Über das Scheitern

Misserfolgen Raum geben

Christine Steindorfer hat zwei Bücher zum Thema Scheitern geschrieben. Wir sprachen mit der Autorin über die meist tabuisierte Schattenseite des Erfolgs.
KMN: Was bedeutet für Sie scheitern und warum glauben Sie, dass scheitern so ein großes Tabu ist?

Christine Steindorfer: Vom Scheitern spreche ich dann, wenn es weh tut. Da fühle ich einen, manchmal sogar realen körperlichen Schmerz. Wenn ich mal etwas bloß nicht so gut hinbekommen habe, dann ist es kein Scheitern. Scheitern ist etwas Größeres.

Scheitern hat ein paar Eigenschaften, die es schwer zu fassen machen: Zum ersten ist es subjektiv. Man kann immer nur selbst entscheiden, ob man sich bei einer Sache gescheitert fühlt oder nicht. Da kann wer anderer noch so oft sagen ist doch nicht so schlimm, wenn für mich gerade die Welt zusammenbricht. Immerhin verabschiede ich mich von einem Projekt oder einem Ziel, für dessen Erreichung ich viel Zeit manchmal auch Geld aufgebracht habe. Daher passiert es auch oft genug, dass zwei Personen ein- und dieselbe Situation unterschiedlich bewerten.

Aber warum wiegt es so schwer zu scheitern? Weil damit ein ungemeiner Reputationsverlust einhergehen kann. Wir definieren uns zu einem großen Teil darüber, was wir beruflich tun. Wenn dieses Gebäude zu bröckeln anfängt oder gar in sich zusammenfällt, hat man neben finanziellen Sorgen auch ein veritables Problem mit dem Selbstbild.

Daher suchen auch so viele Menschen die Schuld sofort bei anderen, um sich dem nicht stellen zu müssen. Das bringt nur ein Problem mit sich: Wenn nur andere, oder gar so ein abstraktes Konstrukt wie die Wirtschaft oder die Politik, an meinem Scheitern schuld sind, habe ich aber keinen Ansatzpunkt um aus dem Scheitern wieder rauskommen.

Das bringt mich zu den zwei wichtigsten Merkmalen des Scheiterns, seine Prozesshaftigkeit und seine Flüchtigkeit. Wenn ich das anerkenne, finde ich auch wieder einen Weg hinaus aus der Abwärtsspirale. Meist ist es ja so, dass einem in einem bestimmten Moment klar wird, dass man gescheitert ist. Aber das ist dann nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. All die Handlungen und Schritte bis dahin haben ihren Teil zum Scheitern beigetragen. Wenn ich das wahrhabe, kann ich auch etwas dagegen tun. Oder zumindest weiß ich, worauf ich beim nächsten Mal zu achten habe. Und sobald ich mich dem Scheitern stelle, verliert es an Kraft. Das Geschehene kann man nicht ungeschehen machen. Aber man bewegt sich von dem Punkt weg. Das meine ich mit Flüchtigkeit.

KMN: Sie haben gemeinsam mit Gerhard Scheucher bereits zwei Bücher über das Scheitern geschrieben, was waren Ihre Beweggründe?

C.S:
Beim ersten Buch wollten wir einmal eine Bestandsaufnahme machen. Gerhard Scheucher war damals auf der Suche nach jemandem, der mit ihm zum Thema schreibt. Das war 2006. Damals hat es noch kaum Bücher zum Thema gegeben, und schon gar keines, mit dem Wort Scheitern im Titel. Aber das Thema ist schon irgendwie in der Luft gelegen.

Für Die Kraft des Scheiterns haben wir mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Medien, Politik, Kultur und Sport über ihre Ängste vor dem Misserfolg und ihre Erfahrungen damit gesprochen. In diesen Gesprächen hat sich gezeigt, dass es so eine Art Muster oder prototypischen Ablauf beim Scheitern gibt. Das haben wir dann für Die Aufwärtsspirale untersucht und die Vermutung hat sich als richtig erwiesen - und in einen Businessratgeber mit Checklisten verpackt.

KMN: Was macht eine scheiterfähige Unternehmenskultur aus und welche Vorteile haben Firmen, die das Scheitern nicht ausblenden?

C.S.: Eine scheiterfähige Unternehmenskultur ist eine, die anerkennt, dass Erfolg nur möglich ist, wenn man auch der Kehrseite, nämlich dem Scheitern Raum gibt. Wenn die Mitarbeiter nicht Angst haben müssen, einen Fehler zu machen. Denn was passiert dann? Der Fehler wird unter den Teppich gekehrt. Aber irgendwann kommt er zutage und dann sind die Konsequenzen oft schlimmer. Selbst Controller sehen ein, dass es kosteneffizienter ist, möglichst früh auf ein Manko zu reagieren.

Meist ist Scheitern ja ein Hinweis: auf etwas, das nicht gut funktioniert; darauf, dass einem Team Ressourcen fehlen; darauf, dass ein Prozess nicht richtig aufgesetzt ist. Denn Scheitern kommt in den seltensten Fällen vom Nichtstun. Eine scheiterfähige Unternehmenskultur ist eine, die damit umgehen kann, dass ihre Mitarbeiter auch nur Menschen sind. Es ist eine, in der angstfrei gearbeitet werden kann. Das hilft dem Betriebsklima und ist ein Nährboden für Entwicklung.

KMN:
Haben Sie einen Tipp für unsere LeserInnen zum Umgang mit dem Scheitern?

C.S.: Zum ersten ist es wichtig, realistische Ziele zu verfolgen. Die dürfen schon sportlich sein, aber man soll sie auch erreichen können. Für mich das Wichtigste: Von Anfang an anerkennen, dass Scheitern immer und zwar wirklich immer eine von mehreren Möglichkeiten ist, wie ein Projekt ausgehen kann. Wenn ich mir das vor Augen führe, sehe ich auch eher, wo sich mögliche Stolpersteine verbergen.

Und als drittes möchte ich mit einer der 19 Lebensregeln des Dalai Lama antworten: Wenn Du verlierst, verliere nicht den Lerneffekt. Erst mal Wunden lecken und im Selbstmitleid baden, das ist okay. Aber dann muss ich auch wieder aufstehen, den Staub abklopfen und schauen, wie ich beim nächsten Mal nicht denselben Fehler wieder mache.

Das heißt aber noch etwas: Damit jemand Scheitern be- und verarbeiten kann, braucht es einen wertschätzenden Umgang mit Scheiternden. Wir müssen anderen, und uns selbst, eine zweite Chance geben; und eine dritte, auch eine vierte.
 
Bücher von Christine Steindorfer:
  • Die Kraft des Scheiterns. Eine Anleitung ohne Anspruch auf Erfolg (2008)
  • Die Aufwärtsspirale. Wie man mit Erfolg Niederlagen meistert (2011)
Mehr zum Thema Scheitern können Sie im Sonderheft des Kultur Management Network Magazins zum 2. Redaktionswettbewerbs für Studierende nachlesen.

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