24.03.2021
Buchdetails
Das umkämpfte Museum: Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung
von Ljiljana Radonic, Heidemarie Uhl
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 288
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Autor*in
Michael Wimmer
ist Gründer von EDUCULT und war bis zu seinem Ruhestand Direktor und Vorstandsvorsitzender dieses Forschungsinstituts, Aus diesen Tätigkeiten sowie als langjähriger Geschäftsführer des Österreichischen Kulturservice (ÖKS), als Musikerzieher und Politikwissenschaftler bringt er umfassende Erfahrungen in die Zusammenarbeit von Kunst, Kultur und Bildung ein.
Buchrezension
Das umkämpfte Museum. Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung
Wie wirken zeithistorisch ausgerichtete Museen und Gedenkstätten in einer in vielfältiger Weise aus den Fugen geratenen Zeit? Diese Frage thematisiert der Sammelband "Das umkämpfte Museum" und nimmt die Leser*innen mit auf eine Erkundungsreise in Kulturerbe-Einrichtungen verschiedener Länder.
Der Sammelband, erschienen 2020 bei transcript, umfasst eine Reihe fachspezifischer Beiträge, die im Rahmen einer Konferenz zur Eröffnung des Hauses der Geschichte Österreichs (hdgoe) im Oktober 2018 präsentiert und diskutiert wurden. Herausgegeben von der Politikwissenschaftlerin Ljiljana Radonić und der Historikerin Heidemarie Uhl, widmen sich die Texte den großen zeitgeschichtlichen Themen im Museum, unterteilt in fünf Oberkapitel - Zeitgeschichtsmuseen jenseits des Nationalen; Migration als neuer Zugang; Opfer und Täter (nicht) sinnstiftend ausstellen - Nationalsozialismus und Holocaust im Museum; Jüdische Museen als Korrektiv?; Museen in postsozialistischen Ländern zwischen Europäisierung und nationaler Neuerfindung.
Die Eröffnung des Hauses der Geschichte Österreichs als Anlass einer grundlegenden Auseinandersetzung mit historischen Museen und Gedenkstätten
In den Räumen der kaiserlichen Hofburg in Wien hat 2018 auf 750 m2 das Haus der Geschichte Österreichs seinen Betrieb aufgenommen. Seit 2000, als sich die erste rechtskonservativ-rechtspopulistische Regierung auf die Errichtung dieses Museums einigte, findet sich eine diesbezügliche Absichtserklärung in jedem Koalitionsübereinkommen, freilich mit jeweils anderer inhaltlicher Schwerpunktsetzung. Nach langjährigen und quälenden Verhandlungen einigte man sich schließlich auf eine temporäre Minimalvariante, deren Zukunft weitgehend in den Sternen steht. Deshalb kann man zu dem Schluss kommen, beim hdgoe handele es sich um den Ausdruck eines demonstrativen staatlichen Desinteresses. Die Gründe mögen einerseits darin liegen, dass zu bestimmten Phasen der österreichischen Geschichte, insbesondere dem Austrofaschismus, bislang kein Konsens innerhalb der traditionellen politischen Kräfte besteht. Andererseits mag der politische Unwille schlicht auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte bei der Herstellung eines nationalstaatlichen Selbstverständnisses im Zuge des rasanten wirtschaftlichen Wiederaufschwungs nach 1945 herrühren. Dieses Selbstverständnis hält bis heute an und bringt einen weitgehend unhinterfragten rechtskonservativen Fokus auf die eigene Nation und deren Errungenschaften mit sich.
In diesem Kontext haben die beiden Herausgeberinnen die Ergebnisse der Konferenz "Das umkämpfte Museum" zusammengeführt - wohl in der Hoffnung, damit die herausragende Bedeutung von Einrichtungen zu zeitgeschichtlichen Fragestellungen deutlich machen zu können. Herausgekommen ist einerseits eine Bestätigung traditioneller zeitgeschichtlicher Prioritätensetzungen, da der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust bzw. der Diskussion um die Wirksamkeit von jüdischen Museen breiter Raum gegeben wird. Dazu aber werden auch die überfällige Berücksichtigung der wachsenden Migrationsbewegungen sowie der politische Einfluss auf zeitgeschichtliche Einrichtungen im Zuge der Renationalisierungsstrategien rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien verhandelt.
Ist das Museum wirklich noch der Schlüsselort für Kultur- und Geschichtspolitik?
