der künstlichen Knappheit des Angebots
Davon ausgehend, dass in einem NFT auch wirklich dauerhaft drin ist, was drin sein sollte, kann durch die Validierung von Besitzverhältnissen ein Aspekt der analogen Wirtschaft in die rein digitale Cyberspace-Wirtschaft eingebracht werden: Knappheit. Um beim Beispiel zu bleiben: Ein digitales Bild kann kopiert und vielfach verwendet werden. Bei einem NFT ist das etwas anders, denn eine Kopie würde von der Blockchain nicht mehr validiert werden, wodurch also festgestellt werden kann, dass die Besitzverhältnisse nicht wie vorgegeben sind. Dadurch entsteht ein begrenztes Angebot und es gilt die alte Regel: Je geringer das Angebot, desto höher der Preis.
Dennoch ist dem unlizensierten Weiterverwenden von urheberrechtlich geschützten Werken damit noch kein Ende gemacht: Denn niemand kann Sie daran hindern, einfach einen Screenshot von einem NFT-Bild zu erstellen und wie jedes andere Bild zu verwenden (ungeachtet des Verstoßes gegen die Bildrechte). Denn die Validierung würde nur auf Plattformen wirksam, die diese auch durchführen und zur Benutzung voraussetzen. Hier geraten wir in das Fahrwasser sehr vage definierter Zukunftsvisionen eines "Web 3", einer neuen Form des Internets. Wenngleich diese Visionen sehr spekulativ sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten, so sind NFTs ohne das Web 3 auf ihre eigene Ecke des Internets beschränkt - und damit seltsam abgelöst vom Rest der digitalen Welt.
Mein gelangweilter Menschenaffe heißt Fomo
Aber warum gehen dann immer wieder teilweise absurde NFT-Transaktionen durch die Presse? Während ich diesen Text schrieb, wurde über die NFT-Handelsplattform OpenSea wieder ein Cartoon-Bild eines Schimpansen für 125 Ethereum (ca. 387.000 USD zum Zeitpunkt der Transaktion) verkauft. Das Bild zeigt den Affen mit eine Zigarette im Mund, X’en statt Augen und einer Schildkappe mit dem Emblem des Bored Ape Yacht Club. Derselbe Affe wurde zuletzt am 15. November 2021 verkauft, damals für 55,75 Ethereum (ca. 242.000 USD zum Zeitpunkt der Transaktion). Wer ihn jetzt kaufen will, kann das für schlappe 150 Ethereum (464.000 USD) tun, denn er wurde sofort wieder zum Verkauf eingestellt. Das ist keinesfalls der teuerste Bored Ape, der je verkauft wurde, das war Bored Ape #8817, der bereits im Anreisser Erwähnung fand. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass in den letzten Wochen sowohl der Markt für Cryptowährungen, als auch der Markt für NFTs Einbrüche erlitten haben und das in einem größeren Ausmaß als die klassischen Aktienmärkte. Der Mai 2022 sah so zum Beispiel den kompletten Zusammenbruch einer ganzen Cryptowährung (terra/luna) und einen Preisverfall von bis zu 50% bei den beiden Cryptowährungs-Riesen Bitcoin und Ethereum. Die Verkäufe von NFTs gingen ebenfalls stark zurück, auch wenn mit "Otherdeed" eine Sammlung veröffentlicht wurde, die sich schnell zu Top-Preisen verkaufte. Die Spekulation darüber, ob die "Bored Apes" - oder neue NFTs - jemals wieder die Höhenflüge erreichen werden, die sie 2021 hatten, sei an dieser Stelle selbsternannten Finanzorakeln überlassen. Für Kulturmanager*innen interessanter ist, dass NFTs offenbar durchaus das Potenzial haben digitale Kunst zu hohen Preisen zu verkaufen.
