29.01.2020
Buchdetails
Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung (Kulturelle Bildung und Digitalität)
von Benjamin Jörissen, Stephan Kröner, Lisa Unterberg
Verlag: Kopd Verlag
Seiten: 228
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Autor*in
Martin Lätzel
ist Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek und dort beauftragt mit dem Aufbau eines Kompetenzzentrums für Digitalisierung und Kultur. Zuvor war er u.a. in der Kulturabteilung im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein und in der Kulturentwicklung tätig. Er ist Lehrbeauftragter im Fachbereich Medien der Fachhochschule Kiel.
Buchrezension
Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung
In unserer heterogenen Zeit kann man kulturelle Bildung als die Vermittlung von Kompetenzen wie Zeichendeutung, Codierung und Dechiffrierung verstehen. Dabei stellen sich durch die digitale Transformation große Herausforderungen an Theorie und Praxis dieses Aufgabenbereichs. Mehrere vom BMBF geförderte Forschungsvorhaben zu diesem Thema stellt das Buch "Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung" vor.
Der Journalist Dirk von Gehlen definiert Kultur im digitalen Zeitalter als Software. Sie anzuwenden bedeutet, Algorithmen, Technologien und unsere aktuelle Gesellschaft besser zu verstehen. Die aktuelle Aufgabe der kulturellen Bildung ist demnach das "Programmieren-Lernen" für offene Prozesse, Fragen und die Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben. Je mehr sich verflüssigt, desto wichtiger sind die Kompetenzen, sich zurecht zu finden und den Mut und die Kenntnisse zu erlangen, sich ins Offene zu begeben, kreativ und kulturell aktiv zu werden. Durch die Digitalisierung gilt es also, u.a. veränderte Instrumente, neue Anforderungen an die Programmplanung und neue Vermittlungsformen in der Kulturellen Bildung stärker zu berücksichtigen.
Inhalte und Methodik
Mit dem vorliegenden Band, erschienen 2019 im Kopaed-Verlag, stellen die Herausgeber*innen Benjamin Jörissen, Stephan Kröner und Lisa Unterberg sowie die Autor*innen - hauptsächlich Bildungs- und Medienwissenschaftler*innen - laufende Forschungsvorhaben vor, die "Digitalität [...] als umfassendes Bedingungsgefüge von kulturellen, ästhetischen, technologischen und medialen Aspekten" (S. 7) verstehen und deren Auswirkungen auf die kulturelle Bildung untersuchen. Grundlage des Buches sind 13 unterschiedlich fokussierte Projekte aus verschiedenen künstlerischen Sparten (Laufzeit 2017 bis 2021), die auf einer Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung basieren. Die Herausgeber steuern dabei ein Metaforschungsvorhaben, dass die Forschungsansätze miteinander vernetzen soll. Zielsetzung der Untersuchungen ist es, aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sich für kulturelle Bildung ergeben, welche zusätzlichen Formen und Methoden sich artikulieren und wo die Risiken liegen bzw. kritische Reflektion nötig ist. Der Band möchte dabei einen ersten Überblick über die einzelnen Forschungsvorhaben geben und erste Ergebnisse präsentieren.
Eine sehr gute und konzise Einführung in das Verhältnis von kultureller Bildung und digitaler Transformation bietet das grundlegende Kapitel der Herausgeber*innen zu Beginn des Bandes. In den folgenden Kapiteln werden die Forschungsvorhaben vorgestellt. Die Herausgeber*innen clustern dabei die einzelnen Projekte in die Kategorien Angebotsstruktur, Lernen und Kompetenzentwicklung, digitale Alltagspraktiken, Gestaltung von Anwendungen und Post-Digitalität in den Künsten (S. 8).