Es bedarf herausgeberischen Mutes, wenn angesichts des Charakters des hdgoe als einer herumgereichten lauwarmen Kartoffel in der österreichischen politischen Arena den Leser*innen schon in der Einleitung die herausragende Stellung zeithistorischer Museen als "key cultural loci of our times" suggeriert will. Solchen normativen Zuschreibungen mag man folgen oder auch nicht. Wenn aber nach einer Phase, in der historische Museen als zunehmend verstaubt und anachronistisch gesehen wurden, von den Herausgeberinnen heute ein neuer, museal geleiteter Selbstvergewisserungsbedarf in der Gesellschaft konstatiert wird, dann leuchtet hinter den Worten ein allzu greller Selbstbestätigungsbedarf derer auf, die vom Betrieb dieser Einrichtungen leben. Diese oft gehörte, aber unbewiesene Konstatierung kritisch zu hinterfragen, wäre daher ein vielversprechenderer Ansatz gewesen, auch für die folgenden Beiträge. (Eine kleine Umfrage des Rezensenten unter Bekannten hat jedenfalls ergeben, dass keine*r der Befragten einem Museumsbesuch einen signifikanten Stellenwert bei der eigenen gesellschaftlichen Verortung geben würde.)
Nun besteht kein Zweifel, dass es in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Neugründungen zeithistorische relevanter Institutionen gekommen ist. Zumeist werden diese von einer liberalen gebildeten Schicht als Freizeitangebot genutzt, umso mehr also sie dabei eine Bestätigung ihrer festgelegten gesellschaftspolitischen Sichtweisen erfahren.
Immerhin erwähnt Mirjam Zadoff, die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums in München, in ihrem Beitrag Studienergebnisse, wonach für einen Großteil der Amerikaner*innen die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs keinerlei Relevanz mehr hätten. Ebenso fehlt wohl auch vielen Europäer*innen das Bewusstsein, dass es sich bei zentralen zeitgeschichtlichen Themen wie Nationalsozialismus und Holocaust um "ereignis- oder rezeptionsgeschichtlich noch offene Epochen (handelt), denen die ordnende Kraft des Rückblicks auf eine abgeschlossene Zeit" fehlt (S. 29). Wer einmal die Reaktionen von Gymnasiast*innen auf noch so gutgemeinte zeitgeschichtliche Unterrichtsangebote mitbekommen hat - "Nein, bitte nicht schon wieder Holocaust!" -, der mag das als konkreten Beleg für die amnestische Grundstruktur der aktuellen gesellschaftlichen Verfasstheit nehmen.
Das ist wohl einer der Gründe, warum rechtspopulistische und rechtsradikale Kräfte zunehmend unverblümt in die historische Versatzkiste zu greifen vermögen, ohne dass zeitgeschichtliche Institutionen mit ihrem Bemühen, kritische und reflexive Distanz zu schaffen, signifikante Wirksamkeit dagegen entfalten könnten. Umso mehr fehlt in diesem Band die Auseinandersetzung mit neuen Formen der Nutzer*innen-Kommunikation bzw. mit neuen Methoden der Vermittlung. Zwar fokussiert er auch im Titel auf den Bereich des Ausstellens, doch gerade die Grundannahme, damit sei die vermittlerische Leistung weitgehend getan, verfehlt die gesellschaftliche Realität.
Die Sehnsucht renationalistischer Politik nach einer besseren Vergangenheit
Wenn einige der Beiträge davon berichten, wie Neo-Nationalist*innen versuchen, zeitgeschichtlich relevante Institutionen wie das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel zu instrumentalisieren, dann manifestiert sich hier eine Farce. Sie verweist noch einmal auf den ursprünglichen Zweck zahlreicher historischer Museen, der in der Konstruktion und Legitimation einer nationalen Identität samt zugehöriger patriotischer Gesinnung bestand. Zum Ausdruck kommt hier die Hoffnung auf die Indoktrinationsmacht dieser Institutionen, die durch andere, weitgehend transnational organisierte Kommunikationskanäle längst unterlaufen wird.
Mit ihren Interventionen machen die politischen Akteur*innen des nationalistischen Spektrums vor allem in den post-sowjetischen Ländern ein institutionelles Dilemma für eine junge Zeithistoriker*innen-Generation deutlich. Dieses besteht das darin, den ursprünglich staatliche Machtinteressen des Staates repräsentierenden Intentionen eines Museums einen überzeugenden Entwurf entgegenzusetzen. Ein solcher ließe das Museum zu einem Ort mutieren, in dem sich alle Beteiligten (Gestalter*innen ebenso wie Nutzer*innen) auf Augenhöhe begegnen, um in gleichberechtigter Weise an der Wissens- und Bedeutungsproduktion mitzuwirken. Solch ein Anspruch stellt eine große Herausforderung für das Kulturmanagement dar, das sich nicht mehr damit begnügen kann, von professionellen Kräften aufbereitete Inszenierungen für vorab definierte Zielgruppen verfügbar zu machen, sondern partizipative und interaktive Prozesse starten und moderieren muss, die allen Beteiligten eine gehörige Stimme geben.
