13.06.2019
Buchdetails
Das radikaldemokratische Museum (Edition Angewandte)
von Nora Sternfeld
Verlag: Gruyter, Walter de GmbH
Seiten: 288
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Autor*in
Julia Schopferer
ist Historikerin und Kulturwissenschaftlerin. Nach ersten Erfahrungen als Veranstaltungsmanagerin in der freien Wirtschaft, war sie als Volontärin an der Neukonzeption der Dauerausstellung im Museum für Kommunikation Frankfurt beteiligt. Anschließend war sie dort als Projektleiterin beschäftigt. Derzeit kuratiert sie freiberuflich Ausstellungsprojekte und ist in der Ausstellungsorganisation tätig.
Buchrezension
Das radikaldemokratische Museum
Museen befinden sich in der Krise: Der Anspruch vieler Häuser, Vielfalt zu repräsentieren und offen für alle zu sein, kollidiert oft mit der Wirklichkeit. Nora Sternfeld will daher das Museum als sowohl in der Kuration als auch in der Vermittlung radikaldemokratische Einrichtung neu definieren, an der alle gesellschaftlichen Gruppen teilhaben und das weit über ihre Rolle als Besucher*innen hinaus.
Das Buch, erschienen 2018 bei De Gruyter, versammelt 12 Aufsätze Sternfelds, die bereits in anderen Publikationen veröffentlich wurden. Die Aufsätze sind gegliedert in drei große Themenschwerpunkte. Im ersten Teil legt Sternfeld ihr theoretisches Konzept dar. Im mittleren Teil beschäftigt sie sich mit der Deutungshoheit über die Dinge, über die materielle Grundlage von Museen, mit den Sammlungen und Objekten, und im dritten Teil fragt sie nach den Möglichkeiten einer radikaldemokratischen (Kunst-)Vermittlung. Die Kasseler documenta-Professorin blickt damit auch zurück auf mehrere Jahre Forschung zu Ausstellungstheorie und -praxis.
Von den Krisen der Repräsentation
Die ersten drei Aufsätze bilden den konzeptionell stärksten Teil. Sternfeld zeichnet die Theorie der radikalen Demokratie nach. Sie bettet ihr Programm in einen poststrukturalistischen Diskursbegriff nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe ein, nach dem die museale Repräsentation von gesellschaftlichen Zuständen und Gruppen von realpolitischen Differenzen und Machtkonstellationen geprägt ist. Kritik an Repräsentation als Konzept von Darstellung der Wirklichkeit einerseits und Stellvertretung andererseits wird seit dem 20. Jahrhundert von zahlreichen sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorien, in den Künsten und sozialen Bewegungen, von 1968 bis zu Occupy, abgelehnt. Daraus resultierte in den Kulturwissenschaften - um das komplexe Thema auf das Themenfeld Museum zu beziehen - der sogenannte reflexive turn, "der dazu führte, dass sich Museen nicht mehr als objektiv und außerhalb der Zeit stehend verstanden, sondern als Teil eines kulturellen Systems der Produktion von Sichtbarkeit, Wissen und Identität" (S. 23).
Involviertes Kuratieren und Vermitteln
Ausgehend von diesen Krisen und den daraus folgenden "turns" und Konjunkturen resultiert für Sternfeld die Forderung, Möglichkeitsräume für ein "involviertes Kuratieren und Vermitteln" herzustellen (S. 61). Darunter ist die Einbeziehung jener zu verstehen, die aktuell in der Gesellschaft keine oder nur eine marginale Stimme haben. Sternfeld bezeichnet dieses Handeln als "radikaldemokratische Museologie", die sich in Solidarität mit bestehenden sozialen Kämpfen formulieren müsse. Als eine öffentliche Institution muss das Museum allen gehören - und ja, das muss zu Recht mehr bedeuten, als dass es nur allen offensteht. Dabei soll es ein Versammlungsraum sein, um sich mit Kunst und Geschichte auseinanderzusetzen und darüber zu verhandeln, was diese für Gegenwart und Zukunft bedeuten.
