19.08.2020
Buchdetails
Strategie und Kultur: Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor (Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement)
von Björn Johannsen
Verlag: transcript Verlag
Seiten: 336
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Autor*in
Franziska Mair
ist Kulturwissenschaftlerin mit Erfahrungen im musealen Bereich und im Kulturmanagement.
Buchrezension
Strategie und Kultur. Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor
Wenngleich der öffentliche Kultursektor auf Strategie und die Ausrichtung auf Ziele nicht verzichten kann, mangelt es bisher an einem konkreten Verständnis dazu. Woran das liegt und wie Strategie künftig in diesem Kontext definiert werden sollte, zeigt die Publikation von Björn Johannsen.
Der Autor analysiert in seiner 2019 bei transcript erschienen Dissertation die Begriffe Strategie und Kultur für den öffentlichen Kultursektor. Deutschland als Kulturnation bildet die Basis für die Untersuchung, in der sich eine Vielzahl kultureller Angebote und Institutionen gebildet haben, deren Historie der Autor im ersten Kapitel kurz skizziert. Dabei werden auch die Probleme des öffentlichen Kultursektors deutlich: Denn obwohl Kultur grundlegend für Staat, Gesellschaft und Demokratie gesehen und daher öffentlich finanziert und gefördert wird, gibt es einige interne Spannungen: Welche Veranstaltungen und Institutionen werden finanziell gefördert, bei welchen werden Gelder zunehmend eingespart? Letztlich sieht sich die Kulturwelt hier auch marktwirtschaftlichen Argumenten ausgesetzt. Ein regelrechter "Verteilungskampf um Mittel" (S. 19) setzt die Kultureinrichtungen unter Legitimationsdruck.
In diesen Zeiten des zunehmenden Wettbewerbs um finanzielle Ressourcen wird Strategie auch im Kulturbereich immer wichtiger, deren Kontext jedoch bisher in diesem Sektor noch nicht umfangreich definiert wurde. Die zentralen Fragen der Arbeit sind daher: Was ist Kultur? Was ist Strategie? In welchem Verhältnis stehen Strategie und Kultur zueinander? Letztlich soll gezeigt werden, "wie Kultureinrichtungen strategisch agieren können" (S. 21). Zudem gilt es, die traditionelle Bedeutung von Strategie zu hinterfragen und ein spezifisches Verständnis davon im Kontext des Kulturmanagements zu entwickeln. Er ergänzt seine theoretischen Ausführungen mit drei Experteninterviews mit jeweils eine*r Vertreter*in der Sparte Musik, Bildende Kunst und Sprechtheater.
Definitionen von Kultur und Strategie
Johannsen sieht den Kulturbegriff im Spannungsfeld des Dreiklangs von Kultur im engen Sinne, Kultur im weiten Sinne und Kultur als gesellschaftliches "Allheilmittel" (S. 39). Erstens, Kultur im engen Sinne (kursive Hervorhebungen im Original) wird als Kultur als Kunst, Kultur als Bildung sowie Kultur als Kultiviertheit verstanden (S. 37). Zweitens, Kultur im weiten Sinne definiert der Autor als die durch die Aufklärung vorangetriebene Ausweitung des Kulturbegriffs auf die Alltagskultur und die "Gesamtheit aller kulturellen Ausprägungen" (S. 37), inklusive Populär- und Massenkultur (S. 36). Drittens, Kultur als "Allheilmittel" geht auf die omnipräsente Verwendung des Kulturbegriffs in Bereichen wie "Diskussionskultur, Esskultur, Fankultur, Firmenkultur" (S. 39) etc. ein. Die praktischen Auswirkungen dieses dritten und beinahe redundanten Verwendung von Kultur stellen laut dem Autor eine Herausforderung für das Kulturmanagement dar. Er konstatiert, "dass die Kultureinrichtungen und mit ihnen das Kulturmanagement zu vielen Aufgaben gerecht werden wollen und müssen und ihre eigentlichen Aufgaben aus dem Blick verlieren." (S. 39). .
Für die Definition von Strategie betrachtet der Autor die etymologische Wurzel des Wortes aus der militärischen Perspektive. Es setzt sich zusammen aus den altgriechischen Worten strategia (Heerführung) und agein (führen). Strategos ist der Feldherr. Traditionell wird Strategie daher als planmäßiges Vorgehen, Konzept, Programm und Methode verstanden.
Darauf aufbauend gibt Johannsen mit der wirtschaftlichen Perspektive einen Überblick über verschiedene Wettbewerbs- und Ressourcenstrategien. Ausgehend von der militärischen und wirtschaftlichen Perspektive entwickelt Björn Johannsen seine Strategietheorie und erhebt dabei für sich den Anspruch einer "allgemeingültige Definition". Diese soll universell auf verschiedene Politik- und Organisationskontexte anwendbar sein. Die zentrale These des Autors ist: Strategie ist kein theoretisches, starres Konzept für die sprichwörtliche "Schublade", sondern eine Fähigkeit, die eingeübt werden muss. Strategie als Fähigkeit "lehrt das Denken und Handeln in Komplexitäten" (S. 23). Ziel soll sein, "die Emanzipation des Kulturmanagements von einem primären Einfluss der Wirtschaft voranzutreiben." (S. 149). Dafür sollten Kulturmanager*innen aber prinzipiell die wirtschaftlichen Strategietheorien kennen.
