Industriebranchenumgestaltung
Temporäre Rückzugsräume für Künstler
Künstler brauchen Rückzugsräume. Doch in den Metropolen gibt es sie kaum noch. Das ibug-Festival, das 2012 nach 6 Jahren in Meerane erstmals in Glauchau stattfand, wählt bewusst Orte abseits urbaner Zentren.
"5 unserer 6 ehemaligen Veranstaltungsorte gibt es inzwischen gar nicht mehr", weiß ibug-Sprecher Michael Lippold und verweist damit auf ein Alleinstellungsmerkmal des Festivals, dessen Name sich aus dem Wort Industriebrachenumgestaltung ableitet. Man wählt bewusst vom Abriss bedrohte Gelände und macht sich damit faktisch zum Wanderzirkus. Auch dem Alten Schlachthof in der westsächsischen Kleinstadt Glauchau droht ein solches Schicksal, obwohl Teile davon sogar unter Denkmalschutz stehen. Doch der Zustand ist so marode, dass eine Nachnutzung ausgesprochen schwierig ist. In Leipzig oder Berlin wäre das möglicherweise anders - in jenen urbanen Räumen, denen sich die alternative Kunst in den 90er Jahren schnell bemächtigte und die selbst für Investoren attraktiv sind.
Was Investoren abschreckt, lockt Künstler an
Von Industriebrachen ist gerade die Region Zwickau mit der einst so starken Textilindustrie reicht gesegnet. Gesegnet oder vielmehr bestraft, mögen einige Betroffene fragen, denn sie können sich zum dauerhaften Schandfleck entwickeln, legen für eine Wiederbelebung aufgrund riesiger Flächen mit häufigen Altlasten hohe Hürden. Was Investoren abschreckt, zieht Künstler häufig an, weshalb Kommunen wie zuletzt Meerane oder jetzt Glauchau das Angebot der Veranstalter durchaus positiv aufnehmen und sich als Austragungsort solcher Festivals etablieren. Bei der Vernissage der ibug am Donnerstag war folglich auch Glauchaus Oberbürgermeister anwesend.
Dies heißt freilich nicht, dass es keinerlei Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Kommune und Veranstalter gäbe. Gerade die Sicherheitsproblematik erweist sich bis zuletzt als Wagnis. In einer Industriebrache muss man immer Kompromisse eingehen, was Zuwegung oder die technische Versorgung betrifft. Nicht auszudenken, wenn man bei solchen Veranstaltungen wie der IBUg die üblichen rechtlichen Vorschriften anlegen würde! Unmittelbare Gefahr strahlt jedoch das Gelände nicht aus, und jeder Besucher weiß sich ohnehin entsprechend umsichtig darin zu bewegen. Nichtsdestotrotz hätte sich Maxi Kretzschmar vom Organisationsteam mehr Unterstützung durch den städtischen Bauhof gewünscht, um den eher Ortsunkundigen die temporäre Erschließung des Schlachthofgeländes zu erleichtern.
Die 70 Street-Art Künstler aus aller Welt genießen indessen ihre Freiräume, können eine Woche lang in Ruhe arbeiten, werden zwar nicht entlohnt, doch immerhin mit Material und Verpflegung versorgt. Sie spielen bewusst mit der einstigen Nutzung als Schlachthof, gehen bei ihren Motiven zwischen Mensch und Tier nicht gerade zimperlich um. Diese Kunst entwickelt in den Räumlichkeiten ihre eigene Ästhetik, nimmt den Betrachter auf eine faszinierende Reise, bei der es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Die Mischung aus Installation, Graffiti, Wandmalereien und multimedialen Projektionen könnte durchaus Bühnen- und Kulissengestalter aus Film, Fernsehen und Theater inspirieren. Zu den Angeboten der ibug gehört auch ein Workshop, bei dem jeder Interessierte seine eigenen künstlerischen Fähigkeiten in Street Art vervollkommnen kann. Einige Ergebnisse dieser Workshops, so das Letzte Abendmahl, gehören inzwischen zu den Exponaten der Ausstellung. Ein Kino und eine Modenschau, Lectures mit den Künstlern und Projektmachern, eine Aftershow-Party sowie Führungen gehören zum breiten Spektrum der IBUg.
Kein klassisches Kunstpublikum
Der Publikumszuspruch insgesamt ist nicht schlecht, könnte aber besser sein, was wohl nicht nur am durchwachsenen Wetter, sondern auch am Schulanfang liegen könnte. Die wenigsten gehören zum klassischen Kunstpublikum. Einige davon sind sogar ehemalige Mitarbeiter des stillgelegten Betriebs, die noch einmal an ihren ehemaligen Arbeitsplatz gehen wollen und ihn nun völlig neu - und wohl letztmalig - erleben. Da kann es schon mal vorkommen, dass jemand bei einer Führung haarklein aus der Vergangenheit des Ortes berichtet.
Die Veranstalter, deren Ziel ja die Vermittlung von Urban Art an ein breites Publikum ist, sind angesichts der im Vergleich zum Vorjahr geringeren Zahl verkaufter Eintrittskarten durchaus besorgt. Im Zweifel muss man einmal mehr aus eigener Tasche drauflegen, um die monetäre Bilanz zu sichern, denn nennenswerte öffentliche Förderung gibt es hierfür kaum. Insbesondere der Freistaat Sachsen hält sich hier merkwürdig zurück, obwohl sich gerade mit solchen Formaten kultur- wie gesellschaftspolitische Ziele gleichermaßen umsetzen lassen - ganz abgesehen vom Bewusstsein für die eigene Industriegeschichte, die auch Kulturgeschichte ist. Möglicherweise ist der Bereich Urban Art aber auch noch wenig von Kulturmanagern als lohnenswertes Betätigungsfeld entdeckt. Die meisten sind ehrenamtlich aktiv, verdienen ihr Geld eher auf anderen "Bühnen". Dabei bräuchte es mehr von diesen urbanen Impulsgebern. Nicht nur in Sachsen.
Eine Galerie mit unseren Eindrücken vom Besuch der diesjährigen IBUg finden Sie auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.com/Kulturmanagement.Network
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