Sternfeld rechnet konsequent mit Partizipation als vermeintlichem Allheilmittel gegen verloren geglaubte Relevanz ab. Oft, so der Vorwurf, soll lediglich der Eindruck entstehen, externe Gruppen könnten sich beteiligen, ohne dass die Beteiligung irgendeinen Einfluss nehmen kann. Stattdessen müssten die Spielregeln selbst in den Fokus geraten: Bedingungen des Teilnehmens, des Entscheidens und der Repräsentation müssten durch die Teilnehmenden immer wieder verhandelt werden. Diese Erkenntnis ist natürlich nicht neu, sie ist aber konsequent zu Ende gedacht - wie sich dies jedoch in den Museumsalltag implementieren lässt, bleibt offen.
Das Para-Museum
"Die Funktion des Museums liegt sowohl in der Erhaltung der dominanten Hegemonie als auch in ihrer Infragestellung und Herausforderung" (S. 61). Aus dieser Erkenntnis entwickelt Sternfeld das Programm des Para-Museums, also die Aneignung des Museums mit dessen eigenen Mitteln - aus sich selbst heraus, gleichzeitig aber durch außerinstitutionelle Bewegungen durchdrungen. Um dies zu erreichen, müssten die klassischen Aufgaben des Museums zugunsten von fünf Strategien einer radikaldemokratischen kuratorischen und vermittlerischen Praxis abgelöst werden:
1) Das Archiv herausfordern beansprucht, Sammlungskonzepte und Geschichtsverständnisse mit alternativen Geschichten zu hinterfragen und zu erweitern. Diese entscheidende Forderung ist nicht neu und wird in der Praxis, wie Sternfeld zu Recht beschreibt, bereits seit mehreren Jahrzehnten sporadisch versucht. Durchgesetzt hat sich diese Praxis nicht. Sternfeld plädiert deshalb in zwei Aufsätzen für einen erneuten Blick in die Depots auf der Suche nach dem Banalen und Unspektakulären. Darüber hinaus reflektiert die Autorin hier noch einmal über die Aura des (Museums-)Objekts, die es nach Marx zur Ware und damit zur Sehnsucht werden lässt.
Die beiden Forderungen 2) Den Raum aneignen und 3) Gegen-Öffentlichkeit organisieren zielen auf Ausstellungs- und Vermittlungsprojekte, die sich den Ausstellungsraum aneignen, um Öffentlichkeit zu erzeugen. Radikal weitergedacht, führt Sternfeld Beispiele von tatsächlichen, spektakulären Museumsbesetzungen an, wie etwa die Besetzung einer Fotografie-Ausstellung zum Thema "Exodus. Flucht und Heimatlosigkeit" durch Mitglieder einer Brandenburgischen Flüchtlingsinitiative 2001 im Kronprinzenpalais in Berlin. Ihr Ziel hatte darin bestanden, auf rassistische Diskriminierung und die aktuelle Situation von Asylbewerber*innen aufmerksam zu machen. Dazu hatten sie Fotografien mitgebracht, die den Alltag der Asylbewerber*innen zeigten. Als ein weiteres Beispiel führt Sternfeld die Besetzung der Akademie der bildenden Künste Wien 2013 durch Refugee-Aktivist*innen. Die Möglichkeit, Museen zu besetzen, beschreibe dessen wesentliche Funktion als Handlungs- und Erfahrungsraum.
4) Alternatives Wissen produzieren lehnt sich an den ersten Punkt an: hier soll der Aspekt der Wissensproduktion und Forschung kritisch betrachtet und durch alternatives Wissen erweitert werden.
5) Bildung radikalisieren meint kritische Kunstvermittlungspraxen, die mal provokativ, mal reflexiv, mal subversiv usw. agieren. Beispiele hierzu finden sich vor allem aus der eigenen Arbeit Sternfelds im Vermittlungsbüro trafo.K. Ein wichtiger Aspekt der kunstvermittlerischen Workshop-Arbeit dieses Büros ist die Produktion neuer, ungewohnter Bilder. Dies ist im wörtlichen Sinne gemeint, denn die Teilnehmenden ihrer Workshops sollen anhand von Fotografien aus der feministischen, queeren, aktivistischen Szene ins Gespräch und damit schließlich zu einer Umdeutung der erlernten Geschichte kommen.
