28.05.2010

Autor*in

Uta Petersen
Kommentar

Richtfest für die Hamburger Elbphilharmonie oder: der Wahnsinn von der Wasserkante

Hafenrundfahrten in einer Barkasse in Hamburg, dem Tor zur Welt erfreuen sich außerordentlicher Beliebtheit, ganz besonders seit der zügig voranschreitenden Hafenerweiterung und dem spektakulären Bau der Elbphilharmonie, von den Hamburgern auch zärtlich "Elphie" genannt

Seit dem opulenten, tagelangen Richtfest im Mai 2010 für alle Hamburger und Hamburgerinnen stürmen Touristenmengen in nie gekanntem Ausmaß die Hansestadt und die Barkassen, zusätzlich sind halbstündliche Rundfahrten mit Unterwasserbooten samt Panoramafenstern hinzugekommen, denn die Menschen wollen sich kein einzelnes Detail der Elbphilharmonie entgehen lassen; Findige Geschäftsleute eröffnen einen Tauchanzugverleih, nichts bleibt unversucht, nach Elphie- Souvenirs zu fischen, es werden bereits eilig Bruchstücke der einzigartigen Glasfassadenfenster nachproduziert. In einem mitgebrachten Kescher einer älteren, etwas verwelckt aussehenden Dame verfangen sich sogar Teile der Richtkrone ... doch der Reihe nach.

2003 dümpelt Hamburgs Kulturszene unter Leitung von Dana Horáková so vor sich hin, als plötzlich ein Gedanke in den Kulturbehördenköpfen Format annimmt: warum bauen wir nicht einen Konzertsaal auf einem alten Kaispeicher an der Elbe, wie es Architekt Alexander Gérard vorgeschlagen hat. Hurá, freut sich die deutsch-tschechische Kultursenatorin, dann könne man dort ein Aquarium einbauen und immer schön Händels Wassermusik spielen. Schon unken böse Kollegen, dass mit der Klimakatastrophe über kurz oder lang Hamburg eh unter Wasser stehen wird, wozu also noch ein Konzertsaal an der Elbe?

2004 löst Freifrau Karin von Welck als neue Senatorin den Kulturhorror ab. Plötzlich ziehen die Schweizer Architekten Jacques Herzog & Pierre de Meuron ihre Vision eines Konzertgebäudes auf dem alten Kakaospeicher aus dem Hut mit drei Konzertsälen, Hotel, internationalem Konferenzbereich, einer Plaza in 37 m Höhe, mit 360 Grad Rundumblick über den Hafen und vor allem mit einem 500-Plätze-Parkplatz. Einfach so. Die Idee lässt nun niemanden in Hamburg mehr schlafen, und das für viele Jahre. Endlich Weltstadt! Spontan gründet sich ein Jahr später eine Stiftung, man fährt die ersten großzügigen Spenden ein. ReGe, eine Realisierungsgesellschaft mit nur fünf Nasen realisiert nun das immer kolossaler werdende Projekt. Man spart schon mal wo man kann, um die Ausgangssumme von 77 Millionen zusammenzukriegen.

Wenig später erhöht sich der Kostenplan lautlos auf 186 Millionen Euro. Ein unerschrockener Intendant für das Leuchtturm-Projekt ist 2006 rasch gefunden, der Wiener Christoph Lieben-Seutter. Der erneute Kostenanstieg auf 241 Millionen erschreckt nur kurz, unverzüglich stimmt die Bürgerschaft dem Bau zu, sonst wirds am Ende noch teurer ... Der Auftrag geht an den Baukonzern HOCHTIEF wir schreiben Anno 2007.

Dass bei der Grundsteinlegung noch im selben Jahr die Musikgruppe HotSchrott spielt, mögen nur ewige Pessimisten als Omen sehen, denn die Euphorie kennt nun keine Grenzen mehr:

Anstecknadeln, Münzen, Fähnchen, T-Shirts, Elbphilharmonie-Plakate mit dem eigenen Namen ... Hamburg kommt immer mehr in Wallungen: Die weltweite Werbetournee mit Bürgermeister Ole von Beust und der Kultursenatorin erklärt andernorts, was in der Hansestadt abgeht bzw. aufgebaut wird. Die Fotomontage des fertigen Gebäudes geistert bereits durch diverse Kultursendungen im TV, alles freut sich auf die Elbphilharmonie. Eine eigens aus Tokyo angereiste Reisegruppe steht kürzlich ratlos und enttäuscht auf der Baustelle herum. Im japanischen Fernsehen sah das Gebäude doch schon völlig fertig aus!?

