16.09.2016

Themenreihe Preise & Ticketing

Autor*in

Florian Bauer
Studium und Promotion in Psychologie an der TU Darmstadt, dem MIT und in Harvard. Er ist ein international gefragter Experte und Redner zum Thema Preispsychologie und Behavioral Pricing sowie Autor von mehreren Büchern zur Preisforschung. Insgesamt war er 15 Jahre beim Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher (BVM) als Mitglied, Vorsitzender des Fachbeirates sowie als Vorstand des BVM aktiv.
Preise im Kultursektor

Um die richtigen Preise festzulegen, braucht es mehr als Bauchgefühl

Zu oft gehen Kultureinrichtungen bei der Preisfestlegung von sich aus, anstatt sich mit der tatsächlichen Zahlungsbereitschaft der Besucher auseinander zu setzen. Mit dem Preispsychologen Dr. Florian Bauer sprachen wir darüber, welche Aspekte bei der Preisgestaltung wirklich eine Rolle spielen.

Themenreihe Preise & Ticketing

KM: Herr Dr. Bauer, der öffentlich-rechtliche Kulturbetrieb soll seit vielen Jahren verstärkt Einnahmen generieren, um die öffentlichen Kassen zu entlasten. Immer wieder stehen Preiserhöhungen in der Diskussion. Welches sind die Voraussetzungen, wenn man eine Preisstrategie entwickeln möchte?
 
Dr. Florian Bauer: Der Kulturbetrieb sieht sich sicher einer anderen Situation gegenüber als der privatwirtschaftliche Bereich: Er hat einen politisch gewollten Sendungsauftrag und somit unterliegt er bei der Preisgestaltung einer politisch geleiteten Entscheidungsfindung. Daher sind bei öffentlich-rechtlichen Einrichtungen klassische Preisstrategien schwieriger anzuwenden. Hat eine Kultureinrichtung aber die Möglichkeit, eine Preisstrategie flexibel zu gestalten, ist insbesondere die Basis wichtig. Hier gibt es vier unterschiedliche Herangehensweisen, Preise zu gestalten: Man kann sie aus dem Bauch heraus festlegen. Man kann diese kostenbasiert entscheiden oder sich an den Wettbewerbern orientieren. Oder man kann sich mit der Zahlungsbereitschaft der Kunden auseinandersetzen also eine kundenbasierte Methode wählen. Seit vielen Jahren sind sich Forschung und Praxis weitgehend einig, dass das Customer based Pricing die sinnvollste Methode ist.
 
KM: Wie genau sieht diese Methode aus?
 
FB: Ausgangspunkt ist der Kunde. Man muss wissen, was der Kunde sich vorstellen kann, zu zahlen. Das bedeutet beispielsweise: Wenn der Kunde nicht bereit ist, den Preis zu zahlen, der nötig ist, um die Produktionskosten zu decken, dann sollte man das Produkt schlicht nicht anbieten. Ist er wiederum bereit, mehr zu zahlen, sind die Kosten nicht relevant. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Kunden und dessen Kaufentscheidung ist der relevante Aspekt. Bei einer Preisstrategie ist zudem wichtig, nicht nur über die Preishöhe nachzudenken, sondern auch über die Preisstruktur, also Staffelungen, Differenzierungen, Bündelungen oder Abos, sowie über die Preisdynamik, also Rabatte, Frühbucher oder Gutscheine. Letztlich ist eine wichtige Voraussetzung die Preiskommunikation. Es geht bei der Preisgestaltung um mehrere Ebenen und nicht einzig darum, einen Preis festzulegen.
 
KM: Der Kunde, also in unserem Fall der Besucher, ist für den Kulturbetrieb noch ein relativ unbekanntes Wesen, dem man sich aber vermehrt mit unterschiedlichen Ansätzen der Besucherforschung annähert. Wenn es um den Preis geht, ist eine wichtige Frage, welche Prozesse sich bei einer Kaufentscheidung abspielen.
 
