06.12.2019

Themenreihe Karriere

Autor*in

Thomas Böcker
ist Produzent und ein Pionier im Bereich sinfonischer Videospielemusik. 2003 organisierte er das erste Spielekonzert außerhalb Japans, aufgeführt im Gewandhaus zu Leipzig — eine Leistung, für die er vom Guinness-Buch der Rekorde gewürdigt wurde. Durch den Erfolg der Veranstaltung beflügelt, produziert er seither weltweit Konzertaufführungen mit Orchestern von Weltrang und ist beratend tätig. 
Veronika Schuster
ist ausgebildete Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Sie hat mehr als 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Kuratorin für verschiedene Ausstellungsprojekte und Kultureinrichtungen gearbeitet. Sie verantwortet bei Kultur Management Network die Leitfäden und Arbeitshilfen und arbeitet als Lektorin und Projektleiterin für unterschiedliche Publikationsformate.
In einer Kulturnische gründen und zum Erfolg werden

Die Spielekonzerte verbinden Klassik und unternehmerisches Denken

Ein Kulturunternehmen zu einem innovativen Ansatz oder Produkt zu gründen, bringt einige Herausforderungen mit sich. Dass es trotzdem ein Erfolg werden kann, zeigen die Spielekonzerte von Thomas Böcker, die er seit 2003 veranstaltet. Mit uns unterhält er sich über die Bedeutung der Leidenschaft für ein Kulturunternehmen und dass unternehmerisches Kalkül nicht fehlen darf.

Themenreihe Karriere

Sehr geehrter Herr Böcker, sind Sie ein Kulturunternehmer? 
 
Thomas Böcker: Ja, mein Unternehmen Merregnon Studios legt seinen Fokus auf Konzertmanagement, d. h. die Konzeption, Organisation und Durchführung von Veranstaltungen mit orchestraler Musik aus Computer- und Videospielen. Das geschieht sowohl im Auftrag - z. B. über die Leipziger Messe, den Westdeutschen Rundfunk oder die Orchester selbst - als auch mit eigenen Mitteln und auf eigenes finanzielles Risiko. 
 
Was macht für Sie das Kulturunternehmertum aus? Gibt es Unterschiede zum privatwirtschaftlichen Unternehmertum, die das Handeln und Denken bzw. strategische Ausrichtungen beeinflussen? 
 
TB: Aufgrund der Thematik dürfte ein Unterschied sein, dass sich Kulturunternehmer als Teil der Kulturszene betrachten - das Unternehmertum hingegen ist dem zumeist untergeordnet, was zum Problem werden kann, da sich hoher Qualitätsanspruch nicht zwingend auszahlt, wenn das wirtschaftliche Bewusstsein fehlt. Weniger kompliziert ausgedrückt: Leidenschaft für die Sache hat viele Kulturunternehmer in die Branche gebracht. Ein schwieriger Spagat - denn man möchte Ideale zwar nicht verraten, gleichzeitig muss die finanzielle Basis für eine erfolgreiche Zukunft aber vorhanden sein. Ein Gefühl für die richtige Balance zu entwickeln, benötigt Zeit. 
 
Heute gibt es auch im Kulturbereich eine Vielzahl von Förderprogrammen für GründerInnen und ein wachsendes Verständnis für professionelle Abläufe wird spürbar. Wie sind Sie bei Ihrer Gründung vorgegangen? 
 
TB: Ich bin seit 2003 selbstständig, Förderprogramme habe ich nicht in Anspruch genommen. Bei mir war es der berühmte Sprung ins kalte Wasser, verbunden mit der nötigen Portion Glück. Für Computer- und Videospiele interessiere ich mich seit meiner Kindheit, auch für die dazugehörigen Soundtracks. Von orchestralen Aufführungen dieser Musik in Japan las ich in einem Magazin. Eine wunderbare Idee, fand ich. Da kein anderer Produzent sie aufgriff, wurde ich selbst tätig. Man kann es Mut nennen, man kann es Naivität nennen oder schlicht als Lernen durch Handeln beschreiben: Mein erstes Projekt war das Eröffnungskonzert der Games Convention im Leipziger Gewandhaus. Es war meine Idee, mein Konzept, das ich an die Leipziger Messe herangetragen hatte - und später umsetzen durfte. Vier weitere Konzerte waren das Resultat dieses Erfolgs, bis auch der Westdeutsche Rundfunk die Idee reizvoll fand und mich für Veranstaltungen in der Kölner Philharmonie anwarb. Dies wiederum ebnete den Weg für die heutige internationale Ausrichtung von Merregnon Studios. Egal, ob in Deutschland, England, Japan, Dänemark, Schweden, Finnland, den Niederlanden, den USA oder Neuseeland, wir treffen immer auf ein begeistertes Publikum. 
 
Kann darin auch ein Vorteil liegen, der Leidenschaft zu folgen und einfach zu machen? Oder sollte man ein kalkuliertes Vorgehen beachten? 
 
