24.10.2019

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Autor*in

Nicoline Scheidegger
ist Dozentin und Leiterin Forschungsprojekte an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Netzwerkanalyse (SNA), Organisation und Organizational Behavior.
Hybride Organisationsformen

Das Beispiel der Filmindustrie

Haben zentral koordinierte Organisationsformen ausgedient? Sind flexible Strukturen und lose Koppelungen die Zukunft? Auf welche Probleme sind flexible Netzwerke eine geeignete Antwort? Um diese Fragen zu beantworten, beschreibt dieser Artikel Netzwerkorganisationen und zeigt anhand der Filmindustrie neue Institutions- und Steuerungsmodelle auf.

Themenreihe Zukunft der Arbeit

Der Netzwerkgedanke erfreut sich einer ungebrochenen Popularität in der Forschung sowie in der Wirtschafts- und Verwaltungspraxis. Dieser Artikel greift zur Charakterisierung der Netzwerkorganisation auf die Neue Institutionenökonomik zurück. Sie untersucht die Problemlösungsfähigkeit institutioneller Strukturen und Steuerungsformen und versteht Netzwerke als institutionelle Steuerung und spezifische Form der Handlungskoordination. Aus dieser Perspektive können Netzwerke entweder als Hybride betrachtet werden, bei denen marktliche und hierarchische Steuerung in Mischverhältnissen zur Anwendung kommen, oder als Steuerungsform mit den Koordinationsmechanismen Vertrauen und Reputation. 
 
Filmindustrie: von hierarchischen zu hybriden Organisationsformen 
 
Die Filmindustrie ist ein Vorreiter in Hinblick auf Netzwerkorganisation. Sie hat in den 1940er Jahren eine Transformation erfahren, die der ganzen Industrie den Weg weg von integrierten Unternehmen hin zu hybriden Netzwerkarrangements ebnete. 
 
Bis in die 1950er Jahre bestand die Filmindustrie in Hollywood aus großen Studios. Ein Studio integrierte dabei alle Filmproduktionsaktivitäten in einem Unternehmen.1 Dieses war zuständig für den gesamten Produktionsprozess. Es verfügte über fest angestellte Mitarbeitende im kreativen und technischen Bereich sowie über teure Studioeinrichtungen. Neben einer solchen horizontalen Integration gab es auch eine vertikale Integration, da das Studio über eigene Kinoketten verfügte und dadurch ein Vertriebsmonopol besaß oder sich landesweit den Absatzmarkt durch vertragliche Regelungen und Blockbuchungen mit Kinobesitzern sicherte (DeFillippi & Arthur 1998). 
 
Seit den 1950er Jahren haben verschiedene Impulse dazu geführt, dass sich die Industrie transformiert hat. Neben gesetzlichen Regelungen2 waren dies Kostennachteile durch eine permanente Beschäftigung von Filmtalenten (DeFillippi & Arthur 1998) sowie marktliche Veränderungen aufgrund der Konkurrenz des Fernsehens. Das führte zu dem Versuch, die Fixkosten durch Flexibilisierungsmaßnahmen zu senken, und zu einem Outsourcing-Prozess der kreativen und technischen Produktion. 
 
Heutzutage wird in der Filmindustrie die Arbeit rund um einzelne Projekte angeordnet. Die meisten Produktionsunternehmen sind Systemkoordinatoren, die sich auf die Planung und Finanzierung konzentrieren und auf einen großen Pool an spezialisierten Anbietern und Freelancern für die eigentliche Produktion zurückgreifen (Lorenzen 2008). Es arbeiten also etliche Subunternehmer mit ihren spezialisierten Teams an zeitlich begrenzten Projekten. Nach Projektende formieren sich die Kleinunternehmen in immer neuen Konstellationen für das nächste Projekt. 
 
Eine solche Konstellation wird als hybride Organisationsform oder Netzwerkorganisation bezeichnet. Interessant bei diesen unterschiedlichen Formen sind die jeweilig vorherrschenden Koordinationsmechanismen, die zur Sicherstellung und Abstimmung der Beiträge der einzelnen Akteure zur Anwendung kommen. 
 
Die idealtypischen Steuerungsformen Markt und Hierarchie 
 
Governance-Ansätze bestimmen Muster von Steuerungs- und Regelungsarrangements und arbeiten Idealtypen von Steuerungsmechanismen heraus (Williamson 1991). Als Referenzpunkt dienen dabei die unterschiedlichen Kosten für die Abwicklung ökonomischer Transaktionen. Darunter wird der Austausch von Gütern, Leistungen und Verfügungsrechten verstanden, durch dessen Umsetzung Transaktionskosten entstehen. Typische entscheidende Strukturen hierfür sind Markt (Flexibilität) und Hierarchie (Sicherheit) als fundamental unterschiedliche Formen der Abwicklung ökonomischer Transaktionen (siehe Abbildung 1). 
 