FB: Grundsätzlich muss man verstehen, dass die klassischen Preistheorien auf einem Kundenverständnis aufbauen, das besagt, dass der Kunde bei Kaufentscheidungen besonders rational sei. Sie gehen davon aus, der Kunde sei informiert, hätte stabile Präferenzen, weiß, was er bereit ist zu bezahlen, und er möchte dabei möglichst wenig ausgeben. Dieses Bild ist hartnäckig bei Anbietern verankert, aber es ist komplett falsch. In den vergangenen 50 Jahren wurden diese Vorstellungen durch die Forschung der sogenannten Behavioral Economics, die sich mit den Entscheidungsprozessen der Kunden beschäftigen, widerlegt. Ein weiteres Konstrukt, mit der die Behavioral Economics nachhaltig aufgeräumt hat, ist das der Preisbereitschaft. Der Begriff Preisbereitschaft unterstellt, dass Menschen für bestimmte Produkte, Dienstleistungen oder Events einen ganz konkreten Preis im Kopf haben, den sie bereit sind zu zahlen. Ist er höher, würden sie sich nicht zum Kauf entscheiden. Menschen gehen aber sehr viel passiver mit ihren Preisvorstellungen um. Oft haben sie vorab gar keine Vorstellung, was sie maximal bezahlen würden. Sie hassen es, Entscheidungen treffen zu müssen, sie möchten vielmehr entschieden gemacht werden. Die Aufgabe eines Anbieters ist es also, die Entscheidungsarchitektur so zu gestalten, dass der Produktkauf dem Kunden plausibel erscheint. Statt von aktiver, vorab definierter Preisbereitschaft, sollte man also eher von einer passiveren, sich entwickelnden Preisbereitschaft sprechen.
 
KM: Warum zahlen Kunden ganz selbst verständlich 400 Euro für ein Ticket der Salzburger Festspiele, doch denselben Kunden sind 10 Euro für einen Museumsbesuch zu teuer? Wie entscheiden Menschen, wie viel Geld sie für welches Produkt ausgeben möchten? Wie kann man das beeinflussen?
 
FB: Preisbereitschaft hat sehr viel mit Gewohnheit und Gelerntem zu tun. Und sich einen Preis plausibel zu machen, hängt auch davon ab, was man bisher dafür ausgeben musste und ob man die Preise bisher überhaupt gekannt hat. Deshalb ist es schwieriger, Einzelticketpreise festzusetzen als Abos. Aber die Anbieter haben oft ein falsches Verständnis von der Kaufentscheidung ihrer Kunden und der Rolle, die der Preis darin spielt. Bleiben wir bei dem Beispiel des Abos: Anbieter gehen meistens davon aus, dass Abos günstiger sein müssen als die Summe der Einzeltickets. Der Entscheidungsprozess des Kunden ist aber häufig ein ganz anderer. Denn viele Kunden haben ein Abo, weil sie unbedingt kommen möchten und sich nicht um den Ticketerwerb oder ähnliches kümmern wollen. Der Grund für ein Abo ist also nicht die Preisersparnis (mit der leider oft geworben wird), sondern die Bequemlichkeit. Es findet eine viel geringere Auseinandersetzung mit dem Thema Preis statt. Das heißt, die Preissensitivität bei Abonnenten ist nicht selten viel geringer als bei Einzelticketkunden, dennoch sind Abos günstiger.
 
KM: Ist es nicht dennoch heikel, Preise zu erhöhen?
 
FB: Bei Preiserhöhungen geht es sehr häufig nicht um die Preissondern um die Fairnessschwelle. Und dabei geht es natürlich vor allem darum, wie man die Preiserhöhung kommuniziert. Aber, und das ist sehr wichtig, die Kommunikation sollte nur dann stattfinden, wenn die Kunden die Preiserhöhung auch wahrnehmen. Tun sie das nicht, sollte man darüber nicht sprechen. Gerade Kultureinrichtungen haben das dringende Bedürfnis zu erklären, warum sie teurer werden. Das ist manchmal aber gar keine gute Idee. Denn das einzige Ergebnis, das man damit erreicht, ist, dass bei den 90 Prozent, die keine Vorstellung über die Preishöhe, eine höhere Aufmerksamkeit generiert wird. Der Großteil der Besucher geht sehr selten in dasselbe Museum. Sie besuchen Häuser mit unterschiedlichen Preisstrukturen und wissen daher oftmals gar nicht genau, wie hoch der Preis speziell in diesem Museum üblicherweise ist. Aber wenn ein Schild aufgestellt ist, auf dem ein langatmiger Text darüber steht, dass der Mindestlohn dazu geführt hat, dass die Preise um 10 Prozent erhöht werden mussten, dann wird vielen Besuchern erst bewusst, dass es teurer geworden ist. Und erst dann geht das Rechenspiel los, dass die eigene Tariferhöhung aber nur 3,5 Prozent war und dass dies doch unfair sei usw. Das ist natürlich nicht hilfreich.
 
