22.08.2019

Buchdetails

Museum und Partizipation: Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote
von Anja Piontek
Verlag: transcript
Seiten: 534
 

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Autor*in

Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Buchrezension

Museum und Partizipation. Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote

Museen, so wird allerorts gefordert, sollen sich stärker öffnen, um mehr Besucher*innen anzulocken und vor allem um ihre Strukturen, ihr Wissen und ihren Beitrag zur Gesellschaft neu zu gestalten. Wie Partizipation in diesem Sinne umgesetzt werden kann und welche Erkenntnisse bisherige Projekte gebracht haben, zeigt die praxisorientierte Studie "Museum und Partizipation".
 
Partizipation als Motor einer institutionellen Öffnung von Museen
 
Museen definieren sich nicht gern in Zahlen. Schließlich geht es bei ihrer Arbeit nicht nur um die schiere Summe an Besucher*innen, Sonderausstellungen oder Objekten. Es geht um den gesellschaftlichen Auftrag, Kunst und Kulturerbe zu erhalten, zu erforschen und zu vermitteln. Wie dieser Auftrag umgesetzt wird, hängt dabei stets mit den aktuellen Rahmenbedingungen und Erwartungen zusammen. Entsprechend müssen Museen ihre Haltungen und Arbeitsweisen immer wieder neu hinterfragen. 
 
Partizipation ist dabei aktuell ein Ansatz, in den viele Hoffnungen gesetzt werden, etwa hinsichtlich der Anpassung an die Diversifizierung der Bevölkerung, an ein neues Verständnis von Wissensvermittlung oder verändertes Freizeitverhalten. In ihrer 2017 bei Transcript veröffentlichen Dissertation hat Anja Piontek partizipative Formate im Museum erstmals systematisch untersucht, Projekte auf ihre Wirkung hin betrachtet und ein eigenes Modell zur Entwicklung und Einordnung entsprechender Ansätze entwickelt. 
 
Das Buch ist in acht Teile gegliedert: 
 
  • Einleitung zu aktuellen Herausforderungen der Museumswelt
  • Methodendiskussion zur Bewertung partizipativer Ansätze 
  • definitorische Annäherung an den Begriff Partizipation
  • Darlegung des Forschungs- und Diskussionsstandes
  • Erklärung bestehender und ihres eigenen Partizipationsmodells
  • Fallstudien
  • Fazit
  • Ausblick
Dabei bezieht Piontek Partizipation auf die aktive Mitwirkung und Einflussnahme von Menschen, die nicht beruflich im Museum tätig sind, und unterscheidet sie bewusst von Kooperationen mit Unternehmen, anderen Kultureinrichtungen oder Expert*innen von außerhalb der Museumswelt. Zudem geht es ihr um bidirektionale Beziehungen, bei denen alle involvierten Parteien etwas lernen können. Damit erweitert Partizipation den musealen Ansatz, das eigene fachliche Wissen weitergeben zu wollen, um eine Wahrnehmung von Museen als Zwischeninstanz, die auch externes Wissen sammelt, strukturiert und weitergibt. Die Unterscheidung zwischen professionellem Museumswissen und Laienwissen wird aufgeweicht. Für Museen geht damit die Notwendigkeit einher, sich selbstkritisch mit der eigenen Deutungshoheit sowie mit strukturellen Hierarchie- und Machtverhältnissen zu befassen.
 
Analyse partizipativer Projekte
 
Das von Piontek entwickelte Dimensionenmodell gliedert Partizipation in acht Teilaspekte auf, um diese anschließend einer Analyse zu unterziehen:
 
  • Beteiligung
  • Akteure, 
  • Thema, 
  • Raum,
  • Zeit, 
  • Kommunikation und Interaktion,
  • Zielsetzungen 
  • und Selbstverständnis.
Dabei schließt sie an Vorgänger*innen aus dem englischsprachigen Raum und vor allem an Nina Simon an, vertieft deren Stufen-Modell der Involvierung jedoch deutlich. Anhand von drei Fallstudien nimmt Piontek hierbei die verschiedenen Ebenen von Beteiligung in den Fokus. Bei den Fallstudien handelt es sich um Projekte aus dem Jahr 2011 im Historischen Museum Frankfurt als Beispiel für ein kommunales Museum, im Gerhard-Marcks-Haus Bremen als Museum für zeitgenössische Kunst sowie in einem Berliner Kooperationsprojekt zwischen dem Stadtteilmuseum Friedrichhain-Kreuzberg Museum, dem Designmuseum Werkbundmuseum und dem Museum für Islamische Kunst. 
 
Pionteks Analyse deutscher Beispiele zeigt übereinstimmend mit Simons US-amerikanischen, dass Partizipation im Museum zwischen unterschiedlichen Intensitäten changieren kann - von einfachen Formen wie Ideen- und Wissensabfragen im Rahmen einer Ausstellung bis zur kompletten Ausstellungsplanung durch die Beteiligten oder deren Einbeziehung in manageriale Prozesse. Dabei macht die Autorin deutlich, dass keine dieser Formen besser oder schlechter ist als die anderen. Stattdessen muss je nach Projekt und gewünschtem Ziel sowie nach den Möglichkeiten sowohl des Hauses als auch der Teilnehmer*innen das passende Format gewählt werden. Nicht jedes Museum kann die gesamte Ausstellungspraxis umstrukturieren und nicht jede*r Teilnehmer*in möchte persönliche Geschichten und Erfahrungen teilen. 
 
