Orchestermarketing
Die Grenzen des Machbaren austesten
Interview mit Natalie Schwarz, Marketingleiterin bei den Berliner Philharmonikern
Kulturmanagement Network: Sie haben nicht den direkten Berufsweg zum Orchestermarketing eingeschlagen. Wie hat sich für Sie der Weg dorthin gestaltet?
Natalie Schwarz: Es kamen einige Punkte zusammen. Geplant war dieser Weg sicher nicht, da ich eigentlich eine akademische Laufbahn als Historikerin im Sinn hatte. Ich bin aber durch verschiedene persönliche Eindrücke wie einem Studentenjob in die Philharmonie gekommen und habe dann in der Pressestelle begonnen zu arbeiten. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Hinzu kommt, dass Quereinsteiger in bestimmten Situationen, gerade auch in Umbruchszeiten, offener für bestimmte Dinge sind, als diejenigen, die den klassischen Berufsweg vorgezeichnet haben. Es war nicht mein Berufsziel, Marketingleiterin der Berliner Philharmoniker zu werden, aber ich würde sagen, dass es nun mein Traumberuf ist.
KM: Welche Kompetenzen bringen Sie mit, so dass Sie diese Stelle optimal ausfüllen können? Was macht sich von dem bemerkbar, was Sie aus Ihrer absolvierten Ausbildung und den beruflichen Stationen mitgenommen haben?
NS: Ich habe mich immer sehr für klassische Musik interessiert das muss man auch voraussetzen, wenn man in einem Haus wie diesem arbeiten möchte. Zum anderen kann ich, als Nicht-Musikwissenschaftler, mich sehr gut in den "Musik-Kunden", der hierher kommt, um sich einen schönen Abend zu machen und sein Bewusstsein zu erweitern, hineinversetzen. Ich habe weniger Berührungsängste, was Kultur und Kommerz angeht, wie es vielleicht Musikwissenschaftler haben. Daher war es für mich einfacher, manche Wege zu gehen.
KM: Einige Fragen zu Ihrem Haus: Wann hat man sich Gedanken über Marketing bei der Philharmonie gemacht, und wann wurde diese Abteilung eingerichtet?
NS: Mit der Stiftungsgründung. Vorher gab es einzig eine Pressestelle, die diese Aufgaben übernommen hat, aber es gab nicht die Aufteilung, wie sie heute existiert. Und eben mit der Gründung 2002 wurde dieser Bereich differenziert, da man sich daraus bestimmte Vorteile erhofft hat. Nun gibt es eine eigene Abteilung Kommunikation, die sich beispielsweise um die Programmhefte kümmert, um die Jahresvorschauen etc., also um alle Publikationen und auch um die Internetseite. Dann gibt es die Presseabteilung, die Pressearbeit im klassischen Sinne macht und eben die Marketingabteilung.
KM: 2002 ist natürlich sehr spät, insbesondere für ein derart berühmtes Ensemble.
NS: Bei einer Auslastung von 96 % hat man einfach länger darüber nachgedacht, ob man solch eine Abteilung braucht oder nicht. Man braucht sie.
KM: Marketing setzt voraus, dass man sich mit dem Ensemble, den Künstlern, mit der künstlerischen Leitung gut versteht. Wie kann man sich den Austausch untereinander bei Ihnen vorstellen?
NS: Es ist ja ein sehr demokratisch organisiertes Haus. Es gibt den Stiftungsvorstand, der aus Intendantin, Dirigent und zwei Orchestermusikern besteht, die wiederum im Orchester- oder Medienvorstand sind und als Organ der Orchesterversammlung agieren. Es ist nicht so, dass man im luftleeren Raum arbeitet. In der Regel sehe ich ein halbes Jahr voraus die Programmvorschau. Ich bin nicht in die Programmentstehung eingebunden. Was auch gut so ist, denn dieses sollte nicht unter Vermarktungsaspekten erstellt werden. Die Herausforderungen bestehen darin, aus einem solch unkonventionellen Programm, das Beste verkaufstechnisch herauszuholen. Und diese Arbeit ist sehr spannend. Wenn ich das Programm also erhalte, erstelle ich ein Marketingprogramm mit verschiedenen Konzepten. Dieses wird zum einen mit der kaufmännischen Leitung, zum anderen mit der Intendantin und den Vorständen abgesprochen. Einmal in der Saison wird dieses Konzept anschließend mit allen Parteien abgestimmt.
