12.12.2012
Autor*in
Rod Schmid
ist Gründer und Herausgeber von livekritik.de.
Bewertungsplattform für Kulturveranstaltungen
Livekritik - Dem Publikum eine Stimme geben
livekritik.de ging vor sechs Monaten online - jetzt unternimmt die Bewertungsplattform für Kulturveranstaltungen mit einer CrowdInvesting-Kampagne einen nächsten Schritt. Wir sprachen mit Geschäftsführer Rod Schmid über seine Zwischenbilanz und das Feedback von Nutzern und Kulturveranstaltern.
Das Interview führte Dirk Heinze.
KMN: Herr Schmid, wie sieht Ihre Zwischenbilanz seit dem Start von livekritik.de vor sechs Monaten aus?
Rod Schmid: Ich bin sehr zufrieden. Gerade in der Region Berlin-Brandenburg, in der wir gestartet sind, hatten wir von Anfang an eine sehr gute Akzeptanz, und zwar sowohl seitens der Nutzer als auch was das Feedback der Veranstalter anbelangt. Täglich gibt es neue Anmeldungen, und es werden Rezensionen eingestellt. Insofern bin ich froh, dass das Konzept angenommen wurde, und optimistisch für die anstehende Ausbreitung auf andere Regionen in Deutschland.
KMN: Bedeutet dies, dass es nicht so schwer ist, dass Kulturpublikum zur Online-Bewertung zu aktivieren?
RS: Es ist schon so, dass der überwiegende Teil unserer Nutzer die Kritiken lediglich liest, ohne selbst aktiv zu werden. Diejenigen, die aber Rezensionen schreiben, tun dies sehr regelmäßig und in hochwertiger Art und Weise. Wir müssen eher die Nutzer in Zukunft motivieren, auch einmal eine kurze Bewertung einer Veranstaltung abzugeben und sich damit selbst in den Kulturdiskurs einzubringen.
KMN: Sie planen also eine Differenzierung zwischen Kurzbewertung und ausführlicher Kritik?
RS: Das ist jetzt schon so. Die Kritik ist in dreifacher Form aufgebaut: wir haben eine Freifeld-Eingabe für eine kürzere oder auch längere persönliche Einschätzung des Stücks. Am Ende steht ein kurzes Fazit. Anschließend ist dann eine Bewertung nach verschiedenen Kriterien wie Unterhaltung, Anspruch, Preis-Leistungs-Verhältnis und Atmosphäre möglich, verbunden mit dem zusammenfassenden Daumen-Symbol in fünf Bewertungsstufen. So kann ich als Nutzer entscheiden, mich erst einmal anhand der Kurzbewertungen überblicksmäßig zu informieren und dann, wenn ich möchte, detailliert eine ausführliche Kritik lesen.
KMN: Sie erwähnten auch das Feedback durch die Veranstalter, also durch die Anbieterseite. Welche Reaktionen erhalten Sie von dort?
RS: Es gibt aktuelle Studien, wonach bereits 64 % der Bevölkerung Online-Bewertungen vertrauen. Wir stellen fest, dass gerade die Marketingverantwortlichen und Öffentlichkeitsarbeiter nach neuen Wegen suchen, wie sie dieses Bedürfnis in hochwertiger Weise befriedigen können.
Ich war z.B. Gast auf dem Theatercamp in Hamburg, wo es genau darum ging, wie ich als Kulturschaffender oder Veranstalter soziale Medien optimal nutzen kann. Ein anderes Beispiel ist die Neuköllner Oper, bei der wir vor einigen Wochen das gesamte Publikum als Livekritiker eingeladen haben - bei durchaus großer Medienresonanz. Resultat waren 50 spannende Kritiken zu einer Inszenierung. Vorteil für den Veranstalter ist, dass die Kritiken erstens häufig wohlwollend sind, weil die meisten Besucher neuen Stücken gegenüber aufgeschlossen und mit ihnen emotional verbunden sind, und zweitens die veröffentlichten Kritiken von den Veranstaltern sehr gut für das eigene Marketing genutzt werden können. Immerhin erscheinen unsere Kritiken inzwischen auch bei Google häufig sehr prominent. Teilweise rufen Veranstalter bei uns an und möchten ähnliche Formate wie die Aktion an der Neuköllner Oper mit uns gemeinsam machen, um Kultur und Besucher näher zusammenzubringen.