 
Markt: Märkte sind soziale Einrichtungen des Tausches. Sie koordinieren Angebot und Nachfrage. Dabei können zwei Phasen unterschieden werden, die den Kern des Marktphänomens ausmachen: 
 
  • die erste Phase des Wettbewerbs zwischen einer Anzahl von Akteuren als potenzielle Käufer und Verkäufer, die um Chancen des Ressourcentausches verhandeln und Informationen bezüglich der zu tauschenden Ressourcen austauschen 
  • die zweite Phase, in der eine Teilmenge dieser Akteure den vereinbarten Ressourcentausch realisiert. 
Die Markttransaktion ist geprägt von einem limitierten Informationsaustausch, der einen Ressourcenfluss zwischen Akteuren auslöst. Die Erwartungen richten sich auf die Erfüllung der vereinbarten Konditionen. Jeder Tauschpartner hat bis zum Tausch vollständige Kontrolle über seine Ressource. Marktliche Transaktionen sind flexibel, bieten höchstmögliche Leistungsanreize, haben ein hohes Innovationspotenzial und geringe administrative Kosten. Ein Markt kann somit als ein Geflecht kurzfristiger Verträge zwischen marktlich und rechtlich selbständigen Akteuren charakterisiert werden, die über den Preismechanismus koordinieren. 
 
Hierarchie: Dem Markt steht die Hierarchie (auch Planung) als autoritative Sozialkonfiguration gegenüber. Macht- und Kontrollverhältnisse schlagen sich in hierarchischen Strukturen und den resultierenden Abhängigkeiten nieder. Die Neue Institutionenökonomik erklärt die Leistungsfähigkeit von Unternehmen mit der innerbetrieblichen Koordination und den dafür anfallenden Kosten. Eine Koordination von Transaktionen innerhalb eines Unternehmens kann geringere Kosten verursachen als über den Markt. Dabei fallen insbesondere immaterielle Faktoren wie Informationen, Wissen und Fähigkeiten ins Gewicht. Kurzfristige Marktbeziehungen bieten nicht im selben Ausmaß Entwicklungs- und Entfaltungsraum. Die Nachteile der Hierarchie liegen in der Trägheit und Starrheit innerbetrieblicher Koordination, die sich nur langsam an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann, sowie in den hohen Kosten zentraler Planung. 
 
Netzwerk: Netzwerke bilden Konfigurationen mit weitgehend autonomen Komponenten, die in selektiver Weise dauerhafte Beziehungen eingehen, um beispielsweise gemeinsame Projekte zu koordinieren. Ein Netzwerk wird als Hybridform zwischen Markt und Hierarchie oder aber als eigenständige Steuerungsform begriffen. 
 
Einige Autoren gehen davon aus, dass Netzwerke den Idealtypen von Markt und Hierarchie entsprechen und sich durch Mischformen marktlicher und hierarchischer Koordination auszeichnen, da sie sowohl autonome, lose gekoppelte Komponenten als auch längerfristige Verpflichtungen und hierarchische Koordination beinhalten (z.B. Williamson 1991). Andere Autoren weisen darauf hin, dass Netzwerke einen dritten, eigenständigen Typus darstellen. Konstellationen dieser Art können weder preislich noch mit Weisungen koordiniert werden. Das Markt-Hierarchie-Kontinuum verdecke meist jedoch die Bedeutung von Reziprozität und Vertrauen als Steuerungs- und Regelungsmechanismen (z.B. Osterloh & Weibel 2000). 
 
Steuerung in der Netzwerkorganisation 
 
Nicht nur die Filmindustrie zeichnet sich durch netzwerkartige Organisationsarrangements aus. Ein Trend dahin ist seit den 1980er Jahren in großen Teilen der Wirtschaft, Verwaltung und Politik zu verzeichnen, denn der der Bedarf an flexiblen Organisationsformen wächst, was massive Restrukturierungsmaßnahmen erfordert. Vielerorts haben sich Unternehmen bereits auf ihre Kernkompetenzen beschränkt, hierarchische Ebenen abgebaut und Aktivitäten ausgelagert. Anstatt eines Wachstums durch vertikale Integration wurden Bündnisse mit unabhängigen Partnern gesucht. 
 
Im Zuge der Etablierung solch lose gekoppelter Bündnisse wird mit unterschiedlichen organisationalen Arrangements experimentiert. Anstatt die Beziehungen durch Planung und Programme (Hierarchie) oder Transferpreise für interne Leistungen oder Zukauf von Leistungen (marktliche Mechanismen) zu koordinieren, werden stabile, dezentrale Kooperationsbeziehungen etabliert, bei denen die organisationalen Entscheidungs- und Eigentumsrechte über die beteiligten Netzwerkpartner verteilt sind. Wettbewerbsvorteile erwachsen aus den Möglichkeiten, gepoolte Ressourcen zu nutzen. 
 
Das zeigt sich im Extremfall in einer gemeinsamen Forschung und geteilten Eigentumsrechten. Disney Research pflegt beispielsweise mit den weltweit führenden Hochschulen in Informatik wie der ETH Zürich oder der Carnegie Mellon University (CMU) in Pittsburgh langfristige Kooperationen, im Zuge derer gemeinsam an neuen Technologien wie Animationstechniken, 3D-Kino bis hin zu Unterhaltungsrobotern gearbeitet wird. Im Rahmen von Grundlagenforschung werden komplexe Programme entwickelt, die die Animatoren in den Filmstudios in Los Angeles nutzen. Die daraus resultierenden Patente werden mit geteilten geistigen Eigentumsrechten angemeldet. Mit diesem kompetenzorientierten Netzwerk gelingt es Disney Research, fehlende eigene Kompetenzen zu kompensieren und vorhandene eigene weiter auszubauen. 
 