Wie diese Preise zustande kommen, erscheint zunächst mysteriös. Die eine Seite, die künstliche Verknappung des Angebots, ist systeminhärent. Die andere Seite, die Preisbildung und Nachfrage, ist intrinsisch verbunden mit Cryptowährungen. Wer sich - wie ich - manchmal ärgert, dass man nicht schon damals eingestiegen ist, als die Preise niedrig waren oder man auf dem Heimcomputer noch ernsthaft Crptowährungen erzeugen konnte, leidet wohl an Fomo. Fomo, das ist "Fear Of Missing Out", die Angst etwas zu verpassen. Fomo ist auch ein Erklärungsansatz, warum der NFT-Markt 2021 so rasant wuchs: Je mehr Nachrichten über Traumpreise und plötzlichen Reichtum es gibt, um so größer die Angst etwas zu verpassen, wenn man nicht selbst teilnimmt. Aber ist Fomo für Kulturmanager*innen eine gute Entscheidungsgrundlage? Gerade im Tech-Sektor gibt es in hoher Frequenz Trends, denen man folgen kann, oder eben nicht. Ob NFTs langfristig ihren Wert behalten, zu einem Nischenmarkt werden oder sang- und klanglos verschwinden, vermag aktuell niemand gesichert zu sagen. Statt auf jeden Trend aufzuspringen, sollte man sich fragen, welchen Nutzen technologische Innovationen haben und wie langlebig man sie einschätzt.
Nutzen - cui bono?
Für die reine Verwendung bieten NFTs keinerlei Mehrwert, sie stellen vielmehr ein Hindernis dar, indem zusätzliche Schritte eingebaut werden, wo sie eigentlich nicht nötig wären. Der Nutzen muss also woanders liegen. Ein zurückverfolgbares Echtheits- und Eigentumszertifikat, wem nutzt das, wenn wir das Beispiel des digitalen Bilds beibehalten?
Sammlern und Sammlerinnen? Nur aus einem speziellen Blickwinkel. Denn ohne NFTs wäre wohl niemand ernsthaft auf die Idee gekommen, eine wertvolle Kunstsammlung mit digitalen Bildern analog zu traditionellen Sammlungen anzulegen. Sammlungen solcher Werke gab es natürlich, diese waren aber nicht für Spekulation und Weiterverkauf gedacht, sondern zur Präsentation und Bewahrung von Werken. Ist das nicht irgendwie charmant und frei? Kunst, zugänglich für alle, egalitär und irgendwie ein bisschen utopisch. Das war schon lange möglich - wer einfach nur Kunstwerke im Internet anschauen will, der wird schnell fündig, vom Sammlungskatalog des Städelmuseums bis zu den wikimedia commons. Wer also einfach digitale Kunst genießen will, für den bergen NFTs keinen Mehrwert, sondern könnten sogar dazu führen, dass kostenlose Zugänge verschwinden. Wer aus finanzieller Spekulation sammelt, muss NFTs befürworten, denn die Technik erweitert den Pool an Sammlungsmaterial und macht Kauf und Verkauf einfach wie nie. Es ist allerdings zu beachten, dass NFTs und Eigentum in einem nicht immer offensichtlichen Bezug zueinanderstehen. Nicht jedes NFT beinhaltet zum Beispiel auch das Copyright für ein Werk.*
Nutzen NFTs Austellungshäusern und Museen? Finanziell, vielleicht. Mit NFTs kann man ein Bild mehrfach verkaufen und es danach immer noch besitzen, wie es im Mai letzten Jahres die Uffizien mit Michelangelos "Doni Tondo" machten, indem sie ein NFT davon für ca. 140.000 € verkauften. Zudem finden sich Bilder des Werks gemeinfrei im Netz.
Und Künstler*innen? Mit NFTs kann man Geld machen. Oder auch nicht. Kunstwerke als NFTs treten in direkte Konkurrenz mit prozedural generierten Bildchen. Man kann sich an der Aufmerksamkeitslotterie beteiligen oder hoffen, mit weltbekannten Namen die nötige Nachfrage zu generieren, mit der die eigenen Kunstwerke zu Spekulationsobjekten werden. Zynisch betrachtet, ist das kein großer Unterschied zu bestehenden Ausstellungs- und Auktionshäusern, sondern nur das Ersetzen einer Abhängigkeit durch eine andere.
Freiheit durch Crypto?