KMN: Nun machen Kritiken allein noch kein spannendes Portal. Welchen redaktionellen Aufwand betreiben Sie, den nutzerbasierten Inhalt mit eigenen Informationen zu ergänzen?
RS: Unser Ansatz ist, dass die Community möglichst selbst bestimmt, was für sie kulturelle Highlights und gute Stücke sind. Durch die Anzahl und die Art der Kritiken soll dies mit festgelegt werden. Auf der anderen Seite ist unser Ziel, den Nutzer besser kennenzulernen. D.h. wenn sich jemand regelmäßig Kabarett in Köln anschaut, wird er solche Veranstaltungen auch kurzfristig und individuell empfohlen bekommen.
KMN: Die Schwierigkeit in der Kultur ist ja, dass sie sich nicht immer eindeutig in Genres einordnen lässt. Sie geben auf dem Portal natürlich Genres wie Kabarett, Theater oder Lesungen vor. Wie gehen Sie mit Veranstaltungen um, die sich schwer einordnen lassen oder mehreren Genres zuzurechnen sind?
RS: Diese Schwierigkeit haben eigentlich alle Internetportale, weil es nie trennscharfe Abgrenzungen gibt. Das muss man offen und flexibel lösen. Bei livekritik.de tauchen Stücke durchaus in mehreren Kategorien auf. Beispielsweise haben wir eine extra Rubrik eingeführt für alternatives Theater im Gegensatz zum klassischen Schauspiel. Letztlich geht es darum, dass man vom Nutzer her denkt und dieser sich am besten zurecht findet, und nicht als Betreiber der Website in "konzeptioneller Schönheit stirbt".
KMN: Wie kommt es, dass es eine solche Plattform erst jetzt gibt, nachdem andere Produkte längst erfolgreiche Bewertungsportale haben? Kultur- und Freizeitangebote spielen ja bei den Menschen eine große Rolle.
RS: Der Kulturmarkt in Deutschland ist eher konservativ geprägt. Andere Märkte wie Tourismus, Gastronomie oder Elektronik sind durch Kommunikations-, Dialog- oder Bewertungsportale längst erschlossen. Im Theaterbereich bestimmt indessen der Intendant, was gespielt wird, und der FAZ-Journalist bewertet anschließend, ob das Stück anspruchsvoll genug war. Es ist eine neue Qualität, wenn wir auf livekritik.de den Zuschauer erstmals als Dialogpartner ins Spiel bringen. Man muss sehen, ob dieses Experiment gelingt. Ich bin überzeugt, dass angesichts der Entwicklungen in sozialen Netzwerken kein Weg daran vorbeiführt und Kultur für breitere Bevölkerungsschichten öffnet.
KMN: Das ist sicherlich ein ehrenwerter Anspruch, aber wie realistisch ist es, das Publikum - wenn Sie so wollen - mündiger zu machen? Sie sprechen selbst vom elitären Kulturbetrieb und kennen sicherlich die kulturpolitische Diskussion um eine zu starke Angebotsorientierung. Ist ein Publikum, das aktiv wird, das gar Einfluss auf das Angebot nimmt, überhaupt gewünscht?
RS: Warum soll dies nicht realistisch sein? Das Ziel ist ja nicht, dass immer das Publikum bestimmt, was gespielt wird oder wie es sich im Konzertsaal zu verhalten hat. Vielmehr geht es darum, dem Zuschauer überhaupt einmal eine Stimme zu geben und ihn als Dialogpartner ernst zu nehmen. Was mit seiner Meinung dann gemacht wird und ob sich daraufhin Veranstaltungen oder Stücke ändern, das ist eine ganz andere Frage. Spannend ist die Diskussion schon, ob der Staat durch seine Zuschüsse bestimmt, was gespielt wird, oder der Intendant mit seinem Ensemble beschließt, dass dieses Thema gerade wichtig ist, oder der Zuschauer durch seine Meinungsäußerung bzw. auch durch den Kauf von Eintrittskarten. Ich glaube, dass künftig die Veranstalter gar keine andere Wahl haben als sich dieser offenen Kommunikation zu stellen. Angesichts der vielen Kulturangebote ist es geradezu evident, dass sich die Menschen stärker danach richten, was bereits andere Besucher zu einem Stück sagen. In dem Moment, wo ich als Veranstalter das Publikum stärker einbeziehe, habe ich die Chance, dass sich diese Leute auch als Botschafter meines Hauses verstehen werden. Etwas Besseres kann dem Marketing gar nicht passieren.
