31.08.2016
KM Magazin
Autor*in
Eva Göbel
verantwortet die Drittmittelakquise für den städtischen Eigenbetrieb „JenaKultur“. Zuvor arbeitete sie als Kulturmanagerin u.a. für die IBA Thüringen, als Redakteurin und Journalistin, unter anderem bei Kultur Management Network. Sie studierte Literatur, Kunst und Kultur in Göttingen, Paris und Jena.
Interview
Ein Bündnis für eine kritische Kulturpraxis!
Es gibt viele Konferenzen und Tagungsbände, die sich mit Inklusion und Diversity im Kulturbetrieb beschäftigen. Meistens fehlt in diesen Formaten eine Perspektive völlig, nämlich diejenige der Menschen, um die es geht. Dabei sind sie nicht nur die Gruppe, an die sich die Fragen von Wissenschaft und Kulturorganisationen richten. Sondern sie selbst sind die ExpertInnen.
Wie viele Frauen in Führungspositionen im deutschen Kulturbetrieb können Sie ad hoc aufzählen? Kennen Sie einen afrodeutschen Theater-Intendanten? Auf welchen Konferenzen, die Sie besucht haben, gab es Gebärdenübersetzungen? Der Kulturbetrieb möchte inklusiv und divers sein aber ist er das insbesondere auf der Ebene, die entscheidet, lenkt und verwaltet? Die Konferenz Vernetzt Euch - Visionen und Strategien für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene, die am 10. und 11. Oktober 2016 in Berlin stattfand, sollte dazu dienen, konkrete Strategien für eine kritische Kulturpraxis zu entwickeln. Kulturmanagement Network sprach mit den Organisatorinnen Sandrine Micossé-Aikins, Lisa Scheibner und Bahareh Sharifi. Das Interview führte Eva Elodie Göbel.
KMN: Die Konferenz Vernetzt Euch! war weitaus mehr, als nur eine Konferenz. Sie war auch ein Akt des Protests und der konkrete Versuch, etwas zu verändern. Was hat Euch dazu motiviert?
Sandrine Micossé-Aikins: Vor zwei Jahren veranstaltete die Universität Hildesheim im Deutschen Theater eine Konferenz mit dem Titel Mind the Gap, bei der es um Zugangsbarrieren zu sogenannten Hochkulturinstitutionen ging. Es ging um die Frage, warum bestimmte Gruppen nicht zu deren Publikum zählen. Im Rahmen der Konferenz-Organisation, des Konzepts, der Ansprache und der Einladungspolitik wurden aber wiederum selbstverständlich Ausschlüsse gemacht. Die Gruppen, um die es gehen sollte - nämlich, ich zitiere jetzt: Menschen mit Migrationshintergrund aus nicht-westlichen Herkunftsländern, Menschen mit Behinderung, Menschen mit geringen Einkünften und junge Menschen, die nicht oder selten in diese Institutionen kommen - waren nicht eingeladen worden weder als Sprecher_innen noch als Zuschauer_innen. Gleichzeitig wurde auf der Konferenz nicht darüber gesprochen, dass es diskriminierende Strukturen gibt, also Rassismus, Ableismus, Sexismus und Heterosexismus. Denn diese sorgen dafür, dass die Angehörigen der angesprochenen Gruppen selbst nicht als Autor_innen in diesen Institutionen arbeiten und deswegen in der Regel auch kein Programm gestaltet wird, dass für die Angehörigen dieser Gruppen interessant ist, da es ihre Lebensrealität nicht berücksichtigt. Es hat sich in Reaktion auf diese Konferenz eine Gruppe aus verschiedenen Initiativen und Einzelpersonen gegründet, nämlich das Bündnis kritischer Kulturpraktiker_innen, kurz BKK. Aus diesem Anlass entstand bereits die Idee zu einer Konferenz, die als Gegenentwurf zu Mind the Gap fungieren sollte.
KMN: Was wolltet Ihr bei Eurer eigenen Konferenz besser machen?