Völlig fertig ist mittlerweile auch der Hamburger Senat. Massive Baumängel lassen sich nicht mehr von HOCHTIEF verheimlichen: die Betonrippen, auf denen der ausgeklügeltste Konzertsaal der Welt ruhen soll, sind zu tief montiert. Betonschlamm habe nicht nur die historische Außenmauer des Kaispeichers verunziert, sondern gelangt in das poröse Gestein. Der Versuch des Abschleifens beschädigt folgerichtig den Speicher. Ja, so ist es immer mit Beton: es kommt darauf an, was man daraus macht. Die Kosten steigen wie die Flut nach der Ebbe, jeder Hamburger Bürger ist nun gehalten, mindestens zweimal am Tag immer wieder neuen Personen gegenüber die Elbphilharmonie zu erwähnen sowie der Baustelle und dem Info-Pavillon einmal im Monat einen Besuch abzustatten. Für den Nachwuchs sei ebenfalls ein lebenslanges Abonnement abzuschließen, Spenden sind natürlich von der Steuer absetzbar, von dem Steuergeld, von dem die Hamburger bereits sowieso ... Was solls. Sondertöpfe mit Millioneninhalt werden angelegt und gleich wieder entleert, eine Traditionswerft wird an die Abu Dhabis verhökert, Kindergartenbeiträge erhöht, die Galerie der Gegenwart, eines der beliebtesten Museen der Stadt, kurzerhand geschlossen. Unstimmigkeiten beim Lieferdatum verzögern die Montage der 1100 orkansicheren, konvex-konkaven Glasfassadenscheiben, der Traum vom fantastischsten Konzerthaus der Welt kostet überraschend(?) um ein vielfaches. Sogar das extra schöne Sichtbeton in den Flucht-Treppenhäusern. Dieser ist jedoch deshalb sinnvoll, weil man es in Hamburg selbst auf der Flucht schön haben möchte.

So zu tun als ob erwies sich schon häufig als hilfreich, so preist man wildentschlossen die Konzerte der organisatorisch mit Elphie verknüpften Laeiszhalle jetzt schon als "Elbphilharmoniekonzerte" an, sucht abseits des Klassik-Kanons erfolgreich nach neuen Klängen und sinnlichen Eindrücken auf Kampnagel, St. Pauli oder am Mümmelmannsberg. Na bitte, geht doch. Brauchen wir die Elbphilharmonie überhaupt noch? Die Körber-Stiftung hält mit "Zukunftsmusik" Jugendliche, Kinder und Ungeborene bei Laune, monatlich wird der Eröffnungstermin verschoben. Wie die täglich benötigten rund 5 000 Besucher anzulocken sind, die zur Füllung der Säle und annähernder Kostendeckung notwendig sind, weiß eigentlich niemand genau. Is ja auch egal, zumal der steigende Unterhaltungswert des BauProjekts sicher in Kürze eine Vergnügungssteuer abwirft. Der Weg ist das Ziel. Oder etwa nicht? Die Hamburger wenden sich derweil den vielen Luxus-Kreuzfahrtschiffen zu, die regelmäßig den Hafen anlaufen. Für den gut gemeinten, gigantischen Ausbau der Hafencity gilt sowieso bis auf Weiteres der gemeine Blondinenwitz: es ist Licht an, aber keiner zuhause.

