08.01.2024
Themenreihe Digitale Formate
Autor*in
Marc Jerusel
ist am Museum für Naturkunde Berlin in der Rolle als Manager Strategische Digitale Kommunikation tätig. Zuvor studierte er unter anderem Kulturwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre und war knapp fünf Jahre lang Berater in einer Berliner Agentur für Lifestyle-PR. Schon 2009 legte er die Facebook-Seite als ersten Social-Media-Kanal des Museums an. 2020 folgte der TikTok-Kanal, derzeit der deutsche Museumskanal mit den meisten Follower*innen auf TikTok.
Johannes Hemminger
studierte Philosophie sowie Neuere und Neueste Geschichte in Tübingen und arbeitete danach im Marketing, Community Management und Projektmanagement in der Videospielbranche. Von 2021 bis 2023 war er Redakteur bei Kultur Management Network.
Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Digitale Vermittlungsarbeit
Das Museum für Naturkunde Berlin auf TikTok
Das Museum für Naturkunde Berlin ist eines der wenigen deutschen Museen mit einem erfolgreichen TikTok-Kanal. Marc Jerusel, der als Manager Strategische digitale Kommunikation maßgeblich für diesen Erfolg verantwortlich ist, sprach mit uns über die Anfänge des Kanals während der Corona-Pandemie, Aufwände und Herausforderungen und gibt dabei hilfreiche Hinweise, die auch für andere Häuser relevant sind.
Themenreihe Digitale Formate
Johannes Hemminger: Das Museum für Naturkunde Berlin ist eine der wenigen deutschen Kulturinstitutionen, die auf TikTok erfolgreich sind. Wie kam es dazu?
Marc Jerusel: Ich bin seit 2019 am Museum für Naturkunde Berlin und damals existierte bereits eine Markenstrategie, die Relevanz des Museums für seine Zielgruppen war also schon niedergeschrieben. Das ist etwas, was manchen Häusern vielleicht noch fehlt. Sich - auch gerne mit externer Unterstützung - zu überlegen: Was ist unsere Marke? Wen wollen wir erreichen, was sind unsere Ziele, was unsere Botschaften und was unsere Relevanz? Das einzige Problem war, dass die Markenstrategie noch nicht auf die Social-Media-Kanäle angewandt wurde und dass es noch niemanden gab, der sich damit primär beschäftigt. Also habe ich unsere verschiedenen Zielgruppen auf die einzelnen Kanäle aufgeteilt. Das heißt zum Beispiel, auf Twitter erreichen wir eher die die Forschenden, Politiker*innen usw., auf Instagram ist dagegen eine breitere Zielgruppe vertreten, also gibt es jeweils unterschiedliche Inhalte. TikTok hatte damals in den Zielgruppen nicht wirklich Platz, denn natürlich sind die Kapazitäten begrenzt. Man stellt sich die TikTok Zielgruppe sehr jung vor und Schüler*innen etwa haben wir als außerschulischer Lernort ohnehin da, also mussten wir sie nicht zwingend explizit noch mal über Social Media ansprechen. Mit Corona kam dann im Museum die Bereitschaft, sich digital stärker auszuprobieren, um überhaupt stattzufinden. Es gab nicht mehr Kapazitäten, aber die vorhandenen waren anders geschichtet, weil es kein analoges Museumsprogramm mehr gab. Und weil auch die jungen Leute nicht mehr ins Museum konnten, war das mit dem außerschulischen Lernort hinfällig. So wurde TikTok interessanter.
Da unsere Guides als Honorarkräfte angestellt sind, hatten sie während der Pandemie kaum noch Führungen und entsprechend weniger Einnahmequellen. Die Guides konnten sich dann durch das Auftreten in unseren digitalen Formaten wie TikTok-Videos und Instagram-Stories Geld dazuverdienen. Ich würde auch einen dritten Faktor mit reinnehmen, der es zur Win-Win-Win Situation machte: TikTok selbst hatte damals Interesse, Museen auf die Plattformen zu locken. Es gab zum Beispiel eine Aktion, die hieß #museummoment, bei der 24 Stunden in Folge Livestreams aus Museen aus der ganzen Welt gestreamt und in der App stark gefeatured wurden.