KM: Eine Zuschauerstudie der FU Berlin für das Staatstheater Braunschweig hat gezeigt, dass die Menschen eine überhöhte Vorstellung von den Eintrittspreisen haben. Wie kommt es, dass Menschen in Zeiten der vielfältigen Recherche- und Vergleichsmöglichkeiten so wenig Preiswissen haben?
 
FB: Menschen müssen sich mit so vielem in ihrem Leben beschäftigen und sollen unzählige Entscheidungen treffen. Eigentlich überfordert das die Kapazitäten völlig und Menschen möchten viele Entscheidungen gar nicht treffen müssen. Zudem wird völlig überschätzt, wie intensiv sich Menschen mit ihren Entscheidungen auseinandersetzen. Das hat aber keinen Einfluss darauf, dass man ein Preisimage-Problem haben kann. Das Staatstheater muss sich also sowohl mit seiner Preisstrategie als auch mit seiner Preiskommunikation beschäftigen. Dabei geht es vor allem darum, mehr über die Preisvorstellungen in den Köpfen der Menschen zu erfahren, und das hat oftmals nichts mit den realen Preisen zu tun.
 
KM: Und wann sagt der Mensch nun, dass der Preis ihm egal ist?
 
FB: Wir haben auf Basis unserer Entscheidungsforschung und einer sehr umfangreichen internationalen Studie eine Typologie von 5 Entscheidungstypen entwickelt: den Schnäppchenjäger, den Verlustaversiven, den Preisbereiten, den Gewohnheitskäufer und den Gleichgültigen. Man ist nicht ein bestimmter Typ, sondern der Kontext und die Präferenzstruktur sind entscheidend: Das heißt, bei der Entscheidung für einen Mobilfunktarif ist man vielleicht ein Schnäppchenjäger, aber ist zeitgleich beim Zeitungskauf unter Umständen preisbereit usw. Der Anbieter muss seine Kunden kennen und seine Preisstrategie dahingehend ausrichten.
 
KM: Also ist der Anspruch von Kultureinrichtungen, alle Menschen als Zielgruppe zu verstehen, ein Problem?
 
FB: In der Tat. Wenn der politische Auftrag ist, alle ins Theater zu holen, dann ist die Zielsetzung eine andere und hier müssen die Preise sehr viel stärker differenziert werden. Und das tun die Kultureinrichtungen bereits. Worauf sie dabei wiederum achten müssen, ist das Fairnessbedürfnis ihrer Kunden. Studenten- oder Rentnertickets sind akzeptiert, aber teurere Akademikertickets werden sicher schwerlich Zustimmung finden.
 
KM: Ist Kunst und Kultur ein spezielles Produkt, dass eventuell eine andere Herangehensweise an die Preisgestaltung bedarf?
 
FB: Ich kann Ihnen sagen, dass vor allem die Anbieter immer reklamieren, dass ihre Produkte etwas ganz besonderes und mit keiner anderen Branche vergleichbar sind. Am Ende sind es aber Menschen, die über einen Kauf entscheiden und am Ende folgen diese Menschen immer wieder den gleichen Gesetzen der Entscheidungsfindung. Sie machen dabei ihre vorhersagbaren Entscheidungsfehler, ob es sich dabei nun um einen privaten oder beruflichen Entscheider handelt, ist meist völlig egal. Letztlich hilft nur eines: Man muss den Entscheidungsprozess seiner Kundensegmente kennen und die Rolle, die der Preis darin spielt verstehen, um Preishöhe, Preisstruktur, Preisdynamik und Preiskommunikation strategisch festlegen zu können.
 
Dieses Interview erschien in ausführlicher Form zuerst im KM Magazin 07/2016
 

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