Bahareh Sharifi: Wir wollten die Diskussion umdrehen und danach fragen, wo Ausschlussverfahren bei den Institutionen selbst liegen. Deswegen haben wir mit Referent_innen und Expert_innen zusammengearbeitet, die sich aus der eigenen Betroffenheit heraus mit dem Thema beschäftigen oder selber mit Diskriminierungserfahrungen konfrontiert sind. Diese tragen bereits seit Jahren das Wissen darüber zusammen. Wenn dieses Wissen letztlich wieder von sehr privilegierten Wissenschaftler_innen vereinnahmt wird, merkt man, wie die Ausschlussmechanismen wirklich funktionieren. Zudem wollten wir keine Aufnahme der bestehenden Missstände machen und uns daran abarbeiten. Schon seit einigen Jahren werden die Ausschlüsse des Kulturbetriebs problematisiert. Für uns ging es darum, wie wir endlich einen Schritt weitergehen können!
KMN: Wie seid Ihr an die Aufgabe herangegangen, Refernt_innen zu gewinnen, die die Diversity im Kulturbereich widerspiegeln? Wie plant man am Besten eine Konferenz, die keine Ausschlüsse produzieren soll?
Sandrine Micossé-Aikins: Die meisten von uns sind Teil von einer oder verschiedenen Communitys, die politisch oder aktivistisch gegen Rassismus arbeiten. Es war wichtig, dass wir auf die Leute auch als teilweise selbst von Diskriminierung betroffene Menschen zugehen konnten. Diese Konferenz wurde aus einer eigenen Betroffenheit heraus organisiert und nicht als weiße Mainstream-Institution, die sich damit beschäftigt, weil es gerade hip ist. Wir haben klar gemacht, dass sich etwas ändern muss und es um aktive Vernetzung geht und nicht darum, das Thema einfach mal abzudecken.
Lisa Scheibner: Wir haben zudem mit den Expert_innen und Referent_innen darüber diskutiert, wie die Konferenz konkret aussehen muss. Es war auch ein Experiment, ob man überhaupt so viele Themen und Formen von Diskriminierungen in einer Konferenz gleichzeitig behandeln kann. Wir wollten die Workshops nicht nach bestimmten Diskriminierungsformen aufteilen, weil das eine Vereinzelung bewirkt hätte. Wir wollten, dass die Leute etwas über andere Diskriminierungsformen lernen und Inspiration dafür gewinnen, wie es weiter gehen kann. Wir haben also Gemeinsamkeiten gesucht, die alle Formen von Diskriminierung verbinden.
KMN: Welche Strategien und Methoden habt Ihr, um ausgrenzende Strukturen und Mechanismen im Kulturbetrieb zu durchbrechen?
Lisa Scheibner: Eine gute Strategie ist, sich zu vernetzen und in Gruppen zusammenzuschließen, die einem Rückhalt und Raum geben, das zu machen, was man möchte. Unter Umständen ist man dann in einer prekären Situation, aber wenn man eine Möglichkeit bekommt, ist es wichtig andere daran teilhaben zu lassen.
Sandrine Micossé-Aikins: Wenn man endlich verstanden hat, was eigentlich das Problem ist, sollte man nicht versuchen, das Rad neu zu erfinden, sondern schauen, was andere bereits tun. Die Praxis des Vernetzens findet in anderen Kontexten, wie der critical race theory, schon länger statt. Leute, die sich bereits mit Machtkritik auseinandergesetzt haben, haben Strategien entwickelt, die ja nicht unübersetzbar sind. Wir wollen uns trauen, Dinge zu fordern, und nicht nur um die eigenen Probleme kreisen. Als Mitglieder dieser Gesellschaft haben wir das Recht, die gleichen Chancen und Zugänge zu bekommen. Es geht nicht um eine individuelle Lösung, sondern darum, auf die größeren Strukturen zu gucken, dorthin, wo der Kern des Problems ist.
KMN: Was sind Eure kulturpolitischen Forderungen und wie möchtet Ihr versuchen, diese durchzusetzen?
Lisa Scheibner: Ich fand den Vorschlag im Vortrag von Joshua Kwesi Aikins gut, ein System zu entwickeln, in dem geförderte Kulturprojekte Bedingungen erfüllen müssen, die strukturell an einem Projekt etwas verändern. Die Produktionsrichtlinien des British Film Institute beispielsweise umfassen konkrete Vorgaben zur Förderung von Diversität.