Nach jeweils einleitenden Texten folgen Darstellungen der einzelnen Projekte und ihrer Forschungsdesigns. Ein Projekt widmet sich beispielsweise der Erforschung konkreter Anwendungen (z.B. Apps) sowie der Metareflexion des Einsatzes von Digitalisierung in der kulturellen Jugendbildung. Zudem bewegen sich allein vier Projekte im Bereich Musik. Eines davon untersucht die Bedeutung von Apps in der Arbeit mit jungen Erwachsenen mit Behinderungen. Ein weiteres nimmt den Einsatz von Apps in der Tanzpädagogik in den Fokus. Spannend werden sicher auch die Ergebnisse eines Projektes zu virtuellen Lernräumen sein. Hier steht nicht nur die Frage im Raum, welche Technik genutzt wird, sondern auch wofür - wenn sie nicht als bloßes Add-On verstanden werden soll. Nicht zuletzt werden auch postdigitale Kunstpraktiken in den Fokus untersucht. Abgerundet wird der Band durch eine beschreibende Reflexion des Metaprojektes.
Diskurs
Da das Kulturmanagement die Rahmenbedingungen stellt, in denen kulturelle Bildung stattfindet, besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen diesen beiden Bereichen und der digitalen Transformation. Entsprechend gilt es, auch im Kulturmanagement zu erörtern, welche Auswirkungen auf die kulturelle Bildung bestehen. Auch wenn die Forschungen noch laufen, lassen sich schon jetzt einzelne Zwischenergebnisse aus den Texten ableiten. So finden sich im Buch zahlreiche Schnittstellen, auf denen die kulturelle Bildung in der Praxis aufbauen bzw. an denen sie sich orientieren kann. Zudem bieten die Projekte bereits jetzt Orientierung zu den aktuellen Diskussionen und Entwicklungen: Grundsätzlich ist die Beziehung zwischen der Digitalisierung und künstlerischer Praktiken insofern exemplarisch, weil Kunst per se gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift. Da die Transformation der kulturellen Infrastruktur nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann, stellen die einzelnen Kapitel hier interessante Diskussionsbeiträge dar. Zudem haben digitale Anwendungen eine eigene Form von Ästhetik.
In vielen Sparten ist des weiteren die Frage zentral, ob solche Anwendungen Hilfsmittel bestehender Angebote sind oder Ergebnisse sui generis erzeugen können. Wenn also beispielsweise Musik-Apps als digitale Instrumente zur Unterstützung vorhandener Routinen genutzt werden, stellen sie keinen Wert an sich dar. Hier braucht es entsprechende Kompetenzen, um neue Ergebnisse zu zeitigen. So erweitert ein Forschungsprojekt das Spektrum analoger Instrumente und prägt dafür den Begriff des "MusikMachDing". Wichtig ist bei allen Anwendungen die pädagogische Gestaltung. Vor dem Einsatz digitaler Technik muss die Strategie stehen, sodass der Programmplanung eine Bedeutung als Transformationsinstanz zukommt. Grundlage ist eine Kategorisierung kultureller Bildung entweder als "künstlerisch-kulturelle", als "technologisch-kulturelle" oder als "mediengestützte kulturelle Bildungsangebote" (S. 87). Dies kann eine gute strategische Grundlage bilden, weil damit das Portfolio kultureller Bildung breiter aufgefächert wird. Für Museen wird Interaktion in diesem Kontext eine besondere Bedeutung bekommen, denn auch hier reicht die digitale Ergänzung beziehungsweise die bloße Fortführung vorhandener Methoden mit digitalen Mitteln nicht aus.
Letztlich, und auch das ist aus den Beiträgen herauszulesen, tragen digitale Prozesse nicht zur gesellschaftlichen Nivellierung bei. Das Verhalten Jugendlicher in den sozialen Medien kann deshalb mit Blick auf sozialräumliche Analysen wichtige Hinweise für die Programmplanung geben. Wohlgemerkt: Das sind noch keine Ergebnisse, sondern erste Befunde, die aber durchaus anschlussfähig für das Kulturmanagement sind. Für den Kulturbereich muss dabei das Ziel die aktive und kreative Teilhabe sein.
