23.02.2023

Buchdetails

Eroberung des Elfenbeinturms: Streitschrift für eine bessere Kultur
von Fabian Burstein
Verlag: Edition Atelier
Seiten: 154
 

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Autor*in

Martin Lätzel
ist Direktor der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek und dort beauftragt mit dem Aufbau eines Kompetenzzentrums für Digitalisierung und Kultur. Zuvor war er u.a. in der Kulturabteilung im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein und in der Kulturentwicklung tätig. Er ist Lehrbeauftragter im Fachbereich Medien der Fachhochschule Kiel.
Buchrezension

Eroberung des Elfenbeinturms. Streitschrift für eine bessere Kultur

Der (Hoch-)Kulturbetrieb ist elitär und unzugänglich, die Angebote exkludieren zu viele Menschen und Milieus. Diese Auffassung ist weder neu noch unbegründet. Gefragt sind größere Vielfalt und ein Kulturbereich, der eine breitere Realität rezipiert. Da sich die Situation aber nur langsam ändert, ist die Streitschrift "Eroberung des Elfenbeinturms" konsequent.
 
Fabian Burstein hat geschrieben, was man eine Philippika nennt, eine Kampfrede, benannt nach den Reden des attischen Politikers Demosthenes gegen König Philipp II. von Makedonien. Beim vorliegenden Werk handelt es sich um einen Aufruf gegen allzu elitäre und unflexible Strukturen in der kulturellen Infrastruktur. 
 
Solche kritischen Auseinandersetzungen mit der Realität in Kulturinstitutionen sind nichts Neues. Beim Lesen drängt sich ein Vergleich mit dem Kulturinfarkt auf, jener Streitschrift, die 2012 für Aufsehen sorgte und zu der Tobias Knoblich in den Kulturpolitischen Mitteilungen zurecht Parallelen zieht. Wie die Autoren des Kulturinfarkts insinuiert Burstein eine gewisse Abgehobenheit des Kulturbetriebs. Sein Buch - erschienen 2022 bei der Edition Atelier - möchte er als erneute Anregung für dessen Erdung und Öffnung verstehen. 
 
Die Kultur im Argen 
 
Der Autor - ein erfahrener Kulturmanager, versierter Insider des Kulturbetriebs und Sprecher der Landesgruppe Österreich der Kulturpolitischen Gesellschaft - wagt sich zu Beginn an ein fast unmögliches Unterfangen: eine grundlegende Definition für den Kulturbegriff zu finden, auf die er seine Argumentation aufbauen kann. Schon an dieser Stelle bringt er seine Kritik ein. Denn Burstein möchte - wir kommen später darauf zurück - einen Begriff formulieren, von dem sich möglichst viele Akteur*innen und Rezipient*innen angesprochen fühlen, mit Praxisbezug und Pragmatismus. Übliche Bestimmungen von Kultur hingegen würden eine Metaebene konstruieren, die einen Verlust an Realität bei übermäßiger Komplexität mit sich bringt - und vielleicht auch mit sich bringen soll. Denn was komplex formuliert wird, ist selbst schon kaum verständlich und darin kaum zu kritisieren. 
 
In diesem Zusammenhang spricht Burstein von intellektuellen Phrasen, die jegliches kritisches Hinterfragen des kulturellen Schaffens im Keim ersticken. Wer sich als Künstler*in oder Kulturschaffende*r erklärt, ist dem Diskurs enthoben und quasi unantastbar. Für Fabian Burstein entsteht dadurch ein geschlossener Zirkel. Dieser entzieht sich dem, was er "Mehrheitsgesellschaft" nennt, nicht nur in der Rezeption, sondern erst recht in der kritischen Auseinandersetzung - mit den eigenen Inhalten ebenso wie mit den drängenden Fragen der Gesellschaft. Kultur werde, weil sie sich so exzentrisch generiere, zu nichts verpflichtet und könne so kaum gesamtgesellschaftliche Evidenz erreichen. Deshalb, so der Tenor der nächsten Kapitel, gelänge es rechten Ideologien, den Kulturbegriff zu kapern und für die eigene, exkludierende politische Agenda zu vereinnahmen. 
 
Die aktuelle Situation, so Fabian Burstein, sei auch eine Art Generationenkonflikt, würden doch "junge Wilde", wie Burstein sagt, verfestigte Strukturen infrage stellen, weil sie zu diesem elitären Zirkel keinen Zugang finden und aufgrund dieser Strukturen ihr Innovationspotenzial nicht wirklich zum Ausdruck bringen könnten. Exemplarisch sei dies - und dieser Blick zieht sich durch das gesamte Buch hindurch - am österreichischen Kulturbetrieb. 
 
Ein neuer Kulturbegriff für eine neue Kulturarbeit
 
Aus dieser Kritik bilanziert Fabian Burstein nun einen eigenen breiten Kulturbegriff, der aus seiner Sicht eine Referenz in gesellschaftlichen Prozessen und Fragestellungen findet und vice versa für alle gesellschaftlichen Bereiche, Milieus und Schichten anschlussfähig sein soll.  
 
Im Folgenden skizziert Burstein einige Handlungen, die aus seiner Sicht den Nutzen von Kultur beschreiben, ohne sich der ökonomistischen Logik zu unterwerfen. Dazu gehören für ihn die Förderung von Debatten, Bildung, Integration oder gesellschaftliche Revolutionen. Treffend wird festgestellt, dass die "Kultur" (zur Unschärfe des Begriffs in den Ausführungen später mehr) zwar imstande sei, die "Erregungsgesellschaft" zum konstruktiven Handeln anzuregen, dies aber nur bedingt tut. Dem Rechtspopulismus, der daraus resultiert, setzt Fabian Burstein gewichtige Argumente entgegen. Um seine Argumentation zu untermauern, beschreibt Fabian Burstein unterschiedliche Erfahrungen und Skandale in der österreichischen Kulturpolitik. Dazu gehören kulturkämpferische Slogans der FPÖ in Wahlkämpfen ebenso wie undurchsichtige Besetzungen von Führungspositionen in öffentlichen österreichischen Kulturbetrieben.
 