KMN: Ist dann bald der Shitstorm im Kultursektor zu befürchten?
RS: Das will ich nicht ausschließen. Social Media birgt Risiken in sich, und Kultur ist keine Einwegkommunikation. Die Kulturbranche muss auch hier einen Weg des Umgangs mit Kritik finden. Immerhin hat der Veranstalter damit die Chance, auf konstruktive Kritik zu reagieren. Es ist dann freilich nicht mehr so gemütlich wie früher.
KMN: Wenn wir an die Zeiten vor 100 Jahren denken, wo es bei Uraufführungen von Strawinsky oder Schönberg Tumulte gab oder Tomaten flogen, mag früher nicht unbedingt alles gemütlicher gewesen sein. Aber Fakt ist, dass wir jetzt über neue Kommunikationsmöglichkeiten verfügen. Wie setzen Sie die sozialen Netzwerke ein?
RS: Wir können eine solche Plattform wie livekritik.de nicht mehr als Insel aufbauen. Entsprechend breit sind wir im gesamten Social-Media-Feld vernetzt, insbesondere bei den beiden derzeit führenden Plattformen Twitter und Facebook. Konkret können sich Nutzer, die bereits bei Facebook registriert sind, sich über diesen Account bei uns einloggen, können alle Veranstaltungen über Facebook empfehlen oder über Twitter verbreiten. Künftig werden wir noch häufiger die Doppelbödigkeit von Livekritik spielen: einmal geht es bei uns ausschließlich um Live-Veranstaltungen, andererseits sollen die Nutzer möglichst gleich nach dem Kulturbesuch, wenn sozusagen die Emotionen noch lebendig sind, ihre Bewertungen mobil veröffentlichen, beispielsweise über eine Livekritik-App, die wir 2013 herausbringen wollen.
KMN: Derzeit läuft auf Companisto eine Crowdinvesting-Kampagne. Sie bieten damit die Möglichkeit, interessierten Nutzern die Möglichkeit zu geben, sich sogar am Unternehmen zu beteiligen. Was versprechen Sie sich von dieser Kampagne, und mit welchen Argumenten können Sie die Leute überzeugen, in livekritik.de zu investieren.
RS: Zum einen lebt Livekritik vom Engagement und der Kulturbegeisterung seiner Nutzer. Wir stellen eine Plattform zu Verfügung, die ohne die Teilhabe der Nutzer schlicht nicht denkbar wäre. Insofern ist es konsequent, nun auch die Möglichkeit der finanziellen Teilhabe anzubieten. Damit erreichen wir auch, dass diese Nutzer noch einmal anders mit uns emotional verbunden sind. Das zeigen uns die zahlreichen Kommentare der Mikroinvestoren, die darauf verweisen, dass sie neben dem monetären Effekt, den sie sich in der Zukunft zu Recht erwarten, auch eine gesellschaftlich sinnvolle Sache unterstützen wollen.
KMN: Für die, die Companisto nicht kennen: in welcher Form wird man überhaupt beteiligt, und wie wird diese Beteiligung sichergestellt?
RS: Companisto hat sich mit einer atypisch stillen Beteiligung an Livekritik beteiligt und räumt jetzt Unterbeteiligungen auf seiner Plattform Companisto ein. So kann sich jeder ab 5 Euro an Livekritik beteiligen und partizipiert an künftigen Gewinnen sowie Wertsteigerungen des Unternehmens.
KMN: Offenbar versprechen sich viele einen Erfolg, denn derzeit haben sich 255 "Companisten" mit insgesamt 47.500 Euro bei Ihnen beteiligt. Der Plan wäre damit ja sogar mit fast 190 % übererfüllt.
RS: Es ist sehr schön, diesen Zuspruch derzeit zu erleben. Einige investieren immerhin bis zu 5000 Euro. Für uns ergibt sich neben dem finanziellen Effekt auch ein nicht unerheblicher Marketingeffekt, denn Livekritik wird dadurch viel bekannter - auch wiederum für neue Investoren und Kooperationspartner für die wir offen sind.
KMN: Herr Schmid, wir wünschen weiterhin viel Erfolg nicht nur bei der aktuellen Crowdinvestment Kampagne und danken Ihnen für das interessante Gespräch!
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