Kritik
Das Thema drängt und muss bearbeitet werden. Deswegen muss man zunächst einmal die Notwendigkeit der Forschungsvorhaben unterstreichen und positiv hervorheben, dass eine solche erste Veröffentlichung eine Übersicht darüber präsentiert. Der Band zeigt deutlich auf, welch breites Feld es zu beackern gilt. Er "beruhigt" die Leser*innenschaft insoweit, als es ausgewiesene Fachleute gibt, die - entgegen manch vorherrschendem Kulturpessimissmus - kritisch-konstruktiv an technische Entwicklungen herantreten, um sie für die Praxis wirksam werden zu lassen. Die Lektüre hätte dennoch ertragreicher gestaltet werden können, wenn die Herausgeber*innen den Autor*innen einheitlich Gliederungspunkte und Zielvorstellungen vorgegeben hätten. So erschwert die Disparität es den Leser*nnen, die Ansätze zu vergleichen; mal steht das Forschungsdesign im Vordergrund, mal die Analyse und mal ein Zwischenfazit.
Die relative Unschärfe in der Abgrenzung der einzelnen Projekte untereinander ist hingegen kein Problem, sie unterstreicht die Ent-Grenzung digitaler Kultur, erschwert allerdings die Lektüre. Inwiefern sich angesichts der disruptiven digitalen Entwicklungen darüber hinaus Veränderungen ergeben, auf die die Forschungsvorhaben kurzfristig reagieren müssen, kann noch nicht abgesehen werden.
Die jeweiligen Literaturverzeichnisse sind äußerst umfassend und geben den Stand der Forschungen präzise wieder. Leider kommen aber die meisten Texte nicht aus ihrem wissenschaftlichen Duktus heraus, sind umständlich und mit einer Fülle von Fachtermini formuliert, die wissenschaftliches Hintergrundwissen voraussetzen und damit die Anschlussfähigkeit für die Praxis erschweren. Unverständlich bleibt zudem, warum ein Band, der mit öffentlichen Geldern geförderte Forschungsvorhaben beschreibt und sich überdies der Digitalisierung widmet, nicht als Open Access-Publikation digital zur Verfügung gestellt wird. So steht zu befürchten, dass er - noch verstärkt durch die Sprache - den begrenzten Kreis des Fachpublikums nicht verlässt, obwohl gerade kulturelle Bildung zurecht in den vergangenen Jahren größere Aufmerksamkeit generiert hat und in der sich jede Menge engagierter Menschen tummeln. Es bleibt zu hoffen, dass es gelingt, die abschließenden Ergebnisse der Forschungsvorhaben für einen breiten Kreis von Adressat*innen verständlich aufzubereiten, um die dringend notwendigen Impulse für die kulturelle Bildung auch für Praktiker*nnen zu setzen. In der jetzigen Form gelingt dies leider nicht.
Insgesamt unterstreicht der Band, dass Kultur und Bildung anschlussfähig sein müssen, um die digitale Transformation zu verstehen und zu nutzen, Gefahren zu erkennen und gute Entwicklungen zu befördern. Dafür bedarf es nicht nur der Grundlagenforschung, sondern auch gut aufbereiteter praktischer Ansätze und Methoden, wie sie hier vorgestellt werden. Wenn der Aufbau von Schnittstellen zwischen Theorie und Praxis aus den im Band beschriebenen Forschungsvorhaben gelingt, ist die kulturelle Bildung in der digitalen Transformation auf dem richtigen Weg. Digital und offen verfügbare Ergebnisse, so aufbereitet, dass sie vernetzt wirken können, sind dann obligatorisch.
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von Friederike Schmiedl, 31.01.2020 13:14»Der Sammelband "Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung" wird in Kürze Open Access verfügbar sein. Bis die URN vorliegt, können sich InteressentInnen an mich wenden und ich sende gerne das entsprechende Dokument zu.
Mit freundlichen Grüßen
Friederike Schmiedl
(Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Metavorhabens der Förderlinie "Forschung zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung")«