Das Tempo zieht an: Hoch-Tief erhöht wöchentlich die Kosten, heiße 24-Stunden-Sitzungen bei Bürgerschaft, Sponsoren und Freundeskreis, schließlich ist man ist mittlerweile bei 323 Millionen Euro Baukosten angekommen, die zu erwartenden jährlichen Betriebskosten von 7 bis 8 Millionen Euro nach tatsächlicher Eröffnung noch gar nicht mit eingerechnet. Allgemeines Klagen an der Kaimauer. Kultur- und Sportsenatorin Karin von Welck, obendrein Präsidentin des 32. Deutschen Evangelischen Kirchentages, kann es nicht mehr sportlich sehen fällt vom Glauben ab, reicht im April diesen Jahres Klage gegen HOCHTIEF ein. Eine 12-monatige Verzögerung mit Eröffnung im Mai 2013 sei nicht hinnehmbar. An der genialen Idee, das vielfach verschobene Eröffnungskonzert stattdessen im Mai 2012 mirnichtsdirnichts in die Laeiszhalle zu verlegen, wird emsig gefeilt. Wie gesagt, es ginge auch ohne.

Baustopp! Gerade erst im April seien die vielen Baumängel aufgefallen, sagt HOCHTIEF-Vorstandschef Herbert Lütkestratkötter (!) und gibt alles zu. Zugabe! Mut, die Baufirma zu wechseln, fehle dem Senat, ergänzt Bauwissenschaftler und Elphie-Gutachter F.J. Schlapka, der das Ganze als Pokerspiel und Millionengrab sieht. In der Bauindustrie sei es üblich, bewusst niedrige Angebote abzugeben und Gewinne aus Nachforderungen zu generieren. Außerdem bezeichnet er die Kostensteigerungen beim Bau des Vorzeige-Konzertsaals als unplausibel. Wegen dieser Aussage hat er nun eine Klage von HOCHTIEF am Hals. Nach dem brandaktuellen Kassensturz will Hamburg nur noch das Geld ausgeben, das es auch hat. Richtig so. Was aber mag das für Elphie bedeuten? Vielleicht wird der Bau beendet wegen "Erneuerung der Brandschutzklappen" und der Rohbau als Hafen-Kletterparadies freigegeben? Oder Frau von Welck ruft mal in Abu Dhabi an? Unser schönes Volksparkstadion heißt ja auch HSH-Nordbank-Stadion (doch möglicherweise werden dort in naher Zukunft die HSH-Nordbank-Vorstände öffentlich den Löwen zum Fraß vorgeworfen doch das ist ein anderes Thema). Warum nicht Emirates-Elphie!? Oder Aldi-Philharmonie ... Geld ist ja da. Nur nicht da, wo es sein soll.

Wie auch immer - sogar die Federn, auf denen der Konzertsaal schwingen soll, seien schief eingebaut worden, tickert es neulich durch die Nachrichten. Ja, kann man denn einen 12 500 Tonnen schweren

Konzertsaal auf Federn aufhängen? Der Fachmann staunt und der Laie wundert sich. Es könne zu Schallübertragungen kommen, der die Konzertqualität im Saal erheblich stört, sollte draußen im Hafen ein Schiff ins Horn tuten. Der Intendant soll sich beharrlich geweigert haben, sein Konzertprogramm auf dieses Tuten abzustimmen. Er empfängt angeblich seit kurzem keine Künstler und Agenten mehr in seinem Büro, sondern nur noch seine engsten Verwandten. Einmal wöchentlich. In Wien-Steinhof.

Die einst spendablen Bürger sind erschöpft, fühlen sich mehr und mehr durch den Kakao gezogen, der gar nicht mehr in dem Speicher lagert und halten ihre Geldbörsen vorerst fest verschlossen. Ersmakucken, jetzt beim Richtfest zum Beispiel. "Es ist die Hölle, aber da müssen wir durch", bestätigt endlich auch Bürgermeister OvB grundehrlich den aktuellen Stand. Doch wie das Leben so spült, ergibt es für jedes Problem eine Lösung: Der Kapitän des Luxusliners "Celebrity Destruction", der im Morgengrauen nach dem Richtfest den Anleger Sandtorhöft mit dem benachbarten Kreuzfahrtterminal verwechselt und bei auflaufendem Wasser seinen Pott mit 50 Knoten vor den ungläubigen Augen von tausenden Frühaufstehern frontal in die Elbphilharmonie rammt, soll sechs Promille im Blut gehabt haben. Das Schiff ist unversehrt. Hummel Hummel.


Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB