25.07.2024

Buchdetails

Digitalisierung in der kulturellen Bildung: Interdisziplinäre Perspektiven für ein Feld im Aufbruch
von Benjamin Jörissen, Stephan Kröner, Lisa Birnbaum, Franz Krämer, Friederike Schmiedl
Verlag: kopaed
Seiten: 220
 

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Autor*in

Herr Clair Bötschi
ist Kulturmanager, Kreativ-Unternehmer und Autor aus Stuttgart. Er forscht zu den Spannungsfeldern Ökonomie, Kunst, Raum und Digitalität. Als Produktionsleiter hat er das Kunstfestival CURRENT - KUNST UND URBANER RAUM in Stuttgart mit aufgebaut und ist künstlerischer Leiter des Kunstvereins YouTransfer e.V., der sich mit Kunst im digitalen öffentlichen Raum auseinandersetzt. Zusätzlich ist er Sprecher der Kulturpolitischen Gesellschaft, Landesgruppe Baden-Württemberg und beratend tätig für verschiedene Kulturintuitionen im Bereich digitale Transformation.
Buchrezension

Digitalisierung in der kulturellen Bildung

Die Digitalisierung verändert grundlegend unsere alltagskulturellen Praktiken und Ästhetiken. Entsprechend wirken sich digitale Medien, virtuelle Räumen, Online-Plattformen und postdigitale Praktiken bereits auf die kulturelle Bildung aus, doch die Forschung steht noch am Anfang. Eine Lücke, die der Sammelband "Digitalisierung in der kulturellen Bildung" zu schließen versucht und neue Einblicke in die digitale Transformation der kulturellen Bildung gibt.
 
"Digitalisierung in der kulturellen Bildung. Interdisziplinäre Perspektiven für ein Feld im Aufbruch" ist der zweite Band der Schriftenreihe "Kulturelle Bildung und Digitalität", erschienen 2023 im kopead Verlag. Der Band bietet einen umfassenden Überblick über 15 Verbund- und Einzelforschungsprojekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), die an Praxisbeispielen die Chancen und Herausforderungen von digitalen Transformationen in den verschiedenen Kultursparten vertiefen. 
 
Mit dieser Veröffentlichung ergänzen die Herausgeber*innen Benjamin Jörissen, Stephan Kröner, Lisa Birnbaum, Franz Krämer und Friederike Schmiedl ihren ersten Sammelband, der die Fragestellungen und Forschungszugänge umfangreich thematisiert (eine Rezension des ersten Bandes ist am 29.01.2020 auf kulturmanagement.net erschienen). Gemeinsam decken beide Bände ein facettenreiches Forschungsfeld ab, geben aber auch getrennt einen guten Einblick in die Forschungsvorhaben. 
 
Inhalt und Aufbau
 
Zu Beginn der Publikation wird der Stand der Forschung und die übergreifenden Projektzusammenhänge herausgearbeitet und damit ein solides Grundwissen geschaffen. Hier wird deutlich, wie wichtig die Forschung und gerade der Praxistransfer in der kulturellen Bildung ist, da die pädagogischen Angebote der digitalen Lebensrealität hinterherhinken. So sind die meisten Angebote in Jugendkunstschulen noch mit klassischen Materialien wie Leinwand, Pinsel und Farbe. Die Nutzung von digitalen Medien wie Social Media bestimmt aber zunehmend den Tagesablauf der Jugendlichen, sodass diese auch als kreatives Medium eingesetzt werden können. Gegen Ende der Publikation werden die Ergebnisse in den Kontext der internationalen Forschung gesetzt. Das Buch schließt mit einem Ausblick und Perspektiven auf das Forschungsfeld und Metavorhaben der Digitalisierung der kulturellen Bildung.
 
Im Zentrum der Publikation stehen 15 Steckbriefe, die die Ergebnisse der geförderten Projekte zusammenfassen. Die Projekte reichen von den Sparten Musik, Tanz und Performance über Literatur bis zur Bildenden Kunst. Sie zeigen ein hohes Innovationspotenzial, denn es wurden unter anderem Apps zum Musikmachen, musikalische Interface-Designs, Onlinelabore für digitale kulturelle Bildung, die Digitalisierung von Rezensionsprozessen, postdigitale Kunstpraktiken und die Gestaltung virtueller Ausstellungsräume umgesetzt. Die Steckbriefe sind in maximal fünf Erkenntnisschwerpunkte eingeteilt, die jeweils ein eigenes Piktogramm haben.  
 