Kristin Oswald: Ich finde es spannend, dass Sie Guides vor die Kamera stellen. Ein erfolgreicher Kanal braucht aber eine Bindung an eine Person. Sind es also immer dieselben Guides?
MJ: Unser erster Ansatz war, digitale Führungen mit einem professionellen Video-Team aufzunehmen und auf YouTube zu veröffentlichen. Bei einigen Guide-Personen, die jetzt auf unserem TikTok-Kanal besonders prominent sind, ist mir dabei wie Schuppen von den Augen gefallen, dass es ein Glücksfall ist, dass wir sie mal vor die Kamera bekommen haben. Damals hatten wir ein halbes Dutzend Guides, das Bereitschaft gezeigt hat, sich vor die Kamera zu stellen. Das war für die Community auf TikTok ein bisschen verwirrend, weil sie die Institution bzw. das Kürzel "mfnberlin" (Museum für Naturkunde) zunächst nicht zuordnen konnten, und so wurden oft die Personen vor der Kamera direkt in den Kommentaren angesprochen. Es fiel also tatsächlich auf, dass man auf TikTok damit rechnet, dass nur eine Person diesen Kanal bespielt und nicht eine ganze Institution. Aber das ist auch das, was einen Teil des Erfolgs ausmacht: durch die Social-Media-Präsenz dem Museum ein Gesicht zu geben. Die Guides machen das analog mit ihren Führungen und mit ihrem Wissen schon immer. Ihre Interaktionen geben dem Museum eine bestimmte Persönlichkeit, die sich einprägt. Und so haben wir das dann auch im digitalen Bereich gemacht. Hier kommt es also wirklich auf Erfahrung an und auf die Offenheit, das für Social Media zu machen.
JH: Was funktioniert auf TikTok besonders gut, was weniger?
MJ: Wenn ich das wüsste, würde ich es immer so machen. Es ist schon auch ein Testen und Lernen. Grundsätzlich muss der Einstieg passen, die ersten Sekunden sind wichtig. Ich kenne das ja von mir, nach anderthalb Sekunden fällt schon die Entscheidung, ob man das Video weiter anschaut oder nicht. Das muss also sitzen. Was den Inhalt angeht, sollte zum Beispiel eine interessante Frage oder ein provokanter Fakt präsentiert werden. Auch bei der Qualität der Aufnahme muss ein gewisser visueller Anspruch erfüllt sein. Tonqualität ist ein weiterer wichtiger Punkt, der bei uns manchmal schwierig ist. Wir haben kein Filmteam und keine Profiausstattung, ich drehe die Videos tatsächlich mit dem Smartphone. Das trifft auf ein historisches Gebäude mit Lüftungsanlagen, die im Hintergrund laufen, und auf riesige Säle, in denen alles hallt und natürlich auch gearbeitet wird.
Wenn man dann die Leute dazu gebracht hat, nicht weiter zu scrollen, ist es wichtig, dass viel passiert, aber ohne zu schnelle Schnitte. Ich arbeite gerne so, dass ich abdrehe, was die Person sagt, und danach Erklärendes dazu schneide. Zum Beispiel mit Stickern, die das Gesagte ein bisschen erläutern. Wenn doch mal schwierige Begriffe wie Artnamen mit drin sind, blende ich das auch als Text ein. Hauptsache es passiert irgendwas und man fühlt sich unterhalten. Ob wirklich alle Personen ein Video bis zum Ende schauen, kann ich nur mutmaßen. Aber je mehr Leute das Video aufgerufen haben, desto höher ist wahrscheinlich auch die Durchschaurate.
JH: Die meisten Videos sind ja eine Minute lang oder sogar noch kürzer. Wie kann man Inhalte in so kurzer Zeit gut vermitteln?