KM: Sind Sie denn auch schon einmal mit einem Marketingkonzept über das Ziel hinaus geschossen?
NS: Regelmäßig. Und das müssen sie auch! Denn wenn sie in einem solchen, traditionellen Haus arbeiten - klassische Musik beruht nun einmal auf konservativem und traditionellem Gedankengut - dann treffen sie beinahe mit jeder Entscheidung an Grenzen. Und es ist wichtig, im Prozess zu sehen, ob es sich lohnt, diese Grenze gemeinsam zu überschreiten, oder man sich doch eher auf die gemeinsame Tradition besinnt. Ich allerdings gehe eher noch zwei Schritte über diese Grenze hinaus, teste die Grenze des Machbaren aus. Denn es existiert eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung der Künstler und des Publikums. Künstler beginnen schon mit 5 Jahren mit ihrem Beruf, werden in einer ganz anderen Welt sozialisiert und manchmal ist es sehr schwierig diese Erfahrungen in Einklang mit der Veränderungen der Außenwelt zu bringen.
KM: Was haben die prominenten Projekte wie Rhythm is it! und Trip to Asia bei Ihrer Arbeit verändert?
NS: Beide Filme sind nicht aus Marketinggründen heraus entstanden. Diese und die Education-Programme sind eine Herzensangelegenheit von Sir Simon Rattle. Wir unterstützen diese Vermittlungskonzepte dabei, an die Öffentlichkeit zu gehen, bieten unsere Erfahrungen und Fähigkeiten an. Ich glaube aber nicht, dass man es schafft, zehnjährige Kinder durch diese Filme oder bestimmte Education-Programme an das Haus zu binden.
KM: Haben diese Projekte dennoch Ihre Arbeit erleichtert oder eher komplexer gemacht?
NS: Die Aufmerksamkeit ist eine andere. Man steht mit Personen in Kontakt, die sich vorher nicht ausgesprochen für Musik interessiert haben. Was den normalen Konzertbetrieb betrifft, hat es nichts verändert. Es hat sehr viel verändert in der äußeren Wahrnehmung, für das Image der Berliner Philharmoniker und für die klassische Musik im Allgemeinen.
KM: Ist das Budget für Ihre Arbeit höher, so wie man es vermuten könnte? Und was können Sie den kleineren Orchestern bzw. Kulturinstitutionen mit auf den Weg geben?
NS: Ich bin der Meinung, dass mein Budget immer zu klein ist, der kaufmännische Direktor ist da ganz anderer Ansicht. Ich habe wahrscheinlich mehr als z. B. eine Bezirksmusikschule, das ist richtig. Aber ich denke, dass jeder mehr aus seinen Möglichkeiten machen kann. Wir erreichen sehr viel über Kooperationen, denn vieles könnten wir mit unseren Mitteln gar nicht realisieren. Hier öffnen sich natürlich die Türen für die Berliner Philharmoniker leichter. Die Chancen bestehen darin, dass man Kooperationen sucht und den passenden Partner findet und dabei ist es oft besser, das Naheliegende zu beachten.
KM: Was hat der Brand des Philharmoniegebäudes vor einigen Wochen für Ihre Arbeit bedeutet?
NS: Zum einen war es natürlich ein Schock. Mir ist in diesem Moment bewusst geworden, wie sehr ich emotional bereits mit dem Haus verbunden bin. Zum anderen war es eine Herausforderung, die 10.000 Karten für die Ausweich-Spielstätte, die Berliner Waldbühne, in einer solch kurzen Zeit zu verkaufen.
KM: Welche Projekte stehen für Sie in nächster Zukunft an?
NS: Die Konzerte mit Simon Rattle sind Selbstläufer. Für mich ist ein Thema die Kammermusik, da viel zu wenig bekannt ist, dass diese die Spielwiese der einzelnen Musiker ist und für deren künstlerische Entwicklung besonders wichtig war. Ein anderer wichtiger und spannender Teil ist das Merchandising.