Die Erkenntnisschwerpunkte sind:
 
1. Theoretisch-konzeptionelle und methodische Innovationen
  • Beispiel: Welche Forschungsfelder und Grundfragen wurden neu geschaffen? Im Projekt Rez@Kultur werden die digitalen Rezensionen (rezensive Texte) zu klassischen Rezensionen abgegrenzt und als Forschungsfeld ganz neu geschaffen und betrachtet.
2. Feldbezogene medientheoretisch-informatische Erkenntnisse
  • Beispiel: Welche normativen Annahmen über die Nutzer*innen stecken in digitalen Tools und wie wird dadurch Realität gestaltet?
3. Erkenntnisse zu (post-)digitalen Transformationen ästhetischer, kreativer und künstlerischer Praxen
  • Beispiel: Welche digitalen Methoden und Handlungskonzepte wirken sich auf künstlerische Praxen aus. Konzepte wie Creative Coding oder digitales Kuratieren verwischen die Grenze zwischen analogen und digitalen, wie das Projekt: "Post digitale Kunstpraktiken in der kulturellen Bildung" feststellt. 
4. Erkenntnisse zu Bedürfnissen auf Teilnehmendenseite und Bedingungen digitaler kultureller Bildung
  • Beispiel: Welche Bedürfnisse der Jugendlichen im Kontext der digitalen Lebensrealität gibt es? Das Projekt: "Viral #Raumkonstruktion in der kulturellen Bildung zeigt, wie wissenschaftliche Hashtaganalysen auch in Bildungskontexten eingesetzt werden kann, um digitale Spurensuche zu erlernen und damit Medienkompetenz zu steigern. 
5. Erkenntnisse zu Professionalitäten und Institutionen und ihr Verhältnis zu Digitalisierung und Digitalität
  • Beispiel: Im Projekt "Angebote in Handlungsräumen der kulturellen Jugendbildung im Prozess der Digitalisierung" wurde untersucht, wie die Sparten insgesamt auf die Digitalisierung reagieren und dies in der Angebotsplanung umsetzten. Eine Erkenntnis: In der Sparte Musik wird am wenigsten auf die digitale Transformation reagiert.
Überdies haben einige Steckbriefe eine Sektion mit Anknüpfungspunkten und Impulsen für künftige Forschung und Praxis im Bereich der Digitalisierung der kulturellen Bildung. Ein wichtiger Punkt wäre die Feststellung, dass digitale Medien noch überwiegend als technisches Werkzeug gesehen werden und weniger als künstlerische-kreatives. Dies verkennt aber das Potenzial der neuen Medien und kann als Hinweis gesehen werden das die Praxis hier Nachholbedarf hat.
 
Im Anschluss der Steckbriefe folgen vier Essays (Vertiefende Texte) mit unterschiedlichen Zugängen zu den Forschungsprojekten und den komplexen Verbindungen zwischen Kunstphänomenen und Bildungsprozessen. Sie dienen dem Leser dazu übergreifende Zusammenhänge zu verstehen. Zum Schluss kommt ein Text zum sogenannten Metavorhaben, welches die Forschungsprojekte übergreifend betrachtet.
Kontext & Kritik
 
Im Fokus der Forschungsvorhaben steht die Frage, welche Konsequenzen und Potenziale die digitale Transformation für die kulturelle Bildung mit sich bringt. Das Buch liefert darauf Antworten und weiterführende Fragen. So zeigt sich immer stärker, wie sich die Lebensrealität der Jugendlichen durch die digitale Welt verändert. Der Sozialraum ist nicht mehr nur analog und gerade soziale Medien werden genutzt, um künstlerisch und kreative Werke zu schaffen. Durch die vielfältigen Projekte bekommen die Leser*innen einen guten ersten Einblick in die Forschung. Dabei kann das Buch als Überblickswerk und Wegweiser genutzt werden, um bei einzelnen Forschungsprojekten tiefer einzusteigen und etwa die jeweiligen Publikationen oder Webseiten der Projekte zu besuchen und weiter zu lesen. 
 