Sandrine Micossé-Aikins: Mir persönlich geht das nicht weit genug. In jedem anderen Bereich, zum Beispiel in der Wirtschaft, gilt Diversity als selbstverständlich und unumgänglich . Dass es auf staatlicher Ebene eine Regulierung dafür gibt, dass auch sogenannte Minderheiten Zugänge bekommen, sollte gar keine Frage sein! Die Zusammensetzung unserer Gesellschaft muss im Kulturbetrieb repräsentiert werden. Man kann sich einfach mal anschauen, welche Formen von Kultur eigentlich gefördert werden: Opernhäuser sind ein Beispiel von staatlich geförderten Institutionen, die das meiste Geld bekommen, obwohl sie nur eine sehr kleine Gruppe ansprechen. Was wird überhaupt als Kultur wahrgenommen und wertgeschätzt? Und warum kann man die Töpfe nicht gleichmäßig verteilen?
Lisa Scheibner: Ich bin zwar nicht von Rassismus betroffen, aber meine Arbeits- und Freundeskontexte, sehen einfach nicht so aus, wie das, was ich auf deutschen Bühnen sehe. Mich interessiert das auch nicht. Und ich frage mich, warum man immer weiter Bilder zeigen möchte, die unserer aller Realität nicht entsprechen? Warum sollen mich diese Geschichten interessieren? Warum sollen sich andere Menschen, die noch von anderen Diskriminierungen betroffen sind, dafür interessieren? Wen interessiert das eigentlich überhaupt? Wir können alle gewinnen, wenn wir mehr Perspektiven haben und eine größere Auswahl an Geschichten.
Sandrine Micossé-Aikins: Es gibt einfach zu viele rassistische Bilder von schwarzen Menschen in Kulturproduktionen und in den Medien. Das betrifft auch andere soziale Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind, wie z.B. Menschen mit Behinderung. Alles, das Menschen, die sonst nicht sichtbar werden, als Autor_innen eine Stimme gibt und als Figuren sichtbar werden lässt; alles, was Zugangsbarrieren abbaut, ist zu begrüßen!
Bahareh Sharifi: Es gibt die Tendenz, dass sich staatlich geförderte Institutionen diesen Forderungen nicht mehr entziehen können und dann entstehen Alibi-Projekte. Die Folge: Einige Theater stellen ein paar Refugees als Statisten auf die Bühne, die nicht einmal bezahlt werden. Aber das funktioniert so nicht. Das Problem bei den Alibi-Projekten ist, dass sich an der Macht und den Strukturen nichts ändert.
KMN: Habt Ihr schon daran gedacht, dem Deutschen Kulturrat oder der Kulturpolitischen Gesellschaft, die Zugang zu politischen Entscheidungsträger_innen haben, Eure Forderungen zu übermitteln oder mit Ihnen in einen Diskurs zu treten?
Lisa Scheibner: Die Idee der Konferenz war, dass wir zunächst untereinander und mit verschiedenen Communitys in einen Dialog kommen, um diese Forderungen gemeinsam besser und klarer zu formulieren. Man muss sich auch fragen, wie viel Kraft man aufwenden will, um sich an Institutionen abzuarbeiten, die das Thema im Kern nicht interessiert. Wenn die Institutionen ein Interesse daran haben, sich zu verändern, können sie uns gerne kontaktieren und wir können beratend tätig werden.
Bahareh Sharifi: Es besteht außerdem die Gefahr, dass sich Institutionen unsere Konzepte und Forderungen aneignen, da sie merken, wie wichtig das ist, gleichzeitig unsere Konzepte aber abflachen und entpolitisieren. Die Konferenz sollte auch der Frage dienen, wie man diese Aneignungsprozesse vermeiden kann. Wir wollen unsere Ziele erreichen, ohne sie auf dem Weg dorthin an neoliberale Vereinnahmungen zu verlieren.
KMN: Sandrine Micossé-Aikins, liebe Bahareh Sharifi, liebe Lisa Scheibner, ich danke Euch für das Gespräch!
Das Interview erschien in einer ausführlichen Fassung zuerst im KM Magazin Nr. 107 Widerstand
Weiterführende Links:
Strategie-Poster als Dokumentation der Konferenz als PDF
Weitere Beiträge zum Thema:
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KMN: Was wolltet Ihr bei Eurer eigenen Konferenz besser machen?
