13.02.2023

Buchdetails

Kultur. Spiel. Resilienz.: Vom Wert der Kulturellen Bildung in Krisen
von Michael Dietrich, Viktorija Zalcbergaite
Verlag: kopaed
Seiten: 400
 

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Autor*in

Antje Klahn
ist Gymnasiallehrerin und Theaterpädagogin (BuT). Aktuell promoviert sie an der Universität Greifswald zu Potentialen theaterpädagogischer Methoden für die Kompetenzentwicklung im Deutschunterricht. Vorherige berufliche Stationen waren verschiedene Theater, Hochschulen und Kunstformate. Als freiberufliche Dozentin gibt sie Workshops und Seminare in den Bereichen Theaterpädagogik und Kulturelle Bildung.
Buchrezension

Kultur. Spiel. Resilienz. Vom Wert der kulturellen Bildung in Krisen.

Was kann die kulturelle Bildung zur Entwicklung persönlicher und gesellschaftlicher Resilienz beitragen und wie lässt sich dieses Potenzial umsetzen? Das zeigt das Herausgeber*innenduo Michael Dietrich und Viktorija Zalcbergaite in "Kultur. Spiel. Resilienz." an einer großen Bandbreite von Projekt- und Praxisbeispielen anhand der Corona-Krise und der durch sie verursachten Unsicherheiten.
 
Krise als Chance
 
Die 2021 und damit mitten in der Corona-Pandemie erschienene Veröffentlichung soll nach eigener Aussage der Herausgeber*innen Mut machen und Künstler*innen, pädagogische Fachkräfte und engagierte Ehrenamtliche dazu inspirieren, eigene kulturelle, künstlerische und kreative Projekte (weiter) zu entwickeln. In dem knapp und allgemein gehaltenen Vorwort werden Krisen als Chance zur Qualifizierung Kultureller Bildung bezeichnet, was insbesondere eine Professionalisierung im Hinblick auf die Ausbildung persönlicher und gesellschaftlicher Resilienz meint. Im einführenden Beitrag bezeichnet Michael Dietrich die Kulturelle Bildung als "Realitätstraining", welches der Entwicklung und Ausbildung der anerkannten Resilienzfaktoren - Selbst- und Fremdwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Selbststeuerung, Soziale Kompetenz, Problemlösefähigkeit und Adaptive Bewältigungskompetenz - dient. In fünf großen Themenkomplexen kommen anschließend 48 nationale und internationale Expert*innen aus unterschiedlichen kunst- und kulturpädagogischen Theorie- und Praxisfeldern zu Wort. Mittels ihrer Einzelbeiträge wird der Frage nachgegangen, warum und wie kulturelle Spiel- und Erfahrungsräume dabei helfen können, in Krisenzeiten psychisch und seelisch stabil zu bleiben. Dabei stehen die einzelnen Kapitel und Beiträge unverbunden nebeneinander. Die eingeschobenen Geschichten und Glücksreisen bilden einen roten Faden und dienen gleichzeitig als beispielhafte Übungen zur Resilienzbildung.
 
Resilienz und Kulturelle Bildung
 
Zunächst werden die theoretischen Grundlagen des Themas aus verschiedenen Perspektiven geklärt. Kultur, Spiel und Resilienz werden zueinander in Bezug gesetzt und im Kontext der Krise, verstanden als exogenes Ereignis, welches Unsicherheit, Ungewissheit und Gefahr mit sich bringt und Entscheidungen notwendig macht, betrachtet. Dabei fehlt es jedoch an Trennschärfe zwischen den einzelnen Beiträgen, die sich teilweise - etwa in der Benennung der Resilienzfaktoren - wiederholen, aber kaum neue Erkenntnisse bringen. Wirksamkeit und Potenziale von Spiel und Kultureller Bildung für die Resilienzentwicklung wurden bereits vielfach untersucht und beschrieben[1], und so wäre hier mindestens eine Einordnung in den aktuellen fachlichen Diskurs, eine Zusammenschau oder ein Ausblick notwendig und wünschenswert gewesen.
 
Resilienz im Kontext von Partizipation, Digitalität und Lebensweltgestaltung
 
In den folgenden drei Kapiteln erhalten wir eine Vielzahl von Einblicken in kommunale künstlerische Projekte und damit in die (all-)tägliche Praxis Kultureller Bildung insbesondere in Süddeutschland. Die Bandbreite reicht dabei von Jugendkunstschulen über Theater, Musik- und Zirkusprojekte bis zu analogen und digitalen Spielprojekten. Hervorgehoben werden dabei die Resilienz bildende Wirkung von sinnlich-kreativen Freiräumen sowie die Bedeutung des Spielens als (über-)lebensnotwendiger Erfahrungsraum. Dies gilt auch und insbesondere für die inklusive Gestaltung von Lebenswelt(en) speziell in den Bereichen Schule und Freizeit, welche in einem eigenen Kapitel multiperspektivisch betrachtet wird.
 
