12.03.2008

Autor*in

Dirk Schütz
ist Gründer von Kultur Management Network und der Kulturpersonal GmbH. In den Bereichen Führung, Personalmanagement und Organisationsentwicklung arbeitet er als Berater, Coach und Trainer und unterrichtet als Dozent an Kulturmanagement-Studiengängen im deutschsprachigen Raum.
Film über Orchesterbetrieb

Trip to Asia

Interview mit Thomas Grube, Regisseur, Produzent und Gesellschafter von BOOMTOWN Gmbh & Co KG, zum Film über die Asientournee der Berliner Philharmoniker.
KM Magazin: Herr Grube, Sie haben bereits einen Film mit den Berliner Philharmonikern produziert: "Rhythm is it" war ein großer Erfolg. Was waren für den neuen Film "Trip to Asia" die Intentionen? Welche Aspekte des Orchesters sollten hierbei näher beleuchtet werden?

Thomas Grube: Verschiedene Facetten sind hierfür zusammengekommen. Dabei war der erste Film die Basis für den zweiten und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen war er wichtig für das Vertrauen, das vorhanden sein muss, um einen solchen Film wie "Trip to Asia" machen zu können. Zum anderen hat mir "Rhythm is it" die Tür geöffnet, um überhaupt in das Orchester hineinzukommen. Ich hatte vorher keine Ahnung gehabt, was Orchester bedeutet, was es ist, wer es ist, wie es ist. Wir hatten bei dem vorhergehenden Projekt bereits einige Musiker-Interviews geführt, uns aber dann doch für den dramaturgischen Weg entschieden, die Perspektive der jungen Menschen zu beschreiben. So war das Orchester selbst und seine Prozesse nur am Rande Thema gewesen. Damals filmten wir die Proben und konnten zeigen, dass die Philharmoniker Menschen sind, die auch Fehler machen oder Schwächen haben. Das war etwas ganz Neues gewesen, da seit 125 Jahren dieses Perfektionsbild - sehr stark durch Karajan geprägt - entstanden ist, das für eine gewisse Unfehlbarkeit und Exzellenz der Berliner Philharmoniker steht. Ein Mythos, der in Gefahr geraten könnte, wenn Schwäche gezeigt wird. Dies war für mich ein wichtiger Punkt, als uns das Orchester im Mai 2005 gefragt hat, ob wir uns vorstellen könnten, die Asien-Tournee zu begleiten. Diese war historisch von Bedeutung, da die Berliner Philharmoniker vorher noch nie in Shanghai, Hongkong und Taipei gewesen sind.

Der Tour-Gedanke selbst war für mich als Regisseur allerdings nicht der ausschlaggebende Grund. Was mich sehr viel mehr interessierte war, das Orchester wie eine Gesellschaft zu sehen und meine Fragen, die erst einmal voller Widersprüche waren, an dieses selbst zu stellen. In einem Orchester passiert etwas, das in anderen Organisationen oder sozialen Gefügen so schwierig ist:
Schauen Sie diese Individualisten in der Gemeinschaft "Orchester" an, in der starke Reibungen existieren! Und sie kommen trotz Individualität zu diesen phantastischen Ergebnissen. In diesem Fall bedeutet das Spitzenleistungen seit 125 Jahren. Jedes einzelne Orchestermitglied hat sein Leben lang dafür gearbeitet, der oder die Beste zu sein. Wie schwierig muss es da sein, jeden Abend den Applaus als Gemeinschaft entgegen zunehmen? Gerade wenn ein Künstler auf seinem langen Weg seinen spezifischen Ausdruck gesucht hat. Das ist für mich unerklärlich gewesen. Um darauf Antworten zu finden, brauchte ich den Respekt des Orchesters, absolutes Vertrauen und völlige Offenheit sich in unsere Hände zu geben. Das habe ich vor der Orchesterversammlung dargelegt, die mir per Abstimmung freie Hand gegeben hat. Das war die Grundlage mit der wir begonnen haben.

Wir hatten dann nur noch ein halbes Jahr zur Vorbereitung und sind im November 2005 für 3-4 Wochen nach Asien geflogen. Es wurde mit vier Kameraleuten gedreht und am Ende der Film noch 2 - 2,5 Jahre geschnitten. Gerade der Schnitt war bei diesem Fall die große Herausforderung.

KM: Wie kann man solche außerordentlichen Persönlichkeiten, wie es die Künstler der Berliner Philharmoniker ja sind, dazu bringen, so privat zu werden, wie es in dem Film geschehen ist? Hat die gemeinsame Erfahrung bei "Rhythm is it" sie dazu gebracht, sich bereits vorher zu öffnen?

TG: So einfach funktionieren Menschen ja leider nicht. Natürlich haben sie mir ein großes Vertrauen ausgesprochen, denn ich konnte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht genau sagen, wie der Film wird. Ich hatte meine Fragen, jedoch noch keine Antworten darauf. Warum geht in diesem Orchester etwas zusammen, was aus meiner Lebenserfahrung heraus gesprochen, sonst nicht funktioniert? Warum ist das so? Was ist das Geheimnis?