TB: Ich bin eindeutig meiner Leidenschaft gefolgt. Ja - das hilft dabei, hohe Hürden zu nehmen, und die Leidensfähigkeit ist enorm, weil man für das Thema brennt; das ist ein Vorteil. Aber aus heutiger Sicht kann ich nur dringend raten, bei aller Euphorie den vergleichsweise biederen Teil der Kalkulation nicht zu vernachlässigen. Man sollte sich nicht dem Irrglauben hingeben, Qualität und harte Arbeit würden automatisch honoriert. 
 
Sie sind nicht nur erfolgreich, sondern auch in einer sehr speziellen "Nische" des Kulturbetriebs tätig. Gab es daraus folgend Herausforderungen für Ihr Unternehmen? 
 
TB: Herausforderungen gab und gibt es etliche. In Deutschland tut man sich schwer mit innovativen Ideen, mit Veränderungen. Ich bewege mich in einem sehr konservativen Umfeld - und es enttäuschte mich nicht nur einmal, wie gering die Lust auf Neues ist, wie stark ausgeprägt Vorurteile sind. Unsere Konzerte locken ein vergleichsweise junges Publikum in die Konzertsäle, in der Hauptzielgruppe 18 bis 35 Jahre alt. Keine Leinwände, keine Lichteffekte - stattdessen Tondichtungen, Klavierkonzerte und Sinfonien von 40 Minuten und mehr. Verallgemeinernd gesagt: romantische und spätromantische Klänge mit Themen, die ein junges Publikum tangiert. Im Prinzip die ideale Ergänzung zum klassischen Programm. Krux für die Entscheidungsträger ist, dass man sich auf ein neues Thema einlassen muss, recherchieren, sich überlegen, wie potenzielle Zuhörer erreicht werden können, denn die Zielgruppe ist (leider!) eine andere als üblich. Es sagt viel über den Betrieb aus, wenn solche Ängste bestehen. Erstaunlich oft siegt die Bequemlichkeit, nie scheitert es an der Qualität unserer Partituren, die von Spitzenorchestern der Welt mit großer Begeisterung aufgeführt werden. Und wenn Bequemlichkeit siegen darf, frage ich mich als Kulturunternehmer, wie das mit dem Kulturauftrag vereinbar sein kann. Glücklicherweise ist in Deutschland das Interesse mittlerweile stärker geworden; in Skandinavien ist man dieser Entwicklung jedoch weit voraus. 
 
Wie war der Weg Ihrer Unternehmung/en bisher? 
 
TB: Die Lehrjahre waren 2003 bis 2007 in Leipzig, bei den Eröffnungsveranstaltungen der Games Convention. Es schlossen sich Produktionen für den Westdeutschen Rundfunk von 2008 bis 2012 an, bis ich mich entschied, komplett auf eigenes Risiko zu gehen und den Schritt nach Japan zu wagen. Ein großer Erfolg - knapp 5.000 Zuhörer konnten wir in Tokio begrüßen. Die Zeit von 2003 bis 2012 brachte die nötige Erfahrung und ein eingespieltes Team, um die Merregnon Studios-Produktion Final Symphony - music from Final Fantasy zu ermöglichen, die seit 2013 international präsentiert wird, sei es vom Tokyo Philharmonic Orchestra, der San Francisco Symphony oder dem London Symphony Orchestra, das zudem die Partituren in den Abbey Road Studios einspielte. In Deutschland habe ich seitdem unter anderem mit dem Beethoven Orchester Bonn, den Bochumer Symphonikern und dem Münchner Rundfunkorchester gearbeitet. 
 
Sie haben sowohl einen professionellen Blick auf Unternehmertun als auch auf den Kulturbetrieb selbst: Sollte der klassische Kulturbetrieb unternehmerischer denken? 
 
TB: Ja, unbedingt - denn es schärft die Sinne und zwingt den oftmals bequemen Menschen, über den Tellerrand zu blicken. Veränderung ist schwierig, aber nötig. Wer nicht unter Druck gesetzt wird, wird behäbig und langweilig. 
 
Gibt es in Kultureinrichtungen bei "privatwirtschaftlichen" Ansätzen, Instrumenten und Möglichkeiten noch zu viele Berührungsängste? 
 
TB: In Deutschland: ja. Paradebeispiel dafür, wie es gehen kann, ist für mich das London Symphony Orchestra. Zweifellos weltweit anerkannt als Spitzenorchester, hat es der Reputation des Klangkörpers nicht geschadet, auch Film- oder Spielesoundtracks aufzunehmen. Wirtschaftlicher Druck wirkt hier in der Form, dass sich das Management stets nach neuen Ideen umsehen und am Puls der Zeit bleiben muss. Es findet kein Ausverkauf statt - man selektiert sehr wohl im Besonderen bei Aufführungen, ist generell jedoch wendig bei der Entscheidungsfindung. 2013 bestritten wir unser erstes Spielekonzert in London, wir waren zusammen auf Japan-Tournee, 2017 haben wir in der Philharmonie de Paris zwei meiner Konzerte gespielt. Knapp 280.000 Follower hat das LSO auf Twitter, über 370.000 Fans auf Facebook. Das London Symphony Orchestra ist relevant für ein junges wie älteres Publikum. Unternehmerisches Denken lässt es gedeihen.
 
Dieses Interview erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Kulturunternehmertum
 

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