In den netzwerkartigen Organisationskonstellationen der Film- und Fernsehproduktion spielen Gegenseitigkeit und Vertrauen eine zentrale Rolle. Bei der Entscheidung für die Zusammenarbeit mit einem Subunternehmen gibt vor allem den Ausschlag, dass man sich bereits kennt und ein Netzwerk von Kontakten aufgebaut hat (siehe hierzu Mossig 2006): "Alle Leute, die mich anrufen, weil sie mich im Branchenbuch gesehen haben, sind mit Vorsicht zu genießen. [...] Das ist das Letzte, was man tut, im Branchenbuch nachzusehen" (selbständiger Kameramann). 
 
Ein Kontaktnetz ist zentral, da über Zusammenarbeit in vorherigen Projekten detaillierte Kenntnisse über die Leistung gesammelt werden: "Neben monetären Gründen, dass man bei häufigen Aufträgen bessere Konditionen aushandeln kann, gibt vor allem den Ausschlag, dass man sich kennt. Es macht keinen Sinn, immer bei Null mit neuen Leuten anzufangen und dann erst herauszufinden, wie gut jemand ist" (Geschäftsführer einer kleinen Produktionsfirma). Empfehlungen sind dabei entscheidend: "Die Neuen sind in der Regel Empfehlungen von denjenigen, die gerade nicht können. Auf die Empfehlungen verlässt man sich" (Abteilungsleiter einer großen Produktionsfirma). Dieses System funktioniert überwiegend aufgrund des Mechanismus der Empfehlungen, des Reputationsaufbaus und des gegenseitigen Vertrauens. Diese Aspekte fungieren als eigenständige Steuerungsmechanismen. 
 
Fazit 
 
Grundsätzlich ist bei Organisationsstrukturen ein Trend in Richtung Netzwerke zu beobachten. Dennoch sollte eine Einrichtung prüfen, ob es sich in einem wettbewerblichen Umfeld befindet, das von Umweltveränderungen geprägt ist und eine Netzwerkorganisationen notwendig macht. 
 
Ihre Stärke ziehen Netzwerke aus ihrer Fähigkeit, die Flexibilität marktförmiger Interaktion mit der Verlässlichkeit organisierter Strukturen zu verbinden. Sie ermöglichen koordiniertes Handeln ohne die Nachteile der Rigidität starrer bürokratischer Strukturen. Sie sind flexibler, haben eine höhere Anpassungsfähigkeit und erreichen eine Bündelung von Ressourcen. Die Herausforderung liegt im Aufbau, der Gestaltung und der Stabilisierung von Netzwerkkooperationen.
 
Referenzen
 
  • DeFillippi, R. J., & Arthur, M. B. 1998. Paradox in Project-Based Enterprise: The Case of Film Making. California Management Review, 40(2): 125-139. 
  • Lorenzen, M. 2008. On the Globalization of the Film Industry. Creative Encounters Working Paper No. 8, Frederiksberg. 
  • Mossig, I. 2006. Netzwerke der Kulturökonomie: Lokale Knoten und globale Verflechtungen der Film- und Fernsehindustrie in Deutschland und den USA. Bielefeld: Transcript-Verlag. 
  • Osterloh, M. & Weibel, A. 2000. Ressourcensteuerung in Netzwerken: Eine Tragödie der Allmende? In: J. Sydow & A. Windeler (Hg.), Steuerung von Netzwerken. Konzepte und Praktiken: 88-106. Opladen: Westdeutscher Verlag. 
  • Storper, M. 1994. The Transition to Flexible Specialisation in the US Film Industry: External Economics, the Division of Labour and the Crossing of Industrial Divides. In: A. Amin (Hg.), Post-Fordism. A Reader: 195-226. Oxford, Cambridge. 
  • Sydow, J. 1992. Strategische Netzwerke: Evolution und Organisation. Wiesbaden: Gabler. 
  • Williamson, O. E. 1991. Comparative Economic Organization: The Analysis of Discrete Structural Alternatives. Administrative Science Quarterly, 36(2): 269-296. 
 
Die ausführliche Version dieses Beitrags erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Netzwerke(n)".
 
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1 Die Filmindustrie hat sich kurz nach deren Entstehung aufgrund eines sicheren Marktes als standardisierter Produktionsprozess rationalisiert und industrialisiert. Während wir heute die Studios zum Dienstleistungssektor zählen, haben frühe Studios sich z.B. "Universal Film Manufacturing Company" genannt (Storper 1994: 200). 
 
2 Ein Urteil des obersten Gerichtshofes der USA aus dem Jahre 1948 hat die Studios gezwungen, ihre Kinoketten abzugeben, wodurch ihr Vertriebsmonopol durchbrochen wurde (Storper 1994). 
 

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