"Es gehört zu den Strategien hegemonialer Institutionen, Kritik zu integrieren, ohne dabei die grundlegenden Machtverhältnisse aufzubrechen" (Wonisch, S. 94)
Wenn diese Satz der Historikerin und Germanistin Regina Wonisch wahr ist, dann stellen diese Transformationsprozesse im Machtsystem Museum eine Herkulesaufgabe dar. Am Aspekt der Migration, der vielleicht wie kein anderer bestehende Machtungleichheiten in der Gesellschaft repräsentiert, macht sie sich dennoch auf die Suche. Und kommt in ihrem sehr grundsätzlichen Beitrag zu der Schlüsselfrage, wie es gelingen kann, Einrichtungen, die für ein "Wir-Gefühl" appellieren, hinreichend in die Lage zu versetzen, dem "Anderen" den ihm gebührenden Platz einzuräumen. Nach Wonisch geht es darum, den Anspruch an das Museum als Ort gemeinsamer Gedächtnisbeziehungen zu überwinden und ihm die Aufgabe zuzuweisen, konkurrierende Erinnerungs- und Gedächtnispolitiken unter einem Dach zu vereinen.
Die besondere Herausforderung für das Kulturmanagement sieht Wonisch nicht in einer über temporäre Sonderausstellungen hinausgehenden Fokussierung auf spezifisch migrantische Phänomene, sondern in der Rekrutierung von Personal, das den Ansprüchen einer postmigrantischen Gesellschaft gerecht wird. Sie fordert eine Belegschaft als ein Abbild der gesellschaftlichen Realitäten. Nur so könne es gelingen, zugunsten der Vielfalt neue Beziehungen zwischen denen, die drinnen, und denen, die draußen sind, zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang berichtet der Kunsthistoriker Georg Traska von einigen partizipativen Projekten, im Rahmen derer marginalisierte Gruppen eingeladen wurden, an der Ausstellungsgestaltung im Wiener Volkskundemuseum aktiv mitzuwirken. Besonders beeindruckt hat den Rezensenten der Versuch junger Muslim*innen, im Rahmen eines Schulprojektes ihre Lebensumstände zu thematisieren. Hervorzuheben sind Traskas Beschreibungen dazu, wie die Schüler*innen permanent die Erwartungen und Pläne der beteiligten Wissenschafter*innen in neue, unerwartete Richtung gelenkt haben, um zu ganz unerwarteten und doch äußerst produktiven Ergebnissen zu kommen. Sowohl Dekonstruktion als auch Sinnstiftung fanden hier ihren paradigmatischen Ort.
Zeitgeschichtliche Museen in Konkurrenz zu anderen Anbietern
Alle in diesem Band gemachten Versuche, zeithistorischen Museen die Bedeutung zuzuweisen, die sie zumindest aus der Sicht ihrer Betreiber*innen verdienen, sollten nicht vergessen machen, dass sich die Häuser heute einer Vielzahl konkurrierender Medien zu stellen haben. Immer mehr Menschen beziehen ihr Wissen und damit auch ihre individuelle und kollektive Sinnstiftung aus virtuellen Welten, auch zu historischen Themen. Und immer mehr Akteur*innen überbieten sich in History-Formaten, hinter denen die Erfahrungen, die in traditionellen Geschichtsmuseen gemacht werden, weit zurückfallen. Über diese Konkurrenzverhältnisse ist in dem Band ebenso wenig zu lesen wie über die Effekte einer Social-Media-Welt, in der zeitgeschichtliche Phänomene in Echtzeit verhandelt werden, ohne dass eine zeithistorisch relevante Kraft in der Lage wäre, die damit verbundenen Erfahrungen zu strukturieren, einzuordnen und zu bewerten.
Fazit
Für alle Kulturmanager*innen, die einen Einblick in die aktuelle Diskussion um die Weiterentwicklung zeitgeschichtlicher Institutionen suchen, ist dieser Band eine Fundgrube an Erfahrungen aus dem Inneren des Museumsbetriebs. Naturgemäß konzentrieren sich die Beiträge auf inhaltliche Belange, während organisatorische Fragen, solche der künftig notwendigen personellen Ausstattung und der Neubestimmung des Verhältnisses von Kurator*innen, Vermittler*innen und Nutzer*innen eher am Rand verhandelt werden.
Aber sowohl im Kapitel zum Migrationsaspekt wie in dem zum Wiederaufleben politischer Einflussnahme wird deutlich, dass sich die notwendigen Qualifikationen immer weniger auf spezifisches Fachwissen beschränken lassen. An dessen Seite treten gleichberechtigt strategisches Denken, das Wissen um gesellschaftliche Vielfalt, Kommunikationsfähigkeit und eine durchsetzungsfähige politische Haltung, die sich in den zuspitzenden Machtstrukturen zu bewähren weiß.
Es bleibt dahin gestellt, ob es mit der Veröffentlichung dieses Bandes gelingt, eine neue Dynamik in die Weiterentwicklung des hdgoe zu bringen. Die Leser*innen aber werden auf eindrückliche Weise für die Prekarität überkommener zeitgeschichtlicher Konzepte sensibilisiert und eingeladen, diese neu zu denken.
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