Der Blick ins Jahr 2030
Wie die Theorie in der Praxis aussehen könnte, verrät der letzte Artikel des Buches. Er besteht aus einer Zukunftsvision mit dem Titel: "Warum überhaupt ausstellen? Eine Antwort aus dem Jahr 2030". Wir befinden uns in einer autoritären Gesellschaftsform, die sämtliche Institutionen vereinnahmt. Die Autorin ist Teil einer Gruppe von Aktivist*innen und Organisator*innen, die ein Para-Museum kollaborativ führen. Gesammelt und ausgestellt wird beispielsweise ein "Archiv der Migration", das die rassistische Gewaltgeschichte thematisiert. "Außerdem wollten wir das Museum als einen Raum der Erzählung und der Bewegung, der Geschichte und des Handelns denken, als einen Ort, […] an dem die unterworfenen Wissensarten in der Gegenwart hörbar und wirksam werden" (S. 255). Hier werden auf kluge Weise aktuelle Entwicklungen weitergedacht und eine Dystopie entwickelt, die uns zu denken geben sollte. Gleichzeitig fühlt man sich durch eine gewisse Selbstheroisierung ein wenig an das "letzte gallische Dorf" erinnert, das den Staffelstab der kritischen Vernunft hochhält und die Schwierigkeit ignoriert, wie alternative Wissensformen überhaupt als Wissen wahrgenommen werden können.
Interessant ist, dass das Para-Museum aus dem Jahr 2030 weiterhin von der autoritären Regierung finanziert wird - ein Umstand, der von Sternfeld überhaupt nicht diskutiert wird. Letztlich muss doch aber gerade die Frage nach der Finanzierung zur Offenlegung machtstruktureller Zwänge gestellt werden und bildet den Kern des radikaldemokratischen Denkens.
Das Museum deprovinzialisieren und dekolonialisieren
Einen wichtigen Aspekt spricht Sternfeld mit der Forderung nach der Deprovinzialisierung des Museums an. Das Para-Museum will aufhören, das Museum als westliches Konzept zu denken. Als eines der wenigen Beispiele wird der Berliner Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, SAVVY Contemporary, vorgestellt. Wie genau sich diese Institution den Kategorien von westlicher und nicht-westlicher Kunst entzieht, bleibt unklar. Sternfeld stellt aber die absolut relevante Frage: "Was wäre, wenn das Museum nicht über das Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln definiert wäre (und damit über das nationale, koloniale institutionelle Projekt der westlichen Aufklärung), sondern über die transgenerationelle Tradierung von Wissen um und mit Dingen und Material?" (S. 87). Sie leitet daraus ab, das Museum als "Erinnerungsort", als "Kontaktzone" zu verstehen, an dem Geschichte/n geteilt werden. Konkreter wird es leider nicht.
Fazit
Mit dem "radikaldemokratischen Museum" gelingt Sternfeld eine Neu-Labelung vorhandener Diskurse. Vieles davon ist zwar nicht neu, aber deshalb nicht weniger relevant! Vor allem ermöglicht es schon in der Einführung den intensiven Zugriff zum aktuellen, auch internationalen Forschungsstand. Intellektuell und sprachlich bewegt sich Sternfeld auf einem hohen Niveau und spricht vor allem die akademischen Fachkolleg*innen an. Sie bietet die Grundlegung eines komplexen Konzepts, das konsequent zu Ende gedacht ist. Es eröffnet neue Blickwinkel, insbesondere auf dem Gebiet der Vermittlung. Allerdings bleibt gerade in der Vermittlungsarbeit der zentrale Widerspruch zwischen einer noch so radikaldemokratischen angelegten Vermittlung und dem normativen Anspruch bestehen, der jeder Vermittlung implizit ist.
Wer darüber hinaus eine praktische Handlungsanweisung erwartet, wird enttäuscht. Das theoretische Konzept wartet daher auf die Anwendung in der Realität. Dabei hat Sternfeld die Praxis von Kunstmuseen, vor allem mit zeitgenössischem Schwerpunkt, zweifellos im Blick, auch wenn sie sie nicht ausführt - für andere Museumssparten ist sehr viel Vorstellungskraft und Übersetzungsarbeit notwendig.
Um ein radikaldemokratisches - in Sternfelds Definition also ein gegenhegemoniales, postrepräsentatives - Museum zu etablieren, bedarf es einem enormen Umdenkungsprozess, der sich auf allen Ebenen vollziehen müsste. Dies darf uns Museumsmacher*innen aber keineswegs abschrecken. Vielleicht können wir als einen ersten kleinen Schritt auf diesem Weg damit beginnen, Ausstellungen transparent zu gestalten - in jeder Hinsicht. Es wäre schon viel getan, wenn die Provenienz der Objekte und ebenso die Blickwinkel der Ausstellungsmacher*innen, die Machtstrukturen der Themen- und Objektauswahl oder der Grad der Einflussnahme durch die Geldgeber offengelegt wären.