Kulturmanagement und Strategie
"Kulturmanagement" versteht Björn Johannsen als "die manageriale Ermöglichung von Kunst und Kultur". Seit den 1990er Jahren ist Kulturmanagement der zentrale Begriff für öffentlichen Kultursektor. Er löste die Kulturpflege der 1950er Jahre mit dem Ziel der Überwindung des nationalsozialistisch geprägten Kulturbegriffs und die Kulturarbeit der 1970er Jahre ab. Kulturmanagement hat grundsätzlich eine volkswirtschaftliche Perspektive auf Kultur als Wirtschaftsfaktor. Finanzielle und ressourcenbezogene Sparsamkeit, Produktivität und Effizienz standen von nun an im Fokus.
Im spezifischen Kontext von Kulturmanagement wurde Strategie jedoch bisher wenig beleuchtet. Ein Grund könnte sein, dass sich das militärische und wirtschaftliche Verständnis des Begriffs nicht so einfach auf den Kulturbereich übertragen lässt, da dem kulturellen Sektor Eigengesetzlichkeiten zugrunde liegen. Diese sind vor allem politisch-finanzieller Natur und liegen vor allem in der Abhängigkeit von öffentlichen Zuwendungen. Der Autor sieht es also als eine Kernaufgabe für Kulturmanager*innen, die Fähigkeit Strategie zu erwerben, um gleichzeitig auch Kulturstrateg*innen zu sein.
Strategie muss jedoch gemäß Johannsens These prinzipiell geschult und immer wieder geübt werden und ist nicht qua Amt vorhanden. Ziel für das Kulturmanagement ist daher ein strategischer Plan, der zwischen den betriebswirtschaftlichen Verständnissen von Strategie und den politisch-finanziellen Eigengesetzlichkeiten des kulturellen Sektors oszilliert. Dieser Plan orientiert sich am jeweiligen komplexen Grundproblem der Kulturinstitution und richtet seinen Blick auf zukünftige Ziele. Der Plan enthält also den Ziel- und Lösungskomplex sowie Maßnahmen, die dorthin führen sollen. Als Beispiel für eine Maßnahme könnte als Problem Besuchsrückgang stehen, als Lösungskomplex "Etablierung neuer Konzertreihen" und als Maßnahmen beispielsweise erstens "Bestimmung der programmatischen Ausrichtung", zweitens "Etablierung eines musikalischen Beirats", drittens "Kontaktaufnahme zu infrage kommenden Personen" und viertens "Recherche bezüglich infrage kommender Personen" (S. 256). Jeder Lösungskomplex soll also durch eine Reihe konkreter Maßnahmen erreicht werden.
Theorie und Praxis im Spiegel dreier Experteninterviews
Der Autor flankiert seine vor allem theoretisch entwickelten Ideen mit Perspektiven aus der Praxis. Dazu führt er 2017 Interviews mit drei Expert*innen. Gesprächspartner waren Professor Gerd Uecker, Intendant der Semperoper Dresden von 2003 bis 2010, Professor Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forum Hamburg und Konstanze Ullmer, Intendantin des Hamburger Sprechwerk. Allen drei ist die Richtung der Antwort auf die Frage nach der Strategie des jeweils eigenen Hauses gemein und zeigen, dass die Kulturakteur*innen die Relevanz von Strategie erkannt und bereits in ihre Arbeit aufgenommen haben: Es geht meist um eine Steigerung der Besuchszahlen, einer Vergrößerung der Räumlichkeiten, darum "[s]o groß zu werden, dass man an uns nicht mehr vorbeikommt", denn "je größer man ist, desto einfacher ist es, an Gelder zu kommen" (Interview mit Konstanze Ullmer, S. 294). Die konkrete strategische Ausrichtung dieser Häuser ist allerdings unterschiedlich und abhängig von Faktoren wie dem konkreten politisch-organisatorischem Kontext und der Größe des Hauses.
Warum er genau diese drei Personen ausgewählt hat, begründet Johannsen nicht. Es scheint ihm jedoch wichtig zu sein, dass er "mit jeweils einem Vertreter einer künstlerischen Sparte [die Interviews] geführt" hat (S. 30), also den Sparten Musik, Bildende Kunst und Sprechtheater (S. 31). Im Hauptteil der Publikation bezieht er sich selten und nur punktuell auf die Interviewaussagen. Sie sind also kein empirisches Fundament, was bei einer literaturbasierten Dissertation wie dieser aber auch nicht notwendig ist. Die Interview selbst werden ohne flankierende Kommentare oder Erläuterungen im Anhang wiedergegeben.
Fazit
Insgesamt präsentiert der Autor eine umfangreiche theoretisch-konzeptionelle Arbeit zur Verschränkung der beiden breiten Themenfelder Strategie und Kultur bzw. Kulturmanagement. Der vorliegende Band stellt damit die praktische Anwendung von Strategie im Kultursektor auf ein solides theoretisch-konzeptionelles Fundament. Der Autor stellt fest: Strategie ist für den Kultursektor unabdingbar, findet aber bislang nur unzureichend Eingang in der täglichen Arbeit der Kulturschaffenden.
Durch den Abgleich mit den Meinungen der Expert*innen aus realen Kulturinstitutionen werden die theoretischen Ausführungen mit der Praxis abgeglichen. Der Charakter einer sehr fundierten wissenschaftlichen Arbeit lässt einerseits vielfältige Deutungen der Begriffe zu, andererseits sind diese Ausführungen für die praktische Arbeit im öffentlichen Kultursektor sehr umfangreich. Daher ist das Kapitel "Theoretisch-praktische Anwendung" mit seinen knappen und konkreten Theoremen für Praktiker*innen in der Kulturverwaltung sehr hilfreich. Für einen tieferen Einstieg in die Thematik Strategie und Kultur ist der Band daher sehr zu empfehlen.
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