08.10.2009

Autor*in

Kristin Lux
Best Practice

Von Schornsteinen, rotem Backstein und Kunstgalerien

Wie es der Messestadt Leipzig gelungen ist, mit Plagwitz in den letzten zwanzig Jahren einen bereits verloren geglaubten Stadtteil zu revitalisieren und ihn wieder zum Leben zu erwecken.
Die Straßen sind umsäumt von Betonwüsten mit grauen Fassaden. Leerstehende Häuser wechseln sich mit renovierten Häusern ab, die Wände und Hofeinfahrten sind verziert mit bunten Plakaten, die zu einem Punk Konzert mit kombinierter Vernissage auffordern. Ein gelbes Wächterhaus-Banner springt ins Auge. Der Blick fällt weiter auf unscheinbare, in tristes Industriegrau getauchte Künstlercafés, welche die Straßenzüge mit Farbtupfern verschönern. Sie gleichen kreativen Inseln, die einem einst verloren geglaubten Stadtteil ein Hauch von Leben schenken.

Klingt romantisch und ist es auch. Plagwitz - der heutige Stadtteil im Westen Leipzigs existierte bis Mitte des 19. Jahrhunderts als ein abgeschiedenes Dörfchen in Stadtnähe und war noch nicht einmal an einem bedeutenden Verkehrsweg gelegen. Später ein Eldorado für Gewerbetreibende und ein idealer Ort für den Bau von Industriekomplexen, mauserte sich das einst dörfliche Fleckchen Erde zu einem in der Welt bekannten Herkunftsort moderner und zuverlässiger Industrieerzeugnisse. Zahlreiche Betriebe wuchsen und gediehen bis man mit der Bebauung der vorhandenen Fläche an seine Grenzen stieß. Plagwitz wuchs und wuchs und sogar in der berühmten Nonnenstraße und Elisabethallee wurde es so eng, dass eine Industrieansiedlung zwischen Kanal und westlicher Flurgrenze voran schritt.
Im Zuge dieser Entwicklungen veränderte sich natürlich auch der Fabrik- und Industriebau. In Sachen Baumaterial und Gebäudekonstruktion wurde man mutiger und auch kreativer. So waren die ersten Fabrikgebäude einfache, eher anspruchslose Holzfachwerkbauten, die sich an Stall und Scheunen orientieren. Massive Gebäude aus rotem Backstein folgten, bei denen großer Wert auf die Gestaltung der Fabrikschornsteine sowie auf die Fabrikfassaden gelegt wurde. Kunstvolle Maueranker und Bauornamente symbolisierten, weithin sichtbar, eine für die damaligen Verhältnisse moderne Produktion und Wohlstand.
In Kriegszeiten schlug sich der von Industrie beherrschte Stadtteil wacker. Zwar blieben einige berühmte Gebäude wie der alte Felsenkeller oder Max Klingers Atelier nicht verschont, aber großflächige Zerstörungen gab es nicht.
Der Stadtteil blieb weitestgehend unversehrt und die Produktion konnte weiter angekurbelt werden.
Die Wendezeit um 1989 veränderte jedoch alles. Mit dem Zusammenbruch der volkseigenen Betriebe lernte Plagwitz etwas kennen, wovon vorher nie die Rede war: Gebäudeverfall und Trostlosigkeit. Der Zusammenbruch der Absatzmärkte und die damit verbundene Arbeitslosigkeit verwandelten den Stadtteil in einen Problemfall. Ehemalige Gebäudekomplexe, ob in industrieller oder privater Nutzung sowie brach liegende und herunter gewirtschaftete Einrichtungen gaben dem Viertel ein unschönes Gesicht. Ein noch grauerer Schatten legte sich über Plagwitz und verdammte es in einen ewigen Schlaf, aus dem es schwer war aufzuwachen.
Doch der Messestadt war klar: nicht nur das Zentrum Leipzigs soll vor Attraktivität glänzen nein, auch der Westen Leipzigs muss aus dem buchstäblichen Dornröschenschlaf erwachen. Leipzig erkannte das Potenzial des Stadtteils und begann mittels geförderter Städtebauprogramme genau das aus Plagwitz heraus zu kitzeln.