Um den dargelegten Problemen Abhilfe zu schaffen, bietet der Autor den Leser*innen einen Überblick über die Aspekte, die für eine Veränderung existenziell seien. Dazu gehören aus seiner Sicht zum einen die Stärkung der Bildung und hier besonders der kulturellen Bildung. 
 
Zum anderen nennt er die digitale Transformation und plädiert nicht nur für eine Integration digitaler Anwendungen, sondern jener Kompetenzen, die gerade junge Menschen in ihrem selbstverständlichen Umgang mit digitalen Anwendungen in den Kulturbetrieb einbringen können. Dies zu verhindern, ist nach Auffassung Bursteins das Ziel der von ihm so genannten "Alt-98er", deren Netzwerke das Einbringen neuer, innovativer und subversiver Ideen im Keim ersticken. Als Beispiel beschreibt er das Schicksal der Musik-Plattform Napster - eine fast vergessene Musiktauschbörse vom Beginn der Zweitausenderjahre. Statt dieser Verhinderungsmentalität bedürfe es einer Renaissance der Neugier und vor allem der Integration der Solidarität samt einem Blick auf Diversität, Integration, Nachhaltigkeit und Inklusion. 
 
Den Abschluss des Buches bilden 23 Thesen - Burstein nennt sie "Denkanstöße" - für einen erneuerten Kulturbetrieb. 
 
Raus aus dem Elfenbeinturm
 
Das Buch ist, ähnlich dem Kulturinfarkt, ein tiefgründiges Plädoyer für die Notwendigkeit künstlerischer und kultureller Angebote. Hier spricht jemand, der kulturelles Engagement denkt, lebt und weiter entwickeln will. Burstein reiht sich damit in eine illustre Reihe von kritischen Texten und Auseinandersetzungen, die Kulturpolitik, Kulturverwaltung und Kulturbetriebe regelmäßig gegen den Strich bürsten. 
 
Die 23 Thesen zum Abschluss sind auf jeden Fall zu diskutieren. Doch auch Burstein fällt es teilweise schwer, den Begriff "Kultur" trennscharf zu definieren und seinen eigenen Anspruch durchzuhalten. So bleiben die Leser*innen im Ungewissen, ob er damit die Kunst, die kulturelle Infrastruktur, die Kulturverwaltung oder die Kulturpolitik meint. In gewisser Weise widerspricht er damit teilweise seinem eigenen Ansinnen, was dem Furor der Philippika geschuldet sein mag.
 
Insofern Kultur eine Selbstvergewisserung der Gesellschaft darstellt und sehr umfassend und integriert gedacht werden muss, sind Bursteins Thesen anschlussfähig. Es bedarf tatsächlich der dringenden Öffnung gegenüber den relevanten Themen. Dass wiederum ist ein wichtiger Perspektivwechsel: Wenn wir über die Relevanz der Kultur diskutieren, müssen wir die relevanten Themen in der Gesellschaft identifizieren, sie zu Themen der Kultur, der Kunst und der kulturellen Infrastruktur machen und dadurch die Prozesse des Zusammenlebens reflektieren, und nicht - wie es häufig der Fall ist - versuchen, Themen der Kunst(-geschichte) als relevant für die Gesellschaft zu erklären. Dass dabei niemand exkludiert werden darf, liegt auf der Hand. Wenn die Kultur sich als Kultur mit allen versteht, gewissermaßen aus sich selbst heraustritt und sich von den oft abgehobenen Idealen verabschiedet, besteht die Möglichkeit einer tiefgreifenden Veränderung.
 
Ob dieses Verständnis in der kulturellen Infrastruktur weitgehend anerkannt und reflektiert wird, ist jedoch noch nicht ausgemacht. Theoretisch findet die Aufforderung sicher schnell Zustimmung, aber in der Praxis sieht es oft anders aus. 
 
Damit tappt Burstein selbst die die Hochkulturfalle, auf die sich seine Aussagen beziehen. Doch Volkshochschulen, soziokulturelle Zentren und E-Gaming-Treffs sind ebenso Teil der kulturellen Infrastruktur und sprechen bereits breite Schichten jenseits elitären Denkens an. 
 
Zudem ist evident, dass eine Veränderung auch in der Hochkultur bereits stattfindet und dass Forderungen nach Nachhaltigkeit, Integration und die fortschreitende digitale Transformation Wirkung zeigen. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern auch für Deutschland. Die Lösung kann, wie es bereits der Kulturinfarkt zeigte, kein "mehr" an Kulturangeboten sein, sondern eine neue Ausrichtung. Burstein erweitert diese Argumentation zehn Jahre später und trifft den Punkt: Wer nicht selbst aus dem Elfenbeinturm heraustritt, darf sich nicht darüber wundern, wenn irgendwann der Turm im Abseits steht oder abgerissen wird. 
 
"Eroberung des Elfenbeinturms" mag für viele nach einem Abgesang auf die Kultur klinge. Burstein meint aber vielmehr, Raum zu schaffen für etwas Neues, Angebote und Infrastruktur, als Daseinsvorsorge offen für viele - vor allem aber für die drängenden Probleme unsere Zeit. 

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