Das Kriterium für den Erfolg von partizipativen Ansätzen ist demnach für Piontek nicht die Intensivität der Einbeziehung, sondern dass eine möglichst heterogene Gruppe aktiviert und ihr Input wertgeschätzt wird, dass dies ergebnisoffen und auf Augenhöhe geschieht, dass sie nachhaltig und in der Institution verankert ist, dass sie als Bildungsinstrument für die Museumsmitarbeiter*innen verstanden wird und dass sie sich auf möglichst alle Aspekte der Museumsarbeit bezieht. 
 
Hürden und Widerstände
 
Neben der Analyse greift Piontek auch eine Vielzahl praxisrelevanter Fragestellungen und Herausforderungen bei der Umsetzung partizipativer Ansätze in Museen auf, z.B.: 
 
  • Welcher Organisations- und Ressourcenaufwand ist damit verbunden? 
  • Haben alle Akteure Zugang zu relevanten Entscheidungsstrukturen? 
  • Durch welche Kommunikationsstile und -wege können Teilnehmer erreicht und aktiviert werden? 
  • Wie lassen sich Beteiligte ansprechen, Teilnahmemotive identifizieren, Schwellen abbauen und Ziele kommunizieren?
  • Wie können die vorhandenen, oft begrenzten Ressourcen eines Hauses am besten für Partizipation (um-)genutzt werden?
Diese Aspekte machen deutlich, dass für erfolgreiche Partizipation grundlegende museale Strukturen und Probleme diskutiert werden müssen. Dazu gehören neben der Haltung gegenüber Themen und Input aus der Gesellschaft beispielsweise:
 
  • interne Hierarchien und Entscheidungsprozesse, 
  • die Auseinandersetzung mit den Ansprüchen und Wünschen der (potenziellen) Besucher*innen, 
  • die Priorisierung interner Aufgaben und Ressourcennutzung 
  • oder die Definierung des eigenen Qualitätsverständnisses.
Hier macht Piontek deutlich, dass sich an Partizipation gesamtgesellschaftliche, soziokulturelle Konfliktlinien entzünden. Diese sorgen dafür, dass entsprechende Formate teils euphorisch proklamiert werden, um institutionellen Wandel einzuleiten, mitunter aber auch kategorisch abgelehnt - entweder, weil sie Teilhabe nur scheinbar und kurzfristig zulassen, oder weil sie die Museumsarbeit banalisieren und wissenschaftliche Professionalität dabei auf der Strecke bleibe. Auch diese Aspekte bezieht Piontek in ihre Studie mit ein. Dabei zeigen ihre Ergebnisse, dass die gängigen Argumente gegen Partizipation zumeist vorgeschoben sind. So machen die Fallstudien deutlich, dass partizipativ gestaltete Ausstellungen Besucher*innen wie Mitarbeiter*innen gleichermaßen zufriedenstellen. Ebenso zeigt sich, dass auch kritische Museumsschaffende die Projekte bereichernd fanden aufgrund der neuen Blickwinkel und des vertieften Verständnisses für das eigene Publikum.
 
Jedoch, so betonten alle befragten Museumsmitarbeiter*innen, sei Partizipation keinesfalls eine Möglichkeit, Ressourcen zu sparen, denn es brauche zusätzlich neue Rollen im Museum, die die Beziehungspflege und Moderationsarbeit übernehmen sowie die Ziele und Motivatoren der Teilnehmenden beachten. Dies sei umso wichtiger, da die ersten Partizipationsprojekte in einem Haus zumeist nur Stammbesucher*innen anziehen. Daran zeigt sich, dass es nicht ausreicht, Selten- oder Nicht-Besucher*innen die Möglichkeit zu geben, mit einem Museum zu arbeiten, um deren Zugangshürden zu senken. Vielmehr müsse der Mehrwert für die Beteiligten im Vorhinein klar definiert und kommuniziert werden.
 
Fazit
 
Wie Anja Piontek selbst hervorhebt, ist Partizipation kein neues Phänomen im Ausstellungsmanagement. Neu und aufschlussreich ist jedoch die Perspektive der Autorin: Anstatt auf die Optimierung bereits etablierter Beteiligungsformen richtet sie ihren Fokus auf ein erweitertes Verständnis partizipativer Formate, das vor allem deren relationalen und beziehungsstiftenden Charakter in den Blick nimmt. Das von ihr entwickelte Dimensionenmodell stellt dabei ein hilfreiches Tool dar, um die komplexen Problemlagen in der Beziehung zwischen Museum, Beteiligten und Besucher*innen zu adressieren.
 
Insgesamt verzahnt "Museum und Partizipation" die Analysen der Fallstudien eng mit der theoretischen Reflexion. Dabei liegt ein besonderer Wert des Buches darin, dass die Rückschlüsse individuelle Antworten auf die Frage nach den Potenzialen von partizipativen Ansätzen für die praktische Museumsarbeit ermöglichen. Insgesamt, so macht Piontek deutlich, sollten Museen sich bei der Überlegung, solche Formate umzusetzen, stets verdeutlichen, dass sie dabei "einen guten Tausch machen”: Sie bekommen Arbeitszeit, Inhalte, neues kulturelles Kapital und eine gute Außenwirkung und geben dafür oft nur wenig zurück in Bezug auf die Wünsche und Mehrwerte für die Beteiligten. Neben allen anderen Aspekten solle die Qualität von Partizipation aus Teilnehmersicht deshalb ein grundlegender Maßstab für jedes Projekt sein.

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