Das Buch hat zwar den Anspruch, für Forschung, Praxis und Politik zu dienen - bleibt aber durch eine fachlich komplexe Sprache vorwiegend für akademische Zielgruppen interessant. Damit wird das Transferpotenzial aus der Forschung hin zur Praxis in gewisser Hinsicht verschenkt. Trotzdem kann die Lektüre inspirieren, gerade durch die Vielfalt der Perspektiven und spannenden Forschungsprojekten.
 
Am Beispiel des Projektes Rez@Kultur (Digitalisierung kultureller Rezensionsprozesse) der Universität Hildesheim wird dies deutlich. Die Forschenden untersuchten die Auswirkungen der Digitalisierung auf die kulturelle Bildung am Beispiel des Verfassens und Rezipierens rezensiver Texte. Dabei wird der Begriff "rezensive Texte" neu eingeführt, um Rezensionen im digitalen Raum zu bezeichnen (Beispielweise auf Google Maps oder Literaturblogs). Diese zeichnen sich dadurch aus, dass bestimmte klassische Vorstellungen und Prozesse von Rezensionen im Digitalen aufgebrochen werden und man nicht mehr von einer konsistenten Textsorte ausgeht. Man denke nur an die Google- oder Amazon-Bewertungen. Jeder kann hier eine Rezension aus seiner eigenen Perspektive schreiben. Online-Plattformen unterstützen diese Bewertungsstrukturen und gerade bei kleineren Blogs entstehen aus unterschiedlichen rezensiven Texten größere Netzwerke der Beurteilung. Dabei stellen die Forscher fest, dass die Selbstthematisierung bei den Autor*innen einen großen Stellenwert hat und als Stilmittel gezielt eingesetzt wird. Das Produkt oder Buch wird mit der eigenen Nutzung oder Perspektive verbunden und dargestellt.  
 
Das Projekt erarbeitete methodisch fundierte Analysen zu verschiedenen Aspekten der digitalen Kulturrezension, darunter die Interaktion zwischen Autor*innen und Rezipient*innen sowie die Art und Weise, wie rezensive Texte zur kulturellen Teilhabe beitragen können: Beispielweise reagieren Autor*innen auf die rezensiven Texte auf den Plattformen und verändern ihr Werk. Die Beziehung zwischen Produzent*in und Konsument*in wird viel enger und vermischt sich an einigen Stellen durch die digitalen entwicklungen. Im Steckbrief werden diese zentralen Ergebnisse vorgestellt und im vierten Vertiefungstext (Essay) eingehend erläutert. Dabei handelt es sich um eine Zusammenfassung der eigenständigen Publikation "Rezensiv - Online-Rezensionen und kulturelle Bildung" erschienen im transcript Verlag (2021) von Guido Graf (Hrsg.). 
 
Fazit
 
Die vorliegende Publikation bietet eine umfassende Übersicht und tiefergehende Analysen der geförderten Projekte und des Metavorhabens. Sie zeigt eindrucksvoll, wie vielfältig und interdisziplinär die Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung ist. Für Praktiker*innen könnte der Zugang über die Webseite mit den Videos und Verlinkungen noch hilfreicher sein als das gedruckte Buch, da diese Medienformate die Ergebnisse anschaulich und praxisnah präsentieren. Von dieser gelangt man außerdem auf die einzelnen Projekt-Webseiten, die ebenfalls sehr spannend sind. Beim Forschungsprojekt Rez@Kultur findet man zum Beispiel viele Videos, die die Forschung anschaulich und einfach darstellen. Wer sich schon für ein bestimmtes Gebiet im Zusammenhang mit kultureller Bildung und digitaler Transformation interessiert, sollte direkt die betreffenden Einzelpublikationen  der Forschungsprojekte lesen.
 
Insgesamt leisten die Herausgeber*innen und Autor*innen mit diesem Sammelband einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte über die Digitalisierung in der kulturellen Bildung. Denn der klassische Werkbegriff in der Kunst löst sich zunehmend auf und entwickelt sich zu einem fluiden, prozesshaften Produktionsprozess, bei dem Kunstschaffende und Kunstrezipierende gemeinsam Kultur schaffen. Insofern zeigen die Beiträge auf, welche Herausforderungen und Chancen die digitale Transformation mit sich bringt und bieten wertvolle Einblicke und Anregungen für alle, die sich intensiv mit diesem zukunftsträchtigen Thema auseinandersetzen möchten.

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