Natürlich benötigt man ein gewisses Gespür für das Gegenüber. Aber letztendlich waren die Gespräche mit den Musikern nie klassische Interviews mit Fragen und Antwort, sondern ein Geben und Nehmen. Erst, wenn man von sich selbst etwas preisgibt, bekommt man auch vom anderen etwas mehr zurück. Sicher hat auch geholfen, dass wir in der Fremde waren außerhalb des eignen gewohnten Umfeldes von Arbeitsalltag, Frau und Familie. Man befindet sich in Asien, in einer anderen Kultur und blickt auf sich selbst, denkt über sich anders und intensiver nach, was vielleicht ein Stück weit offner macht.

KM: Sie haben beschrieben, dass ein Orchester immer eine Art Gesellschaft in Kleinformat ist - ein Aspekt, der in ihrem Film sehr deutlich wird. Kann denn das Orchester als Metapher für die gesamte Gesellschaft verstanden werden? Kann man, mit den Erfahrungen aus dem kleinen sozialen Kosmos "Orchester", Rückschlüsse auf den Kosmos der Gesamt-Gesellschaft ziehen? Kann man mittels dieser Erfahrungen gesellschaftliche Veränderungen besser meistern und begleiten?

TG: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Der Film bietet eine ganze Menge Situationen, um über das Leben und auch über dessen Sinn nachzudenken. Vor allem über die Erkenntnis, dass alles zwei Seiten hat, dass das eine ohne das andere nicht geht. Denn auch diese "Götter" sind fehlbar und das macht Kunst menschlich. Was nützt es mir, die Götter zu zeigen, die auf einem Olymp sitzen und etwas machen, das einzig in den Feuilletons kritisch besprochen wird? Es geht darum den Menschen zu zeigen und zu vermitteln, was das alles mit unserem Leben zu tun hat, eine Verbindung zwischen Leben und Kunst herzustellen.

Gerade auf der Vorführtour bemerke ich die Sehnsucht der Menschen, Fragen an das Leben und an diese Welt zu stellen, in die sich keiner mehr wirklich einordnen kann. Eine Welt, in der die Individualisierung eine scheinbare ist. Jeder möchte irgendwie besonders sein und wir reden kaum noch darüber, was wir gemeinsam haben. Auf der anderen Seite strömen diese Menschen zu Kirchentagen oder in die Fußballstadien es geht um diese Zugehörigkeit zu etwas. Und die Antworten finden sie nicht im Fernsehen, in dem eine Welt dargestellt wird, die negativ geprägt ist, in der keine Hoffnung vermittelt wird. Diese Kombination, die Trip to Asia anbietet, über das Leben zu reflektieren und nachzudenken, das allein macht den Menschen schon Hoffnung. Der Film gibt kein direktes Rezept, in dem steht, wie es geht oder nicht. Er bietet die Möglichkeit Schönheit zu entdecken, aber auch zu sehen, dass es immer eine zweite Seite gibt. Es gibt kein Licht ohne Dunkel. Es ist die Chance etwas über das Leben zu lernen, ein bisschen an der Erfahrung teilzuhaben und daran zu wachsen.

KM: War das eine der Intentionen, so etwas beim Zuschauer auszulösen? Dieses Reflektieren und Nachdenken über den eigenen Weg, Vergleiche zu ziehen und zu lernen, dass Erfolg und auch Niederlagen gleichermaßen wichtig über das eigene Wachstum sind?

TG: Es geht mir darum, Menschen zu erreichen. Es ist mir nicht genug, dass ich meine Vorstellungen in Bildern umgesetzt habe. Ich möchte, dass sie verstanden werden. Man kommt mit den Menschen ins Gespräch, man diskutiert mit ihnen und ich merke, für welche Menschen ich das mache. Es ist wichtig, dass sie dabei eine Resonanz haben, davon lernen und inspiriert werden und dieses Erlebnis als Bereicherung empfinden.

KM: Sie haben Musiker kennen gelernt, von denen alle einen sehr eigenen Weg genommen haben. Manche beschreiben sich als Sonderlinge, die das Musizieren und das Leben im Orchester als Ihren Weg der Sozialisierung erfahren haben. Denken Sie, das kann nur durch die Musik geschehen? Kann man mit Musik und auch durch diesen Film Hinweise geben, wie solche Prozesse der sozialen Integration vielleicht erleichtert werden können?

TG: Es geht hierbei um Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein, um die Sehnsucht nach Ausdruck, nach Sprache und Anerkennung. Man sollte das universeller sehen. Musiker haben in der Musik ihren Kanal gefunden. Andere finden andere Kanäle für sich. Der Vergleich zum Sport liegt dabei nahe. Und wenn jemand ein wirklich guter Mediziner werden möchte, muss er sich ganz schön ins Zeug legen. Es geht um Leidenschaft, einen Ausgleich für sich zu finden. Dahinter steckt ein Mensch, der etwas ganz Wunderbares hat, und eigentlich nur in sich reinhören, es entdecken und entwickeln muss von nichts kommt nichts. Es hat etwas mit der Lebenserfahrung, mit der Kindheit, mit der Prägung, mit älter werden und Reifung zu tun. Und so ist der Film auch ein Lebenszyklus, der von der Kindheit bis zum Tod führt. Eigentlich ist es in diesem Sinne eine Betrachtung, an der man allgemein etwas erkennen kann über das Dasein auf der Welt, über unser Leben, über die Herausforderungen und die Fragen. Wir suchen jeden Tag nach einem Weg, eine Balance zu finden, zwischen der Sehnsucht nach Selbstverwirklichung und den Ansprüchen, welche die Gesellschaft an uns stellt. Diese Zusammenhänge etwas zu beleuchten, soll ein Angebot dieses Films sein.