Bahareh Sharifi: Wir wollten die Diskussion umdrehen und danach fragen, wo Ausschlussverfahren bei den Institutionen selbst liegen. Deswegen haben wir mit Referent_innen und Expert_innen zusammengearbeitet, die sich aus der eigenen Betroffenheit heraus mit dem Thema beschäftigen oder selber mit Diskriminierungserfahrungen konfrontiert sind. Diese tragen bereits seit Jahren das Wissen darüber zusammen. Wenn dieses Wissen letztlich wieder von sehr privilegierten Wissenschaftler_innen vereinnahmt wird, merkt man, wie die Ausschlussmechanismen wirklich funktionieren. Zudem wollten wir keine Aufnahme der bestehenden Missstände machen und uns daran abarbeiten. Schon seit einigen Jahren werden die Ausschlüsse des Kulturbetriebs problematisiert. Für uns ging es darum, wie wir endlich einen Schritt weitergehen können!
KMN: Wie seid Ihr an die Aufgabe herangegangen, Refernt_innen zu gewinnen, die die Diversity im Kulturbereich widerspiegeln? Wie plant man am Besten eine Konferenz, die keine Ausschlüsse produzieren soll?
Sandrine Micossé-Aikins: Die meisten von uns sind Teil von einer oder verschiedenen Communitys, die politisch oder aktivistisch gegen Rassismus arbeiten. Es war wichtig, dass wir auf die Leute auch als teilweise selbst von Diskriminierung betroffene Menschen zugehen konnten. Diese Konferenz wurde aus einer eigenen Betroffenheit heraus organisiert und nicht als weiße Mainstream-Institution, die sich damit beschäftigt, weil es gerade hip ist. Wir haben klar gemacht, dass sich etwas ändern muss und es um aktive Vernetzung geht und nicht darum, das Thema einfach mal abzudecken.
Lisa Scheibner: Wir haben zudem mit den Expert_innen und Referent_innen darüber diskutiert, wie die Konferenz konkret aussehen muss. Es war auch ein Experiment, ob man überhaupt so viele Themen und Formen von Diskriminierungen in einer Konferenz gleichzeitig behandeln kann. Wir wollten die Workshops nicht nach bestimmten Diskriminierungsformen aufteilen, weil das eine Vereinzelung bewirkt hätte. Wir wollten, dass die Leute etwas über andere Diskriminierungsformen lernen und Inspiration dafür gewinnen, wie es weiter gehen kann. Wir haben also Gemeinsamkeiten gesucht, die alle Formen von Diskriminierung verbinden.
KMN: Welche Strategien und Methoden habt Ihr, um ausgrenzende Strukturen und Mechanismen im Kulturbetrieb zu durchbrechen?
Lisa Scheibner: Eine gute Strategie ist, sich zu vernetzen und in Gruppen zusammenzuschließen, die einem Rückhalt und Raum geben, das zu machen, was man möchte. Unter Umständen ist man dann in einer prekären Situation, aber wenn man eine Möglichkeit bekommt, ist es wichtig andere daran teilhaben zu lassen.
Sandrine Micossé-Aikins: Wenn man endlich verstanden hat, was eigentlich das Problem ist, sollte man nicht versuchen, das Rad neu zu erfinden, sondern schauen, was andere bereits tun. Die Praxis des Vernetzens findet in anderen Kontexten, wie der critical race theory, schon länger statt. Leute, die sich bereits mit Machtkritik auseinandergesetzt haben, haben Strategien entwickelt, die ja nicht unübersetzbar sind. Wir wollen uns trauen, Dinge zu fordern, und nicht nur um die eigenen Probleme kreisen. Als Mitglieder dieser Gesellschaft haben wir das Recht, die gleichen Chancen und Zugänge zu bekommen. Es geht nicht um eine individuelle Lösung, sondern darum, auf die größeren Strukturen zu gucken, dorthin, wo der Kern des Problems ist.
KMN: Was sind Eure kulturpolitischen Forderungen und wie möchtet Ihr versuchen, diese durchzusetzen?
Lisa Scheibner: Ich fand den Vorschlag im Vortrag von Joshua Kwesi Aikins gut, ein System zu entwickeln, in dem geförderte Kulturprojekte Bedingungen erfüllen müssen, die strukturell an einem Projekt etwas verändern. Die Produktionsrichtlinien des British Film Institute beispielsweise umfassen konkrete Vorgaben zur Förderung von Diversität.