"Die Funktion des Museums liegt sowohl in der Erhaltung der dominanten Hegemonie als auch in ihrer Infragestellung und Herausforderung" (S. 61). Aus dieser Erkenntnis entwickelt Sternfeld das Programm des Para-Museums, also die Aneignung des Museums mit dessen eigenen Mitteln - aus sich selbst heraus, gleichzeitig aber durch außerinstitutionelle Bewegungen durchdrungen. Um dies zu erreichen, müssten die klassischen Aufgaben des Museums zugunsten von fünf Strategien einer radikaldemokratischen kuratorischen und vermittlerischen Praxis abgelöst werden:
1) Das Archiv herausfordern beansprucht, Sammlungskonzepte und Geschichtsverständnisse mit alternativen Geschichten zu hinterfragen und zu erweitern. Diese entscheidende Forderung ist nicht neu und wird in der Praxis, wie Sternfeld zu Recht beschreibt, bereits seit mehreren Jahrzehnten sporadisch versucht. Durchgesetzt hat sich diese Praxis nicht. Sternfeld plädiert deshalb in zwei Aufsätzen für einen erneuten Blick in die Depots auf der Suche nach dem Banalen und Unspektakulären. Darüber hinaus reflektiert die Autorin hier noch einmal über die Aura des (Museums-)Objekts, die es nach Marx zur Ware und damit zur Sehnsucht werden lässt.
Die beiden Forderungen 2) Den Raum aneignen und 3) Gegen-Öffentlichkeit organisieren zielen auf Ausstellungs- und Vermittlungsprojekte, die sich den Ausstellungsraum aneignen, um Öffentlichkeit zu erzeugen. Radikal weitergedacht, führt Sternfeld Beispiele von tatsächlichen, spektakulären Museumsbesetzungen an, wie etwa die Besetzung einer Fotografie-Ausstellung zum Thema "Exodus. Flucht und Heimatlosigkeit" durch Mitglieder einer Brandenburgischen Flüchtlingsinitiative 2001 im Kronprinzenpalais in Berlin. Ihr Ziel hatte darin bestanden, auf rassistische Diskriminierung und die aktuelle Situation von Asylbewerber*innen aufmerksam zu machen. Dazu hatten sie Fotografien mitgebracht, die den Alltag der Asylbewerber*innen zeigten. Als ein weiteres Beispiel führt Sternfeld die Besetzung der Akademie der bildenden Künste Wien 2013 durch Refugee-Aktivist*innen. Die Möglichkeit, Museen zu besetzen, beschreibe dessen wesentliche Funktion als Handlungs- und Erfahrungsraum.
4) Alternatives Wissen produzieren lehnt sich an den ersten Punkt an: hier soll der Aspekt der Wissensproduktion und Forschung kritisch betrachtet und durch alternatives Wissen erweitert werden.
5) Bildung radikalisieren meint kritische Kunstvermittlungspraxen, die mal provokativ, mal reflexiv, mal subversiv usw. agieren. Beispiele hierzu finden sich vor allem aus der eigenen Arbeit Sternfelds im Vermittlungsbüro trafo.K. Ein wichtiger Aspekt der kunstvermittlerischen Workshop-Arbeit dieses Büros ist die Produktion neuer, ungewohnter Bilder. Dies ist im wörtlichen Sinne gemeint, denn die Teilnehmenden ihrer Workshops sollen anhand von Fotografien aus der feministischen, queeren, aktivistischen Szene ins Gespräch und damit schließlich zu einer Umdeutung der erlernten Geschichte kommen.