Neben Programmen wie "Experimenteller Wohnungs- und Städtebau" und "Expo-Projekt2000" wurde das EU-Programm "URBAN II" zum Zauberwort. Dieses von 2001 bis 2007 in Plagwitz umgesetzte Programm hatte die Revitalisierung des Stadtteils zur Zielsetzung. Damit gingen die Umnutzung und die Integration der historischen Industriearchitektur einher. Die grundlegende Leitidee für dieses Programm bestand darin, die städtebauliche Grundstruktur zu erhalten, denkmalgeschützte Bauten zu sichern und alles zu einer Nutzungsmischung zu vollenden. Das gesamte Stadtgebiet hatte eines zum Ziel: Plagwitz wieder aufzuwerten und dem Stadtteil das einstige Strahlen wieder zu geben.
URBAN II ermöglichte es, dass über 1000 Unternehmen beraten und 260 Unternehmen gefördert werden konnten. Eine KMU-Förderung schaffte circa 600 neue Arbeitsplätze, von denen jeder einzelne mit einer beträchtlichen Summe gefördert werden konnte. Das Fazit: 27.000 m konnten durch Unternehmen neu genutzt werden. Leerstand adé.
Das Ergebnis ist wunderschön anzusehen. Zahlreiche Gebäude wurden saniert, auf dem Areal der ehemaligen Buntgarnwerke entstand der Neubau des Elsterwohnparks. Eine Vielzahl von Unternehmen siedelte sich in dem zentrumsnahen Stadtteil an. Ein Imagewandel vollzog sich. Plagwitz, vorher unattraktiv, von der Industrie zerfressen und vom Einheitsgrau geplagt, entwickelte sich wieder zu einem lebendigen Teil Leipzig, aber diesmal mit einem Hauch von Szene, Trend und Kultur in Kombination mit Wirtschaftlichkeit. Ein gelungenes Beispiel für die postindustrielle Nutzung ehemaliger Gebäude zeigt sich auch in der Naumburger Straße. Eine eher unauffällige Toreinfahrt, von blauem Metall umsäumt, führt in einen Innenhof. Rote Backsteinbauten im minimalistischen Design beherbergen hier diverse Kreativwerkstätten, Ateliers, Designer und Querdenker. Ebenso paradiesisch ist es hier für Unternehmen, die sich selbst noch Start-Ups nennen und in den Startschuhen stecken, um Märkte zu erobern, wie zum Beispiel die IN AUDITO GmbH. Die junge Firma lebt, denkt, erfindet und arbeitet in einem Loft, welches aufgrund der baulichen Eigenschaften, der Einrichtung und des kreativen Umfeldes ein wunderbares Arbeitsklima sowie viele Geistesblitze garantiert. Doch nicht nur alte Industriegelände werden neu genutzt und mit Leben versehen. Selbst in nicht renovierten, sich am Rande des Zerfalls bewegenden Häusern lässt sich in Plagwitz noch ein Stück Kultur erkennen: die Wächterhaus-Kultur. Dabei treffen leer stehende Häuser diverser Eigentümer auf kreative Nutzer, die Raum für ihre Arbeit brauchen. Das System funktioniert einfach: das Haus wird erhalten, indem es bewohnt wird. Die Eigentümer werden dabei von Kosten entlastet, da die Nutzer das Haus "bewachen", vor Vandalismus bewahren und kleine Schäden selbst ausbessern und lediglich die laufenden Betriebskosten übernehmen. Die Eigentümer selbst haben nur die Aufgabe, die Häuser wieder an Strom- und Wasseranschlüsse anzubinden und mit Hilfe von Fördergeldern die Häuser bewohnbar zu machen. Das zieht vor allem soziale, kulturelle und gewerbliche Nutzer an. Gemeinnützige Kunstvereine, Schneiderwerkstätten und Theaterclubs werden so zu Hauswächtern. Galerien und Designateliers finden hier Zeit und Raum für Kreativität und Kultur.
"In Plagwitz liegt Kunst in der Luft", so hieß es zuletzt auf einem Flyer. Wer wissen will, wie das riecht, muss einfach nach Plagwitz kommen. In das einst abseits gelegene, dörfliche Randgebiet Leipzigs, in den einstigen Industriestandort, nun in das Trend- und Szeneviertel der Stadt. Die Revitalisierung scheint geglückt und schreitet täglich voran. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht wieder ein neues Unternehmen oder neues Designer-Atelier ein schickes Loft oder ein Hinterhofbüro bezieht. Was das bedeutet? Ganz einfach: Plagwitz lebt!

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