KM:
Denken Sie, man kann diese Prozesse leichter an einem Orchester beschreiben oder wäre das egal gewesen, mit welcher Art von sozialer Gemeinschaft Sie den Film gedreht hätten?

TG: Es gibt nichts Besseres, als mit dem besten Orchester der Welt zu arbeiten. Wenn man nur die gesellschaftlichen Fragen nimmt, die wir gerade besprochen haben, dann hätte man auch die Belegschaft eines Kaufhauses nehmen können, um zu zeigen, wie diese zusammen funktioniert oder nicht funktioniert, wo die Grenzen liegen zwischen Individuum und Gemeinschaft. Wenn ein Orchester wie ein Unternehmen funktioniert und seit 125 eine Leistung auf ganz hohem Niveau bringt, die Mitarbeiter motiviert zur Arbeit gehen und jeden Abend ihr Bestes geben, dann kann das nur Vorbild sein. Die Berliner Philharmoniker sind natürlich in ihrer Motivation durch den Aspekt der Selbstbestimmung geprägt. Sie sind Stakeholder im eigenen Unternehmen, die sich ihre Mitstreiter im Orchester selber aussuchen. Nehmen Sie diese Probezeit von zwei Jahren: dabei geht es nicht mehr nur darum, wie "der Neue" sein Instrument spielt, sondern es geht um seine soziale Kompetenz, um sein Einfühlungsvermögen und sein künstlerisches Ego. Das sind die Kriterien an denen gemessen wird, ob jemand in das Orchester passt oder nicht. In der Wirtschaft muss man lange suchen, um ein Gefüge zu finden, dass so gut funktioniert. Aber es wäre überall dort übertragbar, wo Menschen versuchen ein Ziel zu erreichen.

KM: Wird der Besuch des Films den Nicht-Besucher von Konzerten dazu bringen ein klassisches Konzert erleben zu wollen? Wird der Film das Konzerterlebnis an sich verändern, auch für Konzertkenner?

TG: Ich bin überzeugt, dass der Respekt für die Musiker wachsen wird. Viele werden das erste Mal verstehen, was ein Orchester bedeutet. Es eröffnet sich auf einmal ein menschlicher Zugang zu diesem Sujet und damit auch eine Bindung.

KM: Ist es möglich für ein anderes Orchester auch einen solchen Film zu machen? Gerade um neue Vermittlungswege zu gehen? Oder funktioniert das, in dieser Einzigartigkeit, nur mit den Berliner Philharmonikern?

TG: Das ist schwierig zu sagen. Es gibt sehr viele Faktoren, die dazu beitragen, dass ein Film so wird. Und wiederholen kann man einen Film nicht. Aber grundsätzlich macht es Sinn, dass sich Orchester mit der Frage beschäftigen, wie sie näher an die Menschen kommen und nicht warten bis die Menschen zu ihnen kommen. Das ist der Kern, der auch so sehr Simon Rattles Gedanke ist dieses aktive Rausgehen. Das ist auf vielen Wegen möglich: durch die Medien, andere Spielorte, indem man in Schulen geht, man sich aktiv mit den Menschen beschäftigt und zeigt, wer man ist, was hinter dem Ensemble steckt. Andere Wege der Kommunikation beschreiten, das ist wichtig!

KM: Wenn dieser Film es schafft, die Menschen zu aktivieren, ist es ja schon ein großartiges Ergebnis.

TG: Natürlich ist es etwas anderes, einen solchen Film mit dem besten Orchester, den besten Musikern und besten Dirigenten zu machen. Aber wenn diese Leuchtturmfunktion dazu dient, den Menschen etwas näher zu bringen, Empathie zu wecken für diese Kunstform, finde ich eine solche absolut legitim. Ich hoffe, dass es andere inspiriert.

KM: Herr Grube, vielen Dank für dieses Gespräch.


THOMAS GRUBE 1971 in Berlin geboren, studiert Politologie, Nordamerikanistik und Osteuropa-Studien an der FU Berlin sowie Film- und Fernsehwirtschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Parallel arbeitet er von Beginn an als Regisseur und Produzent. 1999 gründen Thomas Grube und Uwe Dierks gemeinsam mit Andrea Thilo BOOMTOWNMEDIA. Im Jahr 2004 erhält er für seine Regiearbeit RHYTHM IS IT! gemeinsam mit Enrique Sánchez Lansch den Bayerischen Filmpreis, im Jahr 2005 als Produzent auch den Deutschen Filmpreis.
 

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