Sandrine Micossé-Aikins: Mir persönlich geht das nicht weit genug. In jedem anderen Bereich, zum Beispiel in der Wirtschaft, gilt Diversity als selbstverständlich und unumgänglich . Dass es auf staatlicher Ebene eine Regulierung dafür gibt, dass auch sogenannte Minderheiten Zugänge bekommen, sollte gar keine Frage sein! Die Zusammensetzung unserer Gesellschaft muss im Kulturbetrieb repräsentiert werden. Man kann sich einfach mal anschauen, welche Formen von Kultur eigentlich gefördert werden: Opernhäuser sind ein Beispiel von staatlich geförderten Institutionen, die das meiste Geld bekommen, obwohl sie nur eine sehr kleine Gruppe ansprechen. Was wird überhaupt als Kultur wahrgenommen und wertgeschätzt? Und warum kann man die Töpfe nicht gleichmäßig verteilen?
Lisa Scheibner: Ich bin zwar nicht von Rassismus betroffen, aber meine Arbeits- und Freundeskontexte, sehen einfach nicht so aus, wie das, was ich auf deutschen Bühnen sehe. Mich interessiert das auch nicht. Und ich frage mich, warum man immer weiter Bilder zeigen möchte, die unserer aller Realität nicht entsprechen? Warum sollen mich diese Geschichten interessieren? Warum sollen sich andere Menschen, die noch von anderen Diskriminierungen betroffen sind, dafür interessieren? Wen interessiert das eigentlich überhaupt? Wir können alle gewinnen, wenn wir mehr Perspektiven haben und eine größere Auswahl an Geschichten.
Sandrine Micossé-Aikins: Es gibt einfach zu viele rassistische Bilder von schwarzen Menschen in Kulturproduktionen und in den Medien. Das betrifft auch andere soziale Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind, wie z.B. Menschen mit Behinderung. Alles, das Menschen, die sonst nicht sichtbar werden, als Autor_innen eine Stimme gibt und als Figuren sichtbar werden lässt; alles, was Zugangsbarrieren abbaut, ist zu begrüßen!
Bahareh Sharifi: Es gibt die Tendenz, dass sich staatlich geförderte Institutionen diesen Forderungen nicht mehr entziehen können und dann entstehen Alibi-Projekte. Die Folge: Einige Theater stellen ein paar Refugees als Statisten auf die Bühne, die nicht einmal bezahlt werden. Aber das funktioniert so nicht. Das Problem bei den Alibi-Projekten ist, dass sich an der Macht und den Strukturen nichts ändert.
KMN: Habt Ihr schon daran gedacht, dem Deutschen Kulturrat oder der Kulturpolitischen Gesellschaft, die Zugang zu politischen Entscheidungsträger_innen haben, Eure Forderungen zu übermitteln oder mit Ihnen in einen Diskurs zu treten?
Lisa Scheibner: Die Idee der Konferenz war, dass wir zunächst untereinander und mit verschiedenen Communitys in einen Dialog kommen, um diese Forderungen gemeinsam besser und klarer zu formulieren. Man muss sich auch fragen, wie viel Kraft man aufwenden will, um sich an Institutionen abzuarbeiten, die das Thema im Kern nicht interessiert. Wenn die Institutionen ein Interesse daran haben, sich zu verändern, können sie uns gerne kontaktieren und wir können beratend tätig werden.
Bahareh Sharifi: Es besteht außerdem die Gefahr, dass sich Institutionen unsere Konzepte und Forderungen aneignen, da sie merken, wie wichtig das ist, gleichzeitig unsere Konzepte aber abflachen und entpolitisieren. Die Konferenz sollte auch der Frage dienen, wie man diese Aneignungsprozesse vermeiden kann. Wir wollen unsere Ziele erreichen, ohne sie auf dem Weg dorthin an neoliberale Vereinnahmungen zu verlieren.
KMN: Sandrine Micossé-Aikins, liebe Bahareh Sharifi, liebe Lisa Scheibner, ich danke Euch für das Gespräch!
Das Interview erschien in einer ausführlichen Fassung zuerst im KM Magazin Nr. 107 Widerstand
Weiterführende Links:
Strategie-Poster als Dokumentation der Konferenz als PDF
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