Mit allen drei Themen bewegt sich das Buch zwar am Puls der Zeit, verharrt aber in der Beschreibung und gelangt nicht in die Diskussion oder gar auf eine Metaebene. Dadurch weist es nicht über die konkreten, meist bayerisch-regionalen Projekte hinaus.
Internationale Konzepte und Projekte

Einzig im letzten Kapitel gelingt ein Blick über den lokalen Tellerrand, indem ästhetisch-kreative Projekte in Krisenregionen durch internationale Autor*innen mit Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit vorgestellt werden. Hier wird auch der Unterschied zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung in Deutschland nachvollziehbar verdeutlicht, da sowohl Rahmenbedingungen als auch Zielsetzungen und Wirkmechanismen künstlerischer Projekte in Ländern wie Indien, Rumänien oder den Philippinen grundlegend andere sind, wie etwa die Arbeit des Clowns ohne Grenzen e.V. oder des Circus de Bais zeigen. So hätten die teilweise einzigartigen Erlebnisse für Menschen, die sehr selten in Berührung mit Kunst und Kultur kommen, einen deutlich höheren Einfluss auf die Resilienzbildung als in Lebenswelten, in denen kulturelle Projekte zum Alltag gehören.
 
Fazit
 
Durch alle Kapitel des Buches hinweg bestätigt sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit in der Auswahl der Beiträge. Über die nicht vorhandene inhaltliche Verknüpfung der einzelnen Abschnitte hinaus ist dem Sammelband das Fehlen einer fundierten Einführung und Einordnung sowie von Zwischenresümees vorzuwerfen. Vor allem aber hätte es einer Zusammenschau, eines Fazits, eines Ausblicks bedurft. Das Buch verbleibt in der Selbstbespiegelung, eine tiefer gehende Kontextualisierung findet nicht statt. Die eingangs aufgeworfene Frage nach der Wirksamkeit und den Potenzialen kultureller Praxis für die Ausbildung von Resilienz, insbesondere in Zeiten einer im Persönlichen wie im Gesellschaftlichen so tief wirkenden Krise wie der Corona-Pandemie, wird nur im Ansatz beantwortet.
 
Zudem fehlen etwa Einblicke in Finanzierungsmöglichkeiten und Förderpraxis, das Aufzeigen von Chancen zur Verstetigung funktionierender Strukturen und entsprechende Handlungsempfehlungen oder Forderungen für die Zukunft. Auch das gelungene, sehr luftige und durch die reiche Bebilderung anschauliche Layout kann die mangelnde inhaltliche Tiefe nicht wettmachen. Zumindest jedoch unterstreicht das Buch einmal mehr die Verpflichtung der Erwachsenen, für vielfältige Spiel- und Kreativräume zu sorgen, um (jungen) Menschen ausreichend Möglichkeiten für die Entwicklung von Resilienz zu bieten und sie damit für die Bewältigung möglicher Krisensituationen zu stärken. Dass Kulturelle Bildung dafür vielfältige und weit reichende Potenziale bietet, wird auch anhand der immer wieder aufgezeigten Korrelation zwischen den bekannten Resilienzfaktoren und den Schlüsselkompetenzen deutlich, die durch Kunst, Kultur und kreative Prozesse ausgebildet werden. Und das Lesen der vielen im Band versammelten Erfolgsgeschichten künstlerischer Projekte mag tatsächlich Mut machen, das Ziel einer Resilienz durch Kulturelle Bildung nachhaltig zu etablieren und weiterhin zu verfolgen.
 
[1]Vgl. Studien und Beiträge großer Institutionen und Vereine wie UNESCO (Play and Resilience, 2019),  Bundesvereinigung Kulturelle Kind- und Jugendbildung e.V. (Kulturelle Bildung - Starke Kinder und Jugendliche mit Kunst, Kultur und Spiel, 2020), International Play Association (Promoting the Cild‘s Right to Play, 2017), aber auch in Monografien wie "Das starke Subjekt: Lebensführung, Widerständigkeit und ästhetische Praxis" (Max Fuchs, 2016), "Rettet das Spiel!" (Gerald Hüther und Christoph Quarch, 2016).

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