KM: Frau Schwarz, ich bedanke mich für dieses Gespräch!
Natalie Schwarz: Es kamen einige Punkte zusammen. Geplant war dieser Weg sicher nicht, da ich eigentlich eine akademische Laufbahn als Historikerin im Sinn hatte. Ich bin aber durch verschiedene persönliche Eindrücke wie einem Studentenjob in die Philharmonie gekommen und habe dann in der Pressestelle begonnen zu arbeiten. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Hinzu kommt, dass Quereinsteiger in bestimmten Situationen, gerade auch in Umbruchszeiten, offener für bestimmte Dinge sind, als diejenigen, die den klassischen Berufsweg vorgezeichnet haben. Es war nicht mein Berufsziel, Marketingleiterin der Berliner Philharmoniker zu werden, aber ich würde sagen, dass es nun mein Traumberuf ist.
KM: Welche Kompetenzen bringen Sie mit, so dass Sie diese Stelle optimal ausfüllen können? Was macht sich von dem bemerkbar, was Sie aus Ihrer absolvierten Ausbildung und den beruflichen Stationen mitgenommen haben?
NS: Ich habe mich immer sehr für klassische Musik interessiert das muss man auch voraussetzen, wenn man in einem Haus wie diesem arbeiten möchte. Zum anderen kann ich, als Nicht-Musikwissenschaftler, mich sehr gut in den "Musik-Kunden", der hierher kommt, um sich einen schönen Abend zu machen und sein Bewusstsein zu erweitern, hineinversetzen. Ich habe weniger Berührungsängste, was Kultur und Kommerz angeht, wie es vielleicht Musikwissenschaftler haben. Daher war es für mich einfacher, manche Wege zu gehen.
KM: Einige Fragen zu Ihrem Haus: Wann hat man sich Gedanken über Marketing bei der Philharmonie gemacht, und wann wurde diese Abteilung eingerichtet?
NS: Mit der Stiftungsgründung. Vorher gab es einzig eine Pressestelle, die diese Aufgaben übernommen hat, aber es gab nicht die Aufteilung, wie sie heute existiert. Und eben mit der Gründung 2002 wurde dieser Bereich differenziert, da man sich daraus bestimmte Vorteile erhofft hat. Nun gibt es eine eigene Abteilung Kommunikation, die sich beispielsweise um die Programmhefte kümmert, um die Jahresvorschauen etc., also um alle Publikationen und auch um die Internetseite. Dann gibt es die Presseabteilung, die Pressearbeit im klassischen Sinne macht und eben die Marketingabteilung.
KM: 2002 ist natürlich sehr spät, insbesondere für ein derart berühmtes Ensemble.
NS: Bei einer Auslastung von 96 % hat man einfach länger darüber nachgedacht, ob man solch eine Abteilung braucht oder nicht. Man braucht sie.
KM: Marketing setzt voraus, dass man sich mit dem Ensemble, den Künstlern, mit der künstlerischen Leitung gut versteht. Wie kann man sich den Austausch untereinander bei Ihnen vorstellen?
NS: Es ist ja ein sehr demokratisch organisiertes Haus. Es gibt den Stiftungsvorstand, der aus Intendantin, Dirigent und zwei Orchestermusikern besteht, die wiederum im Orchester- oder Medienvorstand sind und als Organ der Orchesterversammlung agieren. Es ist nicht so, dass man im luftleeren Raum arbeitet. In der Regel sehe ich ein halbes Jahr voraus die Programmvorschau. Ich bin nicht in die Programmentstehung eingebunden. Was auch gut so ist, denn dieses sollte nicht unter Vermarktungsaspekten erstellt werden. Die Herausforderungen bestehen darin, aus einem solch unkonventionellen Programm, das Beste verkaufstechnisch herauszuholen. Und diese Arbeit ist sehr spannend. Wenn ich das Programm also erhalte, erstelle ich ein Marketingprogramm mit verschiedenen Konzepten. Dieses wird zum einen mit der kaufmännischen Leitung, zum anderen mit der Intendantin und den Vorständen abgesprochen. Einmal in der Saison wird dieses Konzept anschließend mit allen Parteien abgestimmt.