MJ: Natürlich muss man sich immer an die Eigenheiten des Kanals anpassen. Man kann auf TikTok keinen ganzen Vortrag hochladen. Aber wenn man einen interessanten Vortrag als Vorlage hätte, könnte man 30 Videos daraus machen. Unsere Guides gliedern das Material oft in 15-sekündige Abschnitte. Dadurch hat man etwa drei bis sechs gedankliche Abschnitte pro Video. Damit kann man schon einiges transportieren. Wir sind ein Forschungsmuseum, also ist es immer auch die Aufgabe, nichts Wesentliches auszulassen. Gerade haben wir ein relativ einfach kommunizierbares Jahresthema mit dem Titel "Vielfalt erhalten." Aber wenn wir uns nächstes Jahr entscheiden würden, ein sehr kompliziertes Jahresthema zu haben, dann wäre die Aufgabe eben, dieses Thema für TikTok in Häppchen aufzubereiten.
Unsere Guides bringen das Fachwissen mit, bekommen aber auch regelmäßig Briefings aus unseren Forschungsbereichen. Außerdem nutzen wir aktuelle Anlässe, Filme, Ausstellungen und hin und wieder auch TikTok-Trends. Dann überlegen sie, was ein guter Einstieg für ein TikTok-Video sein könnte, und fangen auf dieser Basis an, das Video zu entwickeln. Auf TikTok haben wir ein bisschen mehr Freiheit, denn es ist eher ein Bildungs- und Vermittlungskanal für uns, auf dem wir eine Zielgruppe erreichen, die nicht ganz so affin für unsere Themen ist. Das heißt, da fangen wir ein bisschen mehr beim Ursprung des Ganzen an, erklären Grundlagen, orientieren uns auch am Schulstoff und nicht nur an neusten Forschungsergebnissen. Alles, was relevant ist zu wissen, wenn man verstehen möchte, was biologisch auf der Welt passiert. Die Rückmeldungen darauf sind gut. Tatsächlich ist TikTok da am ehesten der Kanal, auf dem wir Feedback bekommen, nicht nur von Schüler*innen. Was schon öfter vorkam in den Kommentaren ist: "endlich mal ein Kanal mit Sinn".
KO: Der TikTok-Kanal ist also nicht digitales Kulturmarketing, sondern Vermittlung. Betrachten Sie die Menschen, die die Videos anschauen, dann auch als Besucher*innen? Wird also TikTok im Haus als vollwertiger Vermittlungsansatz verstanden und wahrgenommen?
MJ: Ob Zuschauer*innen als Besucher*innen zählen, spielt für mich tatsächlich kaum eine Rolle. Beim Event-Marketing ist es etwas anders, da müssen Tickets für die Events verkauft werden. Aber ich verstehe unsere Follower*innen auf Social Media nicht als potenzielle Besuchende. Wir haben allerdings das Luxusproblem, dass wir da wenig Bedarf haben, da wir ohnehin sehr gute Besuchszahlen erreichen. Es geht eher darum, "für Natur" zu begeistern, das ist ja der oberste Slogan unserer Markenstrategie.
JH: Wie viel Aufwand ist es denn, diesen Kanal zu betreiben?
MJ: Der Kanal wird von mir bespielt, aktuell unterstützt von einer studentischen Hilfskraft. Jetzt haben wir auch noch eine YouTube-Serie angefangen. Das heißt, es werden eher mehr Formate als weniger und dementsprechend hangeln wir uns am Minimum entlang, das für TikTok nötig ist. Das heißt ein Video pro Woche, weniger wäre nicht sinnvoll, da der Algorithmus Regelmäßigkeit belohnt. Für alle Kanäle gilt: Je regelmäßiger man guten Content postet, desto besser wird man gewichtet. Ich treffe mich aktuell etwa zweimal im Monat mit den Guides, dann drehen wir jeweils zwei Stunden. Pro Video kommen dann nochmal zwei, drei Stunden Aufwand für die Nachbearbeitung hinzu. Also sind es im Monat 15 bis 20 Stunden. Es kann mehr werden, wenn ein Video durch die Decke geht und ganz, ganz viele Fragen kommen. Da ich oft freitags poste, ist das dann auch mal Wochenendarbeit.
JH: TikTok ist viel in der Kritik, unter anderem, weil bestimmte Themen in der Reichweite beschränkt oder sogar ganz zensiert werden sollen. Haben Sie da Erfahrungen gemacht? Meiden sie bestimmte Themen, wie die Evolutionstheorie?