Der Blick ins Jahr 2030
Wie die Theorie in der Praxis aussehen könnte, verrät der letzte Artikel des Buches. Er besteht aus einer Zukunftsvision mit dem Titel: "Warum überhaupt ausstellen? Eine Antwort aus dem Jahr 2030". Wir befinden uns in einer autoritären Gesellschaftsform, die sämtliche Institutionen vereinnahmt. Die Autorin ist Teil einer Gruppe von Aktivist*innen und Organisator*innen, die ein Para-Museum kollaborativ führen. Gesammelt und ausgestellt wird beispielsweise ein "Archiv der Migration", das die rassistische Gewaltgeschichte thematisiert. "Außerdem wollten wir das Museum als einen Raum der Erzählung und der Bewegung, der Geschichte und des Handelns denken, als einen Ort, […] an dem die unterworfenen Wissensarten in der Gegenwart hörbar und wirksam werden" (S. 255). Hier werden auf kluge Weise aktuelle Entwicklungen weitergedacht und eine Dystopie entwickelt, die uns zu denken geben sollte. Gleichzeitig fühlt man sich durch eine gewisse Selbstheroisierung ein wenig an das "letzte gallische Dorf" erinnert, das den Staffelstab der kritischen Vernunft hochhält und die Schwierigkeit ignoriert, wie alternative Wissensformen überhaupt als Wissen wahrgenommen werden können.
Interessant ist, dass das Para-Museum aus dem Jahr 2030 weiterhin von der autoritären Regierung finanziert wird - ein Umstand, der von Sternfeld überhaupt nicht diskutiert wird. Letztlich muss doch aber gerade die Frage nach der Finanzierung zur Offenlegung machtstruktureller Zwänge gestellt werden und bildet den Kern des radikaldemokratischen Denkens.
Das Museum deprovinzialisieren und dekolonialisieren
Einen wichtigen Aspekt spricht Sternfeld mit der Forderung nach der Deprovinzialisierung des Museums an. Das Para-Museum will aufhören, das Museum als westliches Konzept zu denken. Als eines der wenigen Beispiele wird der Berliner Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, SAVVY Contemporary, vorgestellt. Wie genau sich diese Institution den Kategorien von westlicher und nicht-westlicher Kunst entzieht, bleibt unklar. Sternfeld stellt aber die absolut relevante Frage: "Was wäre, wenn das Museum nicht über das Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln definiert wäre (und damit über das nationale, koloniale institutionelle Projekt der westlichen Aufklärung), sondern über die transgenerationelle Tradierung von Wissen um und mit Dingen und Material?" (S. 87). Sie leitet daraus ab, das Museum als "Erinnerungsort", als "Kontaktzone" zu verstehen, an dem Geschichte/n geteilt werden. Konkreter wird es leider nicht.
Fazit
Mit dem "radikaldemokratischen Museum" gelingt Sternfeld eine Neu-Labelung vorhandener Diskurse. Vieles davon ist zwar nicht neu, aber deshalb nicht weniger relevant! Vor allem ermöglicht es schon in der Einführung den intensiven Zugriff zum aktuellen, auch internationalen Forschungsstand. Intellektuell und sprachlich bewegt sich Sternfeld auf einem hohen Niveau und spricht vor allem die akademischen Fachkolleg*innen an. Sie bietet die Grundlegung eines komplexen Konzepts, das konsequent zu Ende gedacht ist. Es eröffnet neue Blickwinkel, insbesondere auf dem Gebiet der Vermittlung. Allerdings bleibt gerade in der Vermittlungsarbeit der zentrale Widerspruch zwischen einer noch so radikaldemokratischen angelegten Vermittlung und dem normativen Anspruch bestehen, der jeder Vermittlung implizit ist.
Wer darüber hinaus eine praktische Handlungsanweisung erwartet, wird enttäuscht. Das theoretische Konzept wartet daher auf die Anwendung in der Realität. Dabei hat Sternfeld die Praxis von Kunstmuseen, vor allem mit zeitgenössischem Schwerpunkt, zweifellos im Blick, auch wenn sie sie nicht ausführt - für andere Museumssparten ist sehr viel Vorstellungskraft und Übersetzungsarbeit notwendig.
Um ein radikaldemokratisches - in Sternfelds Definition also ein gegenhegemoniales, postrepräsentatives - Museum zu etablieren, bedarf es einem enormen Umdenkungsprozess, der sich auf allen Ebenen vollziehen müsste. Dies darf uns Museumsmacher*innen aber keineswegs abschrecken. Vielleicht können wir als einen ersten kleinen Schritt auf diesem Weg damit beginnen, Ausstellungen transparent zu gestalten - in jeder Hinsicht. Es wäre schon viel getan, wenn die Provenienz der Objekte und ebenso die Blickwinkel der Ausstellungsmacher*innen, die Machtstrukturen der Themen- und Objektauswahl oder der Grad der Einflussnahme durch die Geldgeber offengelegt wären.
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