KM: Sind Sie denn auch schon einmal mit einem Marketingkonzept über das Ziel hinaus geschossen?
NS: Regelmäßig. Und das müssen sie auch! Denn wenn sie in einem solchen, traditionellen Haus arbeiten - klassische Musik beruht nun einmal auf konservativem und traditionellem Gedankengut - dann treffen sie beinahe mit jeder Entscheidung an Grenzen. Und es ist wichtig, im Prozess zu sehen, ob es sich lohnt, diese Grenze gemeinsam zu überschreiten, oder man sich doch eher auf die gemeinsame Tradition besinnt. Ich allerdings gehe eher noch zwei Schritte über diese Grenze hinaus, teste die Grenze des Machbaren aus. Denn es existiert eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung der Künstler und des Publikums. Künstler beginnen schon mit 5 Jahren mit ihrem Beruf, werden in einer ganz anderen Welt sozialisiert und manchmal ist es sehr schwierig diese Erfahrungen in Einklang mit der Veränderungen der Außenwelt zu bringen.
KM: Was haben die prominenten Projekte wie Rhythm is it! und Trip to Asia bei Ihrer Arbeit verändert?
NS: Beide Filme sind nicht aus Marketinggründen heraus entstanden. Diese und die Education-Programme sind eine Herzensangelegenheit von Sir Simon Rattle. Wir unterstützen diese Vermittlungskonzepte dabei, an die Öffentlichkeit zu gehen, bieten unsere Erfahrungen und Fähigkeiten an. Ich glaube aber nicht, dass man es schafft, zehnjährige Kinder durch diese Filme oder bestimmte Education-Programme an das Haus zu binden.
KM: Haben diese Projekte dennoch Ihre Arbeit erleichtert oder eher komplexer gemacht?
NS: Die Aufmerksamkeit ist eine andere. Man steht mit Personen in Kontakt, die sich vorher nicht ausgesprochen für Musik interessiert haben. Was den normalen Konzertbetrieb betrifft, hat es nichts verändert. Es hat sehr viel verändert in der äußeren Wahrnehmung, für das Image der Berliner Philharmoniker und für die klassische Musik im Allgemeinen.
KM: Ist das Budget für Ihre Arbeit höher, so wie man es vermuten könnte? Und was können Sie den kleineren Orchestern bzw. Kulturinstitutionen mit auf den Weg geben?
NS: Ich bin der Meinung, dass mein Budget immer zu klein ist, der kaufmännische Direktor ist da ganz anderer Ansicht. Ich habe wahrscheinlich mehr als z. B. eine Bezirksmusikschule, das ist richtig. Aber ich denke, dass jeder mehr aus seinen Möglichkeiten machen kann. Wir erreichen sehr viel über Kooperationen, denn vieles könnten wir mit unseren Mitteln gar nicht realisieren. Hier öffnen sich natürlich die Türen für die Berliner Philharmoniker leichter. Die Chancen bestehen darin, dass man Kooperationen sucht und den passenden Partner findet und dabei ist es oft besser, das Naheliegende zu beachten.
KM: Was hat der Brand des Philharmoniegebäudes vor einigen Wochen für Ihre Arbeit bedeutet?
NS: Zum einen war es natürlich ein Schock. Mir ist in diesem Moment bewusst geworden, wie sehr ich emotional bereits mit dem Haus verbunden bin. Zum anderen war es eine Herausforderung, die 10.000 Karten für die Ausweich-Spielstätte, die Berliner Waldbühne, in einer solch kurzen Zeit zu verkaufen.
KM: Welche Projekte stehen für Sie in nächster Zukunft an?
NS: Die Konzerte mit Simon Rattle sind Selbstläufer. Für mich ist ein Thema die Kammermusik, da viel zu wenig bekannt ist, dass diese die Spielwiese der einzelnen Musiker ist und für deren künstlerische Entwicklung besonders wichtig war. Ein anderer wichtiger und spannender Teil ist das Merchandising.
KM: Frau Schwarz, ich bedanke mich für dieses Gespräch!
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