MJ: Nein. Es gibt Videos, die aus unerklärlichen Gründen weniger als 1000 Aufrufe haben. Aber ich habe keine inhaltlichen Eingriffe feststellen können. Und wir sind ja auch Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, wenn ich da die Evolutionstheorie ausklammern würde, hätten wir Probleme. Aber es gibt kritische Themen, wie zum Beispiel Tierpräparation und vor allem Gendern und Klimaschutz. Dann gibt es kritische Kommentare, aber da greift TikTok nicht ein und straft uns auch nicht ab.
KO: Das Besondere an TikTok ist ja der Algorithmus, also dass man auch unabhängig von den Follower*innenzahlen rein nach Interessen Reichweite erzielen kann. Dieses Interesse kann aber positiv wie negativ sein. Merken Sie, dass das in beide Richtungen ausschlagen kann?
MJ: Zum Teil. Ich merke an einer aufgeregten Diskussion, dass wir Leute erreicht haben, die mit unseren Inhalten sonst überhaupt nichts zu tun haben. Zugleich wird der Algorithmus auch gefüttert, wenn kritische Kommentare kommen, und wir bekommen mehr Reichweite. Dabei habe ich positive Erfahrungen mit der Moderation dieser Kommentare gemacht. Die Leute verstehen in der Regel schnell, dass sie übers Ziel hinausgeschossen sind, und dann moderiert sich das eigentlich von allein. Dennoch ist TikTok in letzter Zeit ein bisschen mehr von dieser Twitter-Mentalität befallen, grundsätzlich erstmal zu kritisieren, ohne inhaltlich zu schauen. Da merkt man schon, dass das gekapert wird durch bestimmte Kreise. Das haben wir auf Instagram deutlich weniger, aber ich kann nicht sagen, inwieweit das an dem Algorithmus liegt und daran, an wen die Videos ausgespielt werden.
JH: TikTok wird ja stark für die Datenschutzpraktiken kritisiert, EU-Behörden verbieten zum Beispiel die Installation der App auf Diensthandys. Wie vereinbart man das damit, als öffentliche Institution auf der Plattform Content auszuspielen?
MJ: Dem Aufbau unseres TikTok-Kanals ging natürlich eine Abstimmung mit unserem Datenschutzbeauftragten, mit der Geschäftsführung und dem Generaldirektor voraus. Wir haben uns entschieden, das auszuprobieren. Klar, wenn man das Thema Datenschutz bis zum bitteren Ende diskutiert, hätte ich als Manager Strategische digitale Kommunikation wenig zu tun, denn dann könnten wir als Museum kaum dort stattfinden, wo die Leute sich digital aufhalten. Das betrifft ja nicht nur TikTok. Natürlich sind wir eine öffentliche Einrichtung und orientieren uns auch an dem, was andere machen. Auch Bundesministerien sind ja durchaus auf TikTok aktiv. Aber wir beobachten natürlich die Situation. Es wäre schade um den Kanal, aber am Ende muss man als Social-Media-Manager*in damit leben, dass die Kanäle, die man sich aufgebaut hat, in fünf, sechs, sieben Jahren vielleicht nicht mehr so beliebt sind. Man sollte also mehrgleisig fahren. Das ist ein Grund, weshalb wir YouTube für die Dokumentation des Wandels am Museum in den nächsten zehn Jahren auserkoren haben. Weil, wenn wir das wirklich auf zehn Jahre anlegen, dann sehe ich am ehesten noch YouTube überleben. Aber das kann natürlich auch eine Wette sein, die ich verliere.
JH: Gibt es etwas, was Sie unseren Leser*innen als praktischen Tipp für bessere Social Media Arbeit, für bessere Vermittlungsarbeit im Internet weitergeben können?
MJ: Ich habe manchmal das Gefühl, dass es eine Abwehrhaltung gibt, im Sinne von: "Das kann ich nicht. Ich habe damit nichts zu tun, deswegen mache ich es nicht." Die Bereitschaft, es einfach mal auszuprobieren, ist aber schon die halbe Miete. Manchmal entwickeln sich so auch Formate, die mit relativ wenig Aufwand erfolgreich sind.
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