Ja, Abhängigkeit. Denn so frei und egalitär, wie manchmal versprochen, sind NFTs und das (hypothetische) Web 3 dann am Ende doch nicht. Es gibt Marktplätze, wie OpenSea, auf denen NFTs verkauft werden. Hier findet Kuration statt: Wer steht in welcher Kategorie oben, wer bekommt Sichtbarkeit? Dass die Antworten auf diese Fragen Preis und Erfolg beeinflussen, ist offensichtlich. Und, dass Algorithmen und Seitenlogiken (die übrigens nur tun, was Menschen ihnen einprogrammiert haben) eine Form von Kuration darstellen, ist dann nur die logische Konsequenz. Auch beim Erstellen von NFTs entstehen Abhängigkeiten. Der als "Minting" bekannte Prozess bedeutet, dass ein Inhalt auf einem Marktplatz registriert und in die Blockchain eingeschrieben wird. Daraus entsteht eine doppelte Abhängigkeit: Zum einen obliegt es den Marktplätzen Urheberschaft zu beachten und beim "Minting" zu prüfen. Natürlich gibt es im Wilden Westen der Cryptomärkte häufig Geschichten von der Aneignung fremder Kunst. Die NFT-Handelsplattform OpenSea eröffnete beispielsweise Anfang des Jahres, dass 80% der mit ihrem kostenlosen Minting-Werkzeug erstellten NFTs "plagiierte Werke, Fälschungssammlungen oder Spam" seien.
Die andere Abhängigkeit besteht in der Exklusivität der Marktplätze, denn die meisten lassen sich das Recht zusichern, dass die ge-minteten Werke nur auf der eigenen Plattform angeboten werden. In der Logik künstlicher Verknappung von theoretisch unendlich Reproduzierbarem verständlich. Es stellt aber auch sicher, dass alle Transaktionsgebühren - meist ein prozentualer Anteil von Verkaufspreisen - plattformgebunden bleiben.
Eine andere Abhängigkeit stellen die Cryptomärkte dar. Denn ohne einen "Wallet", einen digitalen Geldbeutel, geht nichts. Es braucht eine Mittelsinstanz, um mit Cryptowährung zu handeln und klassische Währungen zu konvertieren. Dafür werden mitunter saftige Gebühren fällig. Was die Sicherheit angeht, begibt man sich auf unsicheres Terrain. Gestohlene Cryptowährungen und -wallets sind so häufig, dass selbst atemberaubende Summen nicht mehr überraschen. So wurden vor kurzem 600 Millionen US-Dollar gestohlen, wohl von einer nordkoreanischen Hackergruppe. Wer mit NFTs handelt, muss sich auf direkte Diebstahlversuche und ausgeklügelte Betrügereien einstellen.
Fazit
Alles neu, aber irgendwie doch wieder dasselbe. Dieser Eindruck bleibt, wenn man versucht in die Welt der NFTs einzutauchen. Man findet Machtstrukturen und Marktlogiken, Gewinner*innen und Verlierer*innen und viele Mythen vor. Was bedeutet das aber für Kulturmanager*innen? Irgendwas mit NFTs zu machen, ist ein riskantes Spiel. Es kann wunderbar funktionieren und der eigenen Institution einen Geldregen einbringen. Es kann aber auch nach hinten losgehen. Im Bereich der digitalen Spiele sieht man bereits, dass viele Nutzer*innen ihre digitalen Welten nicht den Marktlogiken von NFTs unterworfen sehen wollen. Die Formel 1 stellte ihr NFT-Spiel ein und es wird spannend sein zu sehen, wie die teilweise für sechsstellige Beträge gehandelten tokens sich weiterentwickeln. Die Entwickler*innen des beliebten digitalen free2play Kartenspiels Storybook Brawl verkündeten stolz, dass sie vom Cryptomarktplatz FTX gekauft wurden, und prompt fielen die Bewertungen ins Bodenlose.
Egal ob man das selbst glaubt oder nicht, Kulturmanager*innen sollten sich bewusst sein, dass NFTs den Ruch des volatilen und des Betrugs haben und dass es gute Argumente für diese Negativwahrnehmungen gibt. Denn NFTs sind zuallererst einmal digitale Konstrukte, die künstlich verknappte handelbare Waren erzeugen sollen. Die Frage für Kulturmanager*innen ist also: Will man das eigene Projekt und die eigene Institution auf einem hochkomplexen und sich stets rapide wandelnden Warenmarkt agieren lassen? Vorsicht und umfassende Vorabrecherche sollten hier das Mindeste sein.
*Neben den hier behandelten Aspekten, werfen NFTs auch zahlreiche rechtliche Fragen auf. Im freien Teil der Juni-Ausgabe des Kultur Management Network Magazin gibt es dazu einen Fachbeitrag der dtb rechtsanwälte.
Unterstützungsabos
Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website.
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.
Ähnliche Inhalte
Unterstützungsabos
Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website.
5€-Unterstützungsabo Redaktion
Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.
Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*
15€-Unterstützungsabo Redaktion
25€-